nachdem ich das erste Kapitel gelesen habe, stellen sich gleich mehrere Fragen:
Hallo Niclas,
hallo zusammen,
auch ich habe heute mit Kafkas „Verschollenem“ begonnen, aber da wieder einmal
„Zu viel Zeit mit lesefernen Ablenkungen verplempert“ um mal Markus zu zitieren, habe ich das erste Kapitel nicht geschafft und will deshalb auf Deine Fragen auch erst eingehen, wenn ich lesetechnisch dazu in der Lage bin. Aber auch der erste Absatz hat es ja schon in sich:
„Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.“
Wie immer bei Kafka ein starker Anfang, kompakt aber mit sehr viel Information.
Ist der Protagonist des Romans Karl Rossmann am Ende gar kein Verschollener, sondern ein Vertriebener oder zu mindest Verstoßener? Ein ungeliebter Sohn? – oder haben seine armen Eltern keine andere Wahl (ein Märchenmotiv der Grimm-Brothers), weil sie die Alimenten an das Dienstmädchen nicht bezahlen können?
Die, mit Sockel 93 Meter hohe, Freiheitsstatue „Liberty Enlightening the World“, ein Geschenk Frankreichs an die USA auf Liberty Island im New Yorker Hafen begrüßt wie auch das folgende Bild zeigt, Einwanderer mit einer in der erhobenen rechten Hand gehaltenen Fackel mit goldbeschichteter Flamme:
http://static.rp-online.de/lay…-0529_Freiheitsstatue.jpg
Warum beschreibt sie Kafka statt mit einer Fackel mit einem Schwert in der Hand? Soll das heißen für Karl Rossmann beginnt in Amerika nicht die Freiheit sondern der Kampf ums Überleben oder ist das schon im ersten Absatz eine Amerikakritik, weil die USA ja ein Land der Unterdrückung (Indianerkriege, Negersklaven usw.) und nicht der Freiheit sind. In diesem Zusammenhang ein Zitat des irischen Literaturnobelpreisträgers George Bernard Shaw: „Man nennt mich allenthalben einen Meister der Ironie, aber auf die Idee, ausgerechnet im Hafen von New York eine Freiheitsstatue zu errichten, wäre nicht einmal ich gekommen.“
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