Januar 2005: Heine - Deutschland. Ein Wintermärchen

  • Hallo,


    was mir an Heines Reiseroute auffiel, ist, dass er seine Geburtsstadt Düsseldorf unberührt läßt. Was mag das für Gründe haben? Wollte er die Düsseldorfer schonen (und lieber über die Erzfeinde in Köln lästern)? Oder war ihm die Stadt mit dem Umzug der Familie nach Hamburg egal geworden? War er dort und hat nichts darüber geschrieben?
    Nettes Buch dazu gefunden: Lexikon der Städtebeschimpfungen:


    http://rhein-zeitung.de/on/02/…taedtebeschimpfung.html?a


    In Caput IV gelangen wir also nach Köln. Anfangs ist die Stimmung dank des Rheins und Weins heiter. Dann geht es hinab in die Geschichte (mit Scheiterhaufen, auf denen Menschen und Bücher verbrannt wurden) und zum Dom, dessen Nichtvollendung symbolisch für das ungeeinte Deutschland stehe. Er soll nicht nur nicht fertiggebaut werden, sondern auch zweckentfremdet als Pferdestall. Und die Reliquien der Heiligen Drei Könige werden auch rausgeschmissen (und alle anderen Könige auch?). Dabei hat auch Heine zunächst für den Weiterbau gespendet, bis er mit der Politisierung des Projekts durch die Reaktion und Preußen nicht mehr einverstanden war.


    Gruß
    Holk

  • Hallo zusammen,


    @ Imrahil:

    Zitat von "Imrahil"

    Maja: Nein, ich habe keine Erläuterungen, daher auch keinen Schimmer, dass es sich um den Riesen Antaios handelt, aber vielen Dank für die Berichtigung! Was für Erläuterungen hast Du denn?


    Es war nicht als Berichtigung gedacht, eher als Bereicherung :breitgrins: :zwinker:
    Ich habe die Tendenz, in der Bibliothek alle verfügbare Sekundärliteratur einzusammeln, (was Vor- und Nachteile hat, aber das ist ein anderes Thema), und nun liegen da Königs-Erläuterungen, Reclam und Diesterweg rum.
    Halte Dich ja nur nicht mit Fragen und Vermutungen zurück, ich finde, es ist doch gerade der Vorteil einer Leserunde, dass jeder zu einem anderen Bereich etwas beisteuern kann. Der eine hat eine Biographie gelesen, ein anderer liefert Worterläuterungen, ein dritter historische Hintergründe, ein vierter liest genau und stellt viele Fragen, etc.


    Zitat von "Holkenäs"

    ...zum Dom, dessen Nichtvollendung symbolisch für das ungeeinte Deutschland stehe.


    Interessanter Gedanke!
    Dazu habe ich noch folgendes gelesen: Es sei Friedrich Wilhelm IV mit seinem Engagement für den Weiterbau des Doms nicht primär um religiöse Ziele gegangen, sondern um eine politische Demonstration: die Fortschreibung des Gottesgnadentums des Kaisers.
    Die Zerschmetterung der Königsskelette zerstöre die historische Basis religiös legitimierter Herrschaft.


    Dass Düsseldorf ausgelassen wird, ist mir nicht mal aufgefallen! Vermutlich geht es ihm nicht so sehr um die Städte(-beschimpfungen), sondern um Aufhänger für zeitkritische Themen. Was hätte sich da in Düsseldorf angeboten?


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen,


    Hhm, ich denke auch, dass der Dom zu Köln literarisch geeigneter war, gerade mit dem Motiv des ungeeinten Deutschlands, Holkenäs.
    Kenne aber Düsseldorf auch kaum, war noch nie dort.


    Zum Schluss des Caput IV zieht Heine ja wirklich deftig über dir Kirche her, also dass die heiligen(!) drei Könige sich nicht richtig aufgeführt haben und Gäuche sind, dass könnte der ein oder andere Kleriker durchaus als Blasphemie aufgefasst haben.
    Es ist Heine vermutlich hoch anzurechnen, dass er trotz der Missgunst vieler Deutschen ihm gegenüber weiterhin kaum ein Blatt vor den Mund nimmt und weiter kritisch und ironisch seine Meinung niederschreibt. Natürlich hat er in den vorherigen capita auch seine Verbundenheit mit D aufgezeigt, aber er trotzdem auch schon mehrfach kritisiert.


    Imrahil

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo zusammen,


    Die Köln-Kapitel bilden den ersten von drei grösseren Knotenpunkten. Sie beginnen mit Kritik am Domweiterbau und einer Klage des Rhein. Darauf stellt sich der Erzähler in eine Reihe mit Paganine, Napoleon und Sokrates, indem er wie sie einen Geist als Begleiter haben will. Ein bisschen grössenwahnsinnig, scheint mir!
    Hier in Köln stört ihn dieser Geist plötzlich, der ihn früher beim Schreiben nie störte. Was bedeutet das?? :confused:


    In Caput VII der erste Traum, den ich mir auch nicht so recht erklären kann. Das Bestreichen der Türpfosten als Todeszeichen steht im Gegensatz zur jüdischen Überlieferung. Doch warum blutet sein Herz?? Warum bringt er den Tod?


    Verwirrte Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen,


    Gut Maja, dass Du jetzt einen etwas schnelleren Rhytmus anschlägst, ich schliesse mich dem an. Deswegen können ja immer noch alle aufgeworfenen Fragen diskutiert werden!


    Caput V: Ja, hier wird der auch der "geistige Kampf" um den Rhein deutlich, da Alfred de Mussets Rheinlied ja eine unmittelbare und spöttische Antwort auf Niklaus Becker Lied ist. Im Grunde genommen kritisiert er dabei sowohl die Deutschen als auch die Franzosen, die beide negative Entwicklungen genommen haben, seht ihr das auch so?


    Caput VI: Ich gebe Dir Recht Maja, mich hat es auch überrascht, dass sich der Erzähler quasi in eine Reihe mit Napoleon, Paganini und Sokrates stellt. Denn der Erzähler und Heine sind ja im Prinzip ein und derselbe...


    Was ist der Geist eigentlich? Eine Mischung zwischen Vernunf mit Entscheidungskraft (wegen des Richtbeiles) und Gewissen?
    Der Geist sagt ja selbst, Maja, dass er nur dann "stört", wenn "Weltgefühle spriessen". Heine deutet diese Zeit ja als Zeit des Umbruchs, zumindest möchte er einen Umbruch sehen, oder?


    Caput VII: Zunächst lobt er Deutschland ja wieder in allen Tönen., bis dann der sehr düstere Traum folgt. Warum das Herz blutet weiss ich auch nicht zu deuten, aber ich denke er bringt den Tod nicht im normalem Sinne, sondern übertragen, er tötet den Aberglauben (wird ja in der zweitletzten Strophe erwähnt), was wieder mit den heiligen drei Königen in Zusammenhang steht, wo er sich ja wieder einmal stark "blasphemisch" und bissig spöttisch gibt :-) Das hat mir gefallen.


    Caput VIII: Was ist die "Beichais"? Er verlässt ja nun Köln und erwähnt, dass ausser Hoffnung nichts gewesen ist, die Freiheit ist nicht eingetreten. Danach erkennt man Heine als Napoleonsympathisant? Warum eigentlich? Weil dieser das Volk begeistern konnte und aus der Lethargie befreite?


    Caput IX: Hhm, zuerst treffen wir auf kulinarische Genüsse, bei welchen Nostalgie aufkeimt, aber letztlich bleibt die Feststellung, dass eben doch alles stagniert ("noch immer") oder soll das positiv gemeint sein?


    Caput X: Was mir hier gefällt oder aufgefallen ist, ist das folgende:
    "Bewahre dich vor Krieg und Ruhm,
    Vor Helden und Heldentaten"


    Einerseits unverständlich, wenn man Heines Sympathie zu Napoleon (ein "Held") berücksichtigt, aber andererseits plausibel, weil Helden auch immer Feinde und Neider mit sich bringen.


