Juli 2005 - Franz Kafka: Das Schloss

  • Hallo Kafkafreunde,


    ich bin schon ganz gespannt auf diese Leserunde und fange deshalb einfach mal mit den Materialien an. Ich habe folgende Links gefunden:


    Hier findet man eine Seite der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, schön fand ich hier die Synchronopse, mit der die Einordnung Kafkas leichter fällt.


    Eine Biographie ist hier zu lesen.


    Und zum Schluss noch der Wikipedia-Eintrag


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Guten Abend zusammen,


    in der Hoffnung, dass ich Evelyne Marti damit nicht auf die Füße trete :blume: , eröffne ich hiermit unsere Kafka-Leserunde. Angemeldet haben sich:


    Evelyne Marti
    A. Prometheus
    Jaqui
    alpha
    Elinor (?)
    Maja
    binesa
    Pius
    Manjula :winken:


    Ich habe gesehen, dass manche Leserunden sich auf ein gemeinsames Lesetempo einigen - sollen wir das hier auch so handhaben? Ich habe jetzt für ein Kapitel zwei Tage gebraucht, kann mich aber zügeln oder auch einen Zahn zulegen.


    Ich wünsche uns eine interessante Leserunde!


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Gleich nochmal Hallo und meine Eindrücke vom ersten Kapitel:


    Was mir schon in der Schule und jetzt auch wieder auffiel: Obwohl Kafka inhaltlich schwer zu fassen und fast unendlich zu interpretieren ist, schreibt er doch in einem leicht lesbaren, flüssigen Stil. Sehr angenehm zu lesen.


    Merkwürdig fand ich den Namen des Grafen: Was für eine Bedeutung mag "Westwest" haben?


    Die Reaktion K.s auf seine Bestätigung scheint mir widersprüchlich: Er geht davon aus, dass man "im Schloss alles Nötige von ihm" weiß, ihn aber dennoch unterschätzt. Und natürlich macht es neugierig, dass er sich dadurch mehr Freiheit erhofft - wofür?


    Auch bin ich gespannt auf die Person des Kastellans; nach der Beschreibung des Bildes müsste er eine blasse, unwichtige Person sein. Andererseits ist aber sogar der letzte Unterkastellan mächtig, dann muss es der Kastellan doch erst recht sein.


    Interessant auch die Reaktion des Lehrers, der K. (auf französisch!) auffordert, auf die unschuldigen Kinder Rücksicht zu nehmen und den Grafen nicht zu erwähnen.


    Nachdenkenswert fand ich den Satz "...freilich, Krankheit und Müdigkeit macht auch Bauern fein." Erschöpfte Menschen sehen also "fein" aus...


    Ich lese übrigens die "Kritische Ausgabe" aus dem S.Fischer Verlag.


    Euch allen eine schöne Woche.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo!
    Ich habe einen interessanten link gefunden, warne aber diejenigen, die vor dem Lesen nicht wissen wollen, was im Roman alles passiert, sich das jetzt schon anzusehen. Ich kenne ohnehin schon den Film „Das Schloß“ mit Maximilian Schell und überhaupt lese ich kein Buch mehr, ohne vorher den Inhalt zu kennen.
    http://www.xlibris.de/Autoren/…erpretationen/Schloss.htm
    Ich zitiere den Artikel aber sicher mal in der Leserunde, er hat mir nämlich eine interessante Sichtweise eröffnet (K. gibt nur vor, Landvermesser zu sein), und andererseits bin ich in einem anderen Punkt genau gegensätzlicher Meinung („Das Schloß“ als Parabel über Menschsein und das Verhältnis Mensch-Gott).
    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo!
    Ich lese diese Ausgabe mit teilweise merkwürdiger Zeichensetzung, die von Kafka selbst stammt und im Anhang "gerechtfertigt" wird:
    [Blockierte Grafik: http://images-eu.amazon.com/images/P/3596124441.03.MZZZZZZZ.jpg]


    Zu Kapitel1 – Ankunft:


    Meistens Beginnen Erzählungen mit einer „Normalen Welt“, die den Held in seiner Alltagswelt vor dem Abenteuer zeigt. Diese Phase fehlt bei Kafka, sowohl hier, als auch z.B. in „Der Prozeß“ und „Die Verwandlung“. Es beginnt sofort mit dem „Überschreiten der Schwelle zum Abenteuer“, dem „erregenden Moment“, wie man in der Dramentheorie sagt.


    Florian Wolfrum behauptet in dem von mir in den Materialen zitierten Text, dass K. überhaupt nicht der bestellte Landvermesser ist, sondern sich dies nur anmaßt. Dies scheint mir nach neuerlichem Lesen des ersten Kapitels ein interessanter Ansatz, dem ich geneigt bin zuzustimmen. Die Frage K.s „In welches Dorf habe ich mich verirrt? Ist denn hier ein Schloß?“ macht dadurch Sinn. Und als ihm droht, aus der warmen Gaststube in die winterliche Kälte herausgeschmissen zu werden, erfindet er die „Landvermesser-Geschichte“ – und hat Glück, daß das Schloß tatsächlich über einen Landvermesser bescheidweiß. Die späteren Ausführungen (nicht Kapitel 1) des Dorfvorstehers bestätigen wohl auch diese Sichtweise.
    Man beachte ganz besonders die Passage:
    „Das Schloß hatte ihn also zum Landvermesser ernannt. Das war einerseits ungünstig für ihn, denn es zeigte, daß man im Schloß alles Nötige über ihn wußte, die Kräfteverhältnisse abgewogen hatte und den Kampf lächelnd aufnahm. Es war aber andererseits auch günstig, denn es bewies, seiner Meinung nach, daß man ihn unterschätzte und daß er mehr Freiheit haben würde, als er hätte von vornherein hoffen dürfen. Und wenn man glaubte, durch diese geistig gewiß überlegene Anerkennung seiner Landvermesserschaft ihn dauernd in Schrecken halten zu können, so täuschte man sich; es überschauerte ihn leicht, das war aber alles.“
    Hier werden zukünftige Interaktionen, Konflikte, ja Kämpfe von K. mit dem Schloß vorausgeahnt und seine Stellung gegenüber dem Schloß erstmals beschrieben – aus K.s Sicht.
    „Auch fürchte ich, dass mir das Leben oben im Schloß nicht zusagen würde. Ich will immer frei sein.“


    Zum Schloß selbst:
    Es ist wohl kein allzu beeindruckendes Gemäuer („ein recht elendes Städtchen“; „keinem Fremden gefällt es“), aber der Turm ist „ein irdisches Gebäude… mit höherem Ziel als das niedrige Häusergemenge… etwas Irrsinniges hatte das“, „…[es] erklang dort ein Glöckchen, fröhlich beschwingt… so als drohe ihm – denn auch schmerzlich war der Klang – die Erfüllung dessen, wonach er sich unsicher sehnte.“
    Wahrscheinlich ist sein Sehnen nach dem Schloß gemeint. Doch sein Nie-Ankommen wird durch „Die Straße… führte nur nahe heran, dann aber wie absichtlich bog sie ab und wenn sie sich auch vom Schloß nicht entfernte, so kam sie ihm doch auch nicht näher.“


    Im ersten Kapitel ist noch mehr Interessantes, aber mir reichts jetzt erst mal.


    Manjula: Ich fand den Grafennahmen „Westwest“ auch äußerst merkwürdig, kann mir aber auch keinen Reim drauf machen.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo Pius,


    die eigenwillige Zeichensetzung ist mir auch aufgefallen. Wie "rechtfertigt" Kafka das denn?


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hi,


    der Stil ist zwar sehr flüssig der Inhalt dafür um so fremder, so kann die Welt im Traum erscheinen. Die Figuren scheinen mir eine eher symbolische, denn eine reale Bedeutung zu haben.
    Ich denke, wäre ich K. und so unwirtlich begrüßt worden, hätte ich diesen Ort gerade wieder verlassen. Er bleibt und versucht sich sachlich, nüchtern und normal zu verhalten - die Welt um ihn herum ist eine Mauer des Schweigens, der fehlenden Erklärungen, und die Höflichkeit ist den Menschen um ihn herum auch abhanden gekommen.


    Den Satz "...freilich, Krankheit und Müdigkeit macht auch Bauern fein." erinnert mich an Thomas Mann "Zauberberg". Tuberkulose macht die Menschen blaß, zart - eben aritokratisch fein - während ein Bauer braungebrannt, kräftig durch Arbeit gestählt ist - normalerweise.


    Liebe Grüße


    Sabine

  • Hallo zusammen,
    zwar habe ich mit der neuerlichen Lektüre des wunderbaren Romans noch nicht beginnen können, was ich sehr bedaure, aber etwas über den Grafen habe ich gefunden im von mir sehr geschätzten Buch von Heinz Politzer, "Franz Kafka, Der Künstler" Er schreibt:


    Um zumindest einen Reflex der Paradoxie einzufangen, mit der Kafka sein Schloss ausgestattet hat, werden wir gut daran tun, wie wirs's gewohnt sind, seine Sprache zu befragen. Schon auf der zweiten Seite des Buches wird als Schlossherr der Graf Westwest genannt. Der Name ist verräterisch: er verrät die Absicht Kafkas, den Leser zu mystifizieren. Emrich hat bemerkt, der Name "könnte das völlige Ende, die Todessphäre hinter dem Sonnenuntergang, aber auch das Jenseits des Todes, seine Überwindung, markieren". Sehen wir noch etwas näher zu, so können wir Kafka bei einem spannenden Wortspiel mit der verdoppelten Silbe "West" beobachten. Wenn wir annehmen, dass dieses "West" so wie das "Hotel Occidental" im "Verschollenen" auf den Untergang deutet, dann hebt die Duplizierung der einen Silbe den Verfall hervor, mit dem das Schloss K. schon bei seiner Ankunft begrüsst hat: die bröckelnden Wände, die Krähen rings um den Turm, das Bild des Wahnsinnigen vor dem Hintergrund einer fahlen Winterlandschaft. Aber die betonte Verneinung, die durch die Wiederholung der Silbe "West" unterstrichen zu werden scheint, wird durch die Gesetze der Sprachlogik wieder in Frage gestellt, denen zufolge eine doppelte Verneinung eine verstärkte Bejahung beinhaltet. So mag der Westen des Westens den Untergang des Untergangs, das heisst: einen Aufgang, bedeuten. Dann hätte Kafka hier auf das ewige Leben hingedeutet und in dem dunklen Spiegel seiner Bildsprache einen Strahl jender Geweissheit eingefangen, den eine gläubigere Seele, John Donne, einst in die Worte gefasst hatte: "Ist der Tod erst tot, der Tod ein Ende hat."


    Was ich besonders schätze an dem Buch von Politzer: Es ist mehr eine wertende Zusammenfassung vieler möglicher Interpretationen, als die Verkündung DER Wahrheit, welche gerade bei Kafka nicht zu finden ist. Politzer war es, der die Ansicht prägte, dass es ebensoviele Interpretationen des Werkes Kafkas geben könne, wie Leser.


    Es grüsst
    alpha, der bald zu euch zu stossen hofft.

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo zusammen


    Ich hab jetzt auch verspätet angefangen mit Kafkas Schloss. Ich mag Kafkas Stil, so einfach und gleichzeitig derart vielschichtig. Die innerseelische magisch-realistische Traumwelt von Kafkas Schloss hat einen Charme, dem ich mich nicht entziehen kann. Es ist wie ein langer Traum, den K. da träumt. Das Alptraumhafte veredelt sich zu mythisch tiefen archetypischen Grundsituationen, worin der Träumer (K.) seine Identität sucht.
    Ich les mal weiter ;-)

  • Hallo, Mitleser!


    Manjula: In der Originalfassung-Ausgabe von Fischer ist ab Seite 385 erklärt, warum die Zeichensetzung so ist.


    alpha: Der Text, den Du in Rot wiedergegeben hast, sieht für mich aus, als würde er von einem sehr belesenen, aber unterbeschäftigten Germanisten stammen. So etwas hineinzuinterpretieren ist etwas übertrieben. Wahrscheinlicher finde ich, daß Kafka der Name "Westwest" einfach eingefallen ist und er ihn irgendwie passend fand ohne große Hintergedanken. Es ist allerdings manchmal so, daß hinter spontanen Eingebungen von Autoren sich unbewußte Gedanken mit weitaus größerem Kontext manifestieren. Ich wüßte aber nicht, warum das hier so sein sollte.


    @Evelyne: Welche mythischen und archetypischen Situationen meinst Du? Beziehst Du Dich auf Jungs Archetypenlehre?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo zusammen :smile:


    Ich bin jetzt in Kapitel 4. Die traumhaften Grundsituationen haben etwas kollektiv Menschliches, innerseelische Traumsituationen, die auch in Jungs Archetypen und in den Mythen wiederkehren, zum Beispiel die Szene mit Frieda in Kapitel 3, das Ausgeliefertsein des Mannes an die überweibliche beherrschende Frau, ein typisches Motiv der Weltliteratur.


