Januar 2007: Virginia Woolf - Orlando

  • Hallo zusammen,


    ich eröffne hiermit den Thread zur neuen Leserunde. Anlass zu diesem spontanen gemeinsamen Lesen ist der 125. Geburtstag von Virginia Woolf am 25.01.2007. Wir haben "Orlando" gewählt.


    Hier nochmals der Hinweis zum Buch, den Steffi vor ein paar Tagen postete:


    Woolf widmete "Orlando" ihrer Freundin Vita Saeckville-West. Die Geschichte beginnt im 16. Jh und führt bis ins 20. Jh, und wird als " ironische Erzählung der Simultaneität und Vielstimmigkeit des Ich " beschrieben. Quelle:
    http://www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de/


    Ich habe das Taschenbuch aus dem Fischer-Verlag 2003, übersetzt von Brigitte Walitzek, Nachbemerkung von Klaus Reichert.
    Lt. Klaus Reichert sind in dieser Übersetzung nun erstmals die Illustrationen und eine unveröffentlichte Passage (im Anhang) mit aufgenommen worden.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Moin, Moin!


    Nur begrenzte Zeit hörbar: Das <a href="http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2007/01/25/dkultur_200701250954.mp3">Kalenderblatt</a> erinnert an die Dichterin. Die neue Biografie <a href="http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3458326324/leipzigerbuch-21">Virginia Woolf. Leben und Werk in Texten und Bildern</a> von Renate Wiggershaus wurde vom DeutschlandRaio <a href="http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2007/01/25/dkultur_200701250933.mp3">vorgestellt</a>.

  • Hallo zusammen,


    Ikarus, toll dass du mitmachst :klatschen:


    Orlando:
    Wie kam Virginia Woolf nur auf den Buchtitel? Der Name ist doch recht ungewöhnlich, oder? Mir fällt dazu nur noch "Orlando furioso" (Der rasende Roland) von Ariost ein.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Der_rasende_Roland


    Mein Suchen in den Biographien von Quentin Bell und Hermione Lee ergab keine Erkenntnis darüber.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Ikarus, es ist super, dass du mitliest, ich freue mich sehr ! [Blockierte Grafik: http://www.cosgan.de/images/smilie/froehlich/g050.gif]


    Ich glaube, dass es kein sehr geheimnisvolles oder schweres Buch wird. Und ich bin gespannt, welche Experimente Woolf wieder vorhat. Auf jeden Fall, so habe ich es den Nachbemerkungen entnommen, ist es eine Parodie auf Biografien.


    Die Illustrationen finde ich dabei schon sehr witzig: Orlando als Knabe ist ein Portrait eines Gemäldes eines Vorfahren von Vita's Ehemann (!), die russische Prinzessin als Kind ist ein Foto von Virginia Woolfs entprechend drapierter Nichte, es gibt noch zwei weitere Fotos von Vita als Orlando *ggg* usw. Schon allein diese Idee mit den Bildern ist klasse !


    Dann fängt sie mit einer Danksagung an - ( Maria: Miss Hope Mirrlees ist auch darunter *g*), köstlich !


    Das erste Kapitel geht süffisant weiter. Zuerst der Hinweis auf das Geschlecht und der kleine Seitenhieb auf die Mode, später wirft sich der am Beginn so martialische Orlando leidenschaftlich zu Füßen einer Eiche.


    Also, von mir aus kanns so weitergehen !


    Gruß von Steffi


  • Hallo zusammen,
    Miss Hope Mirrlees verfolgt mich *g*
    Wann liest dein Mann den Roman dieser Autorin? Bin neugierig :breitgrins:


    Eiche:
    schon interessant, dass eine Eiche mit Orlando in Verbindung gebracht wird und kaum ist er dort, fährt die Königin Elizabeth I vor. Das erinnert an die Legende, dass die junge Elizabeth nahe einer Eiche in Hatfield in einer griechischen Bibel las, als eine Gesandtschaft ankam um sie als Königin auszurufen. Vielleicht sollte die Eiche seine Sonderstellung hervorheben.


    Orlandos Familie bekam ein Anwesen von Elizabeth I geschenkt und sind mit der königlichen Familie verwandt. So auch die Familie Sackville-West, als sie im 16. Jahrhundert Knole Castle für ihre treuen Dienste für die Krone bekam. Ich glaube, der Stammbaum der Sackville-West geht bis auf die Zeit Wilhelm des Eroberers zurück.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo zusammen


    JMartia schrieb:

    Zitat

    Wie kam Virginia Woolf nur auf den Buchtitel? Der Name ist doch recht ungewöhnlich, oder? Mir fällt dazu nur noch "Orlando furioso" (Der rasende Roland) von Ariost ein.


    Ich denke, da bist Du auf dem richtigen Weg. Laut meinem Namenslexikon bedeutet Orlando bzw. Roland so viel wie wagemutig, kühn. Wahrscheinlich hat Virginia woolf ihre Freundin so gesehen. Ob unser Titelheld seinem Namen gerecht wird, wird sich noch herausstellen. Das Ende des ersten Kapitels ist in dieser Hinsicht schon gar nicht mal schlecht. Wenn auch letztlich erfolglos.


    Das Buch liest sich wirklich sehr flüssig und ist von fast surrealem Witz wenn z. B. festgefrorene, letztlich versteinerte "Fahrensleute" als Kratzpfosten für Schafe oder Viehtränken benutzt werden. Es gefällt mir jetzt schon besser als die "Wellen" :zwinker: Davon weiß ich aber noch, daß bei Virginia Woolf Farben eine große Rolle spielen und habe deshalb bei "Orlando" darauf geachtet. Dort finde ich es noch ausgeprägter als in den "Wellen".


    JMaria
    Danke für die Hintergrund-Infos zur Eiche und zur Familie Sackville-West.


    Aber kann mich bitte noch jemand kurz auflären, was es mit dieser Miss Hope Mirrless auf sich hat?


    Und was ist Kanariensekt? Vielleicht das gleiche wie Gänsewein? :smile:


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo zusammen,
    hallo ikarus !


    Zitat

    Aber kann mich bitte noch jemand kurz auflären, was es mit dieser Miss Hope Mirrless auf sich hat?


    Maria hat sie kürzlich im Zusammenghang mit Virginia Woolf aufgespürt und da ich gerne Fantasy lese, habe ich mir bzw. meinem Mann das Buch "Flucht ins Feenland" gekauft.


    Zitat

    Davon weiß ich aber noch, daß bei Virginia Woolf Farben eine große Rolle spielen und habe deshalb bei "Orlando" darauf geachtet. Dort finde ich es noch ausgeprägter als in den "Wellen".


    Genau ! Und am allerschönsten ist in dieser Hinsicht "Zum Leuchtturm", wie ein Gemälde aus Worten. Zweites großes, wiederkehrendes Thema ist Zeit, natürlich bei Orlando bereits in der Konzeption des Romans eingesetztes Mittel.


    Vita Saeckville-West ist ja vor allem als Gartengestalterin bekannt, sie schuf den berühmten Garten von Sissinghurst, dort den ersten und seither viel kopierten "weißen Garten" und schrieb jahrelang Gartenkolumnen. Ich bin gespannt, wie sie damals und speziell dann von Virginia Woolf gesehen wird.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,

    Zitat

    Ich denke, da bist Du auf dem richtigen Weg. Laut meinem Namenslexikon bedeutet Orlando bzw. Roland so viel wie wagemutig, kühn. Wahrscheinlich hat Virginia woolf ihre Freundin so gesehen. Ob unser Titelheld seinem Namen gerecht wird, wird sich noch herausstellen. Das Ende des ersten Kapitels ist in dieser Hinsicht schon gar nicht mal schlecht. Wenn auch letztlich erfolglos.