    Soweit erstmal,
    Imrahil[/quote]

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo,


    das Erhöhen der Kapitelschlagzahl kann wirklich nicht schaden.


    das mit Düsseldorf war nur so ein Gedanke. Nicht nötig, weiter herumzuspekulieren, warum er es nicht erwähnte.


    Caput V:

    Zitat

    Im Grunde genommen kritisiert er dabei sowohl die Deutschen als auch die Franzosen


    Ja, sehe ich auch so. Heine macht beide Seiten lächerlich.

    Zitat

    Sie werden Philister ganz wie wir
    Und treiben es endlich noch ärger


    Papi Rhein wird in der letzten Strophe übrigens auch das "bessere Lied" versprochen und ein Bogen zu Kapitel 1 geschlagen.


    Caput VI: Paganini, Sokrates und Napoleon sind wohl Repräsentanten für die Kunst, das Denken und die Politik.
    Der Geist erscheint ihm vielleicht nur auf deutschem Boden, denn er taucht ja nach vielen Jahren wieder einmal auf.
    Dreht sich wohl auch um das Verhältnis von Theorie und Praxis.


    Gruß
    Holk

  • Hallo zusammen,
    unterdessen habe ich mit der Sekundärliteratur aufgeholt und sehe nun ein wenig klarer.
    Erst mal ganz allgemein: das Wintermärchen bewegt sich auf 4 Ebenen hin und her:
    1. (äusserste Ebene) Reisesituation, Ereignisse
    2. Konkrete Anspielungen auf histor. Ereignisse/Personen
    3. Reflexionen ders Erzählers zu aktuellen polit. Themen
    4. Theorie von "Gedanke und Tat".


    Die rätselhafte "Geistgeschichte" von Caput 6 und 7 ist nun ganz im 4. Bereich anzusiedeln. Der Kerngedanke, die konsequente und notwendige Umsetzung der Gedanken des Dichters in die Tat, war eine der zentralen Überzeugungen Heines.
    Es war die Auffassung des Vormärz, dass Literatur und Philosophie in Deutschland das bewirken würden, was in Frankreich die Revolution. Man hoffte auf die Macht des geschriebenen Wortes.


    Zitat von "Holkenäs"

    Caput VI: Paganini, Sokrates und Napoleon sind wohl Repräsentanten für die Kunst, das Denken und die Politik.


    Gute Idee, Danke! Und der geheimnisvolle Reisebegleiter sei ein Motiv aus der Romantik.
    Warum das Ganze in einen Traum eingebettet wird: um die "tendenzpoetische Manifestsprache durch das Schaffen von Unbestimmtheitsstellen im Text ästhetisch zu verfremden." Zensur??
    Was mir auch ncch einleuchtet: Durch die Verlegung in einen Traum wird das heroische Selbstporträt desjenigen, der die Tradition richtet, relativiert.


    Zitat von "Imrahil"

    Caput VIII: Was ist die "Beichais"?

    Ein (offener) Beiwagen zur (geschlossenen) Postkutsche. (Habe soeben mit Schrecken festgestellt, dass offenbar in der neuen Ausgabe des Duden Bildwörterbuchs die herrliche Seite mit all den Kutschen und Pferdewagen nicht mehr drin ist :entsetzt: Nur noch Automobile, Duden-Redakteure scheinen keine Literatur zu lesen.) :grmpf:


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen,
    Ich setze zum Endspurt an, und solange noch jemand antwortet, werde ich auch weiterhin schreiben!
    In den drei nächsten Capita geht es um Erinnerungen.


    In Caput VIII werden wir abrupt wieder auf die Reise-Ebene zurückkatapultiert, ein Gegensatz zum Rächer-Pathos am Ende von 7! In selbstironischem Ton schildert er seine sentimentale Bindung ans Vaterland.
    Er erinnert sich an die Aufbruchstimmung im Mai 31, der Frühling fiel damals mit Revolutionsgefühlen zusammen. Daraus ist nichts geworden, das Vaterland bietet sich dem im offenen Wagen Reisenden neblig-feucht und stinkend dar.
    Am Schluss erinnert er sich an die Überführung von Napoleons Leiche in den Invalidendom:


    Zitat von "Imrahil"

    Danach erkennt man Heine als Napoleonsympathisant? Warum eigentlich? Weil dieser das Volk begeistern konnte und aus der Lethargie befreite?

    Es geht wohl in die Richtung. In meinem Kommentar steht dazu, dass das Beispiel der Napoleonverehrung die grundsätzlich positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber Frankreich während dern preussischen Besetzung zeigen soll. Der Zusammenhang ist mir auch ein wenig rätselhaft :confused:


    In Caput IX entstehen wieder heimatliche Gefühle und Erinnerungen, diesmal beim Essen. Auch diese sind ironisch durchzogen, das Fleisch der Gans ist zäh!
    In Caput X die Reise von Hagen nach Unna. Ist die Nacht irgendwie symbolisch gemeint? Jedenfalls liegt auch Unna noch in preussischen Gebiet, das kann's also nicht sein. Und warum das Loblied auf die Westfalen? Stehen sie einfach exemplarisch für die Menschen im Heimatland? Die Heimatliebe des Erzählers bezieht sich offenbar vor allem auf die Menschen, sie ist weder antifranzösisch noch von nationalem Pathos geprägt.
    Die beiden Rückblende-Kapitel sind geradezu erholsam, nach den politischen Kapiteln folgt nun in lockerem Ton Bürger- und Biedermeiersatire. In XI geht es dann wieder in die Gegenwart.


    Zitat von "Imrahil"

    Caput X: Was mir hier gefällt oder aufgefallen ist, ist das folgende:
    "Bewahre dich vor Krieg und Ruhm,
    Vor Helden und Heldentaten"


    ... und vor allem der Gegensatz zur nächsten Strophe, wo mit "gelindes Examen" und "unter die Haube" wieder die Idylle im Gegensatz zum Heldentum steht!


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo,


    Zitat von "Maja"

    Theorie von "Gedanke und Tat".


    Das sind sehr einleuchtende Ausführungen. Gut, dass Heine auf die Macht des geschriebenen Wortes setzte. Ich habe gerade ein Buch Flakes über die Französische Revolution gelesen. Der Blutstrom und die ewigen Hinrichtungen waren kaum zu ertragen.


    Tja, das Faszinosum Napoleon... Trotz der vielen Kriege und Eroberungsfeldzüge besaß der Korse wohl einen gewissen Kultstatus zur damaligen Zeit. Dass gerade manche Rheinländer lieber unter französischer Besatzung als unter preußischer lebten, ist z.B. mit der Gleichbehandlung für die jüdischen Bürger im Falle Heines erklärbar. Aus heutiger Sicht sieht man in Napoleon wohl eher den Kriegsherren und man ist von der Verehrung irritiert (selbst ein Fontane war ja Napoleon-"Fan").


    Dann geht die Reise weiter:

    Zitat

    Sei mir gegrüßt, mein Sauerkraut

    :breitgrins:


    Zitat von "Maja"

    Ist die Nacht irgendwie symbolisch gemeint?


    Nacht kann wohl immer symbolisch gedeutet werden, aber eine mehrtägige Reise kommt eben auch nicht ohne aus :zwinker:


    Zitat von "Maja"

    Und warum das Loblied auf die Westfalen?

    Heine hat in Göttingen wohl gute Erfahrung mit westfälischen Kommilitonen gemacht, mit denen sich gut feiern ließ. Wirklich ein Hommage an diesen Menschenschlag.


    Grüße
    Holk

  • Hallo zusamen,
    hallo Holk,

    Zitat von "Holkenäs"


    Nacht kann wohl immer symbolisch gedeutet werden, aber eine mehrtägige Reise kommt eben auch nicht ohne aus :zwinker:


    Es scheint wohl einfach so zu sein. Ich hatte gehofft, irgendeinen Zusammenhang auf der Karte zu finden, es war ja nicht ganz Deutschland preussisch. Aber bis jetzt fand die Reise ganz auf preussischem Gebiet statt.


    In Caput XI wird die deutsche Kultur mit Rom verglichen, und schneidet nicht mal da gut ab!
    Am Aufbau finde ich raffiniert, dass die gleichen Personen im zweiten Teil nochmals aufgegriffen. Damit ergibt sich die Stelle mit Nero und den Landesvätern als eine Art Dreh- und Angelpunkt.
    In Caput XII spielt es nun doch eine Rolle, dass Nacht ist, auch inhaltlich scheint mir das Kapitel "dunkel", d.h. unklar. Zählt er sich nun auch zu den Revolutionären? Oder distanziert er sich von ihnen?? Am Anfang scheint es ironisch zu sein, die dramatische Beschreibung der Situation und der Beginn der Rede als Parodie eines bürgerlichen Festredners. Aber die Rede selbst kann ich nicht recht einordnen.


    Herzliche Grüsse und schönes Wochenende,
    Maja

  • Hallo zusammen,


    Sorry, dass ich im Moment gerade kaum schreibe, bin leider sehr beschäftigt, werde mich aber baldmöglichst wieder einklinken! ;-)


    Imrahil

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo,


    Kaum meckere ich über zu wenig Zeit, da fällt plötzlich eine Vorlesung aus und ich konnte heute das Wintermärchen zu Ende lesen :smile: Natürlich beteilige ich mich aber weiter an der Diskussion.


    Caput XI: Also das ist ja nun beissende Ironie, ich habe mich in kaum einen Caput bisher so amüsiert. Deutschland schneidet da wahrlich nicht gut ab im hypothetischen Vergleich.


    Caput XII: Ich denke schon Maja, dass er sich zu den Wölfen, also Revolutionären zählt. Immerhin heisst es:


    - Von Schelmen, die Euch gesagt, ich sei
    - Zu den Hunden übergegangen


    oder


    - Ich bin ein Wolf und werde stets
    - auch heulen mit den Wölfen


    Das scheint mir eindeutig, findest Du nicht?


    Caput XIII: Vergleicht sich Heine mit Jesus? In einem Kommentar, den ich gelesen habe, heisst es, dass beide für soziale Gerechtigkeit eingestanden seien und verfolgt wurden, aber dafür muss ja nicht gleich ein Vergleich mit Jesus her?


    So, und nun die Barbarossa-Passage. Die hat mir ingesamt ganz gut gefallen, eben gerade weil er den Rotbart nicht überschwenglich heroisiert, sondern eher kurios darstellt.


    Imrahil

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo,


    Caput XI erinnert mich ein wenig an Monty Pythons "Leben des Brian" und die berühmte Frage, was haben uns die Römer gebracht? (die Straßen, Kanalisation, Wein usw.) Da gerät die eigene Kultur schnell ins Hintertreffen, die doch zu Kapitelbeginn noch den Sieg über die Römer errungen hat, aber das auch schon "im Dreck". "Wir wären römisch geworden!" ist kein angstvoller Aufseufzer, sondern eher ein Ausdruck des Bedauerns. Zu Recht, denn ohne die Kultur Roms senkte sich wieder Dunkelheit über Germanien.
    Den Zusammenhang von Terpentin und Urin finde ich sehr kurios :breitgrins:


    Caput XII: Also mit den Wölfen zu heulen, ist ja nicht gerade positiv besetzt. Bedeutet für mich, sich der Masse anzupassen, opportunistisch zu handeln. Aber Hund oder Schaf will man ja auch nicht unbedingt sein. Dann doch eher der "einsame Wolf"...


    Caput XIII: Das Jesus-Kapitel ist ganz schön heftig. Jesus als Narr zu bezeichnen...
    Ansonsten ein melancholisches Kapitel über die vergeblichen Mühen der Sonne, die " dumme Erde" zu erleuchten.


    Grüße
    Holk

  • Hallo zusammen,


    Caput XI

    Zitat von "Holkenäs"

    "Wir wären römisch geworden!" ist kein angstvoller Aufseufzer, sondern eher ein Ausdruck des Bedauerns.


    Wie erklärst Du Dir dann, dass (mit Ausnahme von Horaz) gerade nicht die Hochleistungen der römischen Kultur genannt werden: Der Eingeweideschauer, der in den Gedärmen grübelt, terpentintrinkende Damen, Tierkämpfe in der Arena und Nero! Mir scheint hier das Augenmerk eher auf die Dekadenz Roms gerichtet.


    Noch zu Caput XII:


    Andrerseits gibt es doch auch Hinweise auf Ironie:
    Zuerst scheint mir die Beschreibung der wilden Wölfe ein wenig übertrieben, was ein Hinweis auf Ironie sein könnte.
    Dann in der 5. Strophe:
    Und warf mich in Positur
    Und sprach mit gerührten Gebärden


    nicht "gerührt"... Er spielt also eine Rolle, spricht vor einem nicht ganz ernstgenommenen Publikum. Das und die ersten Strophen seiner Rede erinnert doch an die Pose des bürgerlichen Festredners!


    Zitat von "Holkenäs"

    Also mit den Wölfen zu heulen, ist ja nicht gerade positiv besetzt. Bedeutet für mich, sich der Masse anzupassen, opportunistisch zu handeln.


    Ja, das liegt irgendwie quer zur Gleichsetzung der Wölfe mit den Revolutionären. :rollen:


    Caput XIII:

    Zitat von "Holkenäs"

    Ansonsten ein melancholisches Kapitel über die vergeblichen Mühen der Sonne, die " dumme Erde" zu erleuchten.


    Dieses Kapitel steht ziemlich genau in der Mitte des Wintermärchens! Man kann es als Gegenpol zur optimistischen Einschätzung des Freiheitskampfes in den Capita 1 und 27 ansehen.


    Zitat von "Imrahil"

    Vergleicht sich Heine mit Jesus?


    Jedenfalls kann man die Rede auch als ironische Rede Heines an sich selber verstehen!
    Einen Hinweis habe ich noch gefunden zur Doppeldeutigkeit des Begriffs "Bergpredigt": Bei Heine ist es kein Aufruf zu Demut und Bruderliebe, sondern politisches Manifest und Aufruf zur Revolution. (Der "Berg" in der frz. Nationalversammlung sei der Platz der Jakobiner gewesen.) Ist jemand Historiker und weiss etwas genaueres darüber??


    :lesen: Nun setze ich mich an die Sonne und wende mich Barbarossa zu!
    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen,


    Der zweite grosse "Knoten" nach Köln, die Barbarossa-Sage.
    Caput 14 ist eine Art kontrastierendes Präludium zu den folgenden, die Sagen und Märchen werden hier noch geschätzt.
    Die Zeile
    Wie klingen sie lieblich, wie klingen sie süss
    erinnert mich an etwas. Romantik?? Jedenfalls an die Zauberflöte...


    Caput 15 - 17 Barbarossa als Archivar und Museums-Führer: :totlach:


    Zu dieser Zeit gab's übrigens eine regelrechte Barbarossa-Renaissance, 1840 sogar eine Barbarossa-Feier! Die Sage wurde in viele Sammlungen, auch der Brüder Grimm, aufgenommen, und es entstanden viele Gedichte, z. B. Friedrich Rothbart von Emanuel Geibel (1840).


    Die beiden lezten Verse von Caput 16
    Bedenk ich die Sache ganz genau,
    So brauchen wir gar keinen Kaiser.

    seien übrigens (wie auch andere aus dem Wintermärchen) als geflügelte Worte in die politische Diskussion übernommen worden.


    Am Schluss zanken sich die beiden, und Heine will lieber das Mittelalter zurück als den preussischen Mischmasch aus Romantizismus und Mittelalter-Restauration.


    Unmittelbar darauf dann am Anfang von Caput 18 fast wörtlich "Ein feste Burg..." Hört Ihr da auch gleich den Choral klingen? Und warum eigentlich gerade Minden?


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo,


    Zitat von "Maja"

    Wie erklärst Du Dir dann, dass (mit Ausnahme von Horaz) gerade nicht die Hochleistungen der römischen Kultur genannt werden


    Na, Seneca und Cicero werden aber auch noch erwähnt :zwinker:. Und die Übertragung profaner deutscher Begriffe ins Lateinische hat doch etwas Erhebendes. Aber es ist eben wie vieles nicht eindeutig, sondern gebrochen.


    Zitat

    Der "Berg" in der frz. Nationalversammlung sei der Platz der Jakobiner gewesen.


    Es waren gerade die Jakobiner, die im Verlauf der Revolution ein Terrorregime errichteten.


    Caput XIV: "Sonne, du klagende Flamme!" (Motiv in dem Grimmschen Märchen "Die Sonne bringts an den Tag")
    Und: "Die Gänsemagd"
    Also ein Märchenkapitel, das zur Barbarossa-Sage überleitet, der somit auch gleich in die Sphäre einer Märchengestalt gerät.


    Caput XV-XVII: der legendäre Kaiser "wastschelt herum"!
    Eine Dukate pro Jahrhundert als Sold kann man nicht als großzügig bezeichnen. :zwinker:
    Und warum fehlen gerade die Pferde?
    Respektlos erzählt man dem edlen Recken in aller Ausführlichkeit vom Guillotinieren...
    Träume scheinen in diesen Kapiteln ein wichtige Rolle zu spielen. In diesen erscheint Barbarossa und in ihnen redet man offen mit Fürsten (im "idealen Traum").


    Gruß
    Holk

  • Hallo,


    bringen wir die Runde mit Anstand zu Ende (ich glaube übrigens, der holprige Staat hat das ganze Unternehmen irgendwie verkorkst. Man wartete auf Beiträge von eingetragenen Mitgliedern - hat sich Leila übrigens mit irgendeinem Wort gemeldet ? -, die nicht kamen, und so geriet die Runde gar nicht auf Betriebstemperatur. Aber was solls, drei Recken/innen haben sich doch noch gefunden und sich gegenseitig befruchtet (nur metaphorisch!)) :zwinker: .


    Caput XVIII
    Ja, der Luther fällt gleich auf. Minden, seit dem 30jährigen Krieg in preußischem Besitz, war wohl eine Festungsstadt.
    Viel Mythologie: Odysseus, Damoklesschwert, Prometheus
    Dunkles Kapitel, mit Quastterror und Heimweh. Da ist das Aufatmen beim Verlassen Preußens mit dem Übergang nach Bückeburg noch größer.


    Caput XIX-XXII
    Hannover: Und ein gewisser (berüchtigter) Ernst August wohnt immer noch dort :breitgrins:
    Hamburg (Brand) - Mutter (Apfelsinen) - Erinnerungen ("Der Liebe erste Küsse")


    Caput XXIII-XXVII
    Verleger Campe: schon wieder Rheinwein (Essen und Trinken spielt insgesamt eine große Rolle)
    Hammonia (Schutzgöttin Hamburgs und Fan des Dichters): Läßt ihn in dem Klostuhl Karls des Großen in die deutsche Zukunft schauen!
    Die Macht des Dichters:

    Zitat

    Kennst du die Hölle des Dante nicht,
    Die schrecklichen Terzetten?
    Wen da der Dichter hineingesperrt,
    Den kann kein Gott mehr retten -


    Ein schneller Flug durch die letzten Kapitel :zwinker:


    Gruß
    Holk

  • Hallo zusammen,
    hallo Holk,


    Danke für Deine Initiative!
    Ich habe das Buch mit Vergnügen fertiggelesen, wusste aber gar nicht mehr recht, was schreiben. Da ich ausserdem zu arbeiten begonnen habe, habe ich die Notizen kurzerhand ad acta gelegt :redface: - aber jetzt nochmals hervorgeholt.


    Caput 18

    Zitat von "Holkenäs"

    Minden, seit dem 30jährigen Krieg in preußischem Besitz, war wohl eine Festungsstadt.

    Ja, und zwar war der Kölner Erzbischof von November 1837 bis 1839 in der Festung Minden in Haft. Festungshaft war auch häufig eine Strafe für oppositionelle Schriftsteller, daher der Albtraum!


    Zitat

    ...beim Verlassen Preußens mit dem Übergang nach Bückeburg noch größer.

    Ach so! Da hat mich der Geschichtsatlas im Stich gelassen! Ab hier wurde alles erst später preussisch, oder nicht?


    Dann der letzte der drei grossen "Knotenpunkte": Hamburg.
    Caput 20
    Bei der Mutter ist mir aufgefallen, dass sie 4 Mal "Mein liebes Kind" sagt. Da hörte ich den Erlkönig! (Dort heisst es zwar "Du liebes Kind...") Das liebe Kind antwortet ausweichend.
    Hier wie bei der Begegnung mit dem Verleger: Das Verfahren, Politisches und Kulinarisches zu verbinden ist charakteristisch für das Wintermärchen.


    Herzlichen Dank für die Leserunde, mich stört es nicht, dass es etwas langsam vorwärtsgegangen ist. Im Gegenteil, ich mag Langzeitlektüre: ein Buch mit sich herumtragen, darüber nachdenken und sich Zeit lassen. Wo gibt es das sonst noch!?
    Schade nur, dass nicht mehr Leser ihre Gedanken geäussert haben! Danke jedenfalls denen, die's getan haben und


    Tschüss, bis zum nächsten Mal :winken:
    Maja

  • Hallo zusammen,


    Caput XIX: Ja, dieser Ernst August soll ein klarer Sympathisant des preussischen Militäres gewesen sein! Kein Wunder also wenn er bei Heine nicht allzu gut wegkommt :-) Der heutige Ernst August von Hannover liegt ja derzeit im Krankenhaus...habe ich heute per Zufall in der Zeitung aufgeschnappt :zwinker:


    Caput XXI: Zum Brand in Hamburg, 5.-8. Mai 1842, wovon ein Drittel der Stadt betroffen war, ist zu erwähnen, dass bei den grossen Spendenaktionen auch Hilfe aus Paris kam, das finde ich noch erstaunlich und nicht uninteressant im Zusammenhang mit Heine. Es ist zwar eine Rivalität zwischen F und D, aber ab und an gibt es auch Nachbarschaftshilfe! Schön eigentlich :smile:


    XXIV: Ich möchte unbedingt einmal Klopstock lesen, gerade weil ich mich momentan intensiv mit Schiller auseinandersetze, welcher Klopstock j auch verehrt hat.
    Warum aber macht sich Heine über Klopstock lustig? Jedenfalls heisst es:
    "Dort auf der Kommode steht noch jetzt
    Die Büste von meinem Klopstock,
    Jedoch seit Jahren dient sie mir
    Nur noch als Haubenkopfstock


    Ist ja nicht gerade schmeichelhaft, oder?


    Im selben Caput heisst es:


    "Ich glaube, Vaterlandsliebe nennt
    Man dieses törigte Sehnen"


    Heine begreift seine Sehnsucht nach der Heimat also als Krankheit.


    ---


    Ja, schade, dass sich nicht mehr an dieser Leserunde beteiligt haben, gerade der Leserundeninitiator oder andere Angemeldete hätten doch ab und an was schreiben können. Aber ich fand, dass wir zu dritt auch eine interessante Runde zustandebekommen haben, ich fand die Lektüre und ihre Besprechung jedenfalls interessant.


    Imrahil

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo ihr Lieben!


    Es tut mir Leid!
    Ehrlich. Ich hatte mir fest vorgenommen, immer mal rein zuschauen. Ich will mich wirklich bei euch entschuldigen, dass ich nicht dabei gewesen bin, OBWOHL ICH das Thema vorgeschlagen habe. Ich habe in den letzten Wochen sehr viel Stress mit meinen Prüfungen gehabt. Bin mitten im Abitur und froh, wenn es vorbei ist.
    Jetzt aber möchte ich euch noch einmal danken, dass ihr so tapfer durchgehalten habt. Wie ich sehe (lese) habt ihr ja doch sehr viel zusammengetragen.


    Dafür: :klatschen: DANKE :klatschen: (vor allem euch dreien) und nochmals entschuldigung.


    Liebe Grüße, euer
    Joe :zwinker:

    Wer träumt, dem wachsen Flügel.
    <br />Lasst uns alle Träumer sein.