Oktober 2005 - Friedrich v. Schiller: Don Carlos

  • Salut,


    Ich habe mittlerweile das Stück zu Ende gelesen und werde nun die Lektüre der Briefe über Don Karlos anschliessen, vielleicht lassen sich ja diese dann auch noch hier diskutieren.
    Zuerst aber noch meine Eindrücke zum Stück selbst.


    Pius:

    Zitat

    Ein so negatives Bild von de Posa kann ich nicht nachvollziehen. Klar, er ist Idealist und sein (abstraktes) Ideal bedeutet ihm im Zweifelsfall mehr als persönliche Beziehungen. Aber er ist auch ein moralischer Mensch (im Gegensatz zu Alba oder Domingo) - daß er andere willentlich als Marionette benutzt, sehe ich nicht ein.


    Du wirst doch aber nicht bestreiten, dass Posa den König richtiggehend für seine politischen Ziele zu instrumentalisieren, zu manipulieren beabsichtigt? Selbstverständlich ist Posa ein moralischer Mensch, doch ist er meines Erachtens zuerst seinen hehren Idealen verpflichtet und selbst als er für Karlos stirbt, hegt er ja noch die Hoffnung, dieser möge seine Ideen durchsetzen und Flandern trotz allem befreien.


    Im dritten Akt findet also dieses legendäre Gespräch zwischen Philipp II. und Marquis Posa statt, in welchem Posa durch seine Offenheit, Ehrlichkeit aber auch Striktheit den König zu überzeugen und rühren vermag, dieser sogar bestürzt, leicht demütig zu Boden sieht. Posa wird zum Vertrauten des Königs, welchen dieser sich ja herbeigesehnt, und das grosse Verwirrspiel beginnt.


    Imrahil

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo zusammen!


    Zitat

    Du wirst doch aber nicht bestreiten, dass Posa den König richtiggehend für seine politischen Ziele zu instrumentalisieren, zu manipulieren beabsichtigt?


    In der letzten Szene des dritten Aktes steckt mehr. Für de Posas flammende Rede für mehr Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit ("Geben sie Gedankenfreiheit!") im Reich hätte er genauso gut vor der Inquisition landen können. Dem war er sich auch vorher bewußt ("Sein oder nicht-"). Er trägt (nachdem der König nach ihm verlangte, nicht umgekehrt) seine wahren Ideale vor und hofft, den König damit zum Umdenken zu bringen ("auch eine Feuerflocke Wahrheit nur, in des Despoten Seele kühn geworfen..."). Schließlich gelingt es, und der König ist von de Posa spontan begeistert. Wie schon gesagt, der König ist sehr unsicher über sein eigenes politisches Konzept und daher beeinflußbar.


    Dies bemerkt de Posa und macht es sich zu nutze; hier entsteht ein moralischer Zwiespalt. Er mißbraucht das Vertrauen des Königs zugunsten von etwas, das er als moralisch höherstehend ansieht.
    De Posa handelt weiter im Sinne derselben Ideale, die er dem König so flammend vorgetragen hat. Felipe II versteht die Konsequenz eines so idealistischen Handelns nicht (persönliche Beziehungen sind zweitrangig) und wähnt de Posa auf seiner Seite und ist so natürlich der Betrogene.


    Auch da Schiller seine eigenen politischen und ideellen Vorstellungen durch de Posa verkünden läßt, bin ich überzeugt, daß der Charakter de Posas nicht als so negativ bewertet werden sollte, wie viele ihn sehen. Aber letztlich muß jeder selbst aus diesem Werk das seinige lernen.


    Ich habe viel aus de Posas größtem Fehler gelernt. Eine der Eigenschaften, die nach Konfuzius einen edlen Menschen auszeichnen, ist die folgende: "Er handelt erst, bevor er spricht, und danach spricht er so, wie er gehandelt."
    Meine Begeisterung nach der Konfuzius-Lektüre relativiert sich allmählich. Wie man an de Posa sieht, ist gerade dieses zitierte Verhalten gegenüber Don Carlos das, was de Posa scheitern läßt.


    Im ganzen Stück ist der einzige, der stets sicher in seinem Verhalten ist und den Durchblick behält, bezeichnenderweise der Inquisitor.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo !


    Ich bin nun auch fertig mit dem Drama.


    Zitat

    Ich habe viel aus de Posas größtem Fehler gelernt. Eine der Eigenschaften, die nach Konfuzius einen edlen Menschen auszeichnen, ist die folgende: "Er handelt erst, bevor er spricht, und danach spricht er so, wie er gehandelt."
    Meine Begeisterung nach der Konfuzius-Lektüre relativiert sich allmählich. Wie man an de Posa sieht, ist gerade dieses zitierte Verhalten gegenüber Don Carlos das, was de Posa scheitern läßt.


