Halldór Laxness: Weltlicht


  • ... mit dem Titel "sommerschloss" für den zweiten Band ...


    Hm, mir fällt soeben auf, dass der Titel des zweiten Bandes in meiner Übersetzung "Das Schloß des Sommerlandes" lautet. Von einem Sommerschloß ist nicht die Rede. @ finsbury: Hast Du eine andere Übersetzung (meine stammt von H. Seelow), oder hast Du aus dem Gedächtnis zitiert?


    Mittlerweile weiß ich auch, was der Isländer unter "Sommerland" versteht: das Paradies, in das der gute Christ nach seinem Tod eingeht. In einem kalten Land wie Island ist diese Vorstellung natürlich verlockend.


    LG


    Tom

  • Poesie in rauher Sphäre


    Island ist ein rauhes, kaltes und karges Land. Vielleicht befördert gerade diese unwirtliche, mit natürlichen Reizen geizende Umwelt den Hang der Menschen zu Dichtung und Poesie – allerdings zu einer sich kämpferisch gebenden, bodenständigen: „Wer glaubt, die Schönheit sei etwas, das er allein für sich selbst genießen kann, indem er andere Menschen im Stich lässt und die Augen verschließt vor dem menschlichen Leben, an dem der teilhat – er ist kein Freund der Schönheit. … Wer nicht an jedem Tag seines Lebens bis zum letzten Atemzug kämpft gegen die Handlanger des Bösen, gegen die lebenden Symbole des Häßlichen, … der lästert Gott, wenn er das Wort Schönheit in den Mund nimmt.“ (S. 267) Das ist die definitive Absage an jegliches l'art pour l'art - und letztlich auch an die Träume des weltfremden Olafur.

  • Hm, mir fällt soeben auf, dass der Titel des zweiten Bandes in meiner Übersetzung "Das Schloß des Sommerlandes" lautet. Von einem Sommerschloß ist nicht die Rede. @ finsbury: Hast Du eine andere Übersetzung (meine stammt von H. Seelow), oder hast Du aus dem Gedächtnis zitiert?


    Du hast natürlich Recht, ich habe aus dem Gedächtnis zitiert. Aber der Begriff Schloss kommt ja trotzdem vor. Allerdings passt es nicht in den Zusammenhang, den du aufstellst. Ich glaube eigentlich auch nicht, dass Laxness trotz seines Intellektualismus auf Kafka anspielt, das passt nicht zu seiner mystisch-christlichen Seite, zu der er zwar persönlich in den 30ern schon recht distanziert ist, die er aber seinen Figuren wohl recht gern gönnt.
    Wobei ich immer noch nicht darüber hinwegkomme, was für eine mystische Gemengelage unseren Lichtwikinger umtreibt. A propos: Was bedeutet "Grunnvikingur"? So ist ja der Beiname des alten Dichters, den Olafur und Reimar auf dem Weg nach Svidinsvik besuchen.
    Ich beginne leider erst mit II, 2.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()


  • ... der Begriff Schloss kommt ja trotzdem vor. Allerdings passt es nicht in den Zusammenhang, den du aufstellst. Ich glaube eigentlich auch nicht, dass Laxness trotz seines Intelektualismus auf Kafka anspielt ...


    Hallo finsbury,


    welchen Zusammenhang meinst Du? Schloss und Kafka? Den habe nicht ich hergestellt. Ich glaube nur, dass Laxness Kafka wohl gekannt hat.


    Themenwechsel. Laxness' Schilderungen der Natur sind grandios und von tiefer Ehrfurcht vor der Weite und Ödnis isländischer Landschaften geprägt. Mich würden solche Szenerien vermutlich zutiefst melancholisch machen, was aber immer noch besser ist als die durch heimische Nadelwälder hervorgerufene hundsgemeine Depression. :breitgrins:


    Berge, Gletscher, das Meer, insbesondere jedoch der Himmel erscheinen dem jungen Poeten als erhabene Phänomene. Eine bestimmte Bucht, ein Strand, eine Wiese unterhalb der Berge: Jeder Ort ist für ihn aufgeladen mit Spiritualität und der Möglichkeit, tiefe Einblicke in die eigene oder allgemeine menschliche Existenz zu gewähren. Etwas ähnliches habe ich nur aus den Versen Walt Whitmans, den etwas zu schwärmerisch geratenen Essays von Ralph Waldo Emerson und aus Melvilles „Moby Dick“ in Erinnerung. Ob Laxness diese Autoren kannte? Zumindest Melville dürfte ihm doch wohl ein Begriff gewesen sein.


    Neben optischen Natureindrücken spielen akkustische Wahrnehmungen eine Rolle. Kein Wunder, denn Laxness liebte Musik. Sie symbolisierte für ihn eine höhere Welt, die aus immateriellem Stoff gewoben ist und etwas anderes offenbart als die sichtbaren Erscheinungen (so sein Biograf). Die Sprache bedient sich wohl deshalb regelmäßig aus der Welt akkustischer Wahrnehmungen und Aktivitäten (Der Klang der Offenbarung ...; … der spätsommerlichen Stille ... lauschen; ... Erinnerung an die Klänge, die verhallt waren).


    Ich nähere mich dem Ende des 2. Buchs.

  • Hallo,


    Tom


    diesen Zusammenhang meine ich


    Wer glaubt, die Schönheit sei etwas, das er allein für sich selbst genießen kann, indem er andere Menschen im Stich lässt und die Augen verschließt vor dem menschlichen Leben, an dem der teilhat – er ist kein Freund der Schönheit. … Wer nicht an jedem Tag seines Lebens bis zum letzten Atemzug kämpft gegen die Handlanger des Bösen, gegen die lebenden Symbole des Häßlichen, … der lästert Gott, wenn er das Wort Schönheit in den Mund nimmt.“ (S. 267) Das ist die definitive Absage an jegliches l'art pour l'art - und letztlich auch an die Träume des weltfremden Olafur.


    Das klingt für mich nach einer Art religiös motiviertem Sozialismus und das passt nicht zu Kafka, dessen philosophischen Hintergründe ich zwar nicht kenne, dessen Werke ich hingegen von tiefer Hoffnungslosigkeit auf das Wirken eines höheren Wesens beseelt sehe.


    Die Äußerungen des jungen Dichters in den ersten Kapiteln des II. Buches (ich beginne heute Abend mit Kapitel 6) zeigen jedoch, dass er sich vom christlichen Glauben ziemlich befreit hat. Er scheint eine Art vereinfachten Goetheschen Glauben an das Wirken des Göttlichen in der Natur zu haben.


    Aber die Gedichte! Ich hoffe nicht, dass Laxness diese selbst als eigenes gelungenes Werk gesehen hat, sondern sie als Jugendwerk seiner Hauptfigur - mit einem auktorialen Lächeln im Knopfloch -präsentiert. Sicherlich führt auch die Übersetzung bei Lyrik zu Qualitätsverlust, aber dennoch ... brrrr!


    Der Himmel blau,
    die Blumen leuchten froh im Morgentau!
    O grünes Lebens Land!
    O Lebens grünes Land, wie sanft im Gras sich's ruht,
    laß mich dich lieben, denn dann bin ich gut.


    Den "raffinierten" Chiasmus mit Leben und Land wiederholt er in der nächsten Strophe dann nochmal, weil's so schön war.


    Na gut, ich nehm's ironisch ... .


    Diese Figuren Petur Dreiroß und der Gemeindevorsteher sind wirkliche Schmankerl: Filz und Vorteilnahme im Amt auf Isländisch.


    Irgendjemand fragte oben, zu welcher Zeit der Roman spielt. In II, 4 wird der Vergleich benutzt:


    Es war wie ein schwieriges Telefongespräch zwischen weit voneinander entfernten Ecken des Landes.


    Da ich nicht glaube, dass Laxness selbst auf der auktorialen Kommentartorebene einen zeitlich unpassenden Vergleich wählt, nehme ich an, dass er nicht allzuweit in der Geschichte zurückgeht. Dafür spricht auch die "Wiederaufbaugesellschaft", zumindest in der Übersetzung ein ziemlich moderner Begriff.


    Schönes Wochenende! Ich muss leider arbeiten :sauer:


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)



  • Wobei ich immer noch nicht darüber hinwegkomme, was für eine mystische Gemengelage unseren Lichtwikinger umtreibt. A propos: Was bedeutet "Grunnvikingur"? So ist ja der Beiname des alten Dichters, den Olafur und Reimar auf dem Weg nach Svidinsvik besuchen.
    Ich beginne leider erst mit II, 2.


    lt. Wiki bedeutet Gunn (altnordisch gunnr ) Kampf, Streit oder Krieg.
    ein kriegerischer Wikinger, so stellt man sich keinen Dichter vor.


    mir fiel auf, wie seltsam sich seine nächsten Bekanntschaften verhielten; Petur Dreiroß und die Dichterin Holmfridur.
    Petur Dreiroß, ein Geschäftsmann, sitzt beim Essen, redet über Gedichte und Olafur steht hungernd daneben. Die Dichterin Holmfridur erwähnt ihre Gedichte mit keinem Wort, sondern gibt ihm zu essen und einen Schlafplatz. Verkehrte Verhältnisse, so könnte man meinen.


    Was ich nicht verstehe ist der falsche Schwur. Um was ging es denn dabei?


    ich komme zu 2/14.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo,


    lt. Wiki bedeutet Gunn (altnordisch gunnr ) Kampf, Streit oder Krieg.
    ein kriegerischer Wikinger, so stellt man sich keinen Dichter vor.


    danke, Maria! Na, vielleicht in dem Sinne passend, dass Gudmundur Grimsson Grunvikingur (wie schön das stabt!) die moderne Dichtung ablehnt und sich in Traditionen und literarischen Überlieferungen wohlfühlt. Das sind ja in erster Linie die Isländersagas und die sind oft nun kriegerisch genug.


    mir fiel auf, wie seltsam sich seine nächsten Bekanntschaften verhielten; Petur Dreiroß und die Dichterin Holmfridur.
    Petur Dreiroß, ein Geschäftsmann, sitzt beim Essen, redet über Gedichte und Olafur steht hungernd daneben. Die Dichterin Holmfridur erwähnt ihre Gedichte mit keinem Wort, sondern gibt ihm zu essen und einen Schlafplatz. Verkehrte Verhältnisse, so könnte man meinen.


    Was ich nicht verstehe ist der falsche Schwur. Um was ging es denn dabei?


    Das habe ich auch nicht verstanden. Ich könnte mir nur vorstellen, deshalb:


    Wenn du schwören willst, mein Dichter zu sein, dann sollst du ein Dach bekommen. (II,9)


    Das kann man so verstehen, dass Olafur ja nur ein Dichter der Schönheit der Welt sein will, und nun, da er tatsächlich dieses - auch noch märchenhafte - Dach über dem Kopf zur Verfügung gestellt bekonnt, erschrickt er, weil er nicht der Dichter des Geschäftsführers sein kann.


    Interessant ist, wie Laxness bestimmte Personen ironisiert, wie zum Beispiel Petur Dreiroß und den Gemeindevorsteher und andere, insbesondere die Frauen sehr detailliert und tief blickend schildert, ohne Ironie. Das gilt ja auch schon für Magnina, die - trotz all ihrer abstoßenden Eigenschaften - doch fast immer ernst genommen wird, selbst in ihrer Besessenheit für die Insel Felsenburg, die sehr geschickt mit ihrer Sehnsucht nach Zuwendung und Bedeutung begründet wird.
    Männliches Verhalten dagegen entlarvt Laxness in der Regel schonungslos und macht es oft lächerlich.


    Ich beginne mit II,12.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

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  • Das habe ich auch nicht verstanden. Ich könnte mir nur vorstellen, deshalb:


    Wenn du schwören willst, mein Dichter zu sein, dann sollst du ein Dach bekommen. (II,9)


    Das kann man so verstehen, dass Olafur ja nur ein Dichter der Schönheit der Welt sein will, und nun, da er tatsächlich dieses - auch noch märchenhafte - Dach über dem Kopf zur Verfügung gestellt bekonnt, erschrickt er, weil er nicht der Dichter des Geschäftsführers sein kann.



    ja, das leuchtet mir ein. Ich war im Begriff es mit Religiösität in Verbindung zu setzen (lt. Bibel soll man Schwüre meiden), aber obwohl viele religiöse Motive im Roman vorkommen, ist Olafur mehr der Schönheit zugetan als Gott und zimmert sich seine Ansichten schon mal zu seinen Gunsten zurecht. Den Schrecken, den er empfand beim Schwur, muß, wie du es erwähnst, also mit Petur Dreiroß zu tun haben. Danke für den Denkanstoß.




    Zitat

    Interessant ist, wie Laxness bestimmte Personen ironisiert, wie zum Beispiel Petur Dreiroß und den Gemeindevorsteher und andere, insbesondere die Frauen sehr detailliert und tief blickend schildert, ohne Ironie. Das gilt ja auch schon für Magnina, die - trotz all ihrer abstoßenden Eigenschaften - doch fast immer ernst genommen wird, selbst in ihrer Besessenheit für die Insel Felsenburg, die sehr geschickt mit ihrer Sehnsucht nach Zuwendung und Bedeutung begründet wird.
    Männliches Verhalten dagegen entlarvt Laxness in der Regel schonungslos und macht es oft lächerlich.


    eine schöne Entdeckung. Ich tu mir schwer mich in die Personen hineinzudenken.


    Kapitel 2/14 hat einen starken Beginn:


    Der Trawler Numi, ....., durfte in Ruhe vor sich hin rosten und Ratten sammeln und manche sagten, Gespenster, und sie behaupteten, sie hätten in Winternächten blaue Flammen um das Schiff flackern sehen....



    nun ist das Schiff untergegangen und somit auch die Hoffnung für die Fischer jemals wieder ihr Geld auf dem Meer zu verdienen, statt die schweren Steine zu schleppen. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Verlust noch Auswirkungen zeigen wird. Auf der falschen Fährte war ich, dass ich erwartete, dass es mit diesem Verlust des Schiffes nun weitergehen würde, doch das seltsamste Kapitel überhaupt bisher kam dazwischen, nämlich 2/15 mit der Geisterbeschwörung. Seltsamer gehts nicht mehr .... grübel.... lässt mich wieder etwas hilflos zurück. Ein verwirrendes Kapitel.



    Zitat von "Sir Thomas"


    Eine bestimmte Bucht, ein Strand, eine Wiese unterhalb der Berge: Jeder Ort ist für ihn aufgeladen mit Spiritualität und der Möglichkeit, tiefe Einblicke in die eigene oder allgemeine menschliche Existenz zu gewähren. Etwas ähnliches habe ich nur aus den Versen Walt Whitmans, den etwas zu schwärmerisch geratenen Essays von Ralph Waldo Emerson und aus Melvilles „Moby Dick“ in Erinnerung.



    ja, als ob die Suche nach Spiritualität nie zuende geht im Leben und die raue Natur es garnicht zulassen würde.



    Zitat von "Sir Thomas"

    Neben optischen Natureindrücken spielen akkustische Wahrnehmungen eine Rolle. Kein Wunder, denn Laxness liebte Musik. Sie symbolisierte für ihn eine höhere Welt, die aus immateriellem Stoff gewoben ist und etwas anderes offenbart als die sichtbaren Erscheinungen (so sein Biograf). Die Sprache bedient sich wohl deshalb regelmäßig aus der Welt akkustischer Wahrnehmungen und Aktivitäten (Der Klang der Offenbarung ...; … der spätsommerlichen Stille ... lauschen; ... Erinnerung an die Klänge, die verhallt waren).



    das ist schön, dass du das erwähnst, mir ist das bisher entgangen. Mir fielen bisher nur die vielen Lichtmetaphern auf.


    Ich komme zu Kapitel 2/18


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Mir fielen bisher nur die vielen Lichtmetaphern auf.


    Die Spielereien mit Lichtmetaphern sind kaum zu überlesen, was mich angesichts des Werktitels nicht sehr erstaunt.


    Ich komme momentan kaum voran, habe am Wochenende nur die letzten Seiten des zweiten Buchs geschafft. Diese Woche wird arbeitsintensiv, so dass ich wohl gerade mal Eure letzten Kommentare lesen und reflektieren kann.


    LG


    Tom

  • Hallo,


    bin nun in II, 23 und es geht wieder leichter mit dem Lesen. In den letzten Kapiteln läuft Laxness wieder zu der gewohnten ironischen Hochform auf.Das Séancenkapitel 15, aber besonders das Kapitel (19) mit Juel J. Juel zeigen wieder seine Meisterschaft im gnadenlosen Bloßstellen von gutbürgerlichem und vor allem neureichen Verhalten, so Juel, der sich sehr edel kleidet und schön aussieht, dann aber sofort die Contenance verliert, als sein Pferd durchgeht und er ungehemmt in die Fäkalsprache verfällt.
    Unser Lichtwikinger, den ich anscheinend in dem ersten Buch viel zu ernst genommen habe, macht weiter seine jugendlichen Fehler, erkennt nicht seinen Egozentrismus und sucht in jeder ihm wichtigen Frau das Trostpflaster.
    Wovon er so richtig lebt, habe ich auch nur am Rande verstanden:Er ist wohl als Ernteknecht angestellt, bekommt dafür aber nur Kost, kein Geld.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

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  • Unser Lichtwikinger, den ich anscheinend in dem ersten Buch viel zu ernst genommen habe, macht weiter seine jugendlichen Fehler, erkennt nicht seinen Egozentrismus und sucht in jeder ihm wichigen Frau das Trostpflaster.


    Das stimmt. Unser Held entwickelt sich kaum weiter. Er lebt zunehmend in einem aus Bruchstücken zusammengeflickten Kosmos ohne (Erlösungs-)Hoffnung. Das klingt zunächst nach nacktem Atheismus, wären da nicht der stark ausgeprägte Zug pantheistischer Naturverbundenheit und der Glaube, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben. Schließlich sieht Olafur in der Kunst eine unabhängige zweite Welt, die er über das tägliche Treiben der Menschen stellt. Vom normalen Leben entfernt er sich mehr und mehr. Er merkt nicht einmal, das er ohne seine Umgebung schlicht verhungern und erfrieren würde. Als er dies schlagartig erkennen muss, stürzt er in abgrundtiefe Verzweiflung.

    Mit anderen Worten: Bis zum Ende des zweiten Buchs werden wir Zeuge einer recht zweifelhaften, weil illusionären und immer wieder scheiternden „Entwicklung“ unseres Helden Olafur.


    Ich habe mittlerweile das dritte Buch begonnen.

  • Hallo zusammen,


    die Liebe wird nicht das Heil sein, das er sich, in seiner passiven Art, ersehnt:


    Kapitel 2/18:
    Sein Mädchen vom Frühling, so ging sie im Herbst an ihm vorbei.


    Ein wunderbar trauriger Satz!


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • ... aber besonders das Kapitel (19) mit Juel J. Juel zeigen wieder seine Meisterschaft im gnadenlosen Bloßstellen von gutbürgerlichem und vor allem neureichen Verhalten, so Juel, der sich sehr edel kleidet und schön aussieht, dann aber sofort die Contenance verliert, als sein Pferd durchgeht und er ungehemmt in die Fäkalsprache verfällt.



    und gleich ein 3faches Juel Juel Juel ! Wenn das nichts zu bedeuten hat?
    Wenn man die verschiedenen Schreibweisen des Julfestes berücksichtigt (Jul, Jül, Jol....) dann sind wir wieder beim Licht, denn es bedeutet das Lichterfest, ein Vorgänger von Weihnachten. Juel Juel Juel soll ja in die Gemeinde investieren, somit wird er als Erlöser angesehen. Würde sich doch gut zusammenfügen. Mal sehen was es mit Juel J. Juel noch auf sich hat. Das Kapitel hat mir sehr gut gefallen.


    Ich komme zu 2/22.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Das stimmt. Unser Held entwickelt sich kaum weiter.



    nur wenn es um Dichtung geht ist er lernfähig; so als er ein paar Kapitel zuvor (2/14) von Örn Ulfar die Geheimnisse des Sonnetts erklärt bekommt und für ihn wieder eine neue Welt entsteht.


    zum Stichpunkt Künstler fällt mir noch ein Zitat ein, das lt. Jacques Mercanton, James Joyce geäußert haben soll als er seine Figuren Shem und Shaun aus Finnegans Wake erklärte:


    Der eine handle und der andere schaue dem Handeln zu, doch beide zusammen bildeten die vollkommene Gestalt des Künstlers, dass heißt des Menschen, denn für ihn könne der Mensch nur unter dem Aspekt des Homo faber definiert werden, desjenigen also, der reflektiere und gestalte. - aus "Die Stunden des James Joyce" (Les Heures de James Joyce)


    Können wir Olafur zu dem schaffenden Menschen zuordnen? Die Reflexion gestaltet sich für Olafur doch schwierig, die meisten Leute in seiner Umgebung, die ihm dabei helfen könnten, z.B. die Dichterin, schweigen die meiste Zeit.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Können wir Olafur zu dem schaffenden Menschen zuordnen? Die Reflexion gestaltet sich für Olafur doch schwierig, die meisten Leute in seiner Umgebung, die ihm dabei helfen könnten, z.B. die Dichterin, schweigen die meiste Zeit.


    Das fragt man sich wirklich! Im Moment wirkt er ja eher noch als Drohne. Er erkennt allerdings
    (II, 23: Olafur Karason begann allmählich zu verstehen, dass es in dieser Welt, in der wir leben, schwieriger ist, ein Dichter zu sein, als mancher denkt. So darf man sehen, so nicht sehen, so sprechen, so nicht sprechen ....),
    in welcher Abhängigkeit er als Dichter steht, diese Erkenntnis ist vielleicht der erste Weg, einen wirklich eigenen, möglichst unabhängigen Weg einzuschlagen.


    Ich bin am Beginn des 24. Kapitels und bekomme gerade mit, dass seine ganzen Gedichte in und mit seinem "Schloss" verbrennen: Vielleicht ist das genau der Wendepunkt, wo er von seinen Luftschlössern (sic!) wegkommt und anfängt, reflektiert und verantwortlich als Autor zu arbeiten.
    Man wird sehen!


    Im Moment geht's wieder langsam, weil ich beruflich lesen muss.

    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

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  • Hallo,


    habe es in einer Nacht- und Nebelaktion doch geschafft, den II. Band zu beenden, und den III. Band begonnen. Aber meine Hoffnung, dass sich Olafur reifer zeigt, hat sich bisher zerschlagen. Trotz einer Wiedergeburtsszene in II, 24 sehe ich nicht, dass er sich wirklich geändert hat.
    Es fällt mir zunehmend schwer, für diese Hauptfigur Sympathie zu empfinden. Andererseits wird Laxness auch sozialkritisch immer bissiger, das geht mehr in die Richtung, wie ich diesen Autor kenne. Und die Gedichte (II, 25) werden auch etwas besser.
    Aber die traurige Gestalt, die uns dreiundzwanzigjährig in dem III. Buch präsentiert wird, schreckt mich eher ab.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • ... sozialkritisch immer bissiger, das geht mehr in die Richtung, wie ich diesen Autor kenne.


    Er hat offensichtlich Zola gelesen. Mir behagt diese Richtung nicht. Der dritte Teil ist für mich deshalb auch der bislang schwächste.



    ... die traurige Gestalt, die uns dreiundzwanzigjährig in dem III. Buch präsentiert wird, schreckt mich eher ab.


    Hm, was erwartest Du von einem Dichter? :breitgrins:



    ... nur wenn es um Dichtung geht ist er lernfähig ...


    Das trifft es.


    Vielleicht habe ich morgen etwas mehr Zeit, mich zu unserem Dichter zu äußern. Heute Abend möchte ich nur noch unter die heiße Dusche und dann auf meine Couch.


    So long,


    Tom


  • ... die traurige Gestalt, die uns dreiundzwanzigjährig in dem III. Buch präsentiert wird, schreckt mich eher ab.


    Im dritten Teil erfahren wir Interessantes über das Selbstverständnis unseres Dichters. In einer kurzen Rede vor den versammelten Arbeitern betont Olafur: Es ist viel schwieriger, ein Dichter zu sein und über die Welt zu schreiben, als ein Mensch zu sein und in der Welt zu leben. … Der Dichter ist das Gefühl der Welt, und im Dichter leiden alle anderen Menschen. … Der Dichter kann nicht von einem einzelnen Glücksfall … von diesem Schmerz geheilt werden, sondern nur duch eine bessere Welt. … Dichter zu sein, das bedeutet Gast zu sein an einer fernen Küste, bis man stirbt.


    Das hört sich für mich sehr messianisch an.


    Viele Seiten später dann diese Reflektion:
    Er sah, wie er sich selbst in zwei Hälften teilte: Der Freiheitsheld, der Wahnsinnige, der Bösewicht, der poetische Mensch blieb in einiger Entfernung zurück, und hervor trat der soziale, christliche, langweilige und unpoetische Mensch, … der demütige Bekenner des allgemein anerkannten Verhaltens.


    Wahnsinn als Preis für ein Poetenleben? Dass dem Künstler immer etwas Unbürgerliches, Unzuverlässiges und von der "normalen" Welt Trennendes anhaftet, hat schon Thomas Mann in "Tonio Kröger" thematisiert. Bei Laxness verdichtet sich diese Trennung zu einem künstlerischen Grundkonflikt. Sehr interessant! Mal sehen, ob noch weitere Einlassungen dieser Art folgen.

  • Hallo zusammen,


    die letzten Kapitel im 2. Teil fand ich sehr stark.
    Seine Versorgerin, die Dichterin Holmfridur, verschwindet und wird für ihn zur Meerfrau, ein Fabelwesen.
    Sie gab ihm Speis und Trank, gab ihm Unterkunft, flickte und säuberte seine Sachen.... Sie hatte auf selbstverständliche und schlichte Weise für das gesorgt, was er brauchte, daß er es gar nicht bemerkte...


    Ist es nicht oft in Biographien von Künstler und Genies zu lesen, dass sie von jemanden protegiert wurden und dies auch als selbstverständlich hinnahmen und auch erwarteten. So ist es eigentlich garnicht so befremdlich, dass sich der junge Dichter des Lebens nicht fähig fühlt, jetzt ohne seine Gönnerin.


    Schmunzeln mußte ich im 29. Kapitel, als Olafur beim Arzt festsitzt. Könnte es nicht sein, dass Laxness sich selbst als Dichter und sein Buch aufs Korn nimmt?


    Mir kam es im Dialog über den "Roman des Arztes" so vor:


    Wie gesagt, sagte der Arzt, das Schiff ist untergegangen, und die großen Fische herrschen im Meer. Was soll geschehen?....


    Ich weiß es nicht, sagte der Dichter.


    Überleg es dir.... Was willst du tun?


    Ich bin völlig ratlos, sagte der Dichter.


    Herrgott, das ist kein großer Dichter, der nicht weiß, was man tun soll....


    Dem Dichter perlte noch immer der Schweiß von der Stirn. Er zerbrach sich den Kopf darüber.... und starrte in unendlicher Dummheiit vor sich hin und sah keinen anderen Ausweg mehr aus diesem schrecklichen Roman, als sich vom Arzt ermorden zu lassen...



    :breitgrins:


    vielleicht war sich Laxness mit seinem Dichter auch nicht mehr sicher, wo es ihn hinführt.


    Jedenfalls hat der Herbst Einzug gehalten, auch im Gemüt unseren Dichters, sogar in der Liebe, als er einen Brief von Jarthrudur bekommt (Kapitel 27), die sich mit ihm verheiratet sieht. Er nennt sie die Geliebte des Herbstes.


    den 2. Teil habe ich beendet und beginne am WE mit dem 3.Teil "Das Haus des Dichters".


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Er ... sah keinen anderen Ausweg mehr aus diesem schrecklichen Roman, als sich vom Arzt ermorden zu lassen...[/i]


    Wunderbarer Humor!



    ... den 2. Teil habe ich beendet und beginne am WE mit dem 3.Teil ...


    Bin ich Dir zu schnell? Ich versuche immer möglichst nichts vom Inhalt zu verraten, wenn ich schon aus dem 3. Teil berichte. Wenn es trotzdem nervt, halte ich mich zurück.


    :winken:


    Tom