Februar 2006: Thomas Mann - Der Zauberberg

  • diese anspielung auf homosexualität kommt in vielen büchern thomas manns vor, man bedenke nur die kussszene in "mario und der zauberer", die hingezogenheit tonio krögers zu seinem schulfreund oder das verhältnis zwischen aschenbach und tadzio im "tod in venedig"...

    spring ihr doch nach! aber du hast angst, das glas zwischen dir und den anderen könnte zerbrechen. du hältst die welt für eine schaufensterauslage.

  • Zitat von "Germa"

    Im 4.Kapitel Abschnitt "Hippe" erinnert HC sich an seine Schulhofliebe Pribislav. Soll damit angedeutet werden, dass HC homosexuell ist? Ist er nur in Clawdia verliebt, weil sie ihn an Hippe erinnert?


    Ich gehe so weit zu sagen, Hippe und Clawdia sind identisch. Es ist typisch, dass Thomas Mann das Thema der Homosexualität bedeckt halten will. Hippe und Clawdia haben beide Kirgisenaugen. Identische Augen sind bei Thomas Mann immer ein Merkmal für Homosexualität (Beispiele hierzu im "Doktor Faustus" und in der kleinen Erzählung "Wie Jappe und Do Escobar sich prügelten").


    Castorp träumt die Szene mit dem Bleistift. Hippe erscheint dort als Clawdia (vgl. in "Santana macht ehrrührige Vorschläge)


    Gleichzeitig ist Hippe/Chauchat auch Williram Timpe, eine Jugendliebe Thomas Manns


    Liebe Grüße
    mombour

  • Zitat von "Germa"


    Im 4.Kapitel Abschnitt "Hippe" erinnert HC sich an seine Schulhofliebe Pribislav. Soll damit angedeutet werden, dass HC homosexuell ist? Ist er nur in Clawdia verliebt, weil sie ihn an Hippe erinnert?


    Womit wir wieder beim (auch hier im Forum) breit getrampelten Thema wären - und um es gleich vorweg zu nehmen: Im Steppenwolf von Hesse gibt es das gleiche Spiel mit Hermann und Hermine...


    Die Neigung von Hans für Clawdia würde ich schon darauf zurück führen, dass er sich an Pribislav erinnert. Die beiden gleichzusetzen würde ich mich nicht getrauen - auch wenn sich viele Szenen in abgewandelter Form wiederholen.



    Und um die Zusammenstellung noch zu ergänzen: Klassisch ist auch der homosexuelle Lord im Krull...



    Grüsse
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • ich habe vor einiger zeit die sendung "das literaturquartett" mit unter anderem marcel reich-ranicki gesehen, als thomas mann das thema war, und die haben sich getraut, den bleistift als... naja... zu interpretieren :redface: ... und als hans castorp frau chauchat den bleistift zurückgibt, findet ja auch ein umbruch statt und es ist passiert...


    gleichsetzen würde ich sie und hippe dennoch auch nicht. ich glaube, dass er durchaus auch eine neigung für sie außerhalb der erinnerungen an seine "jugendliebe" empfindet, man bedenke nur die szenen mit ihren armen oder dem portrait... es mag sein, dass die erinnerung an hippe der auslöser für castorps interesse an ihr war, aber sie hat ja durchaus auch ihre reize.

    spring ihr doch nach! aber du hast angst, das glas zwischen dir und den anderen könnte zerbrechen. du hältst die welt für eine schaufensterauslage.

  • Nein richtig gleichsetzen würde ich sie auch nicht. Aber wenn Clawdia dem Klassenkameraden nicht ähnlich gesehen hätte wäre sie ihm vielleicht gar nicht aufgefallen...


    Immer wieder taucht ja auch die Zeit auf. Wie sie vergeht, wie schnell sie vergeht. Hans kommt darauf ja auch immer und immer wieder zurück.

  • Die Zeit ist sicher das zentrale Thema im Zauberberg.
    Einmal die losgelöste Zeit dort oben von der Zeit im Tal. Die Zeit verfliegt laut HC nur so dort oben.
    Andererseits geht es ja auch ums Warten: Warten auf Entlassung, warten auf den Tod, und in kleinen Einheiten gesehen warten auf die nächste Mahlzeit oder das Ende der Liegekur.
    In der Isolation im Berghof kommt den Patienten das Zeitgefühl abhanden. Monate werden als Woche empfunden und angefangene Stunden, wie HC an einer Stelle sinniert, einfach aufgerundet.

  • ja, dieses einschlummern, ich habe es schon weiter oben erwähnt, aber offenbar ist da noch niemand auf meinen ansatz eingegangen. ich sagte etwas von mikrokosmos, eine hermetisch von der außenwelt abgeriegelte welt, in der die zeit für sich vergeht und jeder tag der gleiche ist und man so das zeitgefühl verliert. nur dieser kleine austausch um temperaturen und den klinikklatsch bei den mahlzeiten. und dieses süße für-nichts-mehr-verantwortlich-sein ist natürlich verführerisch, sodass keiner mehr vom berghof auf dem zauberberg loskommt... das ist wohl auch eine parallele zu "mario und der zauberer", cipolla ist ja auch ein hypnotiseur.

    spring ihr doch nach! aber du hast angst, das glas zwischen dir und den anderen könnte zerbrechen. du hältst die welt für eine schaufensterauslage.

  • Hallo,


    Wenn das Sanatorium der Hades ist (vgl. „Santana“) spielt Zeit keine Rolle. Settembrini vergleicht Castorp mit Odysseus, einem Gast im Totenreich.


    In „Analyse“ springt mir die Übereinstimmungen von Clawdia und Hippe wieder ins Gesicht:


    „Genau mit Pribislavs Augen hatte sie ihn angesehen...“
    „Auch Pribislav hatte den Kopf so ähnlich gehalten;“


    Es ist ja eine köstlich. Da sitzt HC im Vortrage von Doktor Krokowski, der über Liebe referiert, und Castorp ist dazu genötigt auf Mme Chauchat's Nacken zu starren.


    In Krokowskis Vortrag geht es um den "Widerstreit zwischen den Mächten der Keuschheit und der Liebe...". Dann folgt eine Passage, in der Tmomas Mann die Psychoanalyse Pate gestanden haben muss:
    "Er endige scheinbar mit dem Siege der Keuschheit. Furcht, Wohlstand, züchtiger Abscheu, zitterndes Reinheitsbedürfnis, sie unterdrückten die Liebe, hielten sie in Dunkelheiten gefesselt, ließen ihre wirren Forderungen höchstens teilweise, aber bei weitem nicht nach ihrer ganzen Vielfalt und Kraft ins Bewußtsein und zur Betätigung zu. Allein dieser Sieg der Keuschheit sei nur ein Schein- und Pyrrhussieg, denn der Liebesbefehl lasse sich nicht knebeln, nicht vergewaltigen, die unterdrückte Liebe sei nicht tot, sie lebe, sie trachte im Dunkeln und Tiefgeheimen auch ferner sich zu erfüllen, sie durchbreche den Keuschheitsbann und erscheine wieder, wenn auch in verwandelter, unkenntlicher Gestalt..."


    Sie erscheine "in Gestalt der Krankheit!", sagt Krokowski.


    Hierzu einen Vergleich zwischen Dr. Krokowski und Georg Groddeck:


    http://www.literaturkritik.de/…ez_id=8416&ausgabe=200508


    Liebe Grüße
    mombour

  • Zitat von "lebenszeichen"

    ja, dieses einschlummern, ich habe es schon weiter oben erwähnt, aber offenbar ist da noch niemand auf meinen ansatz eingegangen. ich sagte etwas von mikrokosmos, eine hermetisch von der außenwelt abgeriegelte welt, in der die zeit für sich vergeht und jeder tag der gleiche ist und man so das zeitgefühl verliert. nur dieser kleine austausch um temperaturen und den klinikklatsch bei den mahlzeiten. und dieses süße für-nichts-mehr-verantwortlich-sein ist natürlich verführerisch, sodass keiner mehr vom berghof auf dem zauberberg loskommt... .


    Vielleicht auch einer der Gründe weshalb so mancher Patient schon Jahre damit zubringt sich "auszukurieren". Man bekommt auch immer wieder den Eindruck das die Ärzte es auch gar nicht so schlimm finden das niemand wirklich gesund wird. Vielmehr scheinen sie es regelrecht zu genießen wenn sie wie bei HC recht behalten und so wieder einen Patienten gewinnen. Ihnen geht es dabei auch nicht darum Geld zu verdienen. Vielmehr scheint es ihnen eine Diebische Freude zu bereiten bei einer Krankheit rechtzubehalten.

