Hallo zusammen,
„Der 42. Breitengrad“ liegt hinter mir und ich wende mich nun „Neunzehnhundertneunzehn“ zu. Da ihr, Emma und Atomium, ja schon viel weiter seid (Emma Band 2?;Atomium Band 3), müsste ich mich einerseits beeilen, andererseits, will ich aber Sandhofer nicht zu weit davon eilen. Deshalb meine Bitte an alle, kurz die eigene Standortbestimmung in der Trilogie anzugeben. ???
Emma hat gepostet:
Tja, mit Mac und J.W. – in einigen Punkten bin ich schon Deiner Meinung. Vor allem was sein „sich treiben lassen“ und die Richtungslosigkeit seines Lebens betrifft. Das ist bei ihm natürlich deutlich zu erkennen und auch nicht zu leugnen. Nur die Gründe, die dahin geführt haben, die sehe ich einfach anders.
Dos Passos wäre kein guter Autor, wenn er die Gründe schon deutlich vorgegeben hätte. Sicher gibt es verschiedene Gründe und noch mehr Sichtweisen die zu Macs Erfolglosigkeit? führen? Und um der Diskussion willen, bin ich ja auch sehr froh, dass Du das anders siehst.
Mir fällt es schwer, Macs ziellose Lebensführung unter anderem damit zu begründen, dass er z.B. im Gegensatz zu Moorehouse raucht und trinkt. Ob jemand raucht oder nicht (vor allem in dieser Zeit, in der noch nicht auf jeder Zigarettenpackung „Rauchen lässt Ihre Haut vorzeitig altern“ etc. stand ) ist doch eher individuell zu sehen und hat gar nichts mit seiner Einstellung zum Leben zu tun. Das Trinken ist da schon eine andere Sache, aber hier bei Mac kommt mir sein Trinken doch wenn schon eher als ein Resultat seiner Hoffnungslosigkeit bezüglich eines besseren Lebens vor als etwas, das dazu geführt hat, dass er so lebt wie er lebt.
Macs „ziellose Lebensführung“ begründe ich auch nicht damit, dass er raucht und trinkt, ich habe das nur angeführt um zu zeigen, dass es Unterschiede zwischen Mac und J.W. gibt, und die haben nichts mit der Ausbildung oder Herkunft zu tun, sondern mit der Lebenseinstellung. Ich glaube auch nicht, jetzt nach dem 8. Mac-Kapitel (und wahrscheinlich taucht er auch nicht mehr auf), dass Mac ein Verlierer ist. Im Gegenteil, er hat m.M. nach mehr Glück als J.W.:
MAC: „So Mac found himself running a bookstore …. . It felt good to be his own boss for the first time in his life. Concha, …, was delighted. She kept the books and talked to the customers so that Mac didn’t have much to do but sit in the back and read and talk to his friends.
J.WARD: “Then one evening J.W. looked very worried indeed and said when he was taking her home ….. that his wife didn’t understand their relations and was making scenes and threatening to divorce him.”
Also, wer ist hier der Verlierer: Mac ist sein eigener Chef, seine Lebensgefährtin, eine junge, feurige Mexikanerin, nimmt ihm mit Begeisterung jede Arbeit ab, so dass er genügend Zeit hat zum Lesen und für seine Freunde. Was will „Mann“ mehr? Hoffnungslosigkeit kann ich jedenfalls nicht erkennen. J.W. dagegen, mit einer älteren, kranken Frau verheiratet, die ihn jederzeit finanziell ruinieren kann, da seine Firma nur mit dem Geld der Schwiegermama läuft?.- Und im Gegensatz zu Mac, dem alles ohne Anstrengung in den Schoß gefallen ist, bemüht er sich ohne Ende. Als Beispiel für die Unterschiede der Beiden, die Party die Ben und Mac für J.W und Barrow geben, als J.W. nach Mexiko kommt:
Mit Frauen wollen Ben und Mac den „big contact man from New York“ für sich (und ihre Ideen) gewinnen („Concha bring a couple of friends, nice wellbehaved girls not too choosy, like she knew), (sie schließen also von sich auf andere) aber „The party at Ben’s didn’t come off so well. J. W. Moorehouse didn’t make up to the girls as Ben had hoped.” Und als sich J.W. ins Hotel verabschiedet um noch zu arbeiten:
„After that the party was not so refined. Ben brought out a lot mor cognac and the men started taking the girls into the Bedrooms and hallways and even into the pantry and kitchen.” (Boris und Dieter lassen grüßen).
Es ist also keineswegs so, dass J.W. auf Grund besserer Voraussetzungen (Herkunft, Ausbildung) mehr erreicht als Mac, sondern J.W. bemüht sich noch und noch und kommt auf keinen grünen Zweig, aber Mac, der sein Leben mit Saufen und Huren verbringt (ich übertreibe absichtlich ein bisschen), hat alles Glück der Welt.? (Wenn ich nicht schon 2 mal Math. 6 in den letzten Tagen zitiert hätte: War Dos Passos eigentlich religiös?)
Was sein Pech in beruflicher Hinsicht betrifft...Du schreibst: „Das sein Onkel die Druckerei zu macht, dafür kann er nichts, aber er hat daraus auch keine Lehren gezogen“
Ich meine, was hätte Mac aus der Pleite seines Onkels lernen sollen? Dass es sich finanziell nicht lohnt sich für die ausgebeuteten Arbeiter einzusetzen?
So wie Du es formulierst, habe ich es natürlich nicht gemeint. Aber ich finde, bevor jemand die Welt verbessert, soll er erst sein eigenes Leben in Ordnung bringen. Ich finde es jedenfalls nicht so toll, wenn Mac seine (schwangere) Verlobte und seine Arbeit in Frisco verlässt um in Nevada eine Zeitung für die IWW zu drucken. Davon abgesehen, hat m.M. nach J.W. den „ausgebeuteten Arbeitern“ mehr geholfen als Mac.
