Juli 2004: Heinrich von Kleist: „Michael Kohlhaas“

  • Hallo zusammen,


    da ihr alle so schön mitdiskutiert, will ich euch auch verraten, was auf dem Zettel der Zigeunerin, den Kohlhaas kurz vor seiner Hinrichtung verschluckt hat, stand:


    1. Johann Friedrich I.
    2. 1547
    3. Moritz von Sachsen



    Der Zettel enthielt ja den Namen des letzten Regenten aus dem Haus des momentanen Kurfürsten und das war er selbst:
    http://www.mdr.de/geschichte/personen/132798.html


    die Jahreszahl, da er sein Reich verlieren würde


    und den Namen dessen, der es, durch die Gewalt der Waffen an sich reißen wird, und das war sein Vetter Moritz von Sachsen.
    http://www.leipzig-lexikon.de/….de/PERSONEN/15210321.htm


    Die Kenntnis von dem Zettelinhalt, hätte dem Kurfürsten also sicher nützlich sein können und vielleicht wäre die Geschichte Sachsens anders verlaufen. :zwinker:


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen,
    hallo Hubert,


    Zitat

    Nur, damit kein falsches Lutherbild entsteht: In Wirklichkeit war Luther ein sehr verständlicher und versöhnlicher Mensch und der historische Luther hat dem historischen Kohlhaas auch die Sakramente gegeben. Kleist hat das allerdings um der Diskussion willen, abgeändert.


    Ich wollte an der frühen Stelle der Diskussion nicht vorweggreifen, da einige das Buch noch nicht beendet hatten: Am Ende bekommt Kohlhaas doch die Sakramente zugesprochen, wenn ich das richtig im Kopf habe. Also schiebt Kleist diese Akt der Verzeihung nur auf, auch wenn Luther nicht persönlich daran beteiligt ist. Ich denke, dass ist ein literarischer Schachzug und hat wenig mit dem Bild zu tun, dass man sich von Luther machen könnte.


    Zitat

    Also in heutiger Sprache: Einer der Bodyguards des Kurfürsten, hatte eine Person, die sich widerrechtlich dem Kurfürsten näherte, erfolgreich abgewehrt. Das ist die Aufgabe eines Bodyguards, der nicht abwarten kann, ob die Person mit einem Messer auf den Kurfürsten einsticht oder nur einen Brief übergeben will. Dieser Vorfall ist m.M.n. nicht mal als fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolgen zu werten, sondern als Unfall.


    Ich verstehe, was du sagen willst, trotzdem ist gerade das was du schreibt m.M.n. ein Beleg dafür wie absurd die Situation zwischen Kohlhaas (& Frau) auf der einen und der Obrigkeit auf der anderen Seite geworden ist. Es kommt ja kein "Häscher mit Dolch" vor die Tür des "Bodygards". Ich glaube nicht, dass Kohlahaasens Frau als enorme Bedrohung wahrgenommen werden kann. Und ein tötlicher Bruststoß muss schon mit einiger Wucht ausgeführt werden und ist keine Ohrfeige, oder?
    Das führt sicherlich etwas fort vom Kern der Diskussion. Fakt ist, Kohlhaas kann sich kein Gehör verschaffen. Und bevor er zu brandmorden beginnt, weiß die Obrigkeit nichts von seinem Tun. Kann man sich hilfloser vorkommen? (Wichtig: Ich bin deshalb nicht der Meinung, Kohlhaasens Handeln sei richtig.)


    Sich direkt an Luther zu wenden?


    Wie wahrscheinlich wäre es zu Beginn des Streits gewesen, an diese Möglichkeit zu denken, wo sie sich gewissermaßen erst aus der Eskalation heraus ergibt. Und auch das wegen zweier Pferde?
    Ich denke hier wird deutlich, dass es Kleist um eine höhere Rechtsdiskussion geht, für die die Pferde "nur" eine Auslöserfunktion darstellen. Was nicht heißt, dass aus kleinen Anlässen nicht große Auseinandersetzungen werden können, oder aus gar keinem Anlass solche erwachsen, s. Kafka.


    So, und jetzt muss ich noch fleißig die anderen Beiträge lesen, ich hänge ja maßlos hintendran! :redface:


    LG,
    Michael

  • Hallo,



    Das ist etwas, was mich beim Lesen irritiert hat. Trotz des Unrechts, dass Kolhaas geschieht (selbst wenn man den Tod seiner Frau noch berücksichtigt) scheint das, was er danach tut eher ein Rachefeldzug einer emotional hochkochenden Seele zu sein. Vielleicht hat die Lutherszene auch deshalb eine entscheidende Bedeutung, weil dies der Punkt ist, da Kohlhaas vor Augen geführt wird, wie unverhältnismäßig seine Mittel sind. Dazu brauchte es eine außenstehende Person, die Kohlhaas hochachtet und auch emotional verehrt.
    Kann nicht erst nach diesem Gespräch der "objektive" Rechtsstreit wieder in den Vordergrund rücken?


    Bleibt die Frage: Wie hätte Kohlhaas auf sich aufmerksam machen können ohne Gewalt anzuwenden?


    Grüße von Michael

  • Hallo Ihr Lieben,
    hallo Hubert,
    vielen Dank für die vielen Informationen, sehr aufschlußreich. Das muß ich erstmal alles überdenken. Bin allerdings für zwei Tage weg- auf dem Weg nach Sachsen :breitgrins:


    Deshalb einige schnelle Überlegungen, grübel, grübel...
    Ich glaube auch, daß Kohlhaas in dieser Situation kein Gehör bekommen hätte. Und sich an Luther zu wenden, ich glaube nein. Kohlhaas hat ja Luther offensichtlich fast heilig gesprochen, vielleicht war er der Meinung Auge um Auge...?
    Achtung nicht ganz ernst gemeint!!! Komisch, der Kohlhaas wird mit Terroristen gleichgesetzt und was war mit Karl Moor?? :rollen:


    Außerdem ist Kohlhaas offensichtlich nicht der Einzige, dem Unrecht geschieht ansonsten hätte er kein Gefolge. Natürlich finde ich seine ganze Reaktion überzogen, ich glauber der Mann hatte Bluthochdruck :entsetzt:
    Ein Vorbild ist er sicher nicht, darüber brauchen wir gar nicht diskutieren- deshalb muß er ja auch sterben. Aber das interessante ist doch, was Kleist daraus macht.
    Was bedeutet es, wenn Kleist das Alter absichtlich (wovon wohl auszugehen ist) mit dreissig beziffert (sonst gibt es bei Kleist selten Altersangaben, oder)????


    Das Luther- Gespräch...
    und nicht zu guter Letzt, die Zigeunerin. Kleist gibt Kohlhaas mit dieser Geschichte Macht über den Kurfürsten. Der Zettel sollte zwar sein Leben retten, aber das wollte weder Kohlhaas, noch Kleist...viele Zufälle...(wo wir wirkleich einen Dramenaufbau haben). Zur Rettung war es aus verschiedenen Gründen zu spät, aber Kleist läßt Kohlhaas triumphieren.


    So nun hab ich wohl noch etwas zu Diskussion beigetragen (hoffe ich), bin in Eile... bis Donnerstag... :urlaub:


    viele liebe grüße jacky

  • Hallo zusammen
    hall WannaBe, hallo Jacky


    Zitat

    Zitat:
    Eigentlich dachte ich, er wäre mit der Verurteilung Tronkas restlos zufrieden, die Pferde sind wieder dickgefüttert, Tronka mit zwei Jahren Gefängnis bestraft. Dafür nimmt er auch anscheinend bereitwillig seine eigene Strafe hin - um im letzten Augenblick die Prophezeiung an den Kurfürst von Sachsen zu vernichten. Hätte er sie ihm übergeben, sozusagen als Zeichen guten Willens, wäre er nicht fast wie ein Märtyrer zum Schafott gegangen? Wie denkt Ihr darüber?


    Ich glaube Kohlhaas ist zufrieden, daß ihm recht geschehen ist. Nach seiner Rechtsauffassung muß er aber auch sein Unrecht anerkennen. Das finde ich schon korrekt, ich glaube, daß er auch fast wie ein Märtyrer stirbt, er hat die Massen wieder auf seiner Seite, oder nicht? Und dem Kurfürsten die Prophezeihung geben ... niemals.


    Ich vermute, dass die Genugtuung, sein Recht wiederhergestellt zu sehen, auf zwei Ebenen geschieht:


    Erstens auf der konkreten; die Pferde sind im annähernd ursprünglichen Zustand, gleichzeitig muss Kohlhaas für seine Taten rechtlich geradestehen. Dies bezieht sich auf das konkrete Unrecht, das geschehen ist, nämlich auf das, was an der Grenze passierte und auf die Brandstiftungen.


    Zweitens aber auf einer eher vage empfundenen Ebene, denn das Kohlhaas sich dazu getrieben fühlte zu töten und niederzubrennen, ist eine "stille" Anklage, die sich gegen das ganze Obrigkeitssystem richten muss, das ihm aus seiner Sicht keine andere Wahl ließ. Stellvertreter und oberstes Glied dieses weltlichen Systems ist der Kurfürst. Dieser wird m.A.n. durch die Verweigerung der Prophezeiung abgestraft. Der Zettel gibt Kohlhaas die Möglichkeit auch über den Kurfürst selbst zu triumphieren und seine ganze Genugtuung zu erhalten. Allein die Wiederherstellung seiner Pferde wäre am Ende vielleicht etwas belanglos erschienen, oder?


    Nicht zu vergessen, dass Kohlhaas zum Schluss auch im religiösen Sinne wieder ins Reine kommt, in dem er wieder der Sakramente teilhaftig wird.


    Grüße,
    Michael :smile:

  • Hallo zusammen,
    Hallo Michael,


    Zweitens aber auf einer eher vage empfundenen Ebene, denn das Kohlhaas sich dazu getrieben fühlte zu töten und niederzubrennen, ist eine "stille" Anklage, die sich gegen das ganze Obrigkeitssystem richten muss, das ihm aus seiner Sicht keine andere Wahl ließ. Stellvertreter und oberstes Glied dieses weltlichen Systems ist der Kurfürst. Dieser wird m.A.n. durch die Verweigerung der Prophezeiung abgestraft. Der Zettel gibt Kohlhaas die Möglichkeit auch über den Kurfürst selbst zu triumphieren und seine ganze Genugtuung zu erhalten. Allein die Wiederherstellung seiner Pferde wäre am Ende vielleicht etwas belanglos erschienen, oder?


    Ja, sogesehen macht es natürlich Sinn, dass er sich am Kurfürsten rächt.
    Ich hatte die ganze Zeit den Eindruck, dass er wirklich nur von Wenzel von Tronka Genugtuung fordert, wenn ich's mir aber recht überlege, muß er die Obrigkeit geradezu bestrafen. Und wer ist dazu besser geeignet als der Kurfürst selbst. Guter Punkt von Michael :smile:


    Grüße
    WannaBe

  • Hallo zusammen,


    Huberts Hinweis, Kleists Essay „Über das Marionettentheater“ zu lesen, hat mich im Zusammenhang mit „Michael Kohlhaas“ auf einige weitere, zugegeben etwas ausführliche :zwinker: Gedanken gebracht:
    Analog zum Marionettenbild Kleists scheint mir die Entwicklung des Kohlhaas in der Erzählung zu sein. Die „natürliche“ Beweglichkeit der Marionette wird dort wie folgt beschrieben:


    Zitat

    Jede Bewegung [...] hätte einen Schwerpunkt; es wäre genug, diesen, in dem Innern der Figur, zu regieren; [...]


    Michael Kohlhaas ist ein aus seinem Schwerpunkt gebrachter Mensch. Zu Beginn der Erzählung hat er keinen Grund an der weltlichen und göttlichen Ordnung zu zweifeln. Er hat Familie, Haus und Hof, ist im materiellen und geistlichen Sinne beständig, gesichert. Aus der Ordnung bringt ihn das Geschehen um seine Pferde. Ihm geschieht Unrecht und dieses will er im Sinne des Gesetzes geahndet wissen. Dabei stellt der Umstand, dass es sich „nur“ um zwei Pferde handelt, die er verkaufen möchte, zwar eine gewisse Irritation in der Erzählung dar, weil die Unverhältnismäßigkeit im Bezug auf seine späteren Gewalttaten auffällt, doch ist dies m.M.n. nur der Anlass für eine höhere Auseinandersetzung. Es geht nicht allein um die materielle Widerherstellung eines ursprünglichen Zustandes, sondern um die Widerherstellung seiner inneren Ordnung oder im Marionettenbild, um die Widerherstellung des Schwerpunktes, der aus dem Gleichgewicht geratenen Marionette. Diese Unordnung zeigt sich in der Erzählung als das Unvermögen Kohlhaasens, seines Knechtes und seiner Frau, sich innerhalb des kurfürstlichen Rechtssystems Gehör zu verschaffen.
    Im Text heißt es:


    Zitat

    [...]und mitten durch den Schmerz, die Welt in einer ungeheuren Unordnung zu erblicken, zuckte die innerliche Zufriedenheit empor, seine eigene Brust nun mehr in Ordnung zu sehen.


    Diese Ordnung glaubt Kohlhaas für sich vorläufig erst wiederhergestellt, als er, anschließend an das Zitat, Haus und Hof verkauft und er damit in seinem Rechtsstreben auf rechtswidrige Wege gerät. Sein Ungleichgewicht ist mit dem Empfinden der Unordnung im rechtlichen System selbst verknüpft. Identität und Würde seiner selbst sind damit für ihn in Frage gestellt.
    Die innere Sicherheit der Person, ihr Anmut, ihre Würde zu stören, bringt die Person aus ihrem Gleichgewicht. Über die Störfaktoren wird in Kleists Essay gesagt, und das deutet schließlich auch hin auf die religiöse Deutungsebene der Erzählung:


    Zitat

    Solche Missgriffe [...] sind unvermeidlich, seitdem wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben. Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.


    Ich denke, es geht hier also nicht um die Störung allein der weltlichen Rechtsordnung, sondern auch um die einer göttlichen Ordnung, denn letztlich ist der Kurfürst der an Gottes Statt regierende Landesherr und auch im Disput mit Luther wird die Unzufriedenheit Kohlhaasens, sich einer derartigen, göttlichen Ordnung zu beugen deutlich. Sie gipfelt in der vorläufigen Verweigerung der Sakramente.
    Die religiöse Symbolik (Namen- und Zahlensymbolik) wurde ja bereits in einigen Beiträgen diskutiert. M.M.n. geht es im Weiteren der Erzählung um die Widerherstellung der aus seiner "natürlichen Gravitation" herausgerissenen Existenz Kohlhaasens. Die Marionette muss in ihren natürlichen Schwerpunkt zurückgeführt werden.
    So absurd es klingt, um seinen „natürlichen“ Zustand wieder herzustellen, begibt sich Michael Kohlhaas außerhalb weltlichen und christlichen Rechts und auf den Weg eines Bandmörders. Die Bewegungen der Marionette sind völlig aus ihrer anmutenden Koordination geraten. In diesem Sinne entfaltet der erste Satz der Erzählung seine ganze Bedeutung:


    Zitat

    Michael Kohlhaas [...] einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.


    Rechtschaffend, nicht nur, weil ehrlich um die Widerherstellung seiner natürlichen Integrität bemüht, sondern auch „Recht schaffend“ in seinem Bemühen, auf die, aus den Fugen geratene Rechtsordnung hinzuweisen und sie ggf. zu korrigieren. Wobei ich nicht glaube, dass Kohlhaas als Revolutionär oder Rechtsstifter zu verstehen ist. Ich denke es geht in der Figur eher um eine individualistisch motivierte Auseinandersetzung, nämlich um die Herstellung seiner Integrität und das sogar wieder jede Vernunft.
    Er verstößt, in dem er brandschatzt und mordet, gegen die höchsten Prinzipien weltlicher, christlicher und auch aufgeklärter Natur.


    M.M.n. wird hier Kleists Streit mit dem aufgeklärten, „klassischen“ Gedanken Kants deutlich, dass eine durch die Vernunft geordnete Gesellschaft zu einer harmonischen – in ihrem Schwerpunkt befindlichen – Persönlichkeit eines jeden führen werde.
    Kleists Kohlhaas ist eine Figur die zeigt, wie zerbrechlich menschliche Persönlichkeiten, trotz bester Voraussetzungen, im weltlichen und auch religiösen Ordnungsgefüge sind. Sie kommen vom Weg ab, sie straucheln und können scheitern. Genau das ist der Punkt der mir persönlich den Michael Kohlhaas so sympathisch macht, nicht sein widerstrebender Geist, sein „revolutionäres Handeln“, sondern diese menschliche Zerbrechlichkeit, mit der er sich auseinander zusetzen hat.
    Die Marionette, die aus ihrer natürlichen, harmonischen Beweglichkeit, aus ihrer ganz urtümlichen Funktionalität gerissen ist, muss diesen ursprünglichen Zustand erst wieder erreichen. In diesem Sinne verstehe ich Kohlhaas als jemanden, der aus dem Paradies gestoßen wurde, den Weg zurück sucht und dabei durchaus straucheln kann. „Der Weg der Seele des Tänzers“, so wird es in Kleists Essay bezeichnet. Und ich glaube, dies kann man von der religiösen durchaus auf eine allgemein philosophische Ebene übertragen: Der Scheiternde in der Auseinandersetzung mit dem Außen, auf dem Weg und in der Hoffnung sich selbst wiederzufinden.


    In der Zäsur der Erzählung, dem Disput mit Luther wird der Weg der Gewalt korrigiert. Luther argumentiert an dieser Stelle, der Rechtsweg sei lange nicht erschöpft, da der Kurfürst ja bislang nichts vom Unrecht, das Kohlhaas widerfahren sei, wisse.
    Die Absurdität, die dem weltlichen Obrigkeitssystem zugrunde liegt, die Hilflosigkeit die für den Einzelnen daraus hervorgehen kann, wurde an verschiedenen Stellen diskutiert. Kohlhaas ist jetzt wieder ein Teil der bestehenden Rechtsordnung und erkennt in diesem Sinne seine Schuld an, fordert aber gleichzeitig weiterhin das Recht auch in seiner eigenen Sache ein. Erst jetzt hat er die Aufmerksamkeit erlangt, um sein Recht geltend zu machen, seine Integrität wieder herstellen zu können. Dies erreicht zu haben, wird er mit seinem Leben bezahlen.


    Am Ende ist die äußere Rechtsordnung wieder hergestellt, die greifbare Schuld des Junkers gesühnt. Es bleibt die weniger fassbare, die eher persönlich empfundene „Schuld“ des Kurfürsten selbst bestehen, der m.M.n. stellvertretend für die anfänglich dargestellte, strukturelle Unmöglichkeit steht, sich von vornherein als Individuum innerhalb des geltenden Rechtssystems Gehör zu verschaffen. Indem Kohlhaas über diesen mächtigen Widersacher am Ende mittels der Prophezeihungsgeschichte triumphiert, obsiegt er auch über das System selbst.
    Im Moment des Todes ist seine Integrität vollständig widerhergestellt. Auch im religiösen Sinne ist dies mit dem Erhalt der Sakramente erreicht. Mit dem Tod steht ihm im christlichen Sinne das Paradies wieder offen. Im nicht religiösen Sinne ein teuer erkauftes Recht, wie ich finde.


    So, das zu meinem Gedankensermon zum Kohlhaas. :breitgrins:


    Liebe Grüße von
    Michael

  • Zitat von "Jacky"

    Hallo Ihr Lieben,
    hallo Hubert,
    vielen Dank für die vielen Informationen, sehr aufschlußreich. Das muß ich erstmal alles überdenken. Bin allerdings für zwei Tage weg- auf dem Weg nach Sachsen :breitgrins:


    Dann achte ja gut auf deine Pferde und leg' dich nicht mit den Tronkas an. :breitgrins:


    Hallo zusammen,
    hallo Jacky,


    Du hast gepostet:
    Komisch, der Kohlhaas wird mit Terroristen gleichgesetzt und was war mit Karl Moor??


    Ja, Jacky, was ist mit Karl Moor?, Was mit Wilhelm Tell? Was mit Andreas Hofer? Was mit Che?



    Aber das interessante ist doch, was Kleist daraus macht.


    Kleist macht daraus laut Thomas Mann: „die vielleicht stärkste Erzählung deutscher Sprache“, ich stimme in diesem Fall Thomas Mann zu , würde vielleicht sogar das „vielleicht“ weglassen.



    Was bedeutet es, wenn Kleist das Alter absichtlich (wovon wohl auszugehen ist) mit dreissig beziffert (sonst gibt es bei Kleist selten Altersangaben, oder)????


    Ich denke auch, bei Kleist ist das nicht zufällig. Da hat ja alles eine Bedeutung, z.B. auch die Anzahl von Kohlhaas’ Kindern.



    Das Luther- Gespräch...
    und nicht zu guter Letzt, die Zigeunerin. Kleist gibt Kohlhaas mit dieser Geschichte Macht über den Kurfürsten. Der Zettel sollte zwar sein Leben retten, aber das wollte weder Kohlhaas, noch Kleist...viele Zufälle...(wo wir wirkleich einen Dramenaufbau haben). Zur Rettung war es aus verschiedenen Gründen zu spät, aber Kleist läßt Kohlhaas triumphieren.


    Ja, die Zigeunerin, das haben wir m.M.n. noch nicht ausdiskutiert?


    Liebe Grüße


    Hubert


  • Zitat von "Michael"

    Ich verstehe, was du sagen willst, trotzdem ist gerade das was du schreibt m.M.n. ein Beleg dafür wie absurd die Situation zwischen Kohlhaas (& Frau) auf der einen und der Obrigkeit auf der anderen Seite geworden ist. Es kommt ja kein "Häscher mit Dolch" vor die Tür des "Bodygards". Ich glaube nicht, dass Kohlahaasens Frau als enorme Bedrohung wahrgenommen werden kann. Und ein tötlicher Bruststoß muss schon mit einiger Wucht ausgeführt werden und ist keine Ohrfeige, oder?


    Hallo zusammen,
    hallo Michael,


    Hm, ich erinnere mich nur noch ungenau an das Attentat auf Schäuble, aber war da nicht eine Frau auf ihn zugekommen, mit einer Rose in der Hand und dann hat sie mit einem Messer auf ihn eingestochen, seit der Zeit sitzt Schäuble im Rollstuhl. Hätte Schäuble die Bodyguards des Kurfürsten gehabt, wäre ......?
    Und der Bruststoß war ja nicht direkt tödlich, eher unglücklich und an den Folgen ist sie gestorben.



    Sich direkt an Luther zu wenden?


    Wie wahrscheinlich wäre es zu Beginn des Streits gewesen, an diese Möglichkeit zu denken,


    Ich denke hier wird deutlich, dass es Kleist um eine höhere Rechtsdiskussion geht, für die die Pferde "nur" eine Auslöserfunktion darstellen. Was nicht heißt, dass aus kleinen Anlässen nicht große Auseinandersetzungen werden können


    Im Text heißt es ja:
    „Kohlhaas, dem es nicht um die Pferde zu tun war – er hätte gleichen Schmerz empfunden, wenn es ein Paar Hunde gegolten hätte - “
    m.M.n. ging es nicht um die Sache, sondern Kohlhaas war in seinem Mensch_sein verletzt, und wurde deshalb zum Amokläufer, - so wie es ja immer wieder Amokläufer gibt, wo man sagt, wie konnte der nur, wegen so einer Kleinigkeit. Deshalb ist es auch so wichtig, sich mit dem Stück auseinander zu setzen, um z.B. als Erfurter Schüler daran zu denken, es gibt zuerst noch die Möglichkeit sich an einen „Luther“ zu wenden, oder als Erfurter Lehrer, „Luther“ zu sein. Aber statt „Kohlhaas“ wird in Schulen eher „Das Parfüm“ gelesen..



    Bleibt die Frage: Wie hätte Kohlhaas auf sich aufmerksam machen können ohne Gewalt anzuwenden?


    Na ja, zu Luther hätte er ja vordringen können, oder es noch mal über seinen Freund den Stadthauptmann Heinrich von Geusau versuchen, der hat es ja später auch geschafft, dass Graf Kallheim abgesetzt wurde. Und wenn schon Gewalt, warum nicht den Wenzel von Tronka töten, der Unrecht begangen hat, so wie Wilhelm Tell den Reichsvogt Gessler tötet, und nicht unschuldige Frauen und Kinder?.


    Huberts Hinweis, Kleists Essay „Über das Marionettentheater“ zu lesen, hat mich im Zusammenhang mit „Michael Kohlhaas“ auf einige weitere, zugegeben etwas ausführliche Gedanken gebracht:

    Michael Kohlhaas ist ein aus seinem Schwerpunkt gebrachter Mensch. Zu Beginn der Erzählung hat er keinen Grund an der weltlichen und göttlichen Ordnung zu zweifeln. Er hat Familie, Haus und Hof, ist im materiellen und geistlichen Sinne beständig, gesichert. Aus der Ordnung bringt ihn das Geschehen um seine Pferde. Ihm geschieht Unrecht und dieses will er im Sinne des Gesetzes geahndet wissen. Dabei stellt der Umstand, dass es sich „nur“ um zwei Pferde handelt, die er verkaufen möchte, zwar eine gewisse Irritation in der Erzählung dar, weil die Unverhältnismäßigkeit im Bezug auf seine späteren Gewalttaten auffällt, doch ist dies m.M.n. nur der Anlass für eine höhere Auseinandersetzung. Es geht nicht allein um die materielle Widerherstellung eines ursprünglichen Zustandes, sondern um die Widerherstellung seiner inneren Ordnung oder im Marionettenbild, um die Widerherstellung des Schwerpunktes, der aus dem Gleichgewicht geratenen Marionette. Diese Unordnung zeigt sich in der Erzählung als das Unvermögen Kohlhaasens, seines Knechtes und seiner Frau, sich innerhalb des kurfürstlichen Rechtssystems Gehör zu verschaffen.
    .....
    Die religiöse Symbolik (Namen- und Zahlensymbolik) wurde ja bereits in einigen Beiträgen diskutiert. M.M.n. geht es im Weiteren der Erzählung um die Widerherstellung der aus seiner "natürlichen Gravitation" herausgerissenen Existenz Kohlhaasens. Die Marionette muss in ihren natürlichen Schwerpunkt zurückgeführt werden.
    So absurd es klingt, um seinen „natürlichen“ Zustand wieder herzustellen, begibt sich Michael Kohlhaas außerhalb weltlichen und christlichen Rechts und auf den Weg eines Bandmörders. Die Bewegungen der Marionette sind völlig aus ihrer anmutenden Koordination geraten. In diesem Sinne entfaltet der erste Satz der Erzählung seine ganze Bedeutung:
    Zitat:
    Michael Kohlhaas [...] einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.



    Rechtschaffend, nicht nur, weil ehrlich um die Widerherstellung seiner natürlichen Integrität bemüht, sondern auch „Recht schaffend“ in seinem Bemühen, auf die, aus den Fugen geratene Rechtsordnung hinzuweisen und sie ggf. zu korrigieren. Wobei ich nicht glaube, dass Kohlhaas als Revolutionär oder Rechtsstifter zu verstehen ist. Ich denke es geht in der Figur eher um eine individualistisch motivierte Auseinandersetzung, nämlich um die Herstellung seiner Integrität und das sogar wieder jede Vernunft.
    Er verstößt, in dem er brandschatzt und mordet, gegen die höchsten Prinzipien weltlicher, christlicher und auch aufgeklärter Natur.


    M.M.n. wird hier Kleists Streit mit dem aufgeklärten, „klassischen“ Gedanken Kants deutlich, dass eine durch die Vernunft geordnete Gesellschaft zu einer harmonischen – in ihrem Schwerpunkt befindlichen – Persönlichkeit eines jeden führen werde.
    Kleists Kohlhaas ist eine Figur die zeigt, wie zerbrechlich menschliche Persönlichkeiten, trotz bester Voraussetzungen, im weltlichen und auch religiösen Ordnungsgefüge sind. Sie kommen vom Weg ab, sie straucheln und können scheitern. Genau das ist der Punkt der mir persönlich den Michael Kohlhaas so sympathisch macht, nicht sein widerstrebender Geist, sein „revolutionäres Handeln“, sondern diese menschliche Zerbrechlichkeit, mit der er sich auseinander zusetzen hat.
    Die Marionette, die aus ihrer natürlichen, harmonischen Beweglichkeit, aus ihrer ganz urtümlichen Funktionalität gerissen ist, muss diesen ursprünglichen Zustand erst wieder erreichen. In diesem Sinne verstehe ich Kohlhaas als jemanden, der aus dem Paradies gestoßen wurde, den Weg zurück sucht und dabei durchaus straucheln kann. „Der Weg der Seele des Tänzers“, so wird es in Kleists Essay bezeichnet. Und ich glaube, dies kann man von der religiösen durchaus auf eine allgemein philosophische Ebene übertragen: Der Scheiternde in der Auseinandersetzung mit dem Außen, auf dem Weg und in der Hoffnung sich selbst wiederzufinden.
    ......
    Am Ende ist die äußere Rechtsordnung wieder hergestellt, die greifbare Schuld des Junkers gesühnt. Es bleibt die weniger fassbare, die eher persönlich empfundene „Schuld“ des Kurfürsten selbst bestehen, der m.M.n. stellvertretend für die anfänglich dargestellte, strukturelle Unmöglichkeit steht, sich von vornherein als Individuum innerhalb des geltenden Rechtssystems Gehör zu verschaffen. Indem Kohlhaas über diesen mächtigen Widersacher am Ende mittels der Prophezeihungsgeschichte triumphiert, obsiegt er auch über das System selbst.
    Im Moment des Todes ist seine Integrität vollständig widerhergestellt. Auch im religiösen Sinne ist dies mit dem Erhalt der Sakramente erreicht. Mit dem Tod steht ihm im christlichen Sinne das Paradies wieder offen. Im nicht religiösen Sinne ein teuer erkauftes Recht, wie ich finde.


    Tolle Gedanken, Michael, ich kann dem nur zustimmen, vielen herzlichen Dank für diese Ausführungen und es zeigt wieder einmal: Kleists Marionetten-Essay ist der Schlüssel zu seinem Werk.


    Viele Grüße


    Hubert

  • Hallo an Alle!!


    Hallo Michael, vielen herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar- hat mir sehr gut gefallen. :klatschen:


    Zitat

    Ja, die Zigeunerin, das haben wir m.M.n. noch nicht ausdiskutiert?


    Ja Hubert, das sehe ich genauso. Dann werd ich mal den anfang machen. Habe zwar meine Gedanken noch nicht so ganz sortiert, aber ihr kennt mich ja nicht anders, oder?
    Wahrsager


    - Zigeuner bzw. Alraune/ Wahrsager usw ist zu Kleists Zeit beliebtes literarisches Motiv, also nichts innovatives. Ein ähnliches Motiv verwendet Kleist im "Bettelweib von Locarno", da allerdings als "Geistergeschichte".


    - Welche Funktion hat nun diese Geschichte?
    Das Geschehen wurde nicht vom Erzähler geschildert, sondern nachträglich vom Kohlhaas selbst. Er weiß zwar nicht, was auf dem Zettel steht (und liest asuch nicht aus reiner Neugier)- aber er weiß, daß es etwas mit dem Kurfürsten zu tun hat.


    - Wird zu einem Zeitpunkt eingeführt, an dem eigentlich schon alles zu spät ist. Kohlhaas ist bereits auf dem Weg nach Berlin. Ungestraft kann Kohlhaas gar nicht mehr davon kommen.


    - Die Zigeunerin scheint eine Art Reinkarnation von Lisbeth zu sein (am Tag nach der Beerdigung und Kohlhaas erkennt Züge seiner geliebten Frau). Was ist das nun Hilfe von gánz "oben"? Eine Art göttliche Unterstützung? Andererseits soll das Amulett Kohlhaas das Leben retten, das ist nun aber wirklich nicht der Fall. Ich glaube, daß sich Kohlhaas bei seinem Rechtsempfinden nie das Leben erkaufen würde. Gleichzeitig zeigt es aber, daß der Kurürst von Sachen käuflich ist.


    - Meiner Meinung nach dient die Einführung der Zigeunerin dazu, daß der Kurfürst von Sachsen anders bewertet wird. Durch diese Geschehnisse wirkt er doch als Willkürherrscher. Zuerst interessiert er sich gar nicht für Kohlhaas, er läßt seine Leute alles machen. Bis zu dem Zeitpunkt wird der Kurfürst noch nicht negativ geschildert, sondern eher positiv. Durch das Eingreifen des Kurfürsten von Brandenburg ändert sich das. Der K. v. Sachsen sieht sich gezwungen Kohlhaas auszuliefern. Das will man nicht so einfach hinnehmen und sinnt auf eine Anklage. Durch die gewährte Amnestie sind ihm auch eigentlich die Hände gebunden, aber der Krurfürst wendet sich an Wien und schadet sich somit selbst, wie wir erfahren.
    - Als nun der Kurfürst erfährt, daß Kohlhaas den Zettel der Zigeunerin hat setzt er alle Hebel in Bewegung (wenn er nicht grad ohnmächtig darnieder liegt), um ihn zu bekommen- koste es was es wolle. Meiner Meinung nach tritt nun die Kritik in den Vordergrund. Kohlhaas nutzt den Zettel nicht für sich, aber er ist auch nicht bereit dem Kurfürsten den Wortbruch zu verzeihen. Durch die Zigeunerin, die auf seiner Seite steht und ihm von der List berichtet, kann sich Kohlhaas am Ende rächen.


    In der Szene mit Prinzen von Meißen erinnert mich der Kurfürst sogar einwenig an den Prinzen von "Emilia Galotti". Er ist erstaunt, daß seine Befehle so schnell befolgt wurden und will sie am liebsten rückgängig machen.


    so, das reicht erstmal.
    Liebe Grüße Jacky

  • Zitat von "Jacky"

    - Zigeuner bzw. Alraune/ Wahrsager usw ist zu Kleists Zeit beliebtes literarisches Motiv,


    Denkst Du da an bestimmte Werke, mir fällt i.M. ausser bei Kleist kein Zigeuner/Wahrsager ein?



    Welche Funktion hat nun diese Geschichte?
    Das Geschehen wurde nicht vom Erzähler geschildert, sondern nachträglich vom Kohlhaas selbst. Er weiß zwar nicht, was auf dem Zettel steht (und liest asuch nicht aus reiner Neugier)- aber er weiß, daß es etwas mit dem Kurfürsten zu tun hat.
    -


    Richtig, die Zigeunergeschichte wird nicht vom Erzähler geschildert, sondern vom Kohlhaas und dann aber noch mal vom sächsischen Kurfürsten selbst. Für beide hat diese Geschichte also elementare Bedeutung:

    Kohlhaas kann sich mit Hilfe der Kapsel am Kurfürsten rächen und so seine Menschenwürde wieder erlangen.

    Für den Kurfürsten ist in der Kapsel seine Zukunft und die Zukunft seines Staates verborgen.

    Erstaunlich ist, dass die Zigeunerin, den Zettel, der die Zukunft von Sachsen enthält, nicht dem Kurfürst von Sachsen gibt, sondern „jenem Mann dort, der, mit dem Federhut, auf der Bank steht, hinter allem Volk, ....“ und damit die Zukunft des Staates nicht dem unfähigen Herrscher in die Hände gibt, sondern dem Rebell aus dem Volk/dem Volk?


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo zusammen, hallo Hubert!


    Zitat

    Denkst Du da an bestimmte Werke, mir fällt i.M. ausser bei Kleist kein Zigeuner/Wahrsager ein?


    Vielleicht hab ich mit beliebten Motiv etwas übertrieben, habe die Äußerung spontan gemacht. Irgendwie ist mir aber so, daß gerade in der Romantik Hexen, Zigeuner usw als Figuren auftauchen. Nicht auch im "Heinrich von Ofterdingen"?, bin mir nicht ganz sicher. Aber in Goethes Götz tauchen ganz sicher Zigeuner auf.


    Meiner Meinung nach war das Bild der Zigeuner oft negativ, sie waren Räuber oder halt Hexen (gab es nicht sogar schon bei Grimmelshausen Zigeuner?). Ich glaube in der Romantik fand eine Umwertung der "Zigeuner" statt. So hat die Zigeunerin bei Kleist eine übergeordnetet Funktion , sie hat Wissen und verleiht dem Kohlhaas Macht.


    Falls Dich das Thema interessiert werde ich mal etwas genauer nachschauen.


    Liebe Grüße Jacky

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Jacky"


    Vielleicht hab ich mit beliebten Motiv etwas übertrieben, habe die Äußerung spontan gemacht. Irgendwie ist mir aber so, daß gerade in der Romantik Hexen, Zigeuner usw als Figuren auftauchen. Nicht auch im "Heinrich von Ofterdingen"?, bin mir nicht ganz sicher. Aber in Goethes Götz tauchen ganz sicher Zigeuner auf.


    Vielleicht bin ich jetzt mit dem Begriff "zu Kleists Zeit" etwas grosszügig: von Armin. Im trivialen Sektor: Vulpius. (Zigeuner dann übrigens m.W. im trivialen Bereich durchs ganze 19. Jahrhundert, bis hin zu Karl May.) Goethes Mignon ist, wenn keine echte Zigeunerin, so doch ein virtueller Abkömmling des virulenten Zigeunertums. Ebenso der Taugenichts.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"

    Vielleicht bin ich jetzt mit dem Begriff "zu Kleists Zeit" etwas grosszügig: von Armin. Im trivialen Sektor: Vulpius. (Zigeuner dann übrigens m.W. im trivialen Bereich durchs ganze 19. Jahrhundert, bis hin zu Karl May.) Goethes Mignon ist, wenn keine echte Zigeunerin, so doch ein virtueller Abkömmling des virulenten Zigeunertums. Ebenso der Taugenichts.


    Hallo Sandhofer,


    vielen Dank für Deine Ergänzungen, die Ausdehnung von "Kleists Zeit" sehe ich nicht als Problem, mir ging es aber nicht so sehr um Zigeuner an sich, sondern um Zigeuner als Wahrsager oder gar als Bote aus dem Jenseits.


    Bei Mignon, kann ich ja noch was "zigeunerhaftes" erkennen, aber der Taugenichts, das ist m.M.n. ein Wanderbursche auf Zeit, kein Zigeuner?



    Jacky hat gepostet:
    Meiner Meinung nach war das Bild der Zigeuner oft negativ, sie waren Räuber oder halt Hexen (gab es nicht sogar schon bei Grimmelshausen Zigeuner?). Ich glaube in der Romantik fand eine Umwertung der "Zigeuner" statt. So hat die Zigeunerin bei Kleist eine übergeordnetet Funktion , sie hat Wissen und verleiht dem Kohlhaas Macht.
    Falls Dich das Thema interessiert werde ich mal etwas genauer nachschauen.


    Hallo Jacky, also wenn Du in Richtung Zigeuner als Wahrsager oder Bote aus dem Jenseits nachschauen könntest, wäre ich Dir sehr dankbar.


    Ich verrate Dir dann auch, warum der Kohlhaas bei Kleist fünf Kinder hat. :zwinker:


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Hubert"

    [...] aber der Taugenichts, das ist m.M.n. ein Wanderbursche auf Zeit, kein Zigeuner?-


    Na ja, nicht wirklich. Eher eine Art "Zigeuner-light": Er arbeitet nicht wirklich gern, sondern läuft lieber in der Welt herum und fiedelt; statt Gemüse zu pflanzen, lässt er Blumen wachsen. So, was halt das Vorurteil auch einem Zigeuner zuschreibt. Aber das Magisch-Verwunschene fehlt ihm natürlich.


    Gibt es übrigens nicht auch in Schillers Trivial-Romanen Zigeuner? In Voltaires Candide? Scott verwendet dieses fahrende Volk ebenfalls - als Wahrsager, Diebe und Mörder; z.B. in Quentin Durward. Da bin ich mir sicher, bei den anderen beiden habe ich leider keine Zeit, um das nachzulesen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Macht richtig Spaß hier zu lesen. Danke :blume: !


    Wohne ja in der Nähe von Frankfurt(Oder) und Kleist haben wir in der Schule behandelt. Lang ist es her.

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Hallo zusammen,


    Ich habe zwar keine Zeit, den Kohlhaas mitzulesen, schaue aber ab und zu in die Diskussionen hinein. Zum Thema Zigeuner fällt mir ein: Eine Truppe von Zigeunern taucht auch in Henry Fieldings epochemachendem Roman "Tom Jones" (1748) auf. Noch nicht im Sinne der Romantik, aber durchaus positiv dargestellt: So wird die Weisheit, mit der das Oberhaupt der Zigeuner sein Volk regiert, als moralisches Gegenbild zur zeitgenössischen englischen Gesellschaft vorgestellt.


    Herzlichen Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo zusammen!


    Vielen Dank Sandhofer und Harald für eure Hinweise auf Zigeuner in „Quentin Durward“ von Walter Scott bzw. „Tom Jones“ von Henry Fielding


    Inzwischen habe ich auch das Alter des historischen Kohlhaas herausgefunden: Hans Kohlhase wurde um 1500 geboren und 1540, also mit ca. 40 Jahren hingerichtet. Da Kleist das Alter von Kohlhase sicher kannte, hat er also ganz bewusst seinem Kohlhaas das „Jesusalter“ gegeben. Allein darüber, was das für die Erzählung bedeutet, könnte man noch einige Zeit diskutieren.


    Ich habe den “Kohlhaas” nicht zum ersten Mal gelesen, aber vieles entdeckt, was mir bisher nicht aufgefallen war. Das hängt sicher auch mit dem gemeinsamen Lesen zusammen. Dafür allen an der Leserunde beteiligten, meinen herzlichsten Dank. Sicher war es auch nicht das letzte Mal, das ich Kleist „Kohlhaas“ gelesen habe. Auch Kafka, zu dem wir in unserem Kleist/Kafka-Projekt jetzt endlich kommen, hat speziell den Kohlhaas mehrere Male gelesen. In einem Brief an Felice Bauer schreibt Franz Kafka:


    „Gestern abend habe ich Dir nicht geschrieben, weil es über Michael Kohlhaas zu spät geworden ist (kennst Du ihn? Wenn nicht, dann lies ihn nicht! Ich werde ihn Dir vorlesen!) den ich bis auf einen kleinen Teil, den ich schon vorgestern gelesen hatte, in einem Zug gelesen habe. Wohl schon zum zehnten Male.“


    Insofern, war Jackys Idee, vor dem Prozeß, den Kohlhaas zu lesen, sicher sehr gut.


    In unserem Forum „Klassiker als Hörbuch“ gibt’s inzwischen auch noch Infos über 2 Hörbücher mit ungekürzten Lesungen von „Michael Kohlhaas“
    http://www.klassikerforum.de/forum/viewtopic.php?t=891


    Gruß von Hubert

  • Hallo,


    Habe mir das Buch:Michael Kohlhaas von Kleist zur Auffrischung aus der Bibliothek geholt :zwinker: . Wochenende geht,s los. Danke für diesen Tipp! Lese dazu eure Kommentare :breitgrins: .


    Gruß,Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij