Beiträge von Zefira

    Hallo in die Runde,

    ich habe mir kürzlich ein paar ganz unterschiedliche Klassiker heruntergeladen, die ich gern in einer Runde (auch in ganz kleiner) lesen würde, wenn sich Mitleser finden.

    Zeitlich bin ich recht flexibel; ich habe das Glück, viel Lesezeit zu haben.

    Eine kunterbunte Liste:

    Alexander Kielland: Schnee

    Robert Walser: Jakob van Gunten

    Knut Hamsun: Die Weiber am Brunnen

    Franziska Gräfin zu Reventlov: Der Selbstmordverein

    Leo Perutz: Zwischen neun und neun

    Oskar Panizza: Visionen (Erzählungen)

    Stendhal: Die Äbtissin von Castro

    Jakob Wassermann: Faber oder die verlorenen Jahre

    Fjodor Sologub: Der kleine Dämon

    Kipling, Rudyard: Erloschenes Licht

    Für weitere Vorschläge bin ich offen.

    Zitat
    Vielleicht sollten wir im Wettbewerbsthread mal nach Überschneidungen suchen. Ich kann mich dieses Jahr so gar nicht auf die von mir gewählten Werke einlassen, möglicherweise habt ihr ja Interessanteres auf euren Listen.

    Ich habe noch eine ganze Liste von Klassikern im Kopf, die ich - irgendwann mal - lesen möchte. Vielleicht machen wir einfach mal einen ganz allgemeinen "Mitleser erwünscht" -Ordner auf und schauen, was so alles zusammenkommt? Also nicht nur die Liste aus dem Wettbewerbsthread, sondern einfach allgemein alles, was man noch so auf dem Zettel hat.

    Ich habe übrigens - vielleicht wirkt das ein wenig versöhnlich - spontan Meyrinks "Walpurgisnacht" gelesen, ein ganz kleines Buch, für das man nur zwei Tage braucht. Es war recht hübsch, vor allem wenn man Prag und speziell den Hradschin kennt - wenn ich wieder mal in Prag bin, werde ich versuchen, ein paar der Schauplätze zu überprüfen. Die Liebesgeschichte ist wieder mal furchtbar ölig, wie so oft bei Meyrink, aber sie nimmt zum Glück nur wenig Raum ein und der Rest hat mir wirklich gefallen.

    Ich habe eben noch mal im Golem nachgesehen, was es mit dem Zimmer auf sich hat - es hat nur ein Fenster und das ist vergittert.

    Man sollte sich nie darauf verlassen, dass interpretierende Texte den Wortlaut korrekt wiedergeben ...

    Pernath, die Hauptfigur des Golem, hat einige Zeit in der Psychiatrie verbracht wegen eines traumatischen Erlebnisses, an das er sich aber nicht mehr erinnern kann. Dieses Erlebnis ist der "verschlossene Raum" in seinem Bewusstsein, der durch das entsprechende Zimmer symbolisiert wird.


    Dies nur am Rand, das Motiv des verschlossenen Zimmers ist im "Grünen Gesicht" wohl nur nebensächlich.

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    Wenn Eidotter die umgestellten Lichter als Gnade nach der Ermordung seiner Familie gewährt bekommt, erhält Hauberrisser sie, nachdem Eva gestorben ist, und zwar durch seinen Herbei-Ruf, von dem er ganz genau wusste, welche Folgen dieser haben würde.

    Das ist nicht ganz korrekt. Das Umstellen der Leuchter für Eidotter geschieht nicht nach dem Tod seiner Familie, sondern schon vorher, sogar - wenn ich es richtig verstanden habe - in Gegenwart seiner Frau Berurje, die zu diesem Zeitpunkt also noch gelebt hat. Allerdings hat sein Geistes- bzw. Seelenzustand nach dem Umstellen der Leuchter dazu geführt, dass bei ihm, wie er es formuliert, Denken und Fühlen vertauscht wurden - das heißt, er konnte nicht weiterstudieren, aber auch nicht um seine Familie trauern, was sein Glück war, sonst wäre er vor Trauer verrückt geworden. Ich fand Eidotters Erzählung eigentlich sehr bewegend. Dass er und Hauberrisser die gleiche "Erleuchtung" hatten, kann ich aber kaum annehmen; sie scheint sich bei diesen beiden doch sehr unterschiedlich auszuwirken. Während Hauberrisser zu einer Art höherer Erkenntnis gelangt, ist aus Eidotter eher eine Art Gottesnarr geworden, der den Mord an Klinkherbogk auf sich nimmt, weil er aus dem Gedanken eines "Universalbewusstseins" heraus meint, er sei mit daran schuld.

    Kann mir jemand vielleicht noch sagen, an welcher Stelle des Textes für Hauberrisser die Leuchter umgestellt werden? Ich meine mich zu erinnern, dass es eine solche Szene gab, finde sie aber nicht mehr.


    ps. Nachdem ich Deinen letzten Eintrag eben noch einmal gelesen habe, finsbury , verstehe ich jetzt, was Du mit "Unlogik" meinst.
    Eidotter bleibt die Trauer um seine Familie erspart, weil er zu einer höheren Bewusstseinsstufe gelangt ist. Während Hauberrisser zu einer höheren Bewusstseinsstufe gelangen will, gerade um sich die Trauer zu ersparen - um seiner Geliebten wiederbegegnen zu können. Er scheint aus sich heraus kein besonderes Streben nach Transzendenz zu haben, er will nur Eva zurück. So richtig logisch ist das nicht.


    Interessant fand ich, um das noch anzufügen, das Motiv des verschlossenen Raums. Dieses Motiv findet sich ja auch im Golem, es nimmt dort eine zentrale Position ein. Ich habe online eine Interpretation des Golem gelesen, in der es hieß, dieses Zimmer symbolisiere das eigene Unterbewusstsein - es hat zwei Fenster, durch die man hinausblicken kann; will man aber von außen hineinblicken, "reißt der Strick". Ich kann mich erinnern, dass ich als Sechzehnjährige von diesem Bild hell begeistert war (zumal ich mich damals auch sehr für Tarotkarten interessierte und etliche Bücher zu dem Thema durchstudierte).

    Im "Grünen Gesicht" scheint das verschlossene Zimmer aber keine symbolische Bedeutung zu haben, oder ich erkenne sie nicht. Es handelt sich einfach um eine Ausformung des bei Detektivgeschichten-Autoren beliebten "locked room-mystery", oder habe ich etwas übersehen?


    Als ich im letzten Jahr den Golem noch einmal gelesen habe, hat mich vieles daran geärgert; aber unterm Strich ist es, verglichen mit dem "Grünen Gesicht", m.M.n. der bessere Roman.

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    Was mir lange nach der Lektüre noch in deutlicher Erinnerung ist, betrifft mehr die immer enger werdende Beziehung der Frau zu ihren Tieren. Da sind einige Schilderungen dabei, die mir sehr nahe gingen.

    Ich erinnere mich, dass die Erzählerin litt, als ihre Katze Nachwuchs erwartete. Und diesen Aspekt - die Verzweiflung, die Angst vor der Verantwortung für ein weiteres Leben - empfand ich als sehr bedrückend, ich glaube, es war für mich die schlimmste Stelle in dem ganzen Buch.

    Wenn ich mich richtig erinnere, hat sie aber am Ende, als sich wieder Katzennachwuchs ankündigte, einen Hauch von Optimismus verspürt - oder vielleicht ist Optimismus das falsche Wort, jedenfalls schien sie ohne Angst zu sein.

    Ich habe das nächste Buch meiner Klassiker-Leseliste in Angriff genommen: Bildnis einer Dame von Henry James.

    Ich habe jahrelang vergebens versucht, Henry James zu lesen. Er wollte offensichtlich nichts mit mir zu tun haben. Egal welches Buch ich angefangen habe (ich habe drei oder vier von ihm), spätestens nach zehn Seiten trieb ich aus dem Text heraus wie ein schlecht vertäutes Bootchen.

    Aber jetzt geht es sehr gut, ich finde es richtig fesselnd. Heute abend habe ich mir als flankierende Maßnahme den Film von Jane Campion angesehen (mit John Malkovich, Nicole Kidman und etlichen anderen tollen Schauspielern) und wundere mich ein bisschen, wie dramatisch es offenbar noch wird. Das Buch geht ganz ruhig voran, die geschliffenen Dialoge sind bezaubernd.

