März 2005: Geoffrey Chaucer - Canterbury Tales

  • Hallöchen,


    kurze Zwischenmeldung. Der Job hat mich in seinen unbarmherzigen Klauen, deshalb komme ich im Moment kaum weiter. Bin immer noch in der Geschichte des Rechtsanwalts.
    Regina,
    ich finde auch, dass Martin Lehnert in der Inselausgabe übersetzungsmäßig seine Sache recht gut gemacht hat. Er entfernt sich inhaltlich nicht zu sehr vom Original (sofern ich das mit meinen geringen Kenntnissen anhand der mittelenglischen Texte in der Reclam-Ausgabe einschätzen kann), schreibt in schönen flüssigen Reimen und Metren und lässt den Witz des Originals hervorschimmern. Auch der Anmerkungsteil ist wirklich gut und nicht so willkürlich wie man das leider häufig findet.


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "finsbury"

    kurze Zwischenmeldung. Der Job hat mich in seinen unbarmherzigen Klauen, deshalb komme ich im Moment kaum weiter. Bin immer noch in der Geschichte des Rechtsanwalts.


    Schliesse mich an, sorry. Aber es wird sich bald bessern, der Start ist immer stressig!


    Mir scheint, die Geschichte des Rechtsanwaltes ist stilistisch anders, ich habe (in der neuenglischen Übersetzung) kein Wort verstanden. Oder war ich einfach nur müde?


    Zitat von "Regina"

    ...denn wenn ich die schönen Reime der Inselausgabe bei euch lese, habe ich schon gar keine Lust auf die kunstlose wörtliche Übersetzung in der Goldmannausgabe.

    So geht es mir mit der Winkler Dünndruck-Ausgabe, die Übersetzung von Adolf von Düring, 1883 - 86, gefällt mir gar nicht. Nicht besonders nah am Original (störend, wenn man sie als Übersetzungshilfe brauchen möchte), und immer wider holprige Verse :sauer:


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo, Stressteiler,


    ein bisschen weiter bin ich jetzt, dem Wochenende sei Dank. Constanze ist nun glücklich als Witwe in Rom beim Papa. Diese Erzählung, naja... . Das war mir alles ein bisschen zu tugendhaft.
    Laut Lehnerts Ausführungen ist das Ellesmere-Manuskript also die beste Vorlage, aber sicher ist die Reihenfolge nicht. Es gibt ja auch keinen passenden Übergang zur Frau von Bath, aber nach dem - auch von dir,
    Maja :winken: genannten Prinzip der Erwiderung- passt das hiereher wie die Faust aufs Auge. Wenn das kein schöner Kontrast ist, erst dieses blutleere Tugendbündel Constanze und nun die selbstbewusste, männerverheizende mittelalterliche Dame, die sich kein Gramm Butter vom Brot nehmen lässt. Ich nehme mal an, Chaucer hatte selbst besonderen Spaß an dieser Figur, weil dieser Prolog ja ausufernd lang ist, länger als die Erzählung selbst.
    Stecke noch in dem Prolog und genieße jeden Vers. Nächste Woche
    wird's wieder eng.


    HG
    finsbury

  • Hallo Chaucerianer!


    Die Erzählung des Rechtsanwalts hat mich wieder deutlich stärker interessiert. Einerseits die religiöse Thematik und die Darstellung des Islam (kombiniert mit dem klassischen Motiv der bösen Schwiegermutter). Andererseits kommt Konstanze ja für mittelalterliche Verhältnisse geographisch weit herum :-)


    Der Islam wird aufgrund der Intrige schurkisch dargestellt, was ebensogut zum Zeitgeist des 14. Jahrhunderts passt wie zum unserigem. Die zweite böse Schwiegermutter in der Geschichte ist ja auch eine Heidin, so dass man eigentlich schon von einer christlichen Propagandaerzählung sprechen kann. Das happy end für die braven Neu- und Altchristen rundet das Bild schön ab.


