Juli 2004: Heinrich von Kleist: „Michael Kohlhaas“

  • Die Erzählung/Novelle „Michael Kohlhaas“ ist wahrscheinlich Kleists bekanntestes Werk.
    Es ist seit Tiecks erster Kleist-Gesamtausgabe (1826) in über siebzig deutschsprachigen Kleist-Gesamtausgaben erschienen und wurde in über 120 deutschsprachigen Einzelausgaben veröffentlicht. Außerdem wurde es in viele Textsammlungen aufgenommen (Von „Meisterwerke der Weltliteratur“ 1916, über „Meisterwerke deutscher Prosa“ 1946, bis zu „Kriminalnovellen deutscher Dichter“ 1975). Darüber hinaus wurde es in über dreißig Sprachen übersetzt, allein ins Französische mindestens zehn mal.


    Die Figur des Michael Kohlhaas ist wie die Figur des Faust sprichwörtlich geworden. Während Faust für den nach Erkenntnis strebenden Menschen steht, steht der Kohlhaas für den Kampf ums Recht. Kleist behandelt in seiner Erzählung/Novelle den Kampf eines Bürgers um sein Recht. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob sich ein Bürger wehren darf, wenn ihm vom Staat Unrecht zugefügt wird. Kleist greift dazu auf eine alte Chronik von einem Hans Kohlhase zurück, dem zwei Pferde verdorben wurden. Als dieses Unrecht ungesühnt bleibt, rebelliert Kohlhase gegen die Obrigkeit.


    Die Rechtsauffassung von Michael Kohlhaas ist das zentrale Problem in Kleists „moralischer Erzählung“. Diese kann als Beitrag zur rechtsphilosophischen Diskussion verstanden werden, aber auch als Aufruf zum Widerstand gegen Napoleon.


    Diese Leserunde ist Teil eines größeren Projektes, das mit der Leserunde „Kleist: „Prinz Friedrich von Homburg“ begann. Der Link zu dieser Leserunde enthält weitere Links zur Kleistbiographie u.ä.:


    Chronik „Gemeinsames Lesen“ Juni 2004 Kleist „Prinz Friedrich von Homburg“:
    http://www.klassikerforum.de/forum/viewtopic.php?t=843



    Kohlhaas text bei Gutenberg
    http://gutenberg.spiegel.de/kleist/kohlhaas/kohlhaas.htm



    Inhaltsangabe:
    http://www.kleist.org/umat/i1_kohl.htm



    Uni-Protokoll
    http://www.uni-protokolle.de/L…el_Kohlhaas_(Kleist).html



    Weitere Mitleser sind willkommen. Zum "gemeinsamen Lesen" geht's hier:
    http://www.klassikerforum.de/forum/viewtopic.php?t=819


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "Michael"

    .


    Bin also beim Kohlhaas auch dabei. :winken:


    Grüße,
    Michael


    Hallo zusammen,


    so, ich habe jetzt den Lesevorschlag ins "Gemeinsame Lesen" verschoben und damit können ab sofort, Eindrücke, Anmerkungen, Fragen usw. zum "Kohlhaas" gepostet werden. Schön, Michael, dass Du dich unserer Leserunde angeschlossen hast. Vielleicht finden sich ja auch noch weitere Mitleser. Durch den geringen Umfang, ist die Kleist-Erzählung ja auch für Klassik-Anfänger und Leserundenanfänger hervorragend geeignet.


    Gleichzeitig habe ich auch den Eintrag im Forum "Chronik" gemacht. Wenn ihr da noch Anmerkungen habt, könnt ihr das gerne ergänzen:


    http://www.klassikerforum.de/forum/viewtopic.php?t=874


    Ansonsten wünsche ich viel Spaß beim Lesen.


    Grüsse von Hubert

  • Schön,


    fange gleich an zu schmökern! :zwinker:


    Ich habe noch einmal eure Beiträge zum "Prinzen" gelesen, damit ich einigermaßen auf gleichem Stand bin. Das war ja eine, wie ich finde, sehr anregende Diskussion. Bin gespannt, wie sich jetzt der Kohlhaas entwickeln wird und freue mich mitzumachen. :winken:


    Grüße,
    Michael

  • Hallo an alle,


    ich heiße Cordula und würde ganz gerne beim Kohlhaas mitlesen. Hubert hat mich eingelanden und so hoffe ich, daß noch Platz bei Euch ist.


    Liebe Grüße


    Cordula

  • Hallo zusammen,


    heute habe ich in der Zeitung ein Interview mit Elke Heidenreich gelesen, zur ZDF-Akton "Die 50 beliebtesten Bücher" (Heidenreich zur Aktion: "idiotisch"; sehe ich zwar genau so, aber warum macht sie dann mit?). Frau Heidenreich wurde nach einer Prognose gefragt und tippte auf "Grimms Märchen" oder solche Sachen. Heidenreich weiter: "Wenn es nach mir ginge, würde Heinrich von Kleist vorne landen, seine Sprache ist unerreicht."


    Wie seht ihr das, ist für euch auch Kleists Sprache unerreicht?



    Kleist ist ja nicht nur ein Meister der Sprache, sondern vor allem auch der Form. Da ich den "Michael Kohlhaas" nicht zum 1. Mal lese, weiß ich, dass der Aufbau der Novelle einem klassischen Drama mit 5 Akten entspricht. Den ersten Akt (Exposition) würde ich mit "Dem rechtschaffenden Bürger Kohlhaas geschieht Unrecht" überschreiben.


    Der Roßhändler Kohlhaas wird ja gleich im ersten Absatz als "einer der rechtschaffensten" und typisch Kleist "und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit" geschildert, der, wieder typisch Kleist, in einer Tugend (der Gerechtigkeit, sogar eine Kardinaltugend) ausschweift.


    Diesem Kohlhaas geschieht nun dreifaches Unrecht:


    1. Unrecht auf der Tronkenburg durch den Junker Wenzel von Tronka


    2. Unrecht durch das Gericht in Dresden


    3. Unrecht an seiner Frau in Berlin


    Nachdem Kohlhaas innerhalb der Gesellschaft kein Recht erhält, gibt er seine Existenz als Bürger auf.:


    Lieber ein Hund sein, wenn ich von Füßen getreten werden soll, als ein Mensch“ und
    in einem Land, in welchem man ihn in seinen Rechten nicht schützen will, mag er nicht bleiben.


    Mit dem Verkauf des Hauses, dem „In Sicherheit bringen“ der Kinder, endet die bürgerliche Existenz von Kohlhaas und m.M.n. auch der erste Teil der Novelle. Die Exposition gibt die erforderlichen Angaben. Wir kennen den Protagonisten Michael Kohlhaas, mit seiner Familie und seinem Gesinde. Wir kennen seinen Gegenspieler: Wenzel von Tronka. Wir kennen die Schauplätze::die Tronkenburg an der Grenze der Fürstentümer Brandenburg und Sachsen, Dresden und Berlin (die zwei Landeshauptstädte)


    Bis hierher (also: „und brach nach der Tronkenburg auf“) habe ich gelesen. Wie weit seit ihr? Am Anfang sollten wir uns mit dem Lesetempo etwas abstimmen, ich bin da ziemlich flexibel.


    Die Bewaffnung der Knechte „sieben an der Zahl“ deuten darauf hin, was kommen wird. M.M.n. stehen die sieben Knechte für die sieben Engel in Offb 8,6 ff. Dort heißt es: „Und die sieben Engel mit den sieben Posaunen hatten sich gerüstet zu blasen. Und der erste blies seine Posaune; und es kam Hagel und Feuer, mit Blut vermengt, usw. – also Apokalypse now.


    Gruß von Huberet

  • Ach ja, das wollte ich auch noch schreiben (aber da gerade meine Tastatur kaputt war, doch vergessen):


    Zwei Neumitglieder werden sich erfreulicherweise an unserer Leserunde "Michael Kohlhaas" beteiligen:


    Cordula, ab sofort :klatschen:


    wannaBe, voraussichtlich ab Dienstag. :klatschen:


    Somit sind wir ja eine interessante Leserunde geworden und ich hoffe, dass wir auch anschliessend für Kafka zusammen bleiben.
    :smile:



    Liebe Grüße


    :winken:


    Hubert

  • Hallo zusammen, hallo Hubert,


    Zitat

    Wie weit seit ihr? Am Anfang sollten wir uns mit dem Lesetempo etwas abstimmen, ich bin da ziemlich flexibel.


    Ich habe gestern Abend den Dialog zwischen Kohlhaas und Luther gelesen und war gerade von der Stelle begeistert. Heute werde ich allerdings nicht vorankommen, da ich bis morgen Nachmittag kurz verreise. Ich melde mich morgen Abend, denke ich, ausführlicher...


    Zitat

    [...]dass der Aufbau der Novelle einem klassischen Drama mit 5 Akten entspricht. Den ersten Akt (Exposition) würde ich mit "Dem rechtschaffenden Bürger Kohlhaas geschieht Unrecht" überschreiben.


    Klingt plasusibel. Ich denke die Erzählung hat insgesamt einen sehr szeneartigen Aufbau. Aber mehr zu meinen ersten Eindrücken am Sonntag.


    Bis dahin liebe Grüße,
    Michael :winken:

  • Vermutlich hat Kleist für seinen „Michael Kohlhaas“ die Märkische Chronik von Peter Hafftitz (1525 bis 1602), sowie einen historischen Brief von Luther an Kohlhase als Quellen benutzt, die er in seinem Sinne bearbeitet hat. Der Kern der historischen Geschichte stellt sich ungefähr so dar:


    Hans Kohlhase, ein Kaufmann aus Cölln an der Spree (heute Stadtteil Neukölln in Berlin) bricht mit zwei Wechselpferden zur Herbstmesse 1532 nach Leipzig auf. Zwischen Wittenberg und Leipzig werden ihm von Untersassen des Junkers von Zaschwitz die Pferde beschlagnahmt, mit der Begründung, diese seien gestohlen. Als Kohlhase auf der Rückreise sich weigert die für die Pferde inzwischen angefallenen Futterkosten zu zahlen, wird die Herausgabe der Pferde abgelehnt. Nachdem eine schiedgerichtliche Verhandlung im Mai 1533 scheitert, erklärt Kohlhase dem Junker von Zaschwitz und dem Lande Sachsen in aller Form die Fehde. Nachdem Kohlhase Teile von Wittenberg niedergebrannt hatte, gelang es ihm eine neue Verhandlung zu erreichen. Die ihm dabei zugesprochene Zahlung erfolgt aber nicht und Kohlhase nimmt die gewalttätigen Aktivitäten seines Haufens wieder auf, ja dehnt diese auch auf brandenburgisches Gebiet aus. Schließlich wird er gefangen genommen, wegen Landfriedensbruch in Berlin verurteilt und am 22. März 1540 hingerichtet.

  • Hallo an alle,


    ich habe jetzt auch bis zum Ende des Wortwechsels zwischen Kohlhaas und Luther gelesen.


    Hubert hat geschrieben:


    Zitat

    Hans Kohlhase, ein Kaufmann aus Cölln an der Spree (heute Stadtteil Neukölln in Berlin) bricht mit zwei Wechselpferden zur Herbstmesse 1532 nach Leipzig auf. Zwischen Wittenberg und Leipzig werden ihm von Untersassen des Junkers von Zaschwitz die Pferde beschlagnahmt, mit der Begründung, diese seien gestohlen. Als Kohlhase auf der Rückreise sich weigert die für die Pferde inzwischen angefallenen Futterkosten zu zahlen, wird die Herausgabe der Pferde abgelehnt. Nachdem eine schiedgerichtliche Verhandlung im Mai 1533 scheitert, erklärt Kohlhase dem Junker von Zaschwitz und dem Lande Sachsen in aller Form die Fehde. Nachdem Kohlhase Teile von Wittenberg niedergebrannt hatte, gelang es ihm eine neue Verhandlung zu erreichen. Die ihm dabei zugesprochene Zahlung erfolgt aber nicht und Kohlhase nimmt die gewalttätigen Aktivitäten seines Haufens wieder auf, ja dehnt diese auch auf brandenburgisches Gebiet aus. Schließlich wird er gefangen genommen, wegen Landfriedensbruch in Berlin verurteilt und am 22. März 1540 hingerichtet.


    Danke Hubert für Deine Ausführungen. Das ist sehr interessant. Ich habe nun gelesen, daß Luther in Wirklichkeit viel mehr Verständnis für Kohlhase gezeigt hat, auch wenn er Kohlhases Verhalten tadelte. Er soll Kohlhase am Ende auch den Segen gegeben haben.


    Hubert hat geschrieben:


    Zitat

    dass der Aufbau der Novelle einem klassischen Drama mit 5 Akten entspricht. Den ersten Akt (Exposition) würde ich mit "Dem rechtschaffenden Bürger Kohlhaas geschieht Unrecht" überschreiben


    Also mir gefällt das auch gut.


    Leider kann ich bis Montag nicht weiterlesen, weil ich Besuch bekomme. Aber Montag, am späten Abend habe ich dann sicher wieder Zeit.


    Liebe Grüße


    Cordula

  • Hallo Ihr Lieben!!!
    Hallo Michael, Cordula und WannaBe herzlich willkommen in unserer Kleist/Kafka Runde. :klatschen:


    So, habe nun auch bis zum Ende des Luther- Gespräches gelesen.


    Zitat

    Wie seht ihr das, ist für euch auch Kleists Sprache unerreicht?


    Tja, ich finde zumindest, daß sie einzigartig ist. Kleist als Person und als Dichter war ein Sonderling. Das macht sich auch in seiner Dichtung bemerkbar. Seine Art zu Schreiben ist einfach etwas anderes, weiß auch nicht wie ich es benennen soll. Seine Sprache variiert von Stück zu Stück, von Novelle zu Novelle. Gerade der Sprach/Schreibstil im Kohlhaas ist...unglaublich. Als Schülerin haben mich dieses Satzgefüge in den Wahnsinn getrieben :zwinker: .


    Beispiel: Spornstreichs auf dem Wege nach Dresden war er schon, als er, bei dem Gedanken an den Knecht, und an die Klage, die man auf der Burg gegen ihn führte, schrittweis zu reiten anfing, sein Pferd, ehe er noch tausend Schritt gemacht hatte, wieder wandte, und zur vorgängigen Vernehmung des Knechts, wie es ihm klug und gerecht schien, nach Kohlhaasenbrück einbog.


    Diese Sprache ist nun mal "unerreicht" :breitgrins:


    Aber warum können Kleists "Männer" nicht mal auf ihre Frauen hören????? :rollen:



    Hubert, vielen Dank für den historischen Hintergrund!
    Das mit dem Dramenaufbau, das muß ich noch überdenken.
    Liebe Grüße Jacky

  • Hallo zusammen,


    bin zurück! Habe am Wochenende die Friedrich August Bibliothek und das Lessing Haus in Wolfenbüttel angeschaut. Sehr schön. Aber jetzt kommen nur noch literarische Blubberblasen aus meinem Kopf. Brauche eine kleine literarische Pause!
    Aber morgen geht es im Kohlhaas weiter. Bis dann. :winken:


    Liebe Grüße
    Michael

  • Zitat von "Cordula"

    Danke Hubert für Deine Ausführungen. Das ist sehr interessant. Ich habe nun gelesen, daß Luther in Wirklichkeit viel mehr Verständnis für Kohlhase gezeigt hat, auch wenn er Kohlhases Verhalten tadelte. Er soll Kohlhase am Ende auch den Segen gegeben haben.


    Hallo zusammen!
    Hallo Cordula,


    Ja richtig, tatsächlich hat Luther den Kohlhase nicht als Verbrecher angesehen, wie auch der überlieferte Brief von Luther an Kohlhase zeigt, sondern ihn nur im Hinblick auf die Bibel (5. Buch Mose Kap. 32, Vers 35ff und den Römerbrief von Paulus Kap. 12, Vers 17ff) ermahnt von seiner Rache abzulassen:


    8. Dez. 1534
    Gnad und Fried in Christo! Mein guter Freund! Es ist mir fürwahr Euer Unfall leid gewesen, und noch, das weiß Gott; und wäre wohl besser gewesen, die Rache nicht furzunehmen, dieweil dieselbe ohne Beschwerung des Gewissens nicht vorgenommen werden mag, weil sie ein selbs eigen Rache ist, welche von Gott verboten ist, Deut. 32., Röm 12: Die Rach ist mein, spricht der Herr, ich will vergelten etc., und nicht anders sein kann; denn wer sich darein begibt, der muß sich in die Schanz geben, viel wider Gott und Menschen zu tun, welches ein christlich Gewissen nicht kann billigen. .....


    Im weiteren Verlauf des Briefes rät Luther dem Kohlhase Frieden anzunehmen und lieber an Gut und Ehre Schaden zu erleiden.


    Luther, der ja eigentlich ein Rebell und geistiger Revolutionär war, wird bei Kleist ja eher als Diplomat und Schreibstubengelehrter dargestellt, aber anscheindend entsprach das dem Bild Luthers zur Zeit Kleists, wie ein Brief von Schillers Frau an Karoline von Sachsen-Weimar zeigt:


    24. März 1811
    Haben Sie die Geschichten von Kleist gelesen. Seien Sie so gnädig und lesen den Kohlhaas, wenn es noch nicht geschehen ist. Da ist Luthers Charakter so hübsch in einzelnen Zügen geschildert


    .Liebe Grüße von Hubert

  • Zitat von "Jacky"

    So, habe nun auch bis zum Ende des Luther- Gespräches gelesen.



    Tja, ich finde zumindest, daß sie einzigartig ist. Kleist als Person und als Dichter war ein Sonderling. Das macht sich auch in seiner Dichtung bemerkbar. Seine Art zu Schreiben ist einfach etwas anderes, weiß auch nicht wie ich es benennen soll. .


    Hallo zusammen,
    hallo Jacky,


    Dein „einzigartig“ als Beschreibung von Kleists Sprache gefällt mir besser als Heidenreichs „unerreicht“. Thomas Mann hat Kleists Sprache mal so charakterisiert:


    „Ein Impetus, in eiserne, völlig unlyrische Sachlichkeit gezwungen, treibt verwickelte, verknotete, überlastete Sätze hervor, in denen immer wieder mit verschachtelten „dergestalt, dass“ – Konstruktionen gewirtschaftet wird, und die geduldig geschmiedet zugleich und von atemlosem Tempo gejagt wirken.“


    Können wir dem zustimmen?
    Und würdet ihr mir zustimmen, dass nicht nur Kafka von Kleist gelernt hat, sondern dass wahrscheinlich auch Thomas Manns Schachtelsätze ihre Vorbilder bei Kleist haben?.



    Das mit dem Dramenaufbau, das muß ich noch überdenken.


    Also das mit dem Dramenaufbau ist meine Idee, allgemein wird der „Kohlhaas“ in 2, 3 oder vier Teile eingeteilt. Allerdings konnte ich diese Einteilungen nie nachvollziehen. Und sicher ist, dass Kleist sehr viel Wert auf die Form und den Aufbau seiner Werke gelegt hat. Meine Einteilung bis zur Lutherbegegnung, den Rest habe ich noch offen gelassen, wäre wie folgt: .


    1. Akt: Exposition: „Dem rechtschaffenden Bürger Kohlhaas geschieht Unrecht"
    2. Akt: Erregendes Moment: „Kohlhaas als Mordbrenner“
    3. Akt: Höhepunkt: „Begegnung mit Luther“
    4. Akt: Retardation
    5. Akt: Katastrophe


    Dabei würde ich den 2. Akt, genau wie den ersten in drei Teile einteilen:


    1. Überfall auf die Tronkenburg und Bedrohung des Klosters


    2. Belagerung von Wittenberg


    3. Bedrohung von Leipzig



    Ihr müsst mir bei dieser Einteilung natürlich nicht folgen. Vielleicht habt ihr ja eigene Ideen in dieser Richtung?


    Liebe Grüße von Hubert

  • Hallo Zusammen, hallo Hubert!


    Vielen Dank für die Zitate von Mann und Luther- sehr interessant.
    Ist nicht der Tod Lisbeths der endgültige Auslöser für Kohlhaas in den Krieg zu ziehen? In der Figur der Lisbeth ist viel vorhersagendes vorhanden, oder. Sie ahnt von Anfang an, wohin das alles führen wird. Sie versucht besonnen zu handeln, was von ihrem Mann wohl nicht zu erwarten ist. ("und die Hausfrau, die sich über seine Gelassenheit sehr freute, ging, und holte den Knecht. "). Ich deute den Satz so, daß er unter normalen Umständen nicht Gelassen reagiert. Oder ist das über-interpretiert? :rollen:


    Das Gespräch mit Luther ist der Höhepunkt? Ja es könnte ein Wendepunkt in der Erzählung werden. Aber vom Aufbau, wäre es doch für den Höhepunkt etwas zu früh, oder???


    Liebe Grüße Jacky

  • Zitat von "Jacky"

    Seine Art zu Schreiben ist einfach etwas anderes, weiß auch nicht wie ich es benennen soll. Seine Sprache variiert von Stück zu Stück, von Novelle zu Novelle. Gerade der Sprach/Schreibstil im Kohlhaas ist...unglaublich. Als Schülerin haben mich dieses Satzgefüge in den Wahnsinn getrieben :zwinker: .


    Hallo zusammen,
    hallo Jacky,


    ich vermute, Kleist hat analog seinem Aufsatz von 1805 „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“, auch geschrieben:
    http://gutenberg.spiegel.de/kleist/erzaehlg/gedanken.htm



    Ist nicht der Tod Lisbeths der endgültige Auslöser für Kohlhaas in den Krieg zu ziehen?


    Hm, den Plan seine Grundstücke zu verkaufen hat er ja vorher schon, und da er Pferde und Waffen nicht mitverkaufen will, denke ich mal, der Rachefeldzug stand schon vorher fest, er hätte sich aber wohl von seiner Frau wieder davon abbringen lassen (insofern hört er ja auf seine Frau), wenn ihre Reise nach Berlin nicht schief gegangen wäre.


    In der Figur der Lisbeth ist viel vorhersagendes vorhanden, oder. Sie ahnt von Anfang an, wohin das alles führen wird. Sie versucht besonnen zu handeln, was von ihrem Mann wohl nicht zu erwarten ist. ("und die Hausfrau, die sich über seine Gelassenheit sehr freute, ging, und holte den Knecht. "). Ich deute den Satz so, daß er unter normalen Umständen nicht Gelassen reagiert. Oder ist das über-interpretiert?


    Nein, sehe ich auch so.
    Die Frau von Kohlhaas trägt übrigens den gleichen Namen wie die Frau des Götz von Berlichingen in Goethes Drama. (Elisabeth). Zufall? Im Götz gibt es auch einen Lerse und der Herse im Kohlhaas könnte davon abgeleitet sein.


    Götz von Berlichingen kämpft ja wie der Kohlhaas um sein Recht und auch er überschreitet die Gesetze.


    Auch Schiller hat mit Karl Moor in den „Räubern“ und dem „Wilhelm Tell“ Rebellen geschaffen, die sich auf eigene Faust Recht verschaffen. Das Thema war zu der Zeit wohl sehr beliebt. Gründe?



    Das Gespräch mit Luther ist der Höhepunkt? Ja es könnte ein Wendepunkt in der Erzählung werden. Aber vom Aufbau, wäre es doch für den Höhepunkt etwas zu früh, oder???


    Ja, ich glaub’ Du hast Recht, das ist noch zu früh für den Höhe-/Wendepunkt. Ich werde das noch mal überarbeiten.


    Liebe Grüße von Hubert


  • Hallo zusammen, hallo Hubert!


    Danke für das Mann-Zitat.


    Zitat

    „Ein Impetus, in eiserne, völlig unlyrische Sachlichkeit gezwungen, treibt verwickelte, verknotete, überlastete Sätze hervor, in denen immer wieder mit verschachtelten „dergestalt, dass“ – Konstruktionen gewirtschaftet wird, und die geduldig geschmiedet zugleich und von atemlosem Tempo gejagt wirken.“


    Kurze, unkomplizierte Satzkonstruktionen hat Mann auch nicht gerade verwendet, oder? :breitgrins:


    Verwickelt und verknotet, vielleicht auch manchmal überlastet, da würde ich an einigen Stellen nicht unbedingt wiedersprechen. Unlyrisch sachlich finde ich die Sprache Kleists im Kohlhaas allerdings nicht. Ich meine schon, dass sie einen eigentümlichen Rhythmus entwickelt und deshalb auch nicht unbedingt schwer lesbar ist, auch wenn die Sätze teils sehr verschachtelt werden.


    Zitat

    Wie seht ihr das, ist für euch auch Kleists Sprache unerreicht?


    Diese Frage finde ich schwer zu beantworten. Als ich den Kohlhaas vor etlichen Jahren einmal gelesen habe (ich kann mich kaum noch erinnern) ist mir die Konstruktion seiner Sätze und dies sehr kompackte Gesamtgebilde schon etwas schwer gefallen. Heute lese ich ihn viel leichter. Das Kafka gerade diese Erzählung sehr gemocht haben muss, wird an einigen Stellen deutlich. Aber dazu vielleicht später, wenn wir die Werke vergleichen.
    Im Rahmen des literarischen Ausdrucks der damaligen Zeit, finde ich seine Sprache beeindruckend. Sie hat eine gewisse Erzählmelodie, die man heute nicht mehr findet. Das ist schon reizvoll.
    Unerreicht finde ich Kleists Sprache nicht; außergewöhnlich, ja. Bei späteren Autoren mag ich die Selbstbeschränkung im sprachlichen Mittel oft mehr. Aber das läuft auf eine zeitunabhängige Betrachtung hinaus, die vielleicht nicht ganz zulässig ist.


    Heute macht es mir jedenfalls Spaß mich in seinen Schachtelsätzen zu verlieren. :zwinker:


    Grüße,
    Michael

  • Zitat von "Michael"

    Unlyrisch sachlich finde ich die Sprache Kleists im Kohlhaas allerdings nicht. Ich meine schon, dass sie einen eigentümlichen Rhythmus entwickelt und deshalb auch nicht unbedingt schwer lesbar ist, auch wenn die Sätze teils sehr verschachtelt werden.


    Sehe ich genau so.
    Durch seinen hypotaktischen Satzbau, also verschachteltes Satzgefüge mit vielen Nebensätzen, und die Verknüpfung von Informationen, die sich auch auf mehrere Sätze verteilen ließen, durch die Konjunktionen „indem“ oder das von T. Mann erwähnte „dergestalt, dass“, schafft Kleist formale Sinneinheiten mit einem starken Sog auf ihr Ende.



    Habe am Wochenende die Friedrich August Bibliothek und das Lessing Haus in Wolfenbüttel angeschaut. Sehr schön


    Interessiert mich sehr. Da will ich bei Gelegenheit auch mal vorbeischauen. Vielleicht kannst Du ja einen kleinen Erlebnisbericht posten. Am besten in diesem Lessing-Thread:
    http://www.klassikerforum.de/forum/viewtopic.php?t=848


    Gruß von Hubert

  • Hallo,


    noch ein paar Gedanken zur Sprache Kleists im Kohlhaas, die mir heute während des Lesens gekommen sind.
    So wie Kleist Sätze und Nebensätze zueinander konstruiert, bekommt der Text einen, ich will es mal gleichförmigen Rhythmus nennen, der mir manches Mal wie die Monotonie des Immerwiederkehrenden vorkommt.
    Dieser scheint mir gut mit der inhaltlichen Ebene im Einklang zu stehen. Ich meine den ständig wiederansetzenden Versuch des Michael Kohlhaas sich bei der "Obrigkeit" Gehör und Recht zu verschaffen. Immer wieder werden diesen Versuche abgelenkt, umgelenkt oder scheinen zu versanden, selbst wenn in Dresden ja durchaus positive "Lichtblicke" zu erkennen sind. Die Hoffnung, sich in einem solchen Obrigkeitsapparat, der auch für mich als Leser nur schwer durchschaubar zu sein scheint, durchzusetzen und sein Recht einzufordern, stirbt bekanntlich zuletzt. Auch dies scheint mir bereits ein Hinweis auf Kafka zu sein.


    Was meint ihr?


    Ich bin gespannt wie es endet. Bis zum Wochenende müsste ich es gut schaffen.


    Zitat

    Habe am Wochenende die Friedrich August Bibliothek und das Lessing Haus in Wolfenbüttel angeschaut. Sehr schön


    Interessiert mich sehr. Da will ich bei Gelegenheit auch mal vorbeischauen. Vielleicht kannst Du ja einen kleinen Erlebnisbericht posten. Am besten in diesem Lessing-Thread:


    Werde ich in den nächsten Tagen machen, wenn ich ein bisschen Zeit finde. Danke, Hubert, für den Tipp.


    Grüße von Michael

  • Lieber Michael, lieber Hubert, liebe Jacky


    Hubert hat geschrieben


    Zitat

    „Ein Impetus, in eiserne, völlig unlyrische Sachlichkeit gezwungen, treibt verwickelte, verknotete, überlastete Sätze hervor, in denen immer wieder mit verschachtelten „dergestalt, dass“ – Konstruktionen gewirtschaftet wird, und die geduldig geschmiedet zugleich und von atemlosem Tempo gejagt wirken.“


    und Michael hat geantwortet:



    Zitat

    Unlyrisch sachlich finde ich die Sprache Kleists im Kohlhaas allerdings nicht.


    Vielleicht meint Thomas Mann mit „unlyrisch sachlich“ das gleiche wie wenig umschreibend. Thomas Mann und Heinrich Kleist haben zwar beide Schachtelsätze geschrieben, aber Thomas Mann beschreibt Personen, Umgebung und Umfeld sehr ausführlich. Ich kann das vielleicht etwas näher anhand von einem Zitat aus dem Buch Buddenbroks darlegen:


    Die Konsulin Buddenbrok, neben ihrer Schwiegermutter, auf dem geradlinigen, weiß lackierten mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb überzogen waren,warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armsessel bei ihr saß, und kam ihrer Tochter zur Hilfe, die der Großvater am Fenster auf den Knien hielt.
    „Tony!“ sagte sie, ich glaube, daß mich Gott-„
    Und die kleine Antoine, achtjährig und zart gebaut, in einem Kleidchen aus ganz leichter changierender Seide, den hübschen Blondkopf ein wenig, vom Gesichte des Großvaters abgewandt, blickte aus ihren graublauen Augen ...


    Die fett gedruckten Beschreibungen sind sehr schön zu lesen und vermitteln in ihrer Gesamtheit eine bestimmte Atmosphäre. Kleist denke ich, würde das so nicht schreiben oder weiß von euch jemand die Haar- oder Augenfarbe Lisbeths oder wie die Kleidung von Kohlhaas genau aussieht? Kleist beschreibt das nicht, weil es für den weiteren Verlauf der Geschichte nicht von großer Wichtigkeit wäre.
    Ich denke, der einzelne Satz enthält bei Kleist eine Fülle von Aussagen, die aneiander gepresst werden. Daher vielleicht auch das „atemlose Tempo“.
    Vielleicht meinte Thomas Mann , daß diese „Sachlichkeit“ unlyrisch ist. Ich teile diese Meinung nicht, aber zu Thomas Manns Zeiten galt vielleicht ein Buch, was nicht mit einer Fülle von ausführlichen Umschreibungen aufwarten konnte, als unlyrisch l???


    Liebe Grüße


    Cordula