    Ein Handlungshöhepunkt ist es nicht - damit wir uns nicht falsch verstehen -, es ist nur eine Stelle, an der sich Meyrink wieder mal als guter Beobachter erweist, der seine Mittel kennt, Stimmung und Atmosphäre zu erzeugen. Was das Inhaltliche betrifft, werden wir Leser/innen nicht mehr getröstet.

    Hallo MMMichael, dann bin ich gleich die erste, die Dir ein "Herzlich Willkommen" rüberschickt.

    Ich habe nicht alle von Deiner Liste gelesen - aber einige davon, und "Die Wand" war zum Beispiel mein wichtigstes Buch des letzten Jahres. (Ich habe gehört, dass es neuerdings auf einer Liste mit Leseempfehlungen speziell für die Coronakrise gelandet sei ... )

    Dann mal auf ein freundliches Miteinander. :)

    Ostergrüße von Zefira

    Ich habe das Buch durch. Es ging mir genauso wie Dir, finsbury .

    Und kurz vor Schluss - im dreizehnten Kapitel - gab es noch einmal in einem Dialog eine Stelle, an der ich dachte: wenn man das gesamte Personal dieses Romans in einen Sack steckt und auf den Sack haut, trifft es immer den Richtigen!

    Im vierzehnten Kapitel - ich glaube, auch Tucholsky hat das in seiner Rezension erwähnt - kommt aber nochmal eine hinreißende Schilderung, für die sich das Weiterlesen auf alle Fälle lohnt, und dann sind wir ja auch schon beinahe fertig. :D

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    Dieses "Geisteswesen"-Treffen in der Wohnung und das ganze Mystizismus-Gebausche

    Es ist ganz typisch für Meyrink, wie hier das Erhabene und das Lächerliche dicht nebeneinander liegen, einander sogar überlagern. Dieses Moment findet sich auch in seiner kurzen Prosa (der Sammlung "Des deutschen Spießers Wunderhorn") ganz oft. Gestern bin ich beim Surfen auf eine Seite mt der Bezeichnung "Spirituelle Reisen" gestoßen, die u.a. über "Gustav Meyrinks Einweihungsweg" berichtet. Meyrink scheint es ja mit seinem mystizistischen Werdegang durchaus ernst gemeint zu haben, aber wenn man in seinem Werk (soweit ich es gelesen habe - mir fehlt noch einiges) mengenmäßig gegenüber stellt, wie oft er über den Mystizismus ernsthaft berichtet und wie oft er ihn ins Komische zieht, überwiegt der letztere Aspekt m.E. bei weitem.
    Ich finde es auch etwas merkwürdig, wie er Elemente der Kabbala, des Buddhismus und obendrein auch noch des Voodoo (das Zombi-Motiv) zusammenrührt, wobei ich wie schon bemerkt nicht sicher bin, ob nicht die westafrikanischen Zutaten völlig seiner Phantasie entspringen.

    Es gibt, was die leidigen Themen Rassismus und Chauvinismus angeht, im weiteren Verlauf noch ein paar recht krasse Stellen - speziell was Usibepu angeht, scheint Meyrink Anleihen beim Monostatos der "Zauberflöte" gemacht zu haben ...

    Im dramatischen fünften Kapitel sind mit die Begriffe Souquiant und Zombi aufgefallen, die mich an die haitianische Voodoo-Kultur erinnert haben, aber diese Kultur - ich habe sicherheitshalber bei Wiki nachgesehen - schreibt sich offenbar tatsächlich ursprünglich aus Westafrika her, es ist also keine reine Phantasie, dass ein Zulu mit solchen Begriffen hantiert.

    Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob der Begriff Souquiant unabhängig von Meyrink existiert. Ich habe ihn noch in einem Abenteuerroman erwähnt gefunden, im gleichen Sinn wie Meyrink ihn gebraucht, aber dort könnte er auch epigonisch stehen. Das gleiche gilt für die Schlange Vidu T'changa.


