Hugo von Hofmannsthal

  • Zitat

    "Mein Fall ist, in Kürze, dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken und zu sprechen." Hugo von Hofmannsthals "Chandos-Brief" (1902) ist der poetologische Schlüsseltext der deutschsprachigen Moderne. In einem fiktiven Brief läßt Hugo von Hofmannsthal Lord Chandos den "gänzlichen Verzicht auf literarische Betätigung" begründen. Die abstrakten Worte und Urteile entziehen sich ihm, sie zerfallen "im Munde, wie modrige Pilze". Symptomatisch verzeichnet dieser Text, was als "Sprachskepsis" und "Bewusstseinskrise" sich zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg in den Künsten und in der Philosophie artikuliert hat. Hugo von Hofmannsthal hat den "Chandos-Brief" als Teil seiner "erfundenen Gespräche und Briefe" angesehen, zu denen auch "Über Charaktere in Roman und Drama" und das "Gespräch über Gedichte" gehören.


    Quelle: S. Fischer Verlag


    Mich hat der Text erstaunt. So sprachgewaltig über das Nicht-Sprechen-Können zu schreiben gefällt mir sehr. Auch die anderen "erfundenen Gespräche und Briefe" gefielen mir; neben dem Chandos-Brief besonders auch das "Gespräch über Gedichte". Der Chandos-Brief gehört mit zu dem Eigenartigsten, was ich bisher las. Er ist besonders auch eine Rückbesinnung auf die vielen kleinen und schönen Dinge, die uns umgeben und eigentlich unsere Phanstasie viel stärker ansprechen müssten. Er erinnert mich ein wenig an Hesses Auffassungen über die Natur und die Dinge und deren Wert für uns. Was macht diesen Brief aber zu einem Schlüsseltext für die deutschsprachige Moderne? Da bin ich mir noch nicht ganz im Klaren. Ich werde den Brief nochmals lesen, diesmal mit Notizen und in mich gehend, reflektierend. Vielleicht kann ich die Antwort auf meine Frage selbst finden.


    Merkwürdig fand ich auch "Jedermann". Alter und klassischer Stoff mit einer eigentümlichen, etwas dialekthaften Sprache in Strophenform als Stück mit biblischem Hintergrund als Lehrstück auf die Hofmannsthalsche Gegenwart bezogen - das wirkte doch anfangs irritierend auf mich. Dennoch finde ich das Stück stilistisch gelungen und das Thema immer noch sehr aktuell. Die Charaktere sind wunderbar dargestellt, einige Strophen sind wirklich köstlich. Ein Stück zum verlieben und wiederlesen, ganz bestimmt.


    Und die Erzählungen? Das Reiterstück wurde mir andernorts besonders empfohlen. Also sollte ich mir eine Ausgabe Hofmannsthalsscher Erzählungen anschaffen. Oder lieber erst eine Ausgabe der Gedichte? Vielleicht aber doch lieber der Erzählungen...


    Soweit mein heutiges Selbstgespräch über Hugo von Hofmannsthal... FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen!


    Ja, der Chandos-Brief ... Auch seine Lyrik: Was da der 18-Jährige geschaffen hat, gehört zum Besten der deutschen Sprache ...


    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Also sollte ich mir eine Ausgabe Hofmannsthalsscher Erzählungen anschaffen. Oder lieber erst eine Ausgabe der Gedichte? Vielleicht aber doch lieber der Erzählungen...


    Hm. Gibt's die Gesamtausgabe als Fischer-TB denn nimmer?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Danke sandhofer,


    also kann ich nichts falschmachen, weder mit den Erzählungen, als auch mit den Gedichten. In der Tat gibt Fischer eine Taschenbuch-Ausgabe heraus, neu gestaltet. Mein Brief des Lord Chandos ist aus dieser Reihe. Der "Jedermann" ist aus der dtv-Bibliothek der Erstausgaben-Reihe. Die beiden deutschsprachigen Buchhandlungen vor Ort sind recht klein und haben immer nur eine Auswahl vor Ort und da kaufe ich eben, was da ist. Aber ich könnte ja auch bei ihnen bestellen, das stimmt. Also der Chandos-Brief ist doch ein ganz eigenartiges Stück Literatur...


    Wochenendgrüße in die Runde!


    FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • allen hofmannsthal-interessierten möchte ich an dieser stelle die sophokles-adaption (aber durchaus "von eigner, unentweihter schöne / und keines andern nachhall, wiederklang") "elektra", eines der interessantesten - nicht zuletzt auch im hinblick auf die im chandos-brief thematisierte sprachkrise - und leider zu wenig gekannten deutschsprachigen dramen.


  • Mit diesem schönen Gedicht grüße ich euch, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hugo von Hofmannsthal: Jedermann (UA Berlin 1911)


    Dieses durch die Salzburger Festspiele weltberühmt gewordene Drama (Aufführung vor dem Dom seit 1920) des Wiener Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) trägt den Untertitel „Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ und ist die sehr freie Nachdichtung eines englischen Dramas aus dem 16. Jahrhundert, wobei sich der Autor noch einige andere Anregungen aus einem Hans Sachs-Drama und anderen unterschiedlichen europäischen Schauspielen vergangener Jahrhunderte geholt hat.


    Zum Inhalt
    Im Vorspiel spricht Gott, der von den Menschen und ihrer Nichtachtung des Glaubens und seiner Gebote erzürnt ist , mit dem Tod und fordert ihn auf, Jedermann (sic!) vor sein göttliches Gericht zu bringen.


    Dieser, der reiche Bürger Jedermann hat seine Freunde, Verwandten und Geliebte „Buhlschaft“ zu einem Bankett mit Musik und Gesang eingeladen. Vorher begegnet er noch einem armen Nachbarn und seiner Mutter. Dabei wird klar, dass er kein Herz für die Armen hat und die Vorwürfe seiner Mutter, dass er kein gottgefälliges Leben führe und die Ewigkeit bedenken solle, auf die leichte Schulter nimmt. Während des Banketts überkommen ihn merkwürdig Ahnungen, die seine Geliebte und die Trinkgenossen nicht nachvollziehen können. Doch plötzlich erscheint der Tod, kündigt ihm sein Ende und das göttliche Gericht an. Der verzweifelte Jedermann sucht unter seinen Gefährten jemanden, der ihn auf diesem letzten Gang begleitet. Aber alle wenden sich schaudernd ab und flüchten. Allein gelassen und vom Tod mit einem kleinen Aufschub bedacht, beschließt der zum Tode Verurteilte, wenigstens seine irdischen Güter mit ins Grab zu nehmen, wird aber von Mammon, der seiner Geldtruhe entsteigt, ausgelacht, denn dies alles bleibt im Diesseits, ist für immer verloren . Verzweifelt und nun völlig allein wird Jedermann von einer weiblichen Allegorie angesprochen, seinen Werken. Da er kaum etwas Gutes vollbracht hat, ist sie entsprechend schwach. Als aber Jedermann endlich Anzeichen von Reue und Einsicht zeigt, begleiten sie und ihre Schwester Glauben Jedermann zum Grab. Dort wartet der Teufel auf ihn, wird aber durch die beiden Allegorien abgewiesen. Jedermann habe zum wahren Glauben zurückgefunden und sei gerettet.


    Stil und meine Meinung

    Das Drama ist im archaisierenden Stil eines Mysterienspiels verfasst und meist in Knittelversen gereimt. Hofmannsthal wollte damit seinen Mitmenschen grundlegende Werte in ihrer abendländischen Tradition vermitteln.


    Ich kann mir vorstellen, dass das Stück vor der historischen Kulisse des Doms in Salzburg großen Eindruck erweckt, als Lesedrama hat es mich nicht überzeugt. Es wirkt auf mich künstlich archaisierend, und wenn die Literaturkritik dem Drama auch eine gültige überzeitliche Aussage über das falsche menschliche Streben attestiert, finde ich es doch sehr stark religiös gebunden und auch am Ende die Rettung der Seele von Jedermann als viel zu einfach erzielt. Das ist mein erster Text von Hofmannsthal und ich hoffe, mit den anderen mehr anfangen zu können.