August 2006: Anna Seghers - Transit

  • Hallo zusammen!
    morgen soll's losgehen, also richte ich heute schon mal die Leserunde ein, damit wir sofort loslegen können.


    Angemeldet haben sich:


    nikki, rana, Zola, finsbury und Merja mit Einschränkungen.


    Ich wünsche uns viel Vergnügen.
    Einen Materialienthread will ich gleich einrichten und freue mich, wenn ihr noch was dazu beisteuert.



    HG
    finsbury

  • Hallo, Lesefreunde,


    da könnt ihr schon mal reingucken ...


    Links zu Anna Seghers und Transit


    http://hamburger-bildungsserve…oren/seghers/transit.htmlInformationen zum Roman, Hintergründen und Interpretationsansätzen


    http://golm.rz.uni-potsdam.de/…ublikationsgeschichte.htm
    Zur Publikationsgeschichte des Romans


    http://www.tierradenadie.de/ar…atura/seghers/transit.htm
    Biografische Bezüge des Romans


    http://lernarchiv.bildung.hess…/frieden/seghers_transit/
    Für Lehrer, Schüler und andere



    HG
    finsbury

  • Hallo, liebe MitleserInnen und alle anderen,


    nun habe ich begonnen und das erste Kapitel gelesen. Der Roman ist stark autobiografisch geprägt, da Seghers wie der Protagonist ein Mexiko-Visum hatte und auch einige andere autobiografische Erfahrungen - wie z.B. der Selbstmord des ihr bekannten Schriftstellers Ernst Weiß - in dem Roman verarbeitet werden.


    An den Segherschen Romanen fasziniert mich besonders das Lakonische: Vor zwei Jahren las ich "Das siebte Kreuz" und war zuerst irritiert, dann zunehmend angetan von der distanzierten Schreibweise, mit der sie auch vom Schrecklichsten berichtet. Das kann manchmal aufwühlender sein als haufenweise Emphase und Pathetik.


    Der Ich-Erzähler ist ein seltsam gebrochener Charakter, hat Angst, andere zu langweilen, hält aber selbst Beschreibungen von Geräten für spannender als Schicksalsberichte (1,I). Auf seiner Flucht aus dem Lager zunächst ins unbesetzte Südfrankreich macht er sich fast ein wenig lustig über die Mitfliehenden, die sich dann doch entscheiden zu bleiben und die Deutschen sogar nett und hilfsbereit finden (1,II). In Paris beschäftigt er sich mit dem Nachlass des verstorbenen Schriftstellers Weidel zunächst wohl aus Langeweile und auch einem gewissen Spieltrieb und schlittert so in die Erlebnisse hinein, die Gegenstand des Buches sind (1,III, IV).


    Auch hier - ähnlich wie beim siebten Kreuz fällt mir die Identifikation mit dem Helden ein wenig schwer, aber diese Distanz soll wohl auch sein: vielleicht die Seghersche Variante des Brechtschen Verfremdungseffektes?!


    Freue mich auf eure Stellungnahmen!
    Schönen Star ins Wochenende :klatschen:


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen,


    ich bin leider erst heute abend dazu gekommen mit dem Buch anzufangen, ich bin jetzt in 1, IV.
    Da ich von Seghers noch nichts gelesen haben, kann ich keine Vergleiche zu ihren anderen Werken ziehen. Ich war erstaunt, dass der ich-Erzähler ein Mann ist. Vielleicht bin ich es zu wenig gewohnt, dass man als eine Person des anderen Geschlechts schreibt, es scheint mir aber schon, dass die Person durch ihre Ausdrucksweise etwas feminin wirkt (vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, ich werde das weiter im Auge behalten).


    Die wiederholte Angst des Erzählers, den Leser zu langweilen, deutet wohl auf mangelndes Selbstbewußtsein hin.
    Erstaunlich fand ich, dass er nach der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen nach Paris geht und nicht versucht weiter aus Frankreich heraus zu fliehen. Als vor den Nazis geflüchteter Deutscher müßte Paris doch fast die "Höhle des Löwen" für ihn sein.


    Den Roman finde ich sehr leicht lesbar und spannend geschrieben, ich werde jetzt bestimmt noch ein paar Stunden in ihm lesen.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo,


    bin inzwischen im dritten Kapitel.