    Mir sind einige interessante Parallelen zum "Golem" aufgefallen, aber dazu besser später, wenn wir etwa Gleichstand erreicht haben.

    Die Geschichte taucht auch in meiner eigenen Kafka-Biographie auf, von Ronald Hayman. Allerdings heißt es dort nicht, dass Kafka eine neue Puppe besorgt (und einen Brief darin versteckt hätte), nur dass er im Namen der Puppe Reiseberichte schrieb.

    Ein Beispielsatz im ersten Kapitel, als Hauberrisser gerade in den Laden eingetreten ist - ich will den Satz nicht komplett abtippen, er beginnt mit "In einem Lehnstuhl in der Ecke" und beschreibt zunächst den Zitter Arpad. Meyrink beginnt mit der Beschreibung einer Kleinigkeit, dem "arabeskenverzierten Lackschuh", der "über den Schenkel gelegt ist". Dann geht er Blick hinauf zu dem Besitzer des Schuhs, einem "Balkangesicht". Wir erfahren, wie er aussieht samt dem "fettglänzenden Scheitel" und was er tut, nämlich Zeitung lesen und dabei einen Blick auf Hauberrisser werfen. Und dann geht der Blick zu dem Verschlag daneben, der nun wiederum im Raum verortet werden muss, ein "Verschlag, der den Raum für die Kunden von dem Innern des Geschäfts trennte", und da wird etwas "prasselnd herabgelassen" - was denn? - ach so, es kam ja zwei Zeilen vorher, es geht um ein Fenster in dem Verschlag, in dem schließlich eine Dame erscheint, deren Augen und Haare auch noch beschrieben werden, und das alles in einem einzigen Satz! Wenn ich den zu Ende gelesen habe, muss ich noch mal von vorn anfangen, um mir überhaupt klar zu werden, wo in diesem Raum der Verschlag ist und wo die Leute sich befinden. Derlei Kunststücke sind für Meyrink typisch, im "Golem" ist es oft dasselbe.


    Ich mag das Stilmittel des "pars pro toto" sehr, bei dem eine Person anhand einer einzigen sprechenden Einzelheit charakterisiert wird; Flaubert ist zum Beispiel darin Meister. Dass Meyrink mit dem Lackschuh anfängt, weist in diese Richtung, aber er bringt es offenbar nicht über sich, den Rest der Phantasie des Lesers zu überlassen, sondern häuft weitere Einzelheiten darauf wie den fettglänzenden Scheitel und den messerscharfen Blick und vermischt obendrein diese Einzelheiten mit Angaben über die Topographie des Raums. Um es an einem Bild zu erklären, auf mich wirkt das wie eine Wegbeschreibung "beim roten Rhododendronstrauch links (Achtung vor dem Hund!) und dann am Hanauer Kreuz die Ausfahrt nehmen", es wird klein und groß unterschiedslos miteinander vermischt. Aber das soll keine Kritik sein. Es macht das Lesen für mich etwas mühsam, aber es hat einen eigenen Reiz.


    ps. Ich bin im vierten Kapitel und habe gerade dort unterbrochen, wo Baron Pfeill seine Jugenderinnerung zuende berichtet hat - wie er "die Schwaben" ausgerottet hat (gemeint sind wohl die Mücken oder Schnaken). Heute nachmittag geht es weiter.


    Edit, abends: Ich habe die ersten sechs Kapitel durch.

    Das ist ja mal lustig. Ich bin im zweiten Kapitel und finde dort gleich am Anfang des Gesprächs mit der "Frau Consul Rukstinat" den Satz "Yoni soit qui mal y pense".

    Steht das bei euch auch so da oder ist das ein Druckfehler?

    Die "Yoni" bezeichnet in der Tantra-Massage die Vagina.

    Ich habe meine liebe Not mit den Meyrink-typischen Verschachtelungen und beschreibenden Nebensätzen.

    Manchmal muss ich einen Satz von hinten her aufdröseln, um richtig zu verstehen, worauf sich die einzelnen Nebensätze beziehen.

    Andererseits nimmt die Atmosphäre dieses "Vexiersaloons" in dem wie eingesunkenen wirkenden Grachtenhaus sofort gefangen.