• 1900 malte Lovis Corinth das Porträt Gerhard Hauptmanns. Dazu fand ich in Prestels herrlichem Lovis-Corinth-Buch folgende Erklärung:

    Zitat

    Als Corinth das Bildnis Gerhard Hauptmanns (Salzbrunn 1862 – 1946 Agnetendorf/Riesengebirge) im Arbeitszimmer der damaligen Wohnung des Dichters in Berlin-Grunewald malte, stand dieser bereits im Zenit seines Ruhms. Corinth hatte ihn durch Walter Leistikow kennengelernt und verkehrte mit Hauptmann und seinen Freunden in dem von Leistikow gegründeten “Gerhart Hauptmann Freundschafts- und Rosenbund” Doch auch der Maler war für den Dichter kein unbekannter, besaß er doch bereits ein frühes Werk aus dessen Münchner Studienzeit, den “Schächer am Kreuz” von 1883. Aus diesen Beziehungen ist die Entstehung des Bildnisses, die möglicherweise auch von Leistikow angeregt wurde, zu erklären.
    Das Interieur mit Büchern auf einem Tischen, einem Buch, in dem er gerade geblättert hat, auf dem Tisch, hinter dem er sitzt, und auch eine kleine Plastik – vielleicht ein Hinweis auf die frühere Betätigung des Dargestellten in der Bildhauerei -, all dies vermittelt die Privatatmosphäre. Es bleibt ein stilles Beiwerk für den in lichten Farben aus einem Halbdunkel herausleuchtenden Porträtkopf des Dichters.
    1917 malte Corinth Hauptmann noch einmal (Verbleib des Bildes ist unbekannt). Außerdem zeugen Radierungen und Lithographien von dem großen Interesse, das der Maler dem Freund entgegenbrachte.

    Wieder ein starker Beleg, für die enge Verknüpfung von bildender und literarischer Kunst Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich denke, eine solche Nähe hatten diese beiden Kunstgattungen vorher nicht und seit den Weltkriegen nicht mehr. Viele Künstler(innen) dieser Zeit pflegten gleich beide Kunstrichtungen oder fühlten sich doch beiden eng verbunden… FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Ich hänge meinen Beitrag hier an, weil ich keinen neuen Hauptmann-Strang eröffnen mag.


    Im Rahmen des Listenlesens habe ich eine alte Novelle von Gerhart Hauptmann hervorgekramt: Der Ketzer von Soana. Das Buch stand schon länger auf meiner Liste, weil wir es seinerzeit als Schullektüre intensiv durchgekaut haben und ich sogar meine Abiturprüfung in Deutsch zu diesem Buch geschrieben habe. Da ging es um den Gebrauch rhetorischer Mittel in Hauptmanns Prosa. Alles keine Voraussetzung, das Buch zu mögen, zumal unser Deutschlehrer seinerzeit ein ziemlich aufgeblasener Kerl war, der zu diesem Buch vor Urzeiten eine Arbeit verfasst hatte, die er dann mit jedem Deutschkurs wieder aufwärmte. Ich erinnere mich, dass mir das Werk seinerzeit nicht gut gefiel und anders als andere Schullektüren keinen sehr guten Eindruck hinterlassen hat. Nun war es an der Zeit, diesen Eindruck mit dem Abstand der Zeit zu überprüfen. Und ich finde, es hat sich gelohnt.


    Die Novelle erzählt - in eine Rahmenhandlung eingebettet - vom jungen Priester Francesco, der in einem Dorf im Tessin am Fuße des Generoso seinen Pfarrdienst versieht. Bei ihm taucht ein wilder Mann auf, der ihn um die seelsorgliche Begleitung seiner Kinder bittet. Die Familie lebt weit oben in den Bergen, abseits des Dorfes, und man munkelt, es handele sich bei den Kindern um die Frucht einer inzestuösen Beziehung zwischen Bruder und Schwester. Francesco steigt also auf den Berg hinauf, um die Familie zu besuchen und begegnet einer halbwilden Familie, in der noch heidnische Reste alten heidnischen Glaubens überlebt haben. Er begegnet auch der 15-jährigen Tochter Agata, die von einer solchen Schönheit ist, dass er ihr auf den ersten Blick verfällt. Nun nimmt das Schicksal seinen Lauf. Der ambitionierte Priester verfällt dem jungen Mädchen und beginnt schließlich eine intime Beziehung mit ihr, die zu seiner Vertreibung und seinem Rückzug aus der zivilisierten Welt führt.


    Diese äußere Handlung bettet Hauptmann in ein ganz kunstvoll gewebtes Geflecht von Naturschilderungen, aufkeimender Fruchbarkeit und antiken mythologischen Beziehungen ein. Francesco erwacht gemeinsam mit der Natur um sich herum, wie seine Sinnlichkeit erwacht, werden seine Sinne geschärft, die Natur lockt ihn in Gestalt einer vollkommenen Frau, überall erblickt er nicht nur Zeichen der Fruchtbarkeit, sondern auch der alten antiken Mythen und Religionen, die diese Fruchtbarkeit feiern. Am Ende steht das Erleben des Einsseins mit der Natur und der Frau, was für ihn zugleich zu einem christlichen wie zu einem heidnischen Erlebnis einer unio mystica wird. Für die bürgerliche Welt und den Priesterstand ist er damit verloren.


    Gerhart Hauptmann ist heute ja weitgehend als Dramatiker bekannt, aber an dieser Novelle zeigte sich für mich wieder, dass er auch als Prosaautor viel geleistet hat.

  • Danke für die interessante Besprechung. Von Hauptmann habe ich neben den Dramen vor Urzeiten den "Bahnwärter Thiel" gelesen, soweit ich mich entsinne ein Frühwerk und schon ein wenig expressionistisch in seiner Metaphorik. Da hat mir Hauptmanns Prosa auch recht gut gefallen.


    Schön, dass du dir solche Schullektüre nicht für immer vom Lehrer verderben lässt - wobei ich in der Oberstufe eine tolle Deutschlehrerin hatte, die für meine heutige Literaturliebe mitverantwortlich ist - sondern dem Werk eine zweite Chance gibst.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Zum Bahnwärter (sowie dessen Zusammenhang mit Goethes Erlkönig und Büchners Woyzeck-Fragment) habe ich einen Artikel auf RUBIKON veröffentlicht: Der blinde Fleck. Eine kurze Literaturgeschichte des sexuellen Missbrauchs. Ich hänge diesen Artikel hier als Datei an.