  • Zitat von "mombour"

    Dann folgt eine Passage, in der Tmomas Mann die Psychoanalyse Pate gestanden haben muss:


    In einigen Romanen die Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben wurden kommen Anspielungen auf die Psychoanalyse vor, da zu dieser Zeit Sigmund Freud sehr bekannt war und die psychologische Wissenschaft revolutionierte. Auch Stefan Zweig und z. B. Marcel Proust haben in ihren Werken die Psychoanalyse erwähnt.


    Lg
    Germa

  • ja, diese diebische freude über verführte personen finden wir wiederum auch bei cipolla in "mario und der zauberer"...


    was mich fasziniert, ist die art, mit der die kurgäste mit der seelenzergliederung umgehen. es scheint doch, als wäre es ihnen mehr zum spiel als zur genesung, genau so mit den séancen. diese spiele mit todernsten dingen sind vielleicht auch eine krankheit, eine gleichgültigkeit der verantwortung für den eigenen zustand gegenüber. der bergof mach seine patienten systematisch lebensunfähig.

    spring ihr doch nach! aber du hast angst, das glas zwischen dir und den anderen könnte zerbrechen. du hältst die welt für eine schaufensterauslage.

  • Hallo Ihr,


    Oh je, jetzt habt ihr schon angefangen :entsetzt: .
    Werde am WE viel lesen müssen um noch mit euch im Gleichschritt maschieren zu können.
    Eure Beiträge machen mich neugierig und sie sind sehr interessant geschrieben, Danke! :blume:


    Gruß Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Zitat von "Fuu"


    um noch mit euch im Gleichschritt maschieren zu können.


    :entsetzt:



    Zumindest der Beginn des Zauberbergs liest sich ja noch ziemlich zügig. Da wird es dir hoffentlich nicht schwerfallen, die andern einzuholen :zwinker:



    Grüsse
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Werde mich bemühen! :winken:


    Gruß Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Laßt euch alle ruhig Zeit beim Lesen! Ich selber bin auch ein sehr langsamer Leser und gerade im Zauberberg gibt es viel nachzudenken und vieles was man in anderen Büchern nachschlagen möchte.
    Die Passagen mit Settembrini finde ich z. B. alle sehr anstrengend zu lesen und ich komme dann manchmal nur wenige Seiten voran.


    Gerade bin ich am Wendepunkt angekommen, an dem HC nicht mehr von Denen da oben sondern im Kapitel Freiheit von Uns hier oben und Denen dort unten spricht. So schnell kann das gehen! :zwinker:


    Lg
    Germa, sie sich ein reines Lesewochenende gönnt. :klatschen:

  • Sorry für das blöde Posting gestern Abend. :redface:
    Es hat sich herausgestellt, dass ich den "Zauberberg" wegen zu viel Arbeit erst mal eine Zeit liegen lassen muss und ich war ziemlich sauer. Tut mir Leid.

  • In der Einführung in den Zauberberg schreibt Thomas Mann - Als Vorwort:


    Zitat

    Der Beginn ist eine sehr arogante Forderung, nämlich die, daß man es zweimal lesen soll.


    Man kann den musikalisch ideellen Beziehungskomlex, den er bildet, erst richtig durchschauen und genießen, wenn man seine Thematik schon kennt und imstande ist, das symbolisch anspielende Formelwort nicht nur rückwärts, sondern auch vorwärts zu deuten.


    Da ich diesen Roman zum ersten Mal lesen werde, kann ich nicht so viel beitragen. Gerade hier finde ich die Worte von Thomas Mann als sehr bedeutsam.


    Was meint ihr dazu?


    Gruß Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Ich stimme dem zu. Deshalb lese ich Bücher auch gerne mehrmals. Beim ersten Lesen ist man zu sehr auf die Handlung konzentriert.


    Beim Zauberberg geht es mir allerdings etwas anders. Da ich in vielen meiner Literaturgeschichten über Thomas Mann und den Zauberberg nachgelesen habe ist mir die Handlung (viel ist es ja nicht) und die Absicht des Autors bekannt. Ich kann also genau auf den Aufbau achten und die Charakterisierungen beobachten.


    Lg
    Germa

  • Da ich Thomas Mann seine Sprache liebe und sie sich oft flüssig liest, komme ich prima vorwärts. :zwinker: Bin jetzt beim dritten Kapitel: Satana und bin froh, dass ich vor kurzer Zeit die Buddenbrooks gelesen habe. Dies scheint mir von großer Wichtigkeit zu sein. :cool:
    Nun werde ich euch nicht weiter stören, werde ja bald in eurer Reichweite sein, puh :klatschen:


    Gruß Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij