Wolf von Niebelschütz: Die Kinder der Finsternis

  • Hallo zusammen,


    ich habe mal ein neues Thema aufgemacht, weil wir uns in "Was lest ihr gerade?" über o.a. Buch austauschen.


    "Die Kinder der Finsternis" von dem früh verstorbenen Wolf von Niebelschütz, dessen anderer bekannter Roman "Der blaue Kammerherr" heißt, ist ein historischer Roman, 1959 erschienen, der nur scheinbar in einer Fantasielandschaft spielt.
    Die südfranzösische Provence heißt hier Kelgurien und ist mit allen Städten und Landschaften genau nachgezeichnet, mit einer Ausnahme, wie ich meine.


    Es geht nämlich um Geschehnisse im 12. Jh., Kriegstreiberei zwischen der christlichen Grenzmark Kelgurien und dem muslimischen Sarazenenreich Dschondis, das wohl dem arabischen Spanien nachempfunden ist, in der vom Autor beigegebenen, ansonsten stimmigen Karte aber jenseits der südwestlichen Alpen, also in Norditalien liegt.


    Anhand des Schicksals des unehelichen Sohnes eines kelgurischen Grafen wird das farbenfrohe Bild dieser von Tod, Gefahr,
    politischen Intrigen der Kirche und des Adels, Leid und Schmerz sowie Unterdrückung der Armen und Andersgläubigen geprägten Epoche geschildert.


    Ich bin jetzt so ziemlich in der Mitte und ein wenig hin und her gerissen. Das Buch ist schon von großer Sprachmächtigkeit und spricht alle Sinne an, ist aber auch ein wenig selbstverliebt in diese Sprachgewalt und Bilderflut.


    @ leibgeber
    Die Auseinandersetzung der Kirche um den Kringel hat wohl damit zu tun, dass der vom Papst ernannte und geschickteKardinal diese Abschlachterei verurteilt und dem Inquisitonsgericht überantwortet, was die provencalischen Adeligen und den mit ihr verwandten ortsansässigen Klerus empört, handelt es sich doch um Vorkommnisse auf einem weltlichen Ritterturnier.


    Nun, dann weiter in die Schlacht: Der Dachs ist momentan im Clinch mit seinem Klerus in Ghissi!


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,


    ich bin an diesem Buch gescheitert, ich glaube im letzten Jahr war das, im Sommerurlaub.


    Irgendwann, schon im letzten Drittel, merkte ich, dass ich den Faden verloren hatte, insbesondere auch mit der Masse an Namen nicht mehr zu Rande kam. Dann ging ich noch mal ein Stück zurück und versuchte den Faden wiederzufinden - leider kam mir dann eine größere Unterbrechung dazwischen - und jetzt steht es wieder im Schrank. Drei Viertel habe ich gelesen.


    Bestimmt mache ich noch einmal einen Versuch, vielleicht, wenn ich mal wieder Gelegenheit habe, in die Provence zu reisen. Laut dem Nachwort des Verlegers gibt es ja für die "Teilung der Wasser" einen realen Schauplatz.


    Der Blaue Kammerherr liegt übrigens bei mir auf dem SUB. *seufz*


    Der Buchhändler meines Vertrauens hat mir noch nie ein Buch so heftig ans Herz gelegt wie dieses.


    Mit Grüßen
    Zefira


  • Irgendwann, schon im letzten Drittel, merkte ich, dass ich den Faden verloren hatte, insbesondere auch mit der Masse an Namen nicht mehr zu Rande kam.


    macht nichts, da geht es Dir nicht besser als Barral, von dem es gegen Ende mal heißt, er hätte schon längst den Überblick über die Zahl seiner Kinder verloren. Da hilft der Stammbaum ein wenig, aber nicht wirklich viel. Wer wirklich wissen wil, wer zu welchem Namen gehört, der wird ums Notizenmachen nicht herumkommen.


    Ansonsten kann man sich dem Erzählfluss auch willig anvertrauen und der doch eher neurotischen Vorstellung, partout alles verstehen und behalten zu wollen / zu müssen, entspannt valet sagen. Das, was man zum Verständnis braucht, das behält man schon, keine Sorge. Man sollte seinem UBW trauen, das weiß in diesen Dingen mehr als man selbst. (Solange man keine unüberwindbaren Widerstände gegen den Text entwckelt, versteht sich.)


    An solchen Büchern lernt man recht eigentlich lesen.


  • @ leibgeber
    Die Auseinandersetzung der Kirche um den Kringel hat wohl damit zu tun, dass der vom Papst ernannte und geschickteKardinal diese Abschlachterei verurteilt und dem Inquisitonsgericht überantwortet, was die provencalischen Adeligen und den mit ihr verwandten ortsansässigen Klerus empört, handelt es sich doch um Vorkommnisse auf einem weltlichen Ritterturnier.


    Ja, und das hat mich irritiert. Dass es Bestandteil des Turniers ist, und dagegen hat der Klerus ja nix.
    Egal mal, wie hart es da ja auch zugeht.


    Zitat


    Nun, dann weiter in die Schlacht: Der Dachs ist momentan im Clinch mit seinem Klerus in Ghissi!


    Besten Dank auch. :breitgrins:
    Du bist schneller als ich.
    Und wenn die Handlung hier jetzt fortlaufend kommentiert wird, les ich besser nicht weiter mit, bis ich es durch hab.


    Den Faden hab ich übrigens auch verloren.
    Eigentlich eins der Bücher, die man gleich zum zweiten Male lesen müsste.

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Hallo,


    den Roman habe ich nun schon vor einiger Zeit zu Ende gelesen und bin in meinem Urteil etwas hin und her gerissen.
    Die Sprache ist wunderbar und weit über jeden anderen von mir gelesenen historischen Roman - wenn man mal die Manns herausnimmt - erhaben.
    Insgesamt ist mir die Darstellung zu sehr auf dem System der sich ergänzenden Konnotationen aufgebaut. Die Helden sind auch gar zu heldisch: Dieser Dachs erreicht ja den Status eines literarischen Mythos, fast wie Abraham. Ein wenig wird auch die Ansicht transportiert, dass sich Ausnahmemenschen alles erlauben können. Beispiel: Der Dachs überflutet für sein Bewässerungsprojekt kurzerhand ein paar Dörfer, sogar ohne die betroffenen Bewohner zu benachrichtigen: Peanuts im Mittelalter, im Gegensatz zu seinem schurkischen Nebenbuhler, dem alles genau aufgerechnet wird.
    Es war ein Leseerlebnis, aber der Roman wird nicht zu meinen Lieblingsbüchern zählen.


    HG
    finsbury

  • Hallo,
    es gehört zwar nicht so richtig in diesen Ordner, aber ein viel zu wenig beachteter historischer Roman ist meiner Meinung nach Flauberts "Salammbo". Empfehle ich jedem, der mal einen "History" abseits der Bestsellerstapel lesen möchte.
    Weihnachtsgruß
    Zefira


  • Insgesamt ist mir die Darstellung zu sehr auf dem System der sich ergänzenden Konnotationen aufgebaut. Die Helden sind auch gar zu heldisch: Dieser Dachs erreicht ja den Status eines literarischen Mythos, fast wie Abraham. Ein wenig wird auch die Ansicht transportiert, dass sich Ausnahmemenschen alles erlauben können. Beispiel: Der Dachs überflutet für sein Bewässerungsprojekt kurzerhand ein paar Dörfer, sogar ohne die betroffenen Bewohner zu benachrichtigen: Peanuts im Mittelalter, im Gegensatz zu seinem schurkischen Nebenbuhler, dem alles genau aufgerechnet wird.


    Ich bin mit dem Roman noch nicht durch, und er wird auch bis ins neue Jahr liegen bleiben.
    Hab aber 2/3 gelesen, und kann also sagen, dass ich dir zustimme.
    Wobei es noch eine Frage für sich ist, inwieweit moralische Wertung stattfinden sollte/müsste.


    Andererseits dürfen meines Erachtens auch ruhig die Helden sehr heldisch, die Schurken sehr schurkisch sein.


    Das betrifft bspw. auch das Thema des Ius Primae Noctis, von dem ja auch der Dachs ziemlich hemmungslos profitiert.
    Das es aber, wenn ich mal der Wikipedia trau (was ich keineswegs grundsätzlich tu), so nie gegeben hat.


    Ich weiß über Niebelschütz (bisher) nicht sehr viel. Die Frage, die sich mir bei der Lektüre zunehmend stellte, war:
    inwieweit betreibt der Roman höchstes sprachliches Können, Sprachverliebheit sozusagen, eigentlich als Selbstzweck?


    Gruß, und bis ins Neue Jahr dann.
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Ich weiß nicht, ob ich das schon mal zitiert habe, aber sei's drum. Hans Wollschläger empfahl den Roman seinerzeit im "Raben" u.a. so:


    Zitat

    Solche Bücher entstehen auf der Welt nur alle Jahrzehnte einmal und wischen Jahrzehnte Mit-Literatur vom Tisch. Die Kinder der Finsternis […] haben die große beschwörende Atmosphäre des Mythischen […] und sind ein Literatur gewordenes Stück Erinnerung an Unser Aller Vorzeit […]. […] man kann zurzeit kaum Besseres lesen.


    Vergleichbar sei der Roman, so HW, mit dem ansonsten unvergleichlichen Joseph-Roman Thomas Manns (den ich, zu meiner Schande sei's gesagt, immer noch nicht gelesen habe, ich hab den Tonfall nach dem ersten Band einfach nicht mehr ertragen und die Leküre abgebrochen).


    Was die Moral von der Geschicht' angeht: Ich könnte mich jetzt an keine Stelle erinnern, bei der der Erzähler das Geschehen in der einen oder anderen Form wertet.

  • Mir wird die nicht-wertende Haltung des Erzählers manchmal ein bisschen zuviel. Zum Beispiel an der Stelle, an der Barrals erste Frau Fastrada, die als Haushälterin beim Sultan gelandet ist, davon berichtet, wie sie von achtzig Piraten vergewaltigt wurde. Auf die entsetzte Frage, wie es komme, dass sie das überlebt habe, antwortet sie verschmitzt: "Ich hatte einen recht lebhaften Gemahl."
    So etwas gehört eindeutig ins Märchenreich, aber das gilt ja mehr oder weniger für das ganze Buch.
    Und ja, jetzt habe ich es endlich ausgelesen.


    Den schönsten Satz habe ich mir angemerkt. Da steht in einem Roman, der im zwölften Jahrhundert zwischen Frankreich, Spanien und der Lombardei spielt, der Ausspruch der Königin Beatrix: "Wenn es nach mir ginge, ginge ich mit Roana in die Wetterau, bis der vor drei Jahren erbetene Brief in der Pfalz Gelnhausen eintrifft."
    Gelnhausen, das liegt eine halbe Autostunde von hier. Schöne Grüße an Beatrix!