• <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Benn">Gottfried Benns</a> Gedichte finde ich nicht einfach les- und deutenbar, sie sind tief und teils sehr dunkel, oft mythisch geladen, aber auch teilweise sehr schön und sie gehen unter die Haut. Oder liege ich da mit meiner Einschätzung daneben? Ich bin mir nicht sichter. "Die Zeit" nannte Benn einen <a href="http://www.zeit.de/2006/27/L-Benn">Klassiker</a>, wie seht ihr das? Am 7. Juli vor 50 Jahren verstarb Gottfried Benn, ein mir bisher unbekanntes Jubiläum, das dieses Jahr literarisch anstand. FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

    Einmal editiert, zuletzt von Friedrich-Arthur ()

  • HAllo FA,


    einige von Benns Gedichten gehören für mich zum Schönsten, was jemals in deutscher Sprache geschrieben wurde. Obwohl Benns zeitweise politische Einstellung Schwierigkeiten bereitet, kann ich mich der Magie seiner Sprachmelodie nicht entziehen. Die "statischen Gedichte" enthalten viele solcher Perlen. Ohne nachzusehen fällt mir jetzt vor allem sein Herbstgedicht "Astern" ein.
    Auch seine wilden expressionistischen Gedichte "Morgue", "Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke" usw. wühlen auf und enthalten immer wieder Stellen von einzigartiger Poesie - mitten im Grauen.


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen,


    ich lese gerade die Biografie über ihn von Raddatz, die es günstig bei Jokers.de und Zweitausendeins.de gibt. Er hatte ein seltsames Verhältnis zu Frauen. Frauen sollen da sein, dürfen jedoch nicht nahe sein. Am ehesten kann er lieben, wenn die Frau weit fort ist. Ergreifend spricht er von ihnen, wenn - sie tot sind...


    :rollen:


    Ich kenne das Gedicht Kleine Aster, weniger ein Herbstgedicht, als ein Gedicht übers Sezieren.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Irgendwo las ich letzt ein Zitat, (Anlaß war eine dieser Biographien,) mit dem Benn seine Frau charakterisierte, der Rezensent verglich nämliche Charakterisierung treffenderweise mit der eines Möbelstückes. Wenn man Gedichte wie Ein Wort liest, sollte man sich vom Mensch Künstler aber nicht den Spaß verderben lassen.


    http://www.litlinks.it/b/benn.htm


    Gruß!

  • Hallo Maria, Stoerte und alle,

    Ich kenne das Gedicht Kleine Aster, weniger ein Herbstgedicht, als ein Gedicht übers Sezieren.


    Viele Grüße
    Maria




    ja, das gehört zu dem Morgue-Zyklus und ist ganz schön harter Tobak, obwohl trotzdem sehr poetisch.


    Das Gedicht "Astern", das ich meine, ist viel später und gehört - glaube ich, meine Limes- Ausgabe hat leider keine Bandangaben -
    zu den "statischen Gedichten".
    Es geht so:


    Astern - schwälende Tage,
    alte Beschwörung, Bann,
    die Götter halten die Waage
    eine zögernde Stunde an.


    Noch einmal die goldenen Herden,
    der Himmel, das Licht, der Flor,
    was brütet das alte Werden
    unter den sterbenden Flügeln vor?


    Noch einmal das Ersehnte,
    den Rausch, der Rosen Du -
    der Sommer stand und lehnte
    und sah den Schwalben zu,


    noch einmal ein Vermuten,
    wo längst Gewissheit wacht:
    die Schwalben streifen die Fluten
    und trinken Fahrt und Nacht.


    Wie bereits geschrieben: Schöner kann unsere Sprache sich nicht ausdrücken!



    Irgendwo las ich letzt ein Zitat, (Anlaß war eine dieser Biographien,) mit dem Benn seine Frau charakterisierte, der Rezensent verglich nämliche Charakterisierung treffenderweise mit der eines Möbelstückes. Wenn man Gedichte wie Ein Wort liest, sollte man sich vom Mensch Künstler aber nicht den Spaß verderben lassen.


    Da stimme ich dir völlig zu. Wenn man oder frau nach dem Frauenbild der meisten unserer Dichter und Denker vergangener Generationen geht, kann man vor lauter Ärger kaum etwas lesen und das wäre sehr schade!


    "Ein Wort" finde ich ebenfalls wunderbar, besser kann man die Magie der Sprache und Dichtung nicht ausdrücken.


    HG
    finsbury

  • Heute veröffentlicht "Die Welt" eins, das mir immer sehr gut gefallen hat. Die originale Versstruktur fällt allerdings weg.
    Was schlimm ist.
    Einen Artikel dazu gibt es auch.
    Weil ich gerad im Büro sitz, zitier ich aus dem Kopf folgenden Vers:
    Das Krächzen der Raben
    ist auch ein Stück
    dumm sein und Arbeit haben
    das ist das Glück.

    :bang:
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Hallo,


    Ja, Benn finde ich einen sehr interessanten Dichter. Er versuchte Nietzsche weiterzudenken, war wie er nicht fortschrittsgläubig (besonders zu sehen in "Morgue"), sah aber bereits vieles von Nietzsche als Metaphysik an und versuchte den Nihilismus durch eine wertefreie Kunst zu überwinden.
    Z.B. Seine theoretischen Werke zur Lyrik finde ich sehr interessant.
    Auch seine Prosa ("Weinhaus Wolf", "Gehirne", "Der Ptolemäer") finde ich sehr lesenswert.




    Ich denke, der einzige (deutsche) Dichter, der ihm verwandt ist, ist Jünger, bzw. weiter gefasst Nietzsche, auf dem seine Philosophie aufbaut.


    MfG,


    rezk









    ____________________________________
    Durch so viel Formen geschritten,
    durch Ich und Wir und Du,
    doch alles blieb erlitten
    durch die ewige Frage: wozu?


    Das ist eine Kinderfrage.
    Dir wurde erst spät bewusst,
    es gibt nur eines: ertrage
    - ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
    dein fernbestimmtes: Du musst.


    Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
    was alles erblühte, verblich,
    es gibt nur zwei Dinge: die Leere
    und das gezeichnete Ich.

    &quot;Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg, was wir Weg nennen ist zögern&quot; (F. Kafka)

  • Hallo zusammen,


    heute abend gibt es ein Porträt von ihm in 3SAT


    -----------------------------
    12.07.2006


    "Gottfried Benn: Schakal und Engel"
    3sat, 21.15 Uhr


    3sat sendet heute um 21.15 Uhr das Porträt "Gottfried Benn: Schakal und Engel - hellgeäugt und schwarzgeflügelt" von Jürgen Miermeister.


    Das Porträt stellt unter Mitwirkung von Marcel Reich-Ranicki die widersprüchlichen Gesichter des Schriftstellers und die Genialität seines Werks vor. Ursula Ziebarth erinnert sich an den Menschen und Mann Gottfried Benn.
    -------------------------


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Schön, dass es hier einen Benn-Ordner gibt! :smile:


    Rein zufällig fiel mir neulich beim Aufräumen ein Reclam-Heft mit Benn-Gedichten in den Schoß. Ich habe mich umgehend in den längst vergessenen Inhalt vertieft und komme zu einem geteilten Urteil über Benns Lyrik.


    Die hochgelobten "expressionistischen" Gedichte aus der berühmten "Morgue"-Sammlung von 1912 sind nicht mein Ding, obwohl ich ihnen Qualität nicht abspreche. Sie zielen arg auf Schockwirkung und scheinen mir noch ganz im Bann der grandiosen Georg Heym-Sammlung "Der ewige Tag" aus dem Jahr 1911 verfasst zu sein. Mit anderen Worten: Im Westen nichts Neues, und wenn ich künftig zu expressionistischer Lyrik greife, dann nach wie vor zu Heym und Trakl.


    Aber dann: Benn wird reifer, was den früh verstorbenen Kollegen Heym und Trakl verwehrt blieb. Er hat es nicht mehr nötig, sein Publikum zu schockieren. Die schnoddrige Sprache der frühen, nihilistischen Gedichte weicht immer mehr einer melancholischen Sehnsuchtslyrik, die durchsetzt ist mit mediterranen und mythologischen Motiven. Benns Ruhm wächst, und mit ihm seine Einsamkeit: „Ich habe meistens so viel Mauern um mich rum, daß ich dem andern kein Verstehen zeigen mag, ich bin so hart geworden, um nicht selber zu zerschmelzen u. schließlich auch sehr fremd u. sehr allein. Es mag auch sein, daß ich menschliches Leid nicht mag, da es nicht Leid der Kunst ist, sondern nur Leid des Herzens“, schreibt er 1922 in einem Brief.


    Mein Fazit: Der "mittlere und späte" Benn ist, ungeachtet seiner zeitweiligen Naziverblendung, Mitglied in meinem persönlichen Dichterolymp.


    Es grüßt


    Tom


  • Mein Fazit: Der "mittlere und späte" Benn ist, ungeachtet seiner zeitweiligen Naziverblendung, Mitglied in meinem persönlichen Dichterolymp.


    Kann ich vollinhaltlich unterschreiben!Benn ist einer der ganz großen Magier unserer Sprache. Z.B. "Astern /Schwälende Tage" ist eins meiner Lieblingsgedichte.


    finsbury

  • Hallo,


    ist jetzt schon Jahre her, aber durch ihn (Gottfried Benns "Schöne Jugend") bin ich eine zeitlang dem Ophelia-Motiv in Gedichten nachgegangen. Der Expressionismus gibt am deutlichsten dem Verfall und der Vergänglichkeit Ausdruck.


    natürlich denkt man dabei an das berühmte Gemälde "Ophelia" von J. E. Millais.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo!


    Gottfried Benn war früher einer meiner ganz großen Lieblinge. Bis auf einige Briefwechsel habe ich alles von ihm gelesen und vieles über ihn. Besonders fasziniert hat mich damals die Studie „Gottfried Benn. Phänotyp dieser Stunde“ von Dieter Wellershoff (der sich inzwischen von seiner Benn-Verehrung distanziert hat). Mit gefielen seinerzeit neben Benns Gedichten auch seine Prosaschriften, besonders „Doppellleben“, „Weinhaus Wolf“ und die Briefe an den Bremer Kaufmann F.W. Oelze. Mittlerweile habe ich schon Jahre nichts mehr von ihm gelesen. Im Schrank stehen noch die Biographie „Provoziertes Leben“ von Werner Rübe, einem Arztkollegen von Benn, und das von der Kritik gelobte Buch „Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit“ von Helmut Lethen, das mir aber nichts Neues zu bringen scheint. Auch zwei erst in den letzten Jahren publizierte Briefbände, „Hernach. Gottfried Benns Briefe an Ursula Ziebarth“ und „Gottfried Benn – Thea Sternheim. Briefwechsel und Aufzeichnungen“ habe ich noch nicht gelesen, obwohl letzterer recht interessant sein soll.
    Die Gedichte allerdings lese ich bis heute immer wieder. Ich mag zwar auch seine expressionistische Lyrik, liebe aber vor allem die späteren Gedichte wie „Astern“, „Primäre Tage“, „Tag, der den Sommer endet“, „Valse triste“ usw.


    Gruß
    Anna


  • Gottfried Benn war früher einer meiner ganz großen Lieblinge. Bis auf einige Briefwechsel habe ich alles von ihm gelesen und vieles über ihn.


    Wow, Anna, das klingt nach echter Benn-Expertise! Aber er hat diese "Zuwendung" sicher verdient.



    ... Ophelia-Motiv ...


    Maria, kannst Du mir auf die Spünge helfen? Ophelia ist mir nur aus Shakespeares "Hamlet" ein Begriff. Das von Dir genannte Gemälde kenne ich auch. Aber was meinst Du mit Ophelia-Motiv?


    Viele Grüße


    Tom

  • Wow, Anna, das klingt nach echter Benn-Expertise! Aber er hat diese "Zuwendung" sicher verdient.


    Na ja, eine Benn-Expertin war ich mal, aber das ist lange her. Benns Prosaschriften sind schon weitgehend vergessen, und ich habe das Gefühl, nicht ganz zu Unrecht (ohne es durch erneutes Lesen überprüft zu haben). Aber wenn man einige so schöne Gedichte hinterlässt, reicht das ja auch völlig.


    Gruß
    Anna

  • Maria, kannst Du mir auf die Spünge helfen? Ophelia ist mir nur aus Shakespeares "Hamlet" ein Begriff. Das von Dir genannte Gemälde kenne ich auch. Aber was meinst Du mit Ophelia-Motiv?


    Viele Grüße


    Tom



    Hallo Tom,


    Sozusagen die „Wasserleiche“ in der Lyrik; hier insbesondere die Ophelia.
    Arthur Rimbaud nahm Shakespeares Ophelia und dichtete dies:


    Ophelia (in der Übersetzung von Karl Anton Klammer)


    I.
    Auf stiller, dunkler Flut, im Widerschein der Sterne,
    geschmiegt in ihre Schleier, schwimmt Ophelia bleich,
    sehr langsam, einer großen weißen Lilie gleich.
    Jagdrufe hört man aus dem Wald verklingen ferne.


    Schon mehr als tausend Jahre sind es,
    daß sie, ein bleich Phantom, die schwarze Flut hinzieht,
    und mehr als tausend Jahre flüstert schon sein Lied
    ihr sanfter Wahnsinn in den Hauch des Abendwindes.


    Die Lüfte küssen ihre Brüste sacht und bauschen
    zu Blüten ihre Schleier, die das Wasser wiegt.
    Es weint das Schilf, das sich auf ihre Schulter biegt.
    Die Weiden über ihrer hohen Stirne rauschen.


    Im Schlummer einer Erle weckt sie hin und wieder
    Ein Nest, aus dem ein kleines Flügelflattern schlägt.
    Die Wasserrosen seufzen, wenn sie sie bewegt.
    Ein Weiheklang fällt von den goldnen Sternen nieder.


    II.
    Ophelia, bleiche Jungfrau, wie der Schnee so schön,
    die du, ein Kind noch, starbst in Wassers tiefem Grunde:
    weil dir von rauher Freiheit ihre leise Kunde
    die Stürme gaben, die von Norwegs Gletschern wehn.


    Weil fremd ein Föhn, der dir die Haare peitschte, kam
    Und Wundermär in deinen Träumersinn getragen;
    weil in dem Seufzerlaut der Bäume und im Klagen
    der Nacht dein Herz die Stimme der Natur vernahm.


    Weil wie ein ungeheures Röcheln deinen Sinn,
    den süßen Kindersinn, des Meeres Schrei gebrochen;
    weil schön und bleich ein Prinz, der nicht ein Wort gesprochen,
    im Mai, ein armer Narr, dir saß zu deinen Knien.


    Von Liebe träumtest du, von Freiheit, Seligkeit;
    du gingst in ihnen auf wie leichter Schnee im Feuer.
    Dein Wort erwürgten deiner Träume Ungeheuer.
    Dein blaues Auge löschte die Unendlichkeit


    III.
    Nun sagt der Dichter, daß im Schoß der Nacht du bleich
    die Blumen, die du pflücktest, suchst, in deine Schleier
    gehüllt, dahinziehst auf dem dunklen, stillen Weiher,
    im Schein der Sterne, einer großen Lilie gleich.


    .......




    Von Georg Heym gibt es zwei Gedichte:


    „Die Tote im Wasser“:
    .....


    Die Leiche wälzt sich ganz heraus. Es bläht
    Das Kleid sich wie ein weißes Schiff im Wind.

    .....


    und „Ophelia“


    .Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
    Und die beringten Hände auf der Flut
    ...
    ...


    Und bei Gottfried Benn ist der Zerfall noch expressionistischer dargestellt:


    Hier geht’s zum Gedicht Schöne Jugend



    Meine Liste habe ich auf meinem Netbook, ich müsste nachschauen welche Gedichte
    ich sonst noch mir herausgesucht habe. Für meine Suche benutzte ich das Internet.


    Außerdem wollte ich noch im englischen Sprachraum nach Ophelia änlichen Motiven suchen, aber ich fand dann nur noch The Lady of Shalott von Alfred Lord Tenneyson.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Sozusagen die „Wasserleiche“ in der Lyrik; hier insbesondere die Ophelia.
    Arthur Rimbaud nahm Shakespeares Ophelia ...


    Hallo Maria,


    also lag ich mit Shakespeare nicht so schlecht - und auch die "Ophelia" von Rimbaud sowie das von Dir genannte Benn-Gedicht kenne ich.


    Vielen Dank für Deine ausführlichen Hinweise!


    Viele Grüße


    Tom