    Ansätze zum "Rasenden Roland" könnten tatsächlich vorhanden sein. Dieser Orlando aus dem 14. Jahrhundert hat so manche Abenteuer zu bestehen, hauptsächlich auch der Liebe wegen und vernachlässigt dadurch den Krieg, und die Abenteuer führen ihn in weite Länder. Ich höre gerade das Hörbuch/Hörspiel. Ziemlich abgefahren *grins*


    Zitat


    Das Buch liest sich wirklich sehr flüssig und ist von fast surrealem Witz wenn z. B. festgefrorene, letztlich versteinerte "Fahrensleute" als Kratzpfosten für Schafe oder Viehtränken benutzt werden. Es gefällt mir jetzt schon besser als die "Wellen" :zwinker: Davon weiß ich aber noch, daß bei Virginia Woolf Farben eine große Rolle spielen und habe deshalb bei "Orlando" darauf geachtet. Dort finde ich es noch ausgeprägter als in den "Wellen".


    Gelb - (oder auch Schwefelfarben) fiel mir in "Orlando" vermehrt auf.
    dieser große Frost hat mich auch fasziniert. Ein starrer Zustand, der sich durch Tauwetter, urplötzlich verändern kann. Ich finde, dieses Motiv wird gut zu den Verwandlungen Orlandos passen und ich werde vermehrt darauf achten, ob die Autorin "Verwandlungen" jeglicher Art in ihre Geschichte mit reinbringt. Mir fiel im 1. Kapitel die bereits erwähnte gefrorene Natur auf, dann erwacht die Natur zum Leben, der Fluss reißt alles mit.


    Aber auch die Verwandlung von Dunkelheit in die Morgendämmerung zum Tag ist mir aufgefallen oder umgekehrt, die Verwandlung des Tages in die Nacht:


    S. 38
    Als das orange Licht des Sonnenuntergangs schwand, folgte ihm ein erstaunliches grellweißes Glühen von den Fackeln, Freudenfeuern, flammenden Kohlenbecken und anderen Vorrichtungen, von denen der Fluß erleuchtet wurde, und die seltsamste Verwandlung hatte stattgefunden....


    Verwandlung!


    mir scheint, eine weitere wichtige Rolle spielt der Fluss.
    Flüsse können doch gut eine Metapher für dahinfließende Zeit, Grenzen überschreitend sein. Das würde auch zu Orlandos zukünftige "Zeitreise" passen.



    Zitat

    Aber kann mich bitte noch jemand kurz auflären, was es mit dieser Miss Hope Mirrless auf sich hat?


    Steffi, hat es dir schon erklärt. Sie war eine Freundin von V.W. und schrieb einen Fantasyroman. Ich lese sonst keine Fantasyromane, doch hier könnte ich eine Ausnahme machen. Doch ich lasse den Roman erstmal Steffi testen *g*


    Zitat

    Und was ist Kanariensekt? Vielleicht das gleiche wie Gänsewein? :smile:


    Was ist ein Gänsewein?
    Über den Kanarienwein konnte ich nur feststellen, dass es ein Wein aus Portugal ist. (Kanarien = Kanaren?)


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • noch ein Hinweis zum "Großen Frost", den Virginia Woolf so plastisch beschreibt.


    Auf der folgenden Seite, ein Drittel runterscrollen, wird beschrieben, dass es tatsächlich eine kleine Eiszeit gab, es gibt u.a. auch Gemälde aus dieser Zeit:


    http://www.biokurs.de/treibhaus/treibhgl2.htm


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    danke für den link ! Du bist mir zuvorgekommen, denn gerade wollte ich nach dieser Eiszeit forschen. Gut, dass ich nochmal hier reingeguckt habe. Von diesen "Frost Fairs" schwärmt auch mein Bruder in Canada, allerdings auf dem Ottawa-River, zur Zeit solls wieder soweit sein ;-)


    Die Beschreibung der zugefrorenen Themse finde ich übrigens toll, auch ein bißchen unheimlich, denn unter dem glasklaren Eis sieht man ja noch (tote?) Fische. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass für V.W. ein Fluss auch etwas todbringendes hat - ja, auch eine Veränderung !


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen


    Zitat

    Was ist ein Gänsewein?


    Als Gänsewein bezeichnet man ganz einfaches Trinkwasser.


    Danke für den Link zum großen Frost. Das wußte ich bishewr gar nicht, daß es so etwas wie diese kleine Eiszeit in Europa gab. Sehr interessant.


    Zitat

    Die Beschreibung der zugefrorenen Themse finde ich übrigens toll, auch ein bißchen unheimlich, denn unter dem glasklaren Eis sieht man ja noch (tote?) Fische.


    Und nicht nur tote Fische, sondern auch einen ganzen Lastkahn mit Äpfeln samt alter "Bumbootsfrau" konnte man durch das eris hindurch sehen. Richtig gruselig. :frieren:


    Zitat

    Vita Saeckville-West ist ja vor allem als Gartengestalterin bekannt, sie schuf den berühmten Garten von Sissinghurst, dort den ersten und seither viel kopierten "weißen Garten" und schrieb jahrelang Gartenkolumnen.


    Auch das war mir bisher unbekannt, erklärt aber das häufige Vorkommen von Blumen und sonstigen Pflanzen und die Beschreibung des Gartens bzw. Parks von Orlandos Landsitz im 2. Kapitel. Dieses habe ich gerade beendet und Orlando tut "was jeder junge Mann an seiner Stelle getan hätte, und bat König Charles, ihn als Gesandten nach Konstantinopel zu entsenden." Klar was denn auch sonst? :smile:


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo zusammen


    Zitat

    Als Gänsewein bezeichnet man ganz einfaches Trinkwasser.


    *lach* :elch:
    das wußte ich nicht.


    Kapitel 2:
    -Sieben Tage schlief Orlando wie in Trance und man konnte ihn nicht aufwecken. Habt ihr euch Gedanken über diesen Schlaf gemacht? Ich weiß ihn nicht so recht einzuordnen.


    Auch im 2. Kapitel springt mir "Zeit und (Ver)Wandlung" ins Auge. Das beeindruckendste Bild war bisher für mich:


    S. 50
    Es war eine gruselige Gruft; tief unter die Grundmauern des Hauses gegeraben, als ob der erste Lord der Familie, der mit dem Eroberer aus Frankreich gekommen war, hätte Zeugnis davon ablegen wollen, wie alle Pracht auf Verwesung gebaut ist; wie das Skelett unter dem Fleisch liegt, wie wir, die wir oben tanzen und singen, unten liegen müssen; wie der scharlachrote Samt zu Staub wird; wie der Ring .... seinen Rubin verliert und das Auge, das so voller Glanz war, nicht mehr leuchtet. "Nichts bleibt von all diesen Prinzen", sagte Orlando dann.... [Zitat_ende]


    unheimlich!


    Virginia und Vita:
    Trotz ihrer Freundschaft, trennte die Beiden doch eine Gesellschaftsschicht. Vita, die Adlige, die Elegante, in Traditionen aufgewachsen. Einen Stammbaum der zurück geht bis auf die Zeit von Wilhelm dem Eroberer, Höflichkeit und Konversation waren ihr wichtig. Virginia, das Gegenteil von Vita, eher schlampig angezogen, kein gefestigter Sinn für Stil. Dann die Bloomsbury Gruppe, die fest mit Virginia verbunden ist. In dieser Gruppe war, so konnte man sagen, das Motto: Wenn es nichts zu sagen gibt, dann schweigt man lieber. In einem Briefwechsel mit ihrem Mann brachte Vita das Thema auf die Bloomsbury und wie es sie befremdete, dass nicht höfliche Konversation gemacht wird.


    vielleicht wollte Virginia mit "Orlando", oder zumindest in manchen Szenen, darstellen, dass man nach dem "Tanz" irgendwann in die "Gruft" sinkt. Was alle Menschen verbindet.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen
    hallo JMaria


    Zitat

    "Zeit und (Ver)Wandlung"


    Diese beiden Begriffe scheinen die zentrale Rolle im Buch (wenn nicht gar im ganzen Werk Woolfs, das ich noch nicht kenne?) zu spielen. In den '"Wellen" ist das Vergehen der Zeit ja auch DAS Thema. Und im "Orlando" ist es auch sehr auffallend insbesondere der kleine, essayistische Einschub im 2. Kapitel. Und nicht umsonst hat wohl auch das Haus 365 Schlafzimmer und 52 Treppenhäuser. Und in diese Problematik ordne ich auch die 7 Tage der Trance ein.
    Über die anschließende Verwandlungsszene habe ich mir natürlich Gedanken gemacht, bin aber auf keinen richtig grünen Zweig gekommen. Reinheit, Keuschheit und Sittsamkeit sollen verschwinden zugunsten der Wahrheit :rollen: Sehr rätselhaft. Aber vielleicht klärt sich im weiteren Fortgang der Geschichte noch einiges.


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo zusammen


    Zitat

    Aber vielleicht klärt sich im weiteren Fortgang der Geschichte noch einiges.


    Ja, so kann`s gehen. Hätte ich nur zwei Seiten weiter gelesen, wäre alles klar gewesen :rollen:
    Ich bin gerade mit dem IV. Kapitel fertig geworden und das war für mich bisher das bei weitem unterhaltsamste. Dort frönt Virginia Woolf ihrem Verwandlungs-Thema nach Herzenslust. gleich mit einem Paukenschlag gehts los, als sich herausstellt, daß Harriet, wegen der Orlando damals immerhin nach Konstantinopel geflüchtet ist, ein Erzherzog Harry ist. Köstlich die Szene des Fliegen-Luh-Spiels, "bei dem sehr große Summen Geldes bei sehr geringem geistigen Einsatz verloren werden können" :smile:
    Herrlich auch zu lesen, wie Orlando sich an das Frau-Sein erst gewöhnen muß: "Sie wurde etwas bescheidener, wie Frauen es sind, was ihren Verstand anging, und etwas eitler, wie Frauen es sind, was ihre Person anging."
    Oder die Beschreibung des Zirkels der Lady R.: "Die Gäste dachten, sie wären glücklich, dachten, sie wären witzig, dachten, sie wären tiefgründig, und da sie dies dachten, dachten andere Leute es noch stärker,...alle beneideten jene die zugelassen waren; jene , die zugelassen waren, beneideten sich selbst, weil andere sie beneideten; und so schien kein Ende abzusehen...". Ich glaube, daß in dieser Haltung kein Unterschied zu unseren heutigen Promi-"Zirkeln" besteht.


    JMaria schrieb:

    Zitat

    Virginia und Vita:
    Trotz ihrer Freundschaft, trennte die Beiden doch eine Gesellschaftsschicht. Vita, die Adlige, die Elegante, in Traditionen aufgewachsen. Einen Stammbaum der zurück geht bis auf die Zeit von Wilhelm dem Eroberer, Höflichkeit und Konversation waren ihr wichtig. Virginia, das Gegenteil von Vita, eher schlampig angezogen, kein gefestigter Sinn für Stil. Dann die Bloomsbury Gruppe, die fest mit Virginia verbunden ist. In dieser Gruppe war, so konnte man sagen, das Motto: Wenn es nichts zu sagen gibt, dann schweigt man lieber. In einem Briefwechsel mit ihrem Mann brachte Vita das Thema auf die Bloomsbury und wie es sie befremdete, dass nicht höfliche Konversation gemacht wird.


    Das waren wertvolle Informationen für mich. Mit diesem Hintergrundwissen erschließt sich einem dieses Kapitel viel besser und man erkennt viele Anspielungen erst.


    Ich komme zu Kapitel V und es beginnt das neunzehnte Jahrhundert.


    Viele Grüße
    ikarus


    P.S.: Kürzlich entdeckte ich auf dem Ramschtisch meines Buchhändlers ein Buch: "Erinnerungen an Bloomsbury" von Quentin Bell. Kennt es vielleicht jemand von Euch?

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)


  • Hallo zusammen,
    Hallo Ikarus, hallo Steffi


    Ich bin nun bei der 1. Verwandlung. Da du desweiteren schreibst, dass sich noch so manches erklärt, lass ich mich überraschen. DANKE für den Hinweis mit den 365 Schlafzimmern, 52 Treppenhäuser, 7 Tage Tiefschlaf, ich achte nun geschärfter auf solche Zahlen.


    Im Kapitel 1 gibt es eine Stelle, da spricht Virginia Woolf bestimmt aus ihrer Erfahrung:

    Und dann, plötzlich, verfiel Orlando in eine seiner Anwandlungen von Melancholie;. ... und dachte an den Tod. Denn der Philosoph hat recht, der da sagt, daß nichts Breiteres als eine Messerklinge das Glück von der Melancholie scheide; und er äußert des weiteren die Meinung, daß das eine der Zwilling des anderen sei; und zieht daraus den Schluß, daß alles Extreme des Gefühls dem Wahnsinn verschwistert seien...


    ging mir nahe, denn wenn man ihre Biographie liest, so stand sie oft auf dieser Messerklinge. Viel zu oft.


    Desweiteren, wie V.W. die Liebe zu Büchern als Krankheit beschreibt. (S. 52)



    Aber andere wurden schon früh von einem Keim infiziert, der angeblich aus dem Blütenstaub der Asphodele geboren und aus Griechenland und Italien herbeigeweht wurde und von so tödlicher Natur war, daß er die Hand erzittern ließ.... Es war die fatale Natur dieser Krankheit, die Realität durch ein Phantom zu ersetzen.... Die neun Morgen aus Stein, die sein Haus waren, verschwanden; einhundertfünfzig Bediente im Haus lösten sich auf; seine achtzig Reitpferde wurden unsichtbar; .... Aber so war es, und Orlando saß für sich allein, lesend, ein nackter Mensch.


    Virginia Woolf hat die griechischen und italienischen Klassiker geliebt.


    S. 68; dazu ein Frage.
    Einzig zwei Dinge blieben ihm, in die er jetzt noch Vertrauen setzte: die Hunde und die Natur; ein Elchhund und ein Rosenstrauch.


    die Liebe und die Menschen (dieser Greene) enttäuschte ihn und somit vertraute er nur seinen Tieren und der Natur. Doch warum gerade ein Elchhund und ein Rosenstrauch?


    Das sind so Kleinigkeiten, die mir keine Ruhe lassen.


    Im Kapitel II hat der Erzähler Humor als es um Listen ging *gg*:

    Schon - es ist eine Wirkung, die Listen auf uns haben - fangen wir an zu gähnen.
    :breitgrins:

    Blau und Grün beherrschen Kapitel II z.B. die Erwähnung "das Gras sei grün" und "der Himmel sei blau". Das erinnerte mich, dass Virginia Woolf über die Farben "Blau und Grün" ein paar Zeilen Kurzprosa schrieb. Hat jetzt vermutlich nichts mit "Orlando" zu tun, wollte ich dennoch erwähnen.


    Er vernichtete auch seine Gedichte, doch das Gedicht vom "Eich-Baum" behielt er.


    Eigentlich steckt soviel in den Kapiteln, dass mir manchmal der Kopf schwirrt. Ein tolles Buch.


    nun bin ich gespannt, wie es Orlando als Frau ergeht. Die Umwandlung, diese 3 Wächterinnen, die klangen ja wie direkt aus einem Stück von Shakespeare. Unheimlich.


    Zitat von "Ikarus"

    P.S.: Kürzlich entdeckte ich auf dem Ramschtisch meines Buchhändlers ein Buch: "Erinnerungen an Bloomsbury" von Quentin Bell. Kennt es vielleicht jemand von Euch?


    nein, kenne ich auch noch nicht, doch habe ich mir sofort eine Notiz gemacht, damit ich mal danach suchen gehe. Ich kenne von Quentin Bell die Biographie die er über seine Tante schrieb, mit dem Titel "Virginia Woolf". Die ist sehr zu empfehlen. Über die Bloomsbury habe ich ein Buch gelesen, das Christine Frick-Gerke herausbrachte; "Inspiration Bloomsbury - Der Kreis um Virginia Woolf". Darin kommen einige Bloomsburyianer zu Wort. Wenn du mal über das Buch "Die Welt von Bloomsbury" von Pamela Todd stolperst, dann greife zu. Darin sind auch sehr schöne Fotographien über die Kunst, die Bloomsbury hervorbrachte, zu sehen. Die Biographie die Leonard Woolf schrieb ist, in meinen Augen, etwas zu einseitig, doch als Ergänzung eigentlich unabdinglich.


    Herzliche Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo zusammen !


    Oho, ihr seid ja schon weit ! Leider bin ich am Wochenende fast gar nicht zum Lesen gekommen und somit erst am Ende des 2.Kapitels.


    Zitat

    Und nicht umsonst hat wohl auch das Haus 365 Schlafzimmer und 52 Treppenhäuser. Und in diese Problematik ordne ich auch die 7 Tage der Trance ein.


    Knole House, das Haus, das den Sackvilles von Elizabeth I geschenkt wurde und das Vita nicht erben konnte, weil sie eine Frau war (vielleicht hätte sie sich damals gewünscht, eine männliche Umwandlung zu machen ) hat offensichtlich tatsächlich 365 Zimmer, 52 Treppenhäuser und 7 Gärten, siehe hier


    Das Gedicht "Der Eich-Baum" bezieht sich auf das Gedicht "The Land" von Vita, für das sie den Hawthornden Prize gewann.


    Zitat

    Doch warum gerade ein Elchhund und ein Rosenstrauch?

    Mich hat das sogleich an ein Wappen erinnert, vielleicht das der Sackvilles ? Auch ein Bezug auf Vitas Leidenschaften wäre denkbar. Ich habe ja eine Rose hier im Garten, die Vita in Sissinghurst gefunden hat: Sissinghurst Castle


    Zitat


    P.S.: Kürzlich entdeckte ich auf dem Ramschtisch meines Buchhändlers ein Buch: "Erinnerungen an Bloomsbury" von Quentin Bell. Kennt es vielleicht jemand von Euch?


    Kenne ich auch nicht, leider !


    Zitat

    Über die Bloomsbury habe ich ein Buch gelesen, das Christine Frick-Gerke herausbrachte; "Inspiration Bloomsbury - Der Kreis um Virginia Woolf".


    Ja, ein wundervolles Buch, das das Lebensgefühl von Bloomsbury gut rüberbringt. Unbedingt zu empfehlen. Ebenso die Biografie über Virginia Woolf von Hermione Lee.


    Gruß von Steffi

  • Hallo !


    Ich habe heute morgen das III.Kapitel beendet. Was für eine kuriose Umwandlung - im Stil eines griechischen Theaterstückes treten die drei "Göttinnen" auf. So etwas hätte ich nicht erwartet, es war köstlich zu lesen.


    Besonders bemerkenswert war für mich dann die Beschreibung, in der Orlando von der Natur überwältigt wird. Normalerweise denke ich dann bei solchen Schilderungen: Ja, kann ich mir gut vorstellen, ging mir schon ähnlich. Aber hier schafft es VW wieder, direkt diese Empfindungen in mir auszulösen, die ich sonst vielleicht mal in den Bergen oder beim Betreten des heimatlichen Bodens (zwar nur 50 km entfernt) oder bei den Rosensträuchern in meinem Garten habe.
    Das schafft in solchem Maße bisher immer nur Virginia Woolf.


    Und dann noch die Abrechnung mit dem Snobismus ! Sehr witzig ! Ich kann mir richtig vorstellen, wie lebhaft solche Diskussionen waren !


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Steffi"


    Mich hat das sogleich an ein Wappen erinnert, vielleicht das der Sackvilles ? Auch ein Bezug auf Vitas Leidenschaften wäre denkbar. Ich habe ja eine Rose hier im Garten, die Vita in Sissinghurst gefunden hat: Sissinghurst Castle


    Wappen! Gute Idee. Das könnte es durchaus sein.
    Ich bin da schon wieder viel zu kompliziert rangegangen und habe darin die "männliche Stärke" (Elch-Hund) und die "weibliche Seite" (Rosenstrauch) interpretiert.


    eine wunderschöne Rose, diese Sissinghurst Castle.


    Zitat von "Steffi"

    Knole House, das Haus, das den Sackvilles von Elizabeth I geschenkt wurde und das Vita nicht erben konnte, weil sie eine Frau war (vielleicht hätte sie sich damals gewünscht, eine männliche Umwandlung zu machen ) hat offensichtlich tatsächlich 365 Zimmer, 52 Treppenhäuser und 7 Gärten, siehe hier


    Das Gedicht "Der Eich-Baum" bezieht sich auf das Gedicht "The Land" von Vita, für das sie den Hawthornden Prize gewann.


    Super, wieviele Infos man in einer Leserunde bekommt. Das wußte ich noch nicht, dass das Gedicht sich auf "The Land" bezieht und dass Knole House die gleichen Zahlen beinhaltet. Aber typisch Virginia Woolf, auch wenn es eine Parodie einer Biographie ist, so ist sie doch detailgenau. Schöner Gedanke von dir, dass in der Verwandlung der Gedanke stecken könnte, dass Vita nicht erben durfte.


    Ich würde gerne ein paar Gedichte von ihr lesen, doch habe ich noch keine passende Seite gefunden und auf deutsch wird es die Gedichte nicht geben, oder?


    Vita Sackville-West hat sogar ein science-fantasy novel herausgebraucht: "Grand Canyon" (1942)


    Ich kenne von Sackville-West "Erloschenes Feuer" (All Passion Spent) und "Eine Frau unterwegs nach Teheran" (Passanger to Teheran).


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    also ich bin nun ca. Mitte des 4. Kapitels und frage mich, ob die Verwandlung zur Frau nicht ungünstig für Orlando ist, in Bezug auf seine Leidenschaft fürs Dichten.


    Auf S. 119 fragt sich Orlando:

    Waren dies Tavernen, waren dies Männer von Geist, waren dies Dichter? ... so - gerade am Cocoa Tree vorbeikämen...


    Als Hinweis gibt das Buch:
    Coco Tree, seit Beginn des 18. Jahrhunderts "Schokoladen"-Haus und Treffpunkt der Literaten und der Mitglieder der Tory-Partei in der St. James's Street....


    Tja, als Frau dürfte es Orlando nun schwer fallen, als Dichter aufzutreten, geschweige denn sich mit Literaten zu treffen.
    Doch vielleicht erklärt sich ja alles von selbst, auf den nachfolgenden Seiten.


    dazu möchte ich noch einen Text aus "Ein eigenes Zimmer" von Virginia Woolf hinzufügen. Darin geht es um "Frauen und die Literatur". Der Auszug paßt zu Orlando und der Geschlechterumwandlung und über Dichter:


    S. 101/102
    Jedoch die Schuld an all dem, wenn man unbedingt auf eine Schuldzuweisung hinauswill, liegt ebenso bei dem einen Geschlecht wie bei dem anderen.... Man muß also zu Shakespeare zurückkehren, denn Shakespeare war androgyn; und ebenso Keats und Sterne und Cowper und Lamb und Coleridge. Shelley war vielleicht geschlechtslos. Milton und Ben Jonson hatten des Männlichen einen Schuß zuviel. Ebenso Wordsworth und Tolstoi. In unserer Zeit war Proust vollkommen androgyn, wenn nicht vielleicht ein bußchen zu weiblich. Aber diese Schwäche ist zu selten, um sich darüber zu beklagen,.... vieles von dem, was ich Ihnen in Erfüllung meines Versprechens, Ihnen meine Gedankengänge mitzuteilen, gesagt habe, wird Ihnen ... fragwürdig vorkommen.... Trotzdem .. Es ist tödlich, ein Mann oder eine Frau und nichts als das zu sein; man muß weiblich-männlich oder männlich-weiblich sein. .. Eine Art Hochzeit der Gegensätze muß vollzogen werden....


    Das gesamte Essay basiert auf 2 Vorträge die V.W. in der Arts Society am Newnham College und im Odtaa am Girton College gehalten hat.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()