    Ja, aber de Posa scheitert doch am mangelnden Vertrauen Karlos'.
    Dieses Thema war für moich am Ende auch das Beherrschende. Während de Posa - den ich auch für nicht so negativ ansehe - stets an seiner Haltung Karlos gegenüber festhielt, konnte dieser das Vertrauen nicht aufrechterhalten, was ja auch schließlich zum Eklat führte. Karlos steht sozusagen zwischen Phillip und de Posa und weil es sich nicht entscheiden kann, welche Richtung er einschlagen will, scheitert er. Dass dieses Scheitern letzendlich durch die Kirche abgesegnet wird, macht das Ganze nicht besser :entsetzt: Gerade den Schluß finde ich fabelhaft - Schiller macht es sich und dem Leser nicht durch einen Selbstmord Karlos leichter.


    Dieses Vertrauen oder Freundschaftsmotiv ist ja eines der beherrschenden Themen bei Schiller. Und es stellt sich dann natürlich auch die Frage, wie weit Freundschaft oder Vertrauen gehen soll/kann. Wirklich bis in den Tod ? Daher imponiert mir de Posas pragmatische Einstellung schon - er gibt seine Ziele und Ideale nicht auf, gleichzeitig auch nicht seine Freundschaft.


    Gruß von Steffi

  • Hallo, Steffi!


    Zitat

    Ja, aber de Posa scheitert doch am mangelnden Vertrauen Karlos'.


    Nun ja, aus Don Carlos' Perpektive gesehen, schien er Anlaß zu haben, ihm das Vertrauen zu entziehen. Man muß ja beachten, daß Don Carlos in einer emotionalen Extremlage war, und dann schon kleine Anlässe große Auswirkungen haben können.


    De Posa hätte Don Carlos informieren müssen. Seine Vorgehensweise (ich regele alles, die anderen kriegen schon irgendwann mit, was ich gemacht habe) lädt zu Mißverständnissen und zum Scheitern ein. Es ist kein großer Charakterfehler, vielleicht nur eine momentane Überheblichkeit (auch De Posa ist der Verführung seiner neuen Befugnisse nicht völlig resistent), vielleicht hätte er sich nur mal in Don Carlos' Lage versetzen sollen - seis drum, es war ein Fehler.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo zusammen,


    ich habe das Buch nun auch abgeschlossen. Mir hat es recht gut gefallen, am beeindruckendsten fand ich Posas Rede vor Philipp. Interessant für mich auch Don Carlos´ Wandlung bzw. Reife im Verlauf des Stücks.


    Zum Thema Vertrauen zwischen Don Carlos und Posa: Ich finde, dass Posa den Bogen hier schon etwas überspannt hat. Don Carlos hätte ihm ja mehr als blind vertrauen müssen, um hier nicht misstrauisch zu werden. Und Posa hat ihm andererseits ja auch nicht ganz vertraut, sonst hätte er ihm ja seine Pläne mitteilen können. Ich hatte in dieser Szene den Eindruck, dass Posa ziemlich abgehoben ist (so nach dem Motto "ob ihr versteht, was ich tue, ist gleichgültig, Hauptsache, ich habe den Durchblick").


    Zitat von "Pius"

    Im ganzen Stück ist der einzige, der stets sicher in seinem Verhalten ist und den Durchblick behält, bezeichnenderweise der Inquisitor.


    Ja, DAS fand ich auch sehr bezeichnend!


    Zitat von "Imrahil"

    Ich habe mittlerweile das Stück zu Ende gelesen und werde nun die Lektüre der Briefe über Don Karlos anschliessen, vielleicht lassen sich ja diese dann auch noch hier diskutieren.


    Da wäre ich dabei, die sind sicher auch aufschlussreich.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo!


    Was mich einmal interessiert: Welche Person in "Don Carlos" findet Ihr am sympathischsten, und welche am wenigsten sympathisch?


    Meine Antwort folgt noch.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat von "Pius"


    Welche Person in "Don Carlos" findet Ihr am sympathischsten, und welche am wenigsten sympathisch?


    Gute Frage!
    Für mich ist die unsympathischste Person der Herzog von Alba. Er ist machtbesessen, egoistisch und ein Intrigant und Verräter der schlimmsten Sorte.


    Bei der sympathischsten Person habe ich zwei Kandidaten. Einerseits den Grafen Lerma, der für mich so ein bisschen die "tragische" Person ist. Immer wohlwollend, warnend und gut meinend verursacht er oft großen Schlamassel.
    Andererseits finde ich die Königin Elisabeth als äußerst sympathisch. Sie verkörpert Vernunft, sie behält einen klaren Kopf, stellt eigene Gefühle und Bedürfnisse in den Hintergrund und vermeidet damit noch weitere Verwirrungen. Sie stellt sich selbstlos in den Dienst der guten Sache.


    Herzliche Grüße!!

  • Hallo!