    Christliche Tugenden werden auch regelmäßig gepriesen:


    O schnöde Wollust, sieh hier, wie du endest!
    Du läßt nicht nur die Geisteskräfte schwinden,
    Es ist gewiß, daß du den Leib auch schändest.
    Das Ende deines Werks und deiner blinden
    Gelüste ist die Klage [...]

    [V. 925ff.]


    Zur Erzählung der Frau von Bath:


    Hochgradig verblüfft hat mich die lange Rechtfertigungsrede der Frau von Bath im Prolog, die meinem Eindruck nach nur noch wenig Mittelalterliches an sich hat. Die Gute ist sich durchaus ihre individuellen Rolle im Leben bewusst und hat auch ausführlich über ihr Lebenskonzept nachgedacht. Pikant auch ihre innovativen religiösen Interpretationen, die sie mit Bibelstellen belegt. Etwa zum Thema Ehe:


    Denn der Apostel sagt, von Gottes wegen
    Steht meiner Wahl zum Frein nichts entgegen,
    Er heißt uns Heirat nicht als Sünde meiden.

    [V. 49ff.]


    Die Erzählung selbst enthält dann auch eine vergleichsweise moderne psychologische Komponente. Sowohl was die Lösung des Rätsels angeht als auch dass überhaupt nach einem psychologischen Motiv explizit gesucht wird. Das ist mir bisher in der mittelalterlichen Literatur noch nicht begegnet.


    Weiter las ich bisher nicht, werde ich aber in den nächsten Tagen.


    CK

  • Entschuldigt, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Leider befinde ich mich zur Zeit in einer stressigen Periode. Zum Lesen bin ich zwar noch gekommen, aber nicht mehr zum Schreiben.


    Zur Geschichte des Rechrsanwalts:
    Die fand auch ich interessanter, allerdings störte mich anfangs der Wechsel des Versmaßes.
    Im Prolog faszinierte mich die Beschreibung der Qualen, die Armut mit sich führt:

    O hateful grief to suffer indigence
    By hunger, thirst and cold to be confounded
    To feel heart's shame at asking a few pence
    (...)
    Better to die than live in indigence
    Such as your next-door neighbour will despise
    (...)
    If you are poor your very brother hates you

    Allerdings wird deutlich, aus welcher Perspektive der Rechtsanwalt Armut betrachtet: aus der des Wohlhabenden, der darauf achten muss, sein Geld nicht zu verlieren, denn dann wird er verachtet und vom Bruder gehasst, und wäre besser tot.
    Also, ihr Leute mit Geld, nehmt euch in Acht!


    Zur Erzählung: einige Sachen sind mir besonders aufgefallen
    - die Leichtigkeit, mit der der Sultan konvertiert, nur weil er sich unsterblich (eigentlich sterblich, da lebensbedrohlich - My life is jeopardized) verliebt hat. Liebe über alles!
    - die bösen Schwiegermütter, zu allen Schandtaten bereit, noch schlimmer als Grimms extremste Beispiele. Aber natürlich, sie sind ja Heidinnen.
    - das Verständigungsproblem wird angesprochen.
    Latin she spoke, of a degenerate kind,
    But all the same she made him understand

    Da hat man einerseits eine völlig märchenhafte, unrealistische Geschichte (Jahrelang in einem kleinen Boot über die Weltmeere treibend) und mitten drin eine extrem realistische Kleinigkeit, an die viele wohl in diesem Zusammenhang nicht denken würden - verblüffend.
    - der Name das Königs von Northumberland Alla, der zum Christentum konvertiert. Der ließ mich an Allah denken. Soll vielleicht auch er Christ werden?
    - Sex wird von Ehefrauen "erlitten", nicht genossen
    They went to bed, as reason was and right,
    For wives, albeit very holy things,
    Are bound to suffer patiently at night
    Such necessary pleasures as the King's,
    or others who have wedded them with rings.

    Ehefrauen haben also kein Vergnügen an Sex, so lange sie "treu" sind. Erst bei Ehebruch (siehe Geschichte des Müllers) ändert sich das. Verheiratete Frauen sind "Heilige", Ehebrecherinnen natürlich "Huren". Auch im 14. Jahrhundert.
    - Happy End? Zwar schon eine glückliche Wiedervereinigung, aber nur für kurze Zeit:
    For death, (...)
    After a year had passed, or even less,
    Called for this king


    Grüße,
    Saltanah

  • Nach der Geschichte des Rechtsanwalts kommt in meiner Ausgabe die Geschichte des Schiffsherrn, die laut Anmerkung eventuell erst als Geschichte der Frau aus Bath geplant war, bis Chaucer für sie ein noch besseres Thema fand.
    Der Schiffsherr liefert das perfekte Gegenprogramm zu der überaus christlichen Erzählung des Rechtsanwalts. Hier wird mal wieder ehegebrochen, und zwar sogar von einem Mönch, der sich gleichzeitig auch auf dem Finanzsektor als Betrüger erweist; dies könnte eine Antwort auf den Prolog des Rechtsanwalts sein (Gefahr zu verarmen durch betrügerische Machenschaften eines "Freundes").
    Hier würde mich interessieren, wieviel die "100 Franc", die der Mönch geliehen hatte, in heutigem Geldwert sind. Wie üblich fehlt mir die gewünschte Fußnote.


    Als nächstes folgt die Geschichte der Priorin.
    Die Überleitung gefiel mir. Der Gastgeber (Host) sagt zur Geschichte des Schiffsherrn
    Well, shut your door
    Against all monks!...What next?
    (...)
    My Lady Prioress
    , jetzt bist du dran.
    Was wird sie wohl als Antwort auf einen ehebrechenden, betrügenden Mönch bringen?


    Und sie antwortet wirklich, wie es einer Priorin gebührt:
    Sie erzählt von den Urfeinden des Christentums, schlimmer als die schlimmsten Moslems oder Heiden allgemein, natürlich von den Juden. (Ich hoffe, ihr versteht meine Ironie)


    Besagte Juden ermorden ein 7-jähriges Kind, das ein christliches Lied zum Lobe Marias singt, und werfen die Leiche in die Kloake. Die verzweifelte Mutter sucht das Kind, hört und findet die Leiche, die weiterhin singt, woraufhin die Juden gefangen genommen und gevierteilt werden:
    Evils shall meet the evils they deserve,
    ein perfektes Beispiel christlicher Nächstenliebe, und gute Illustration des Spruches von der rechten und der linken Wange.


    Weiß jemand, wer
    Hugh of Lincoln, likewise murdered so
    By cursed Jews
    war?


    Nein, diese Geschichte hat mir nicht gefallen. Das einzige, was mich beeindruckt hat, war die Beschreibung der verzweifelten Mutter, die ihr Kind sucht:
    Whithin her breast her mother's pity closed,
    She went about as one half out of mind
    To every place in which, as she supposed,
    There was some likelihood for her to find
    Her child


    Als nächstes kommt Chaucers Geschichte von Sir Topaz.
    Hoffentlich komme ich diesmal schneller dazu, wieder was zu schreiben.


    Saltanah

  • Hallo zusammen,


    ich bin jetzt mit der Frau von Bath fertig, deren Prolog mir bisher von allen Stücken am besten gefallen hat. Auch die Erzählung ist nett, wenn auch, wie ja häufig im mittelalterlichen Schrifttum, didaktisch überladen.


    Lustig fand ich, dass die Zwangsehefrau ihrem Mann, nachdem er ihr Souveränität und Führungsanspruch in der Ehe gewährt hat (V.1230 ff), sich nun in eine tugendhafte, schöne und gehorsame Ehegattin verwandelt:


    Und sie gehorchte ihm in allen Stücken,
    Die ihn erfreuen mochten und beglücken
    . (V.1255 f)


    Es ist wohl vor allem auf das Bett gemünzt, wo die Gattin, wie du schon angeführt hast , Saltanah, wohl aufs Erdulden beschränkt war.


    Bei mir kommt jetzt die Geschichte des Ordensbruders und dann kontrastiv dazu die des Kirchenbüttels. Kann aber dauern, da ich auch weiterhin wenig Zeit für aufwändige Literatur habe. (Ein Krimi o. a. Roman geht halt immer zum Entspannen, der Chaucer braucht mehr Ruhe).


    Schönes Wochenende


    finsbury

  • Saltanah
    Laut den Goldmann-Anmerkungen:
    1255 verschwand ein Junge in Lincoln. Man beschuldigte die Juden, Henry III ließ darauf neunzehn Juden hinrichten.
    Dieser Junge, Hugh, wurde zeitweise als Heiliger in Lincoln verehrt



    Meine Lektüre folgt einem anderen Strang: Ich habe gerade die Wife of Bath abgeschlossen. Enttäuschend, dass nach diesem elaboraten Prolog so ein harmloses Geschichtchen folgt. Immerhin zielen beide auf das Gleiche: Besser ist es, wenn die Frau bestimmt. :smile:


    Ich frage mich, warum das Ende der Geschichte von König Midas Ohren ausgelassen wurde. Konnte Chaucer davon ausgehen, dass seine Leser ihren Ovid kannten oder wollte er sie ärgern?



    xenophanes
    Mir fehlen die Vergleichsmöglichkeiten, um einzuschätzen, wie gut die Erläuterungen bei Goldmann sind. Mir helfen sie immer, mir meiner beschränkten Sichtweise klar zu werden. :breitgrins:
    Würde ich mir heute Chaucer zulegen, würde ich wohl zu der Inselausgabe und einer kommentierten englischen greifen.

  • Hallo zusammen, :winken:
    es gibt mich noch, und ich lese auch noch!


    Ich habe die Geschichte des Rechtsanwaltes und Eure Beiträge gelesen und ein paar Sachen herausgepickt.
    Die Geschichte von Constanze fand ich spannend, aber es gab doch einige unglaubhafte Zufälle und den Schluss fand ich allzu glatt. Auch ist es eher unwahrscheinlich, dass die römische Rachedelegation fast 10 Jahre unterwegs gewesen sein soll, damit sie dann auf dem Heimweg Constanze auffischen kann!


    Verbindung zu den vorangehenden Geschichten: das Rad Fortunas. "O plötzliches Leid, das du immer auf weltliche Freuden folgst". Wobei dann Jesus aber auch für plötzliches Glück sorgen kann...


    Das steuerlose Schiff war im Mittelalter ein beliebtes Bild für die Verletzbarkeit des Menschen. Die Allegorie erfüllte den höchsten Zweck von Literatur, moralische und religiöse Werte zu unterrichten. Die Charaktere darin verkörpern eine Tugend, und je grösser das erlittene Unrecht, desto grösser die Tugend.
    Interessant fand ich, wie der Erzähler beim ersten Lossegeln sagt, er lasse jetzt Constanze segeln und kehre zu seiner Erzählung zurück (321/322 in Goldmann). Da stellt sich einem die Frage "Ja was ist denn nun das Thema?", was die Spannung hebt.


    Ist Euch auch das spezielle Reimschema aufgegallen: A B A B B C C ?


    Zitat von "xenopanes"

    Interessant auch, dass Astrologie dem Glauben entgegen gesetzt wird:


    (schreibst Du neue Rechtschreibung?? :entsetzt: )
    ... und interessant, dass die Astrologie in einer so christlichen Geschichte einen so hohen Stellenwert einnimmt! Vom Scheitern der Ehe bis zum Tod ist alles schon in den Sternen geschrieben.


    Zitat von "xenophanes"

    so dass man eigentlich schon von einer christlichen Propagandaerzählung sprechen kann.


    Die Geschichte ist auch von den Heiligenlegenden inspiriert, die im MA populär waren: Es werden Wunder berichtet, wodurch die Heiden gerade reihenweise bekehrt wurden. Auch typisch für die Legenden: die Versuchung des Bösen (der junge Ritter, der nur Sex mit ihr will).


    Zitat von "Saltanah"

    - das Verständigungsproblem wird angesprochen.
    Latin she spoke, of a degenerate kind,


    Da hat Chaucer wohl seine eigenen Reiseeindrücke formuliert!


    Zitat von "Regina"

    ...wenn ich die schönen Reime der Inselausgabe bei euch lese, habe ich schon gar keine Lust auf die kunstlose wörtliche Übersetzung in der Goldmannausgabe.


    Darin habe ich aus Zeitgründen gelesen. Gut finde ich die wirklich wörtliche Übersetzung, mit deren Hilfe man dann auch das Original versteht.


    Zitat von "Regina"

    Meine Lektüre folgt einem anderen Strang:


    Der Epilog lässt die Geschichte vom Shipman erwarten, und im Ellesmere-Manuskript ist die Reihenfolge auch so (Gruppe B). Wer kam warum mit der Frau von Bath??


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Zitat von "Maja"

    Hallo zusammen, :winken:


    Der Epilog lässt die Geschichte vom Shipman erwarten, und im Ellesmere-Manuskript ist die Reihenfolge auch so (Gruppe B). Wer kam warum mit der Frau von Bath??


    Herzliche Grüsse,
    Maja


    Hallo Maja und alle,


    ja, du hast schon Recht, der Shipman schlösse sich hier logisch an. In dem Kommentar von Lehnert in der Insel-Ausgabe steht dazu:"Das auf das II. Fragment in der Ellesmere-Handschrift nunmehr folgende III. Fragment ... [i]enthält die "Frau von Bath, den Ordensbruder und den Kirchenbüttel..."[/i](Kursives zusammengefasst von mir).
    Ich war daher und nach der Einleitung davon ausgegangen, dass die hier eingeschlagene Reihenfolge die des Ellesmere-Manuskripts sei.


    qXenophanes!! pchallo


    Hast du inzwischen die Ablichtung der Ellesmere- Handschrift? Dann könntest du ja mal nachsehen.


    Ich habe nun den Ordensbruder und Kirchenbüttel durch, die mich nur mäßig begeisterten, typisch derbe Schwänke.


    Interessant fand ich nur die Parallelität beim Kirchenbüttel zwischen Prolog und Erzählung: Die Bettelmönche wohnen in der Hölle im Darmausgang des Teufels und mit Produkten aus dem gleichen Organ wird
    der scheinheilige Bettelmönch in der Erzählung bestraft.


    Es ist immer wieder interessant, dass die Perlen Chaucerscher Schilderungskunst ganz eindeutig in den Pro- und Epilogen liegen, während der Rest, dem Trend des größten Teil der mittelalterlichen Unterhaltungsliteratur folgend antike und Volksstoffe tradiert und kompiliert.


    Habe jetzt mit der Erzählung des Scholaren angefangen und hoffe, am Wochenende ein wenig Ruhe zum Weiterkommen zu finden.


    HG und ein schönes Arbeitswochenende


    finsbury

  • Hallo Chaucerianer!


    Die Erzählung des Ordensbruders las ich gerne, vermutlich weil ich ein literarisches Vorurteil habe, dass auftretende Teufel oft für ausgezeichnete literarische Qualität bürgen :smile:


    Theologisch interessant, dass die Teufel auf die Macht Gottes angewiesen sind:


    Zuweilen werden wir in Gottes Hand
    Als Werkzeug seines Willens wohl verwandt
    Zu manchem Zweck, in mancherlei Gestalten
    Will grad er so mit den Geschöpfen walten.
    Wir haben ohne ihn in dieser Welt
    Nicht Macht, wenn er sich uns entgegenstellt.

    (V. 1483ff.)


    Die Erzählung des Kirchenbüttels ist eine nette Retourkutsche, und die Darstellung eines gierigen Klerikers ist ja gerade in diesen Tagen ein wohltuender Kontrapunkt zur allgegemwärtigen medialen Heuchelei. Ein solider Derbheitsgrad wie auch schon bei früheren Texten der Sammlung.


    Der Scholar schließlich erzählt die bekannte Griseldis-Geschichte, die selbst für spätmittelalterliche Verhältnisse so bieder ist, dass Chaucer nachher einen relativierenden Kommentar einfügt:


    Die Sage lehre nicht, die Frauen sollten
    Griseldis folgen in Ergebenheit,
    Nicht tragbar wäre das, auch wenn sie wollten;
    Vielmehr daß jedermann zu seiner Zeit
    Ausharren soll in Widerwärtigkeit
    Gleichwie Griseldis
    (V. 1142ff.)


    Er deutet die Aussage also in eine allgemeine Empfehlung um: man möge stoisch sein.


    Eine so blinde und demütige Liebe im Angesicht von Brutalität und Ungerechtigkeit ist an sich schon schwer erträglich. Das happy end macht es naturgemäß nicht besser.


    Nicht, dass es nicht schöne Stellen gäbe:


    Doch solche Leute trifft man oft im Leben,
    Die, wenn sie einen Vorsatz erst gefaßt,
    Daran mit solchem Starsinn kleben,
    Als ob sie gleichsam fest an einen Mast
    Gebunden wären.

    (V. 701ff.)


    Populismus-Kritik:


    "O windiges Volk! So haltlos, ungetreu!
    Unstet und wechselnd wie ein Wetterhahn!
    Du freust dich jedes Rummels, ist er neu,
    Du schwillst wie der Mond bald ab, bald an,
    stets schwatzend, doch kein Deutwert ist daran!
    Falsch ist dein Urteil, schwankend, niemals fest;
    Der ist ein Narr, wer sich auf dich verläßt."

    (V. 995ff.)


    Die Erzählung des Kaufmanns schildert eine missglückte Ehe zwischen einem Greis und einer jungen Frau. Dessen Predigten über die Tugenden der Ehe stehen in krassem Gegensatz zu seinem Verhalten, was erzähltechnisch raffiniert durchgeführt ist.
    Das Eingreifen Plutos und Proserpinas fügen auch noch eine mythologische Ebene hinzu. Kurz die kunstvollste Geschichte seit der des Ritters.


    CK


  • Hallo Xenophanes u.a. Chaucerianer,


    ich bin ja nun weiß Gott :smile: kein Theologe, aber ist es nicht eine allgemein verbreitete Auffassung, dass der /die Teufel als gefallene
    Engel als Werkzeug Gottes fungieren?
    Schließlich ist nach Meinug der Christen u.a. monotheistischer Religionen letzterer doch der oberste Chef und daher regierungsverantwortlich.


    Neugierig
    finsbury


    PS.: Bin immer noch beim Scholaren und erdulde Griseldis' unglaubliche
    Opferbereitschaft. Sie sollte mit Constanze einen Club aufmachen.

  • Zitat von "finsbury"


    PS.: Bin immer noch beim Scholaren und erdulde Griseldis' unglaubliche
    Opferbereitschaft. Sie sollte mit Constanze einen Club aufmachen.


    Den Club der Dulderinnen. :breitgrins:
    Die Griseldisgeschichte ist schwer verdaubar. Am liebsten würde ich ins Buch springen und mir Walter vorknöpfen und Griseldis eine Standpauke halten. :smile:

  • Zitat von "finsbury"


    Hast du inzwischen die Ablichtung der Ellesmere- Handschrift? Dann könntest du ja mal nachsehen.


    Habe inzwischen herausgefunden, dass die Österreichische Nationalbibliothek das Faksimile besitzt. Werde es mir spätestens in der ersten Maiwoche dort ansehen.


    Gestern außerdem gekauft:


    Wolfgang Riehle: Geoffrey Chaucer (rororo monographie).


    CK

  • Hallo,


    der Job verlangt nach eigener Lektüre. Außerdem tötet mir Grsieldis den letzten Nerv, komme also im Moment nicht weiter.
    Versuch aber, möglichst bald die Tugendboldin ad acta zu legen und zu interessanteren Erzählungen vorzudringen.


    Saltanah, :winken:


    du deutest ja schon auf interessante Texte hin. Na, hoffentlcih bin ich dann bald motivierter.


    HG
    finsbury