Zitat von "Roquairol"
Hallo Hubert,
noch ein Gedankenexperiment: Ein stinkreicher Mann hat eine skurrile Vorliebe für die Bücher von Friedrich Wilhelm Hackländer. Er investiert deshalb eine Menge Geld in einen Verlag, damit dieser die Werke Hackländers permanent verfügbar hält. Wird Hackländer dadurch zum Klassiker... ?
Mein Problem mit der Definition besteht darin, daß ich die Vorliebe der Verleger und Leser für ein Anzeichen dafür halte, daß ein Buch ein Klassiker ist. Ein Anzeichen ist aber keine Definition. Wer krank ist, geht zum Arzt, aber niemand wird "Krankheit ist das, was die Leute haben, wenn sie zum Arzt gehen" für eine vernünftige Definition von "Krankheit" halten.
Bekanntlich ist das Wort "Klassik" vieldeutig. Laut Wikipedia kommt es von dem Wort "classis", das in Rom die oberste gesellschaftliche Klasse bezeichnete. Das Bedeutungsspektrum umfaßt vor allem "eine Epoche kultureller Vollkommenheit" und "die höchste Entwicklungsstufe einer bestimmten Epoche". In jedem Fall hat der Begriff offenbar etwas mit herausragender Qualität zu tun. Deshalb lautet meine These, daß derjenige, der "Klassiker" definieren will, zunächst "Qualität" definieren muß. Und daran sind schon viele gescheitert ...
Viel Spaß im Fasching!
R.
Alles anzeigen
Hallo Roquairol,
ich verstehe Deine Bedenken.
1. Hackländer wäre nach der Definition ein Klassiker.
Wieviele Klassiker sind Klassiker geworden (zu Recht oder zu Unrecht), weil irgend jemand eine Vorliebe für den Autor hatte?
Würde heute noch jemand Poe kennen, wenn nicht, als er gerade vergessen war, Beaudelaire (m.M.n. zu Unrecht) seine Werke gelobt hätte.
Wird Arno Schmidt (m.M.n. zu Recht) nicht irgendwann zum Klassiker, weil J.P.R. eine Arno-Schmidt-Stiftung mit seinem Privatvermögen ins Leben gerufen hat? Wäre Schmidt (m.M.n. zu Unrecht) ohne J.P.R. nicht auch heute schon völlig vergessen?
So entstehen nun mal Klassiker, ob uns das gefällt oder nicht!
2. Wenn Du die Definition (Autor 70 + X Jahre tot und wird noch gedruckt) als Indiz nehmen willst, um zu sagen, das könnte ein Klassiker sein, aber ich will erst noch den Einzelfall prüfen, dann kriegen wir beide deswegen sicher keinen Streit. Du müsstest dann allerdingst noch einen Namen für die Werke erfinden, die keine "Zeitgenössische Literatur" mehr sind, noch gedruckt werden, aber in Deiner Einzelfallprüfung durchfallen.
Ich dagegen gebe mich mit der Unterscheidung "Zeitgenössische Literatur" oder "Klassiker" zufrieden und ärgere mich nur über Leute, die "zeitgenössische Literatur" als Klassiker (mit oder ohne Zusatz) bezeichnen.
3. Über die Herkunft des Wortes "Klassiker" habe ich hier schon mal geschrieben. M.M.n. bezeichnete "classis" im römischen Reich nicht die oberste gesellschaftliche Klasse, sondern war die höchste Steuerklasse, der gehörten aber m.M.n. eben nicht die oberste gesellschaftliche Klasse an (zahlte der Kaiser Steuern?) sondern die Gutverdienenden. Also Vorsicht mit solchen Vergleichen, sonst kommen wir schnell zum Ergebnis, dass Simmel, Konsalik, Bohlen, Becker und Effenberg Klassiker sind,