    Schade, schade, daß hier keine weitere Diskussion stattfindet! :sauer:


    Dabei gibt es noch so viel zu sagen...
    Ich irre mich vielleicht, aber für mich sieht es nach dem "Romanleser-Verhalten" aus: fertiggelesen- zack - nächstes Buch.
    Mir zumindest geht es so, daß sich die großen Dramen erst mal setzen müssen, daß vieles mir erst nach der kompletten Lektüre klar wird bzw. ich mich dann erst mit gewissen Fragestellungen auseinandersetze.
    Bei Romanen ist das anders. Da klärt sich (meist) alles während des Lesens.


    Das soll jetzt keine Kritik sein, nur eine Anmerkung.
    Ich bin froh, daß so viele bei der Leserunde mitgemacht haben (ob schreibend oder nur lesend) und hoffe, daß es noch zu einigen Dramen-Leserunden hier kommt. :smile:


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo zusammen !


    Zitat

    Ich irre mich vielleicht, aber für mich sieht es nach dem "Romanleser-Verhalten" aus: fertiggelesen- zack - nächstes Buch.


    Ein bisschen hast du vielleicht recht, mir fällt es z.B. bei Dramen schwer, nach nur einmal lesen mehr als die offensichtlichen Hauptsachen zu bemerken, bei Romanen reicht das einmalige Lesen meist aus.


    Überhaupt habe ich zur Zeit ein kleines Lesetief ... Jean Paul wollte nicht so wie ich und auch Heinrich Mann sträubt sich etwas.


    Aber zurück zum Don Karlos. :zwinker:


    Zitat

    Welche Person in "Don Carlos" findet Ihr am sympathischsten, und welche am wenigsten sympathisch?


    Hm, diese Frage stellt sich mir eigentlich selten. Ich überlege eher, was wollte der Autor mit der jeweiligen Person ausdrücken, für was steht sie. Für mich sind das nicht lebendige Personen, so dass ich eher für die Handlungsweisen bzw. die Thematik Sympathie oder Antipathie haben könnte.


    Am nächsten ist mir de Posa. Vielleicht einfach deshalb, weil ich wünschte, dass es mehr Personen mit Visionen gäbe, die ohne Egoismus ihre Sache verfolgen. Allerdings, nach Thackerays Jahrmarkt der Eitelkeit wurde mir bewußt, dass wohl niemand ohne Egoismus handelt. Auch de Posa ist ja in gewisser Hinsicht rücksichtslos. Und seine Einstellung zur Freundschaft - wünschenswert aber unrealistisch :sauer:
    Karlos stand ja erst am Anfang seiner Entwicklung - er hätte sympathisch werden können ...
    Der König ? Ja, Verständnis habe ich für seine Ansichten - so an der Machtzentrale verliert man rasch den Überblick der wahren Dinge, oder ist das nur ein Klischee ?


    Also, mit dem Sympathisch tue ich mich schwer.


    Unsysmpathisch - klar, die Mitläufer, machtbessene Adlige wie Alba sind ja schon unsympathisch angelegt, dazu noch der Priester. Aber sie sind auch nicht so facettenreich gezeichnet, als dass sie einen komplexen Charakter hätten.


    Am Schluß komme ich noch zu Elisabeth. Sie ist ja quasi ein Aussenseiter - sowohl betreffend die Handlung als auch am Hof selbst. Sie wirkt durchaus sympathisch, vielleicht die am lebendigsten gezeichnete Figur, ohne viel Werte transportieren zu müssen. Ich fand sie eine der interessantesten Figuren.


    Gruß von Steffi

  • Hallo!


    Also, am sympathischsten ist mir Elisabeth, die ausgeglichenste Peron im Drama mit einem "vorbildlichen" Charakter. Sie ist Realist, treu zu sich selbst und hat eine gesunde Vorstellung von Moral.


    Am wenigsten sympathisch ist mir der König, zumindest als König. Er hat mehrere Eigenschaftetn, die ihn als Staatsoberhaupt disqualifizieren: Er ist unsicher über seine Ansichten, er ist relativ leicht beeinflußbar, er hat keinen Bezug zu seinen Untertanen und auch nicht zu seinem Sohn und Thronfolger.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • ich finde keine der Figuren wirklich symphatisch. Alle sind auf ihre Weise unsympathisch:
    Der König ist eine arme Wurst, er ist nur noch bemitleidenswert und einsam.
    Karlos ist egoistisch: er hat nur Elisabth im Kopf und denkt an nichts anderes, lässt sich aber gleichzeitig von Posa manipulieren, denn Posas Ziele sind nicht Karlos Ziele.
    Posa ist ebenfalls egoistisch und würde für seine ach so tollen Ideale sogar über Leichen gehen, denn er wollte die hinterlistige Prinzessin ermorden.
    Posa is meiner Meinung nach ein Träumer, ein Idealist, er will etwas erreichen, was unmöglich ist, bzw was unter menschlichen Bedingungen nicht zu Glück führt.
    Und Elisabeth ist eine Verräterin: Warum hat sie denn den König geheiratet wenn sie doch Karlos liebt? Sie wurde bestimmt nicht dazu gezwungrn und wenn doch, dann ist sie mir viel zu rational, ohne gefühl.