Livius: Römische Geschichte Bücher 1-5

  • In einem ersten Rückblick muss ich sagen, dass ich sehr überrascht und angetan bin von der Tatsache, wie gut sich Livius lesen lässt. Obwohl ich einige Geschichten (Cincinnatus oder auch die Gänse vom Kapitol) bedeutend spannender in Erinnerung hatte. Livius beschreibt die dann doch relativ trocken. Allerdings bin ich diesen Geschichten zum ersten Mal mit so 12 Jahren begegnet und es mag sein, dass die Bearbeiter des Lateinlehrbuchs da noch herumgeschraubt hatten, um das junge Volk ein bisschen anzuziehen ... :smile:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Ein paar zusammenfassende Worte zum zweiten Buch von mir:


    Die Frühzeit Roms wird weiter beschrieben, darunter die zahlreichen Kriege mit den Nachbarn, die teils defensiver teils offensiver Natur waren. Es ist auch die Ernennung des ersten "Diktators" zu vermelden. Was mich an diesem Buch aber besonders fasziniert hat, sind die sozialen und ökonomischen Konflikte im frühen Rom. Die Spannungen zwischen Plebejern und Patriziern ziehen sich ja durch die gesamte römische Geschichte. Livius beschreibt sowohl wie die "legendäre" Institution des Volkstribun entstanden ist als auch die zahlreichen Zentrifugalkräfte, welche die römische Gesellschaft zu sprengen drohten.
    Manches liest sich erstaunlich modern, so gab es damals auch eine Finanzkrise. Plebejer waren bei den Patriziern überschuldet und viele gerieten in eine Art Schuldknechtschaft. Das Ergebnis war laut Livius eine Art Kriegsstreik. Sie weigerten sich als Soldaten zu kämpfen so lange das Schuldproblem nicht gelöst war. Im Senat gab es Debatten um einen Schuldenerlass. Der hätte aber zur Konsequenz gehabt, dass die geprellten Gläubiger danach keine Kredite mehr gegeben hätten, was die Wirtschaft der Stadt zum Erliegen gebracht hätte. Kurz eine Kreditkrise ganz ohne die modernen Finanzinstrumente, die an unserer aktuellen Misere schuld sind. Als Anlass des Eklats erzählt Livius folgende Geschichte:


    Zitat

    Ein alter Mann stürzte mit allen Zeichen seines Elends auf das Forum. Seine Kleidung war mit Schmutz bedeckt, aber schrecklicher noch war der Anblick seines blassen, bis auf die Knochen abgemagerten Körpers [...]
    Als er im Sabinerkrieg Soldat gewesen sei, habe er wegen der Verwüstung seiner Felder nicht nur keine Ernte gehabt, sondern sein Haus sei auch in Brand gesteckt worden [...] Da habe man ihm zur Unzeit die Kriegssteuer abverlangt, und er habe Schulden gemacht. Die seien durch die Zinsen hoch angewachsen und hätten ihn zuerst um das von seinem Vater und Großvater ererbete Land gebracht, dann um sein sonstiges Hab und Gut und hätten zuletzt wie eine schleichende Krankheit seinen Körper ergriffen. Er sei von seinem Gläubiger nicht in Knechtschaft geführt worden, sondern ins Arbeitshaus und in die Folterkammer. Dann zeigte er seinen Rücken, der schrecklich anzusehen war wegen der frischen Striemen vom Peitschenhieben.
    Als die Leute das sahen und hörten, erhob sich ein gewaltiges Geschrei.
    [S. 145]

  • Kurz eine Kreditkrise ganz ohne die modernen Finanzinstrumente, die an unserer aktuellen Misere schuld sind. Als Anlass des Eklats erzählt Livius folgende Geschichte:


    Interessant finde ich, wie Livius einerseits gewisse Mechanismen durchschaut und beschreibt, andererseits aber die "Geschichte" dann doch immer wieder an "Geschichten" aufhängt.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Das dritte Buch also.


    Rom wird von einer Seuche heimgesucht:


    Zitat

    Und die Krankheiten nahmen noch an Heftigkeit zu, nachdem wegen des Schreckens der Plünderung das Vieh und die Landbevölkerung in die Stadt aufgenommen worden war. Dieses Gemenge von Lebewesen aller Art nebeneinander setzte durch den ungewohnten Gestank den Städtern zu und dem Mann vom Land, der in engen Behausungen zusammengepfercht war, durch Hitze und Schlaflosigkeit, und die gegenseitigen Dienstleistungen und auch der bloße Kontakt verbreiteten die Krankheiten.
    [S. 209]


    Eine naturalistische Erklärung für die Krankheit also und bereits eine ziemlich genaue Vorstellung, wie/warum man sich ansteckt. Begleitet wird diese Katastrophe durch Angriffe von außen. Die Feinde Roms wollen diese Phase der Schwäche natürlich ausnutzen.
    Sobald die Krise überwunden ist, setzen die im zweiten Buch beschriebenen sozialen Spannungen neu ein. Volkstribun C. Terentilius Harsa schlug ein Gesetz vor, das die Macht der beiden Konsule deutlich beschränken sollte, und goss damit Öl ins Feuer.
    Sehr ausführlich beschreibt Livius die Probleme, die nach einer Verfassungsänderung auftreten. Das Konsulat wird durch die Wahl von 10 "Decemvirn" abgelöst, die jedoch schnell durch Willkür und Korruption beim Volk verhasst werden. Höhepunkt ist wieder die Geschichte um ein unschuldiges Mädchen, das unter fadenscheinigen Vorwänden und einem Scheinprozess einem lüsternen Patrizier zugeführt werden sollte. Sie wird der Tugend halber ermordet. Die Empörung ist groß. Literarisch eine Variation zum Lucretia-Stoff.
    Der Hauptbösewicht Appius wird schließlich vor Gericht gestellt und schöpft alle Rechtsmittel aus, Rechtsmittel, die er während seiner Herrschaft nicht anerkannte. Erinnert das nicht an die heutige Diskussion um die Rechte von Kriegsverbrechern und Terroristen vor Gericht? Appius legt also "Berufung" ein:


    Zitat

    Als man das Wort, das den einzigen Schutz der Freiheit bildete, aus diesem Mund hörte, aus dem vor kurzem erst eine einstweilige Verfügung gegen die Freiheit gekommen war, trat Stille ein. Und jeder sagte beifällig vor sich hin, es gebe doch noch Götter und sie kümmern sich um die menschlichen Dinge; und für den Hochmut und die Grausamkeit komme die Strafe zwar spät, aber sie sei doch nicht leicht: der die Berufung abgeschafft habe, lege Berufung ein; der alle Rechte des Volkes mit Füßen getreten habe, rufe den Schutz des Volkes an; und der einen freien Menschen zum Sklaven erklärt habe, werde in den Kerker geschleppt und stehe im Begriff, seine eigene Freiheit zu verlieren.
    [S. 273f.]


    Ob George W. Bush in absehbarer Zeit auch einmal in diese Situation kommen wird?

  • Eben bestellt:


    Titius Livius:
    Römische Geschichte. Vollständig in 8 Bänden [in 8, cplt.]. Übersetzung von Oertel. Mit 9 Stahlstichen [cplt.].
    [nach diesem Titel suchen]
    Stuttgart: Rieger & Comp. 1840 - 1841.
    Kl.-8°. Pappbände der Zeit mit Rückentitel. Band 1 im Rückenbereich mit Bezugspapierfehlstellen und Kanten bestossen, die anderen Bände teils im Kopfkapitalbereich bestossen, insgesamt komplette und ordentliche Ausgabe.


    58 Euro


    CK

  • Eben bestellt:


    Titius Livius:
    Römische Geschichte. Vollständig in 8 Bänden [in 8, cplt.]. Übersetzung von Oertel. Mit 9 Stahlstichen [cplt.].
    [nach diesem Titel suchen]
    Stuttgart: Rieger & Comp. 1840 - 1841.
    Kl.-8°. Pappbände der Zeit mit Rückentitel. Band 1 im Rückenbereich mit Bezugspapierfehlstellen und Kanten bestossen, die anderen Bände teils im Kopfkapitalbereich bestossen, insgesamt komplette und ordentliche Ausgabe.


    'ne süsse kleine Ausgabe. Habe ich auch ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Las eben den sehr schönen Britannica-Artikel über "Livy":


    Zitat

    The sheer scope of the undertaking was formidable. It presupposed the composition of three books a year on average. Two stories reflect the magnitude of the task. In his letters the statesman Pliny the Younger records that Livy was tempted to abandon the enterprise but found that the task had become to fascinating to give it up; he also mentions a citizen of Cadiz who came all the way to Rome for the sole satisfaction of gazing at the great historian.


    CK

  • Hallo!


    Nun also das vierte Buch:


    Es beginnt mit zwei ausführlichen Reden. Die erste fasst die Position der Patrizier zusammen und wird von Livius in indirekter Rede gestaltet. Beklagt wird die Frechheit und die Machtgier der Volkstribunen. Je mehr Zugeständnisse man ihnen mache, desto mehr forderten sie. Die Konfrontation spitzt sich in der Frage der Mischehen zu. Offenbar waren Heiraten zwischen Plebejern und Patriziern verboten und die Volkstribunen fordern dieses Verbot aufzuheben:


    Zitat

    Kann es eine größere und unerhörtere Beschimpfung geben, als daß ein Teil der Bürgerschaft, als wäre er mit einem Makel behaftet, einer ehelichen Verbindung nicht für würdig erachtet wird? Was ist das anders, als ein Verbannung innerhalb ein und derselben Mauern, als eine Ausweisung hinnehmen zu müssen? Sie sind auf der Hut, dass es zu keiner Verschwägerung und Verwandschaft mit uns kommt, damit das Blut nicht verunreinigt wird? Was? Wenn dies euren Adel befleckt, den ihr, die ihr zum größten Teil von Albanern und Sabinern abstammt, nicht durch Herkunft und Blut habt, sondern durch Zuwahl zu den Patriziern, entweder von den Königen erwählt oder nach der Vertreibung der Könige auf Geheiß des Volkes [...]
    [S. 302]


    Faszinierend finde ich einerseits, dass sich diese Besessenheit mit Standesdünkel und Reinheit des Blutes ja bis heute in vielen Teilen der Welt nicht geändert hat, andererseits wie früh hier bereits auf die ideologische Konstruktion dieser Machtansprüche hingewiesen wird, die keinerlei objektive Basis haben. Das erinnert mich an die Wiener, welche Kovacs heißen und auf die "Tschuschen" aus Osteuropa schimpfen.
    Der Rest des Buches ist dem wechselnden Kriegsgeschick der Römer gewidmet, speziell gegen den alten Rivalen Veji.


    CK

  • Hallo!


    Habe nun auch das fünfte Buch gelesen und damit als letzter die Leserunde beendet. Ich werde aber noch meine Eindrücke wie gehabt zusammenfassen. Ich las inzwischen auch noch etwas rund um Livius herum und bin mehrmals darauf gestoßen, dass die Bücher 1-5 immer wieder als Einheit betrachtet wurden (und auch immer wieder zusammen gedruckt), einerseits weil Livius sie zusammen als Buch veröffentlich hat, andererseits weil sie offenbar besondere Qualitäten haben. Letzteres kann ich aber nicht beurteilen, da ich noch keine weiteren gelesen habe.


    sandhofer: Sind Buch 6 und 7 in irgendeiner Form "anders" / weniger interessant?


    Meine persönlichen Livius-Pläne sind, dass ich die Bücher über den Zweiten Punischen Krieg noch lesen will, frühestens im nächsten Herbst. Da böte sich dann ja vielleicht eine Fortsetzung dieser Leserunde an.


    Habe durch Livius auch Lust bekommen, in Sallust und Tacitus hineinzulesen, die ja gemeinhin mit Livius als die besten römischen Historiker gelten.


    CK