    Wegen der Flucht nach Paris, @ Zola, denke ich, dass dem Er-Erzähler erstens ein gewisser Leichtsinn eignet, zweitens hat er da seine Bekannten, die Binets und drittens erlebt er ja auf der Flucht, dass man auch in Anwesenheit der Deutschen verborgen bleiben kann, vor allem in einer großen Stadt.


    Findest du Seghers' Ausdrucksweise tatsächlich "weiblich"? Ich finde, sie hat einen der lakonischsten Stile überhaupt, Gefühle, wie man das vielleicht bei einer Autorin eher vermuten würde, werden bei ihr weit zurückhaltender thematisiert als zum Beispiel bei Feuchtwanger.
    Der Protagonist ist aber auch wirklich ein merkwürdiger Typ: Sehr einzelgängerisch, auf seine Freiheit bedacht und gleichzeitig doch auf viel Kontakt angewiesen und Freunden /Kameraden gegenüber, auch unter Einsatz des eigenen Lebens, treu. Das wird bei der Wiederbegegnung mit dem verkrüppelten Lagerkamerad Heinz deutlich, einem echten sozialistischen Held :zwinker:, der einem bis auf den Grund der Seele schauen kann.


    Ich lese jetzt etwas langsamer, weil ich bis Freitag auch noch den neuen Walser durchhaben möchte, denn dann besuche ich dessen Lesung.


    Wo ist denn eigentlich der Rest der Leserunde pchallo ?


    Euch allen schönen Wochenstart


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen,


    ich bin mittlerwele auch im dritten Kapitel.


    Seghers Schreibstil finde ich jetzt eigentlich nicht mehr so "weiblich", ich glaube, ich habe mir das etwas eingebildet, wohl da ich automatisch davon ausging, dass sie als Ich-Erzählerin schreiben würde. Mir ist aber jetzt im dritten Kapitel wiederum aufgefallen, dass sie die Schönheit eines Mannes und eines Jungen hervorhebt, von Frauen hat sie das bisher noch nicht getan (aber das kann Zufall sein). Ich muß zu meiner Schande gestehen, dass mir gerade kein Roman einfällt, den ich bisher von einer Schriftstellerin gelesen habe. Insofern habe ich stilistisch gar keinen Vergleich mit anderen Autorinnen.


    Der Roman ist vom Stil her sehr erzählerisch, detaillierte Beschreibungen von Personen und Gegenständen fehlen weitgehend, es gibt öfters auch unschöne Wortwiederholungen. Das bringt dem Leser immer wieder in Erinnerung, dass der Protagonist seine Geschichte ja mündlich erzählt (und das einer bestimmten Person, nicht uns anonymen Lesern, wie an einem kurzen Hinweis auf ein Stück gemeinsamer Vergangenheit ersichtlich wird) und nicht in Romanform niedergeschrieben hat.


    Der Ich-Erzähler ist in der Tat ein etwas komischer Kauz, man kann kaum durchschauen was er vorhat, bzw. wirkt es oft so, als ob er gar keinen Plan hat und sich mit den Strategien und Planungen der Emigranten bisher kaum auseinandergesetzt hat, teilweise beschreibt er das Verhalten und die Panik der Emiganten fast wie ein unbeteiligter Außenstehender.



    Viele Grüße und euch auch einen guten Wochenstart,
    Zola

  • Hallo!


    Verzeiht mir den späteren Einstieg, aber ich bin gestern gerade vom Urlaub zurück gekommen und habe mir gleich das Buch geschnappt. Leider bin ich nicht weit gekommen, da ich ziemlich müde war. Aber ich war in Frankreich und auch für einen Tag in Marseille, und so freue ich mich besonders, einige Plätze im Buch wieder zu erkennen. In meinem Reiseführer war das Buch als Literaturtipp für Marseille angeführt.


    Zur Bemerkung, sie schreibe "weiblich", kann vielleicht die ständige Benutzung der Verniedlichungsform für Namen beitragen, Paulchen, Fränzchen usw. Ich hoffe, dass zieht sich nicht durch das ganze Buch durch.


    Ich finde den Roman bis jetzt auch leicht lesbar, aber wie gesagt, weit bin ich noch nicht gekommen (1, III)


    Lg
    nikki

  • Hallo Nikki,



    Verzeiht mir den späteren Einstieg, aber ich bin gestern gerade vom Urlaub zurück gekommen und habe mir gleich das Buch geschnappt. Leider bin ich nicht weit gekommen, da ich ziemlich müde war. Aber ich war in Frankreich und auch für einen Tag in Marseille, und so freue ich mich besonders, einige Plätze im Buch wieder zu erkennen.


    Das war doch ein perfektes Timing :smile:
    Ich finde es besonders schön Bücher zu lesen, die in mir bekannten Orten spielen. In Marseille war ich leider noch nie.



    Zur Bemerkung, sie schreibe "weiblich", kann vielleicht die ständige Benutzung der Verniedlichungsform für Namen beitragen, Paulchen, Fränzchen usw.


    Stimmt, ich glaube die so konsequente Verwendung der Verniedlichungsform war auch in der damaligen Zeit bei Männern unüblich.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo zusammen,


    schön, @ nikki, dass du jetzt auch dabei bist und auch noch gleich den lokalen Background mitbringst! Ich war bisher nur in der Umgebung von Marseille, aber auch noch nicht selbst dort.


    Diese Manie mit den Diminuitiven ist mir noch gar nicht so aufgefallen, aber es könnte sein, dass es an Seghers Geschlecht liegt. Als andere Erklärung fällt mir ein, dass das restriktive Lagerreglement die Insassen in Pennälerverhalten zurückfallen lassen könnte, so dass sie sich auch mit ihren Schülernamen anreden. Eine andere Idee wäre, auch vom Lagerleben bestimmt, dass man durch die Zärtlichkeitsform eine Nähe in der Kälte des Lagers schaffen will. Es fällt jedenfalls auf, dass nur die ehemaligen Lagerkameraden mit dem Diminuitiv bezeichnet werden.


    Was ich wiederum ganz bezeichnend für eine weibliche Autorin finde, ist, wie sie die Beziehung der Hauptperson zu dem Sohn von Claudine beschreibt. Ein männlicher Autor würde vielleicht Bedenken haben, dass man das Ganze schon in die Nähe der Päderastie rücken könnte, während Seghers die Zuneigung ganz unschuldig schildert und auch nichts dahinter sieht. Aber vielleicht ist das auch nur der Sichtwinkel unserer heutigen, dafür "hochsensibilisierten" Zeit.


    In 4, II fiel mir die Ähnlichkeit der Szene mit der Eingangsszene des "Alexis Sorbas" von Nikos Kazantzakis (Hafencafé inPiräus) auf: Man kann fast sagen, dass sich das Hafencafé als Leitmotiv für das Unbehauste, auf dem Sprung Seiende wohl besonders gut eignet.


    Diese monotonen Satzanfänge sind mir auch aufgefallen, Zola: Wie du glaube ich aber auch, dass sie als bewusste Stilelemente des mündlichen Erzählens eingesetzt sind und außerdem die wenig von Literatur geprägte Wesensart des Protagonisten veranschaulichen sollen.


    Bin jetzt in 5, II, mache aber wieder eine kurze Lesepause.



    HG
    finsbury

  • Hallo!


    Ich bin jetzt im Kap. 6, II


    finsbury du hattest Recht, die Verniedlichungen beziehen sich nur auf ehemalige Lagerinsassen und hören im Großen und Ganzen inzwischen auf. Deine Bemerkung über das Hafencafé als das Leitmotiv für das Unbehauste finde ich sehr gut. Man möchte fast meinen, das Café sei ein Ort des Transits, Ort wo man alleine aber trotzdem gemeinsam mit anderen auf eine - hoffentlich - bessere Zukunft wartet.


    Alle wollen aus Marseille weg und klammern sich an jedes Gerücht. Der Protagonist will aber bleiben und scheint die Unsinnigkeit ihrer Hoffnungen zu durchschauen. Oder ist er einfach ein Pessimist?


    Was mich auch beeindruckt hat, war der Tod des Kapellenmeisters (5,VIII). In seinem Beispiel zeigt sich die ganze Ohnmacht und Hilflosigkeit des Flüchtlings den Behörden gegenüber. Er ist ihr ausgeliefert, sein Aufbegehren bringt nichts - und am Tag seines vermeintlichen Triumphs erleidet er die nächste sinnlose Niederlage und zerbricht am System.


    Es gelingt Seghers gut, den Flüchtling als keine fixe Kategorie, sondern als eine breite, deskriptive Rubrik (mir fällt kein besseres Wort ein)darzustellen, die eine Menge an verschiedenen Hintergründen , persönlichen Geschichten, politischen Begebenheiten ... einschließt. Hier sind Einzelschicksale zu sehen und keine Massenbewegungen, die oft zum Bild des passiven Flüchtlings führen.


    Ich bin sehr neugierig, was mit ihm und der Frau wird, ob er wegfahren wird aus Marseille usw. Übrigens ist die Prachststraße Canebière in diesem Sommer eine riesige Baustelle gewesen. Aber der alte Hafen ist ja noch da, und die Kirche Saint-Victor, und das Fort Saint-Nicolas...


    Ich wünsche Euch ein erholsames Wochenende!


    Lg
    nikki

  • Hallo Nikki, Zola und alle,


    bin jetzt mit dem sechsten Kapitel fertig (Hinke dir wohl inzwischen hinterher, nikki).


    Der Ich-Erzähler ist schlecht zu greifen: Bis auf seine Leidenschaft für Marie - aber selbst da ist er ja nicht sicher, ob er sie gehen lassen oder mit allen Mitteln an sich binden soll - wirkt er seltsam unbestimmt: Er lässt sich treiben und ist mehr daran interessiert, Atmosphäre und Menschenschicksale in sich aufzunehmen als sein Leben selbst zu gestalten. Also eigentlich ein idealer Schriftsteller! :zwinker:


    Allerdings ist Seghers selbst bestimmt nicht so gewesen, dazu war sie zu energisch, politisch und engagiert.


    Das Schicksal des Kapellmeisters ist - so finde ich auch - von hoher Symbolkraft und zugleich auch berührend!


    Schönen Start in die Arbeitswoche und bis bald


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen,


    ich bin jetzt im achten Kapitel angelangt.
    Die ganze Emigranten-Problematik wirkt sehr kafkaesk, die ständige Suche nach Visum, Transit und Schiffspassagen, wo oftmals die Gültigkeit des einen abläuft bis man das andere hat. Das wirkt so satirisch, dass man es kaum glauben kann (aber da Seghers das selbst durchgemacht hat, wird die Beschreibung wohl realistisch sein).
    Bei den Emigranten, die mit ihren Koffern vom Hafen wieder zurückkommen, weil ihre Fahrt im letzten Augenblick platzte, kann man richtig die Verzweiflung mitfühlen.


    Für uns heutzutage ist es wohl kaum zu fassen, dass man es damals politischen Flüchtlingen so schwer machte, die Asylgesetze der Staaten der westlichen Welt sind leider erst in Folge dieser Umstände entstanden.


    Der Roman wirkt auf mich recht monoton. Der Ich-Erzähler verbringt die meiste Zeit in Cafés - wie die anderen wohl auch aus Flucht vor der Einsamkeit oder Enge der spartanischen Räumlichkeiten, in denen sie untergebracht sind - und man weiß nicht, was er eigentlich vorhat. Er läßt seine Tage so eintönig verrinnen, fliehen möchte er eigentlich nicht, für die politische Situation scheint er sich wenig zu interessieren, einzig seine Beziehung zu Marie gibt dem Buch etwas Abwechslung, vor allem natürlich die Frage wann und ob das Spiel, das er mit ihr treibt, entdeckt wird.


    Der Schreibstil sagt mir nicht besonders zu. Wißt Ihr ob er typisch für Seghers ist, oder hat sie diesen Stil nur in diesem Buch gewählt, um es erzählerischer wirken zu lassen ?


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo zusammen, hallo Zola,

    Der Roman wirkt auf mich recht monoton. Der Ich-Erzähler verbringt die meiste Zeit in Cafés - wie die anderen wohl auch aus Flucht vor der Einsamkeit oder Enge der spartanischen Räumlichkeiten, in denen sie untergebracht sind - und man weiß nicht, was er eigentlich vorhat. Er läßt seine Tage so eintönig verrinnen, fliehen möchte er eigentlich nicht, für die politische Situation scheint er sich wenig zu interessieren, einzig seine Beziehung zu Marie gibt dem Buch etwas Abwechslung, vor allem natürlich die Frage wann und ob das Spiel, das er mit ihr treibt, entdeckt wird.


    Der Schreibstil sagt mir nicht besonders zu. Wißt Ihr ob er typisch für Seghers ist, oder hat sie diesen Stil nur in diesem Buch gewählt, um es erzählerischer wirken zu lassen ?


    Das scheint eine Spezialität von Seghers zu sein: Ich habe bisher "Das siebte Kreuz" gelesen und einen Band frühe Erzählungen.
    Sie pflegt diesen reduzierten monotonen Stil, der schnell langweilig wird oder wirkt, je nachdem, wie man zu ihm steht.
    Im "siebten Kreuz" habe ich ihn nach einer gewissen Gewöhnungszeit als sehr angenehm empfunden, da die dargestellten Entsetzlichkeiten anders kaum erträglich zu lesen gewesen wären. Aber bei diesem Roman empfinde ich auch eine gewisse Monotonie und bin froh, wenn wieder mal was geschieht. Allerdings entspricht die künstlerische Gestaltung wohl haargenau dem Lebensgefühl der Tranistäre, die ja auch in so einer monotonen Warteschleife gefangen waren.
    Also, schon ein Kunstwerk, aber nicht lesefreundlich!


    Ich bin im neunten Kapitel und habe in 9,II eine gute Selbstcharakterisitk des Ich-Erzählers gefunden, die einiges erklärt, was wir schon vorher vermutet hatten.


    "Ja, alles war immer nur durch mich durchgegangen. Deshalb trieb ich mich auch noch immer unversehrt in einer Welt herum, in der ich mich allzu gut auskannte. [...] Mir selbst gefällt nur, was hält, was anders ist, als ich bin."


    Das erklärt z.B. auch, warum er am Ende auf Marie verzichtet, weil ihre Anhänglichkeit an ihren verstorbenen Mann gegenüber allem Bestand hat.


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen,


    ich habe das Buch mittlerweile zu Ende gelesen.
    Der letzte Teil des Romans hat mir sehr gut gefallen, die ganze Atmosphäre innerhalb der Flüchtlinge war vor allem am Schluß sehr gut mitfühlbar.


    Im Nachhinein finde ich Seghers Schreibstil auch gar nicht mehr so schlecht, er war sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig, aber in gewisser Weise doch sehr gut zur Handlung passend. Mein eher negativer Eindruck entstand wohl eher aus einer kleinen Durststrecke im siebten und achten Kapitel, als es auch mit der Handlung des Romans nicht mehr richtig vorwärtsging.


    Der Schluß läßt viele Fragen offen und genau das macht ihn eigentlich so schön.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Zola, hallo Finsbury!


    Ich habe das Buch nun auch ausgelesen. Leider kenne ich kein anderes Werk von Seghers, und so kann ich keine Vergleiche ziehen.


    Durch den eher monotonen Schreibstil hat sie die Situation der Flüchtinge sehr gut wiederspiegeln können. Diese Unsicherheit und Ungewissheit, was am nächsten Tag sein wird, wo man sein wird, wo die Zukunft sein wird; das Warten, ohne irgendetwas Sinvolles machen zu können - all dies hat sie durch ihren Schreibstil sehr gut eingefangen. Recht überzeugend.


    Das Schlußkapitel bringt die Erlösung aus dieser endlosen, monotonen Stimmung. (Wie wir alle sehen können, auch bei uns Lesern) Marie fährt ab und er hört auf, auf der Suche nach Liebe und Glück einem Toten nachzueifern. Für den Protagonisten wird ein Hauch von Hoffnung und Sinn abseits von Marie spürbar. Zola, es war geschickt, den Schluß offen zu lassen. Wie du sagst, das macht ihn schön und interessant.



    Liebe Grüße
    nikki

  • Hallo Zola und nikki,


    ich hatte den Roman auch schon seit ein paar Tagen durch, kam aber bisher nicht zum Mailen.
    Wie ihr beide finde ich den Schluss auch sehr gelungen.
    Eine wichige Stelle zum Titel des Romans und der Figur des Erzählers habe ich noch in 10,VII gefunden:


    "Vergangenheit und Zukunft, einander gleich und ebenbürtig an Undurchsichtigkeit, und auch an den Zustand, den man auf Konsulaten Transit nennt und in der gewöhnlichen Sprache Gegenwart. Und das Ergebnis: nur eine Ahnung - wenn diese Ahnung verdient, ein Ergebnis genannt zu werden - von meiner eigenen Unversehrbarkeit."


    Diese Stelle zeigt sehr schön, dass Seghers ihren Roman nicht nur als Exilroman empfand, sondern darüber hinaus das Transitäre allen menschlichen Handelns darstellen wollte.
    Auch die Figur des Erzählers wird hier nochmal gedeutet: Er hat Züge eines Schriftstellers, weil er alles in sich aufsaugt und wiedergibt, aber selber unverändert bleibt.


    Der Roman hinterlässt bei mir - trotz einiger ermüdender Kapitel, die aber ihre Funktion haben, einen durchaus nachhaltigen Eindruck.


    Übrigens würde ich zum Abschluss einer kleinen Exilliteraturreihe irgendwann in den nächsten Monaten gerne Brechts Flüchtlingsgespräche lesen. Hättet ihr vielleicht Lust mitzutun?


    HG


    finsbury

  • Hallo finsbury und nikki,



    "Vergangenheit und Zukunft, einander gleich und ebenbürtig an Undurchsichtigkeit, und auch an den Zustand, den man auf Konsulaten Transit nennt und in der gewöhnlichen Sprache Gegenwart. Und das Ergebnis: nur eine Ahnung - wenn diese Ahnung verdient, ein Ergebnis genannt zu werden - von meiner eigenen Unversehrbarkeit."


    Diese Stelle zeigt sehr schön, dass Seghers ihren Roman nicht nur als Exilroman empfand, sondern darüber hinaus das Transitäre allen menschlichen Handelns darstellen wollte.



    Gerade durch die komplexe Situation der Transitäre kommen bei ihnen die unterschiedlichsten Verhaltensmuster von Menschen, die vor wichtigen Entscheidungen stehen, zum Vorschein. Sehr beeindruckt haben mich die Frau, die einfach aufgegeben hatte und ihr Reisegeld mit Austern veraß und die Großfamilie, die auf ihre Schifffahrt in die USA verzichtete, da sie sonst ihre alte Großmutter allein zurücklassen müßte.




    Auch die Figur des Erzählers wird hier nochmal gedeutet: Er hat Züge eines Schriftstellers, weil er alles in sich aufsaugt und wiedergibt, aber selber unverändert bleibt.


    Bei seinem Gespräch mit dem amerikanischen Konsul, in dem er darlegt, weshalb er nicht mehr schreiben möchte, wird das auch schön ausgedrückt. Da sprach er eigentlich gar nicht mehr für den Schriftsteller, der er vorgab zu sein, sondern schon für sich selbst.



    Der Roman hinterlässt bei mir - trotz einiger ermüdender Kapitel, die aber ihre Funktion haben, einen durchaus nachhaltigen Eindruck.


    Das ist bei mir genauso.



    Übrigens würde ich zum Abschluss einer kleinen Exilliteraturreihe irgendwann in den nächsten Monaten gerne Brechts Flüchtlingsgespräche lesen. Hättet ihr vielleicht Lust mitzutun?


    Ich habe gerade nachgeschaut und wider Erwarten die Flüchtlingsgespräche auf meinem SUB gefunden. Von mir aus gerne, denn sonst lese ich sie wahrscheinlich nie :zwinker:


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo finsbury und zola!


    Ich habe die Flüchtlingsgespräche bereits gelesen. Es ist aber lange, lange her...


    Das Lesen mit Euch hat mir sehr gut gefallen :smile:, also mache ich vielleicht mit, mit Sicherheit kann ich es nicht sagen.


    Ich wünsche Euch noch eine erfolgreiche Woche!


    LG
    nikki

  • Hallo ihr beiden,


    schön, dass ihr euch mit den Flüchtlingsgesprächen anschließen wollt. In den nächsten Tagen erstelle ich einen Thread dazu als Leserundenvorschlag und dann schauen wir mal, ob noch jemand teilnehmen will.


    Vor November lässt mir mein Leseplan allerdings keinen Raum!


    Und: mir hat das Lesen in dieser Runde auch Freude gemacht! :blume: :blume:


    HG


    finsbury

  • Hallo!


    Angeregt durch diese Leserunde hab ich nun "Transit" ebenfalls gelesen: Die einzelnen Schicksale (des Kapellmeisters oder auch die ihr Geld in Naturalien umsetzende Dame) waren jene Teile, die mir am Buch gefielen; ich hätte mir gewünscht, dass Seghers es bei einer bloßen Beschreibung des Flüchtlingselends belassen und auf diese unselige, sich durchs Buch ziehende Liebesgeschichte verzichtet hätte.


    Kurzbesprechung: "Seghers bedient sich einer spartanisch anmutenden Sprache, einfacher, klarer Sätze, um die nüchterne Tragik der Flüchtlinge in Frankreich während des 2. Weltkrieges zu schildern. Aber schon nach 20, 30 Seiten verliert sich der puritanische Charme dieser Erzählweise - und das Stilmittel schlägt um in sprachliche Hilflosigkeit. So zu erzählen bedarf ungeheurer Sorgfalt und Genauigkeit, ansonsten passen sich Charaktere und Handlung ungewollt der reduzierten Erzählweise an. Wer sich der Möglichkeiten einer elaborierten Sprache begibt, der muss gänzlich auf der Höhe seiner Kunst bleiben.


    Hier aber bleiben Sprache, Figuren und Handlung auf der Strecke. Natürlich ist der Ich-Erzähler in einer Weise konzipiert, der die Identifikation erschweren soll, seine Interesse- und Ziellosigkeit, das Gefühl des "Sinnlos in die Welt Geworfen Seins" soll durch diese ungreifbare Darstellung deutlich gemacht werden. Aber seine tiefe Leidenschaftslosigkeit wirkt konstruiert, vorgestellt; sie ist künstlich wie seine plötzliche Verliebtheit in eine ihm unbekannte Frau, die sich - oh holder Zufall - als die Gefährtin jenes ihm unbekannten Menschen sich entpuppt, dessen Koffer er zufällig samt Manuskript in einer verlassenen Pariser Wohnung findet. Und während die Frau in Marseille noch immer nach ihrem verschollenen Mann sucht, der beim Einmarsch der Deutschen Selbstmord begangen hat, nimmt der Finder des Koffers dessen Identität an, wodurch die Frau immer wieder auf Spuren des Schriftstellers trifft, ohne ihm aber tatsächlich begegnen zu können. Bzw. ohne sich dessen bewusst zu sein, die Zufallsreinkarnation in Form des Ich-Erzählers längst getroffen zu haben. Diese Konstellation erzeugt eine gewisse Spannung - und bis ans Ende des Romans wartet man darauf, ob der vermeintliche Schriftsteller sich seiner Marie eröffnen wird oder sie im Glauben lässt, ihr einstiger Gefährte würde noch leben.


    Im Endeffekt schmeckt das Ganze jedoch nach lauem Milchkaffee, abgestanden, künstlich - und langweilig. Darüber können auch ein paar kleine, anschaulich geschilderte Szenen nicht hinwegtäuschen, das ist eine Autorin, die ihre Figuren und Leidenschaften brav erfindet, bei der aber ständig diese ihre Erfindung und Vorstellung spürbar bleibt. Liebe, Verliebtheit, Teilnahmslosigkeit, wie sie sich der Unbedarfte derlei vorstellt. Vielleicht glaubte Seghers, eine Handlung - welcher Art auch immer - erfinden, diese der Beschreibung der Flüchtlingselends unterlegen zu müssen, um ihr Schreiben zu legitimieren. Ohne diese aufgesetzte Liebesgeschichte, die hilflos konstruierte Figur des Icherzählers, wäre vielleicht ein lesbares Stück Prosa über Sinnlosigkeit und Angst vieler im zweiten Weltkrieg entwurzelter Menschen entstanden. So hingegen ist das Ergebnis ein holpriger, unstimmiger Roman über Verliebtheit und die Absurdität des Daseins, in dem ständig die Überforderung der Schriftstellerin spürbar bleibt."


    Grüße


    s.