Wie Atomium weiter oben schreibt, vertritt Dos Passos zu dieser Zeit tatsächlich noch eine sozialistische Einstellung. Da wäre es doch merkwürdig wenn er es so darstellen wollte, als sei Mac selbst an seinem ganzen Unglück Schuld. Um das genauer zu klären, ist es vielleicht auch hilfreich, Sekundärliteratur miteinzubeziehen, die auch die Autorintention berücksichtigt. In Linda W. Wagner’s Dos Passos - Artist as American heißt es dazu unter anderem: ZITAT: „Mac [...] remains the prototype of the disadvantaged but ambitious American.“
Mit Verlaub, aber Linda W. Wagner irrt, Mac ist weder benachteiligt, noch ehrgeizig, wie ich hoffentlich am Text nachgewiesen habe. Außerdem zeigt Dos Passos selbst in seinen eingeschobenen Biografien, dass Ehrgeizige, egal welcher Herkunft, auch Chancen haben. Zwei Beispiele:
1. Andrew Carnegie ... clerked in a bobbin factory at $2.50 a week. …. (ca. 20 Zeilen später) Andrew Carnegie became the richest man in the world …
2. The Electrical Wizard: Edison (sein Vater war Schindelmacher), ging nur drei Monate lang in die Schule, weil der Lehrer meinte, er sei nicht ganz bei Verstand. .... (zwei Seiten später): Das Patentamt hatte alle Hände voll zu tun, um die Patente und geschützten Muster zu registrieren, die er anbrachte. (Also auf Herkunft und Schulbildung kommt es wohl nicht an?)
Diese eingeschobenen Biografien sind m.M. nach jeweils Meisterwerke. Wie Dos Passos hier auf 2-3 Seiten das wesentliche eines Lebens wiedergibt und es schafft einem auch für Menschen zu interessieren, die man vorher nicht mal dem Namen nach kannte (z.B. Gene Debs oder Bill Heywood waren mir vorher unbekannt): das soll ihm erst mal einer nachmachen. Mein Lieblingssatz aus „The 42nd Parallel“ stammt übrigens auch aus der Carnegie-Biografie: „whenever he made a billion dollars he endowed an istitution to promote universal peace – always – except in time of war.”
Breitengrade: Woher hast Du denn diese Berechnungsformel?
Die Breitengrade unterteilen sich jeweils in 60 nautische Meilen und eine Seemeile ist 1,85 km. Also sind es von einem Breitengrad zum anderen 60 x 1,85 km = 111 km und vom 42. Breitengrad zum 51. Breitengrad neunmal soviel also 111 x 9 = 999 km. Zur Probe könnte man auch rechnen: Erdumfang über die Pole: 40.0000 km (da die Pole abgeplattet sind - die Erde ist ja keine exakte Kugel - ist der Umfang hier kürzer als am Äquator) also 40.000 : 360 x 9 = 999,99 km
Ich habe außer dem Link aber gestern noch etwas anderes zu dem Titel gefunden. Dabei soll sich The 42nd Parallel auf den Weg entlang des Breitengerades beziehen, den die ambitionierten Protagonisten der fiktiven Geschichten aus dem Streben nach Erfolg heraus von Westen oder Mittelwesten nach Osten (New York) zurücklegen und damit dem Weg der Stürme folgen, die ungefähr demselben Weg über das Land hinweg folgen.
Wow, Supererklärung, das ist es Aus der Klimatologie Amerikas: „...diese generell auftretenden Stürme sind seit jeher für die amerikanischen Meteorologen ein Forschungsobjekt von unerschöpflichem Interesse ... (sie folgen) ... drei Wege oder Bahnen von den Rocky Mountains bis zum Atlantischen Ozean, und die mittlere Trasse fällt ungefähr mit dem 42. Breitengrad zusammen; ...“
Es ist übrigens nicht uninteressant, die Wege der einzelnen Protagonisten auf einer USA-Karte zu verfolgen.
In der nächsten Woche werde ich wahrscheinlich nicht dazu kommen, mich weiter mit Dos Passos zu beschäftigen, wird zeitlich etwas turbulent.
Das geht mir genauso. Ab Dienstag bis Ende der Woche, steht bei mir jeden Abend „Weihnachtsfeier ...“ im Kalender.
Atomium
Vielen Dank für Deine Erklärungen zu „fo’c’stle“. (Das hätte ich auch nicht gewusst) und für Deine diversen Links.
Du hast gepostet:
Der 42. Breitengrad war also eine Zeitlang auch die Grenze zwischen dem bereits unabhängigen Amerika und dem noch kolonialen Mexiko, das das heutige Kalifornien und Texas mit einschloss. Vielleicht auch ein Symbol für die Befreiung von Unterdrückung?
1821 vollzogen die mexikanischen Kreolen die Unabhängigkeit vom Mutterland Spanien und 1847, also lange vor MAC & Co. marschieren die USA in Mexiko ein. Ein Jahr später wurde Mexiko von den USA besiegt und verlor damit nicht nur Texas und Kalifornien, sondern auch Arizona, Nevada, Utah und Neu-Mexiko. Dabei reichen Texas, Arizona und Neu-Mexiko sicher nicht bis zum 42. Breitengrad. Kalifornien, Nevada und Utah möglicherweise schon, trotzdem verlief die Grenze zwischen Mexiko und den USA sicher auch vor 1848 nur auf einer kurzen Strecke in der Nähe des 42nd Parallel. Mir erscheint die Erklärung mit den Wegen der Stürme und Protagonisten für den Romantitel deshalb wahrscheinlicher.
Liebe Grüße von Hubert