    Aber auch K.s Anspruch, dass ihm geholfen und gedient werden soll, hat etwas kollektiv Menschliches, erinnert mich an Alfred Adlers Machtdefinition. Die Szenen sind keine äusseren Erlebnisse, sondern alle Figuren sind Anteile einer einzigen innerseelischen Traumszenerie, K.s (Ohn)Macht und Identitätssuche, eine Gefühlswelt, die Figuren sind keine vollen Persönlichkeiten, sondern Eigenschaften, austauschbar, folgen einer gemeinsamen inneren Gesetzmässigkeit.


    Apropos Eröffnung des Thread: danke, mir ist einerlei, wer anfängt, Hauptsache, wir lesen gemeinsam, ich dachte sowieso, die Modis machen das. :zwinker:


    Ich hab übrigens folgende Ausgabe:

  • Hallo Ihr Lieben,


    habe gerade Kapitel 5 gelesen und im Gegensatz zu den vorherigen, finde ich es nicht so surreal. Nach nun mehr selbst über 20 Jahren Behörde und ich denke, Kafka hatte auch eine lange Zeit in der Versicherung hinter sich, erscheint es mir völlig normal. Für den Außenstehenden, der in die Mühlen einer Behörde gerät, mag es Alptraumhaft anmuten, der Insider kann manchmal nur noch lachen.
    Es werden ja auch manchmal besonders krasse Fälle, in den Medien dargestellt und Betroffene kämpfen jahrelang um ihr Recht.
    Es ist eine leicht satirisch anmutende ( absolut treffende) Beschreibung von Vorgängen, die jeder kennt, der einmal sich in den Vorschriften einer Behörde verlaufen hat oder versucht hat, ein Anliegen telefonisch zu klären.
    Kafka war ja Jurist und im Paragraphenwirrwarr ist es auch schwierig, die Übersicht zu behalten. Was zählt, steht in den Paragraphen und ist nicht unbedingt die menschliche oder gerechte Lösung.


    Viele Grüße


    Sabine

  • Hallo zusammen.


    habe nun das zweite Kapitel hinter mir. Merkwürdig war gleich am Anfang die Einschätzung der "Gesellen": Für K. sind sie austauschbar, eine Einheit. Und dann vergleicht er sie auch noch mit Schlangen! Natürlich kommt hier gleich die Gedankenverbindung zur Vertreibung aus dem Paradies, ist aber wohl zu weit hergeholt - Verführungspotenzial haben die beiden jedenfalls noch nicht entwickelt.


    Das Telefonat war für mich wieder widersprüchlich. Zunächst die Frage "Welcher Landvermesser?", auf die Antwort "Fragen Sie Fritz" dann sofortiges Anerkennen, er wird sogar als "ewiger Landvermesser" bezeichnet (fiel Euch hier auch der "ewige Jude" ein?). Und auch die Behauptung, dass es neben den zwei neuen einen alten Gehilfen geben soll, wird ohne großen Widerstand bestätigt. Was wird wohl mit dieser Taktik bezweckt?


    Einige von Euch haben geschrieben, das Buch erinnere an einen Traum. Auch mir geht es so: dass man ein Ziel vergeblich zu erreichen versucht, ist ja eine typische Traumsituation. Und das passiert nicht nur K. in Bezug auf das Schloss, auch Barnabas' Eltern können ihn, K., nicht erreichen.


    Zum Namen Westwest: alpha, Dein Zitat finde ich sehr interessant. Die doppelte Verneinung habe ich auch darin gesehen, allerdings war meine Gedankenverbindung zu "West" eher das "Go West" im Sinne von Neues entdecken, Grenzen verschieben etc. Durch die Verdoppelung wird dieses Streben quasi auf den Kopf gestellt, unmöglich oder gar lächerlich gemacht.


    binesa: Dein Eintrag macht mich neugierig - von dem ganz normalen Behördenwahnsinn kann ich auch ein Lied singen.


    So, das mal für heute. Ich habe ab heute mittag kein Internet und bin dann im Urlaub, so dass ich mich erst übernächste Woche wieder melden werde. Kafka geht aber selbstverständlich mit ins Allgäu :zwinker: .


    Euch allen ein schönes Wochenende!


    Manjula

    [size=10px] &quot;Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden.&quot; [/size]

  • Hallo zusammen :zwinker:


    Ich bin jetzt in Kapitel 12. Nachdem K. von Frieda sexuell überwältigt wird, folgt eine weitere typische Grundsituation, in welche Männer oft verwickelt werden: die Verantwortung übernehmen, etwas, das K. zeitlebens beängstigte, für eine Frau sorgen zu müssen, keine Zeit mehr für das Schreiben zu haben.


    Dieses Pochen auf Verantwortungsübernahme verkörpert die Wirtin (Kapitel 4). Und so muss K. vorübergehend eine Stelle antreten und für Frieda sorgen. Auch in den weiteren Kapiteln geht es darum, seine eigenen Wünsche zurücknehmen zu müssen bzw. sich Hindernissen gegenübergestellt zu sehen, die Polarisierung von Selbstverwirklichung (Landvermesser steht dabei für Kontrolle über den Besitz bzw. seinen Lebensbereich) und Anpassung (Schlossdoktrin = Fremdkontrolle), was überall im Leben eine Rolle spielt, sowohl im Liebesleben als auch gegenüber dem Staat etc.

  • Hallo zusammen,


    endlich finde auch ich die Zeit, Kafka zu lesen, bin zwar erst beim zweiten Kapitel angelangt, aber das wird sich bald ändern...
    Die Meinung, es sei der Roman eines Traums scheint weit verbreitet zu sein, was ich vor allem darauf zurückführe, dass die Erlebnisse K.'s nicht der alltäglichen Logik entsprechen und auch das, was er erlebt könnte aus einem Traum stammen. Es darf nicht vergessen werden, dass Kafka meist nachts und unter Schlafentzug schrieb, was durchaus einen Teil der wundersamen Wunderlichkeit erklären könnte. Aber ist es nicht mehr als ein Traum? - Viel ausführlicher, vielschichtiger? - Und insgesamt bleiben die grossen Brüche aus, die Chronologie wird praktisch nicht unterbrochen.


    Zitat von "Pius"


    alpha: Der Text, den Du in Rot wiedergegeben hast, sieht für mich aus, als würde er von einem sehr belesenen, aber unterbeschäftigten Germanisten stammen. So etwas hineinzuinterpretieren ist etwas übertrieben. Wahrscheinlicher finde ich, daß Kafka der Name "Westwest" einfach eingefallen ist und er ihn irgendwie passend fand ohne große Hintergedanken. Es ist allerdings manchmal so, daß hinter spontanen Eingebungen von Autoren sich unbewußte Gedanken mit weitaus größerem Kontext manifestieren. Ich wüßte aber nicht, warum das hier so sein sollte.


    Pius
    Einerseits gebe ich dir recht: Kafka wird nicht tagelang dagesessen haben, bis er den Namen Westwest konstruierte um damit besonders tolle Interpretationen zu ermöglichen! - Aber die Aufgabe einer jeden Interpretation ist doch, nicht nur die bewusste Absicht des Autors, sondern auch das un-/unterbewusste herauslesen zu versuchen. Dass dies oft zu einem "Hineininterpretieren" führt, bestreite ich nicht, meine jedoch, dass auch dies sehr interessant ist, zumal es zeigt, was man aus einem Werk alles machen kann mit der entsprechenden Absicht.
    Dass du Heinz Politzer als vielbelesenen aber unterbeschäftigten Germanisten bezeichnest, finde ich nicht ganz in Ordnung, nehme erstens an, dass du nicht genau weisst, wer H. Politzer war und dir zweitens auch nicht viel Gedanken darüber gemacht hast, was die Aufgabe eines wahren Germanisten ist (ich bin keiner, aber das nur nebenher): Wenn er auf seinem Gebiet arbeitet - und nur dann ist er ein wahrer Germanist, so ist seine Belesenheit die Grundlage für seine Arbeit - und seine Arbeit besteht doch darin, Texte zu analysieren, interpretieren, Sprachforschung zu betreiben. Wenn du meinst, hunderte von Artikeln und Bücher zu lesen, deren Inhalt zu vergleichen und seine eigene Meinung dazu abzugeben, dann ist für dich der Beruf des Germanisten ein unnützer Beruf und entsprchend ist jeder Germanist unterbeschäftigt. Allerdings nehme ich an, dass ich dich eher falsch verstanden habe oder du etwas anderes ausdrücken wolltest, als was ich aus deinen Zeilen gelesen habe!
    Leider finde ich momentan keine anständige Biografie Politzers auf dem Netz, nur eine Kürzest-Biografie unter Heinz Politzer Nichts für ungut!


    Es grüssst
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo alpha, pius


    ich sehe gerade die Diskussion um zuviel oder zuwenig in die Absichten des Autors hineininterpretieren. Ich denke, es gibt 2 Arten einen Text zu diskutieren.
    Einmal kann man überlegen was der Autor uns sagen will - ob bewußt oder unbewußt;
    außerdem kann man aber auch darüber diskutieren, was man selber in dem Text findet, unabhängig davon ob der Autor das so meinte oder nicht. Gefühle und Gedanken, die beim Lesen eines Textes entstehen (selbst wenn nur ich es so empfinden sollte) sind auch eine Wahrheit - nämlich die Persönliche.
    Wichtig allgemein in der Kunst (Literatur, Malerei, Musik) finde ich, dass die Kreativität, die Gedanken angeregt werden und man nicht nur konsumiert.


    Viele Grüße


    Sabine

  • Hallo zusammen!
    Ist euch auch aufgefallen, wie seit Anfang an, das Motiv der Müdigkeit und der Erschöpfung immer wieder aufgegriffen und betont wird?


    K. kommt erschöpft an, kommt bei seinem ersten Spaziergang gegen das Schloss nicht sehr weit. K. hängt sich bei Barnabas und Olga ein, weil er zu schwach ist, Klamm schläft, ohne dass man es ihm ansieht, K. verschläft einen ganzen Tag nach der ersten Nacht mit Frieda, der Gemeindevorsteher ist krank und liegt im Bett (wie im Prozess der Advokat!), die Wirtsfrau liegt im Bett und ist schwach vor Kummer und so weiter! - Nicht zu letzt ist es auch K. immer wiederkehrendes Argument, dass er eine weite und ermüdende Fahrt hinter sich hat bringen (müssen) um ins Dorf zu kommen und deshalb will er sich ja nicht einfach wieder wegschicken lassen.


    Was denkt ihr über diese Müdigkeit und Erschöpfung? - Ich kann sie mir noch nicht wirklich erklären, bin auch erst vor kurzem darauf gestossen, werde mich jedoch bei der weiteren Lektüre stärker darauf achten, denke ich.


    Es grüsst
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo zusammen :smile:


    Gerade habe ich Kapitel 22 ausgelesen. Mein Augenmerk richtet sich in dieser erneuten Lektüre mehr auf die Beziehung Frieda und K. Ist doch interessant, welche Parallelen zu Kafkas Problemen in Bezug auf seine Verlobten im realen Leben zu erkennen sind. Noch im Verlobtenverhältnis machen K. und Frieda schon alle Höhen und Tiefen einer Beziehung durch. Dass Kafka auch im realen Leben Mühe hatte, Bindungen einzugehen, kommt nicht von ungefähr. Als Vielträumer hatte er da sicher einiges geträumt, das er stofflich im Schloss verarbeiten und ausweiten konnte.


    Da ich selbst Vielträumerin bin und weiss, wie ergiebig Träume sein können, komme ich zum Schluss, dass Kafka sich sehr stark auf seine vielen Träume abstützte und diese weiterverarbeitete und miteinander verknüpfte. Wer sich mit Träumen auskennt, kann auch jederzeit traumtypische Situationen erfinden oder Träume miteinander zu etwas Grösserem verschmelzen oder in Träume "einsteigen" und diese weiterträumen (gibt es sogar als Therapien).


    Kafka litt darunter, dass seine Romane nicht mehr authentisch waren, d.h. er wollte also möglichst echte Träume verarbeiten und bewusste Bearbeitung empfand er als weniger originär. Manche Traumsequenzen finden sich übrigens auf ähnliche Weise in meinen Träumen wieder, deshalb bin ich auch ganz sicher, dass Kafkas Quelle seine Träume gewesen sein müssen. Ausserdem spricht er selbst von Traumleben etc.


    Die Müdigkeit würde ich als unverwischtes Merkmal der Traumübergänge sehen, hat aber sicher auch die Bedeutung von Lebensmüdigkeit und Unbewusstheit. Man merkt, wie gut Kafka die Traumarbeit durchschaute, wie sehr er sich damit auseinandergesetzt hatte.

  • Hallo zusammen


    Ich befinde mich mitten im Kapitel fünfzehn, also der Geschichte der Familie Barnabas. Besonders hier habe ich nicht das Gefühl eines Traums, hier wird meiner Meinung nach fast klassisch ein Schicksal erzählt, so wenig merkwürdig, so stimmig im Umfeld. Die Erzählung Olgas bringt K. weiter, sie zeigt ihm, wie die Umstände im Dorf sind, wie verschieden man Tatsachen interpretieren/auffassen kann. Dies wiederum gilt natürlich nicht nur im Dorf, sondern auch in unserem Leben.
    Für mich zeigt diese Geschichte sehr schön, dass Moral- und Sittevorstellungen etwas historisch gewachsenes und deshalb auch ortsgebunden sind, weshalb es Mühe bereiten kann, andere Kulturen, ander Sitten wirklich zu verstehen.


    Ich bin noch immer auf der Suche nach der Bedeutung der Müdigkeit, der Erschöpfung, mir kommt es vor, als sei dies ein Motiv, nicht unverwischte Arbeitsspuren, natürlich auch Lebensmüdigkeit und Unbewusstheit, aber andererseits passt Lebensmüdigkeit nicht immer, wenn K. zum Schloss wandern will und sich dabei erschöpft, so hat dies für mich nicht unbedingt etwas von Lebensmüdigkeit, eher hat die Müdigkeit den Charakter eines Hinderungsgrundes, etwas das überwunden werden sollte!


    Es grüsst
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo, Alpha!



    Danke für Deine ausführliche Antwort. Ich hatte schon befürchtet, so etwas loszutreten. Ich hoffe, ich kann die Angelegenheit mit meiner Antwort jetzt klären:
    Erstmal, ich habe Herrn Politzer (danke für die Info!) überhaupt nicht mit irgendwelchen Attributen belegt (Konjunktiv: es ist geschrieben, als wäre...), die Wortwahl war möglicherweise dennoch zu harsch.
    Was ich damit sagen wollte ist, daß es meiner Ansicht nach nicht sinnvoll ist (außer man hat wirklich nichts anderes zu tun), sich mit jedem kleinen Detail des Werkes so ausgiebig spekulativ auseinanderzusetzen. Möglicherweise Unterschätze ich die Bedeutung von "Westwest" dabei, und wenn Herr Politzer hauptsächölich die "wichtigen" Aspekte des Romans beschrieben hat, tue ich ihm vollkommen unrecht.
    Hat er sich denn zu dem Müdigkeits- bzw. Erschöpfungsphänomän geäußert? Mir ist das beim Lesen auch stark aufgefallen, und ich halte das für einen wichtigereren Aspekt.


    Mein Gedanke dazu: K.s anfängliche Erschöpfung und Müdigkeit resultiert aus starken Anpassungsschwierigkeiten und Überforderungen. Mit dem Dorf betritt er quasi eine neue Welt, einen neuen Lebensabschnitt, in dem - trotz vorgetäuschter Souveränität - alles neu für ihn ist und auf den sich sein Bewußtsein erst einstellen muß. Dadurch ist er schnell überfordert, was sich psychosomatisch als Ermattung und Erschöpfung äußert. Hier wurden ja schon Vergleiche mit Manns "Zauberberg" gezogen. Dort ging es Neuankömmlingen ähnlich, wobei bei Mann ein realer, wissenschaftlich begründbarer Zusammenhang vorliegt, bei Kafka das ganze eher symbolisch zu sehen ist: Die Nähe zum Schloß, zum Ziel beflügelt zwar die Ansprüche, die neue "Atmosphäre" bewirkt aber "Atemprobleme".
    Es gibt noch einen zweiten Aspekt, nämlich die Krankheit als Konsequenz von körperlicher Erschöpfung durch große Anstrengungen, verbunden mit einer gewissen "Lebensmüdigkeit". Sowohl die Wirtin als auch der Gemeindevorsteher haben viele Anstrengungen und ein hartes Ringen hinter sich, vor ihnen ist aber kaum eine Möglichkeit in Sicht, ihren Status zu verbessern. Da es für sie sonst keine ideellen, anstrebenswerten Dinge gibt, kann das zu einer bewußt oder unbewußt resignativen Einstellung führen, die sich psychosomatisch als Krankheit äußert.


    Solange ich nichts besseres irgendwo lese oder mir nichts besseres einfällt, muß ich mich mit diesen Erklärungen zufrieden geben. Mir scheint aber, daß da noch mehr dahinterstecken könnte.


    Viele Grüße,
    Pius.