Beiträge von Saturnia

    Sterben - und leben als Vorbereitung zum Ableben - fast in jedem Roman und jeder Erzählung bei Eduard von Keyserling, den wir hier im Forum in einem eigenen Thema haben. Z.B. "Abendliche Häuser".
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    Oder, anders, Gerhart Hauptmanns eigenartige, "unartige" Erzählung "Der Schuss im Park" (zuerst 1939 in der Zeitschrift "Die Dame"; dann als Buch bei S. Fischer 1941).
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    G.H. in "Polemisches": "Es gibt Männer, die sind ihre eigenen Schulmeister, Pfaffen und Henkersknechte."
    Heute würde er vielleicht als drittes (statt "Henkersknechte") ergänzen: "ihre eigenen TV-Showmaster."

    Das individuelle Gewissen gegen die Staatsnorm -


    Jan Neruda


    – von dem der große, sozialistische Chilene Pablo, eigentl. Neftali R.R.Basualto, seinen neuen Nachnamen „Neruda“ übernahm, ist der wichtigste böhmische Dichter (1834 – 1891); er war großes Vorbild für das neue Tschechien nach dem 1. Weltkrieg, nach der Staatsgründung der Tschechen mit eigenem Territorium und eigener Sprache, die nur ienge Dienstbotensprache war. - Eine Geschichte habe ich von J.N., deren Übersetzer ich nicht kenne.
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    Für die jungen revolutionären Dichter - vor und nach 68 – kenne ich diesen Sammelband mit Autoren, Texten und Erklärungen:
    Jiri Grusa [späterer Minister der CSR bzw. Tschechien; als Hrsg.]: Verfemte Dichter. Eine Anthologie aus der CSSR. Köln 1983.


    - Darin z.B. die Kurztexte von Ivan Klima, Vaclav Havel, Eva Kanturkova – Literatur, die in der kommunistischen Gesellschaft verboten, weil „staatsgefährdend“ war. Und der „Staat“ ist ja daran zugrunde gegangen, weil er nicht die Grundrechte des Individuums und seine sozialen und kreativen Potenzen akzeptieren konnte oder wollte.
    Dort wird das Thema Entfremdung gegenüber der privaten und sozialen von den staatlichen Normen stärker entfaltet als in dem klassischen Text von Jan Neruda, der an die Mitleidfähigkeit appelliert.


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    Hier also eine Kurzgeschichte, die die psychisch elende Situation einer jungen Frau zeigt, die der Erzähler-Mann bedenkenlos ausbeutet.


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    Jan Neruda:
    Zu den drei Lilien


    Ich glaube, ich war damals von Sinnen. Die Pulse flogen, das Blut wallte.
    Es war eine warme, aber dunkle Sommernacht. Die schweflige, tote Luft der letzten Tage hatte sich endlich zu schwarzen Wolken geballt. Ein stürmischer Wind peitschte sie vor sich her, dann brauste ein mächtiger Sturm los, Regengüsse prasselten nieder, und Sturm und Regen dauerten bis spät in die Nacht. Ich saß unter den hölzernen Arkaden des Gasthauses Zu den drei Lilien, unweit des Strahover Tores. Es war ein kleines Gasthaus, das sich nur sonntags regen Besuches erfreute, wenn sich im Salon zu den Klängen eines Klaviers Kadetten und Korporäle im Tanze drehten. Auch heute war Sonntag. Ich saß allein unter den Arkaden in der Nähe eines Fensters. Gewaltige Donnerschläge folgten einander fast ohne Unterlaß, der Regen schlug aufs Schindeldach über mir, das Wasser rann in stiebenden Bächlein zu Boden, das Klavier im Salon gönnte sich nur kurze Ruhepausen und klimperte dann weiter. Wenn ich nicht gerade durchs offene Fenster die sich drehenden, lachenden Paare beobachtete, schaute ich hinaus in den dunklen Garten. Manchmal, wenn ein greller Blitz aufzuckte, sah ich an der Gartenwand am Ende der Arkaden weiße Häufchen menschlicher Knochen. Denn hier war einst ein kleiner Friedhof gewesen, und eben diese Woche hatte man die Gebeine ausgegraben, um sie andernorts beizusetzen. Das Erdreich war noch zerwühlt, die Gräber waren offen. Ich hielt es immer nur kurze Zeit an meinem Tisch aus.
    Des öfteren stand ich auf und trat für eine Weile an die sperrangelweit geöffnete Tür des Salons, angelockt von einem schönen, etwa achtzehnjährigen Mädchen. Schlanker Wuchs, volle, warme Formen, im Nacken gestutztes, lockeres, schwarzes Haar, ovales, glattes Gesicht, helle Augen ein schönes Mädchen! Ihre Augen hatten es mir vor allem angetan. Klar wie Wasser, geheimnisvoll wie ein Weiher begehrliche Augen.
    Sie tanzte fast unaufhörlich. Aber sie merkte sehr wohl, dass sie meine Blicke anzog. Wenn sie an der Tür vorbeitanzte, an der ich stand, schaute sie mich immer fest an. Wenn sie wieder in den Salon hineintanzte, sah und spürte ich, dass sie mich bei jeder Drehung mit einem Blick streifte. Sprechen sah ich sie mit niemandem.
    Schon wieder stand ich da. Unsere Blicke trafen sofort aufeinander, obwohl sie in der letzten Reihe stand. Die Quadrille neigte sich dem Ende zu, die fünfte Tour klang aus. Da kam noch ein Mädchen hereingelaufen, atemlos und durchnässt, und drängte sich durch. Die Musik zur sechsten Tour setzte ein. Über die erste Kette hinweg flüsterte die Neuangekommene der anderen etwas zu, und diese nickte stumm. Die sechste Tour dauerte etwas länger, sie wurde von einem flotten Kadetten kommandiert. Als Schluss war, blickte das Mädchen mit den schönen Augen noch einmal zum Garten her, dann ging sie zur Vordertür des Salons. Ich sah, wie sie draussen das Oberkleid über den Kopf zog und verschwand.
    Ich ging und nahm wieder meinen Platz ein. Abermals brach das Gewitter los, als habe es noch nicht genug gewütet; der Sturm toste mit neuer Kraft, Blitze fuhren nieder. Ich lauschte erregt, aber meine Gedanken galten nur dem Mädchen, diesen wunderbaren Augen.
    Erst nach einer Viertelstunde schaute ich erneut zur Tür des Salons. Und da stand sie wieder. Sie ordnete ihr durchnässtes Kleid, trocknete sich das feuchte Haar; eine ältere Freundin half ihr dabei.
    „Und warum bist du bei dem Unwetter heimgegangen?“ „Die Schwester hat mich geholt“, vernahm ich jetzt zum erstenmal ihre Stimme. Sie klang seidenweich und voll.
    „Ist etwas geschehen?“
    „Die Mutter ist gestorben.“
    Mich überrieselte es.
    Sie drehte sich um und trat heraus. Sie stand neben mir, den Blick auf mich gerichtet, ich spürte ihre Hand neben meiner. Ich griff danach, sie fühlte sich weich an.
    Stumm zog ich das Mädchen tiefer und tiefer in die Arkaden. Sie folgte willig.
    Das Gewitter hatte nun seinen Höhepunkt erreicht. Der Sturm brauste daher wie eine Sturzflut, Himmel und Erde kreischten, über unseren Häuptern rollte der Donner; es war, als schrien ringsum die Toten aus den Gräbern.
    Sie schmiegte sich an mich. Ich spürte, wie ihr feuchtes Kleid an meiner Brust klebte, spürte den weichen Körper, den warmen Hauch ihres Atems mir war, als müsste ich ihr die verrottete Seele aus dem Leib saugen.
    Sie tanzte fast unaufhörlich. Aber sie merkte sehr wohl, dass sie meine Blicke anzog. Wenn sie an der Tür vorbeitanzte, an der ich stand, schaute sie mich immer fest an. Wenn sie wieder in den Salon hineintanzte, sah und spürte ich, dass sie mich bei jeder Drehung mit einem Blick streifte. Sprechen sah ich sie mit niemandem.
    Schon wieder stand ich da. Unsere Blicke trafen sofort aufeinander, obwohl sie in der letzten Reihe stand. Die Quadrille neigte sich dem Ende zu, die fünfte Tour klang aus. Da kam noch ein Mädchen hereingelaufen, atemlos und durchnässt, und drängte sich durch. Die Musik zur sechsten Tour setzte ein. Über die erste Kette hinweg flüsterte die Neuangekommene der anderen etwas zu, und diese nickte stumm. Die sechste Tour dauerte etwas länger, sie wurde von einem flotten Kadetten kommandiert. Als Schluss war, blickte das Mädchen mit den schönen Augen noch einmal zum Garten her, dann ging sie zur Vordertür des Salons. Ich sah, wie sie draussen das Oberkleid über den Kopf zog und verschwand.
    Ich ging und nahm wieder meinen Platz ein. Abermals brach das Gewitter los, als habe es noch nicht genug gewütet; der Sturm toste mit neuer Kraft, Blitze fuhren nieder. Ich lauschte erregt, aber meine Gedanken galten nur dem Mädchen, diesen wunderbaren Augen.
    Erst nach einer Viertelstunde schaute ich erneut zur Tür des Salons. Und da stand sie wieder. Sie ordnete ihr durchnässtes Kleid, trocknete sich das feuchte Haar; eine ältere Freundin half ihr dabei.
    „Und warum bist du bei dem Unwetter heimgegangen?“
    „Die Schwester hat mich geholt“, vernahm ich jetzt zum ersten Mal ihre Stimme. Sie klang seidenweich und voll.
    „Ist etwas geschehen?“
    „Die Mutter ist gestorben.“
    Mich überrieselte es.
    Sie drehte sich um und trat heraus. Sie stand neben mir, den Blick auf mich gerichtet, ich spürte ihre Hand neben meiner. Ich griff danach, sie fühlte sich weich an.
    Stumm zog ich das Mädchen tiefer und tiefer in die Arkaden. Sie folgte willig.
    Das Gewitter hatte nun seinen Höhepunkt erreicht. Der Sturm brauste daher wie eine Sturzflut, Himmel und Erde kreischten, über unseren Häuptern rollte der Donner; es war, als schrien ringsum die Toten aus den Gräbern.
    Sie schmiegte sich an mich. Ich spürte, wie ihr feuchtes Kleid an meiner Brust klebte, spürte den weichen Körper, den warmen Hauch ihres Atems.
    Mir war, als müsste ich ihr die verrottete Seele aus dem Leib saugen.
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    (J.N: Geschichen von der Prager Kleinseite. (1878; dt. 1885)

    Lange Zeit war Inoues "Das Jagdgewehr" (übersetzt von Oskar Benl) meine schönste japanische Kostbarkeit: Herb für Liebende, aber nicht letal.


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    Später lernte ich auch diese Texte kennen vom Nobelpreisträger:


    [Blockierte Grafik: http://www.booklooker.de/images/cover/user/0323/1471/lsd735.jpg]


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    Glückwünsche an Papagena!


    Was ist denn von neuerer japanischer Literatur empfehlswert...?


    Grüße: Stephanie

    Vor dem 8. Mai noch eine lyrische Erinnerung an E. W.:


    Ernst W i e c h e r t:
    DEUTSCHE WEIHNACHT


    Da ist ein Volk, das vor den Krippen betet,
    wie alle Völker auch in dieser Nacht.
    Gott hat wie Disteln dieses Volk gejätet
    und es zum Brennen auf das Feld gebracht.


    Da ist ein Volk, braucht keinen Stall zu bauen
    für Kinder, die heut nacht geboren sind,
    weil alle Sterne durch die Dächer schauen
    und alle Mütter friert's im Weihnachtswind.


    Dort liegen zitternd sie in ihren Wehen,
    kein Engel, der die feuchten Hände hält,
    kein Ochs und Esel, die beim Kinde stehen,
    kein Hirtenlied aus dem verschneiten Feld.


    Und Joseph kauert auf den nassen Stufen
    und träumt vom letzten Brot, das er sich brach,
    wo ist ein Gott, ihn gläubig anzurufen?
    Wo ist ein Richter, der nicht "Schuldig" sprach?


    Und keine Könige, die sich verneigen,
    und weder Weihrauch, Milch noch trocknes Brot,
    und in den Ecken steht das dunkle Schweigen,
    und auf den Trümmern sitzt der dunkle Tod.


    Da ist ein Volk, im Dunklen noch verloren
    und ist ein Volk, das ist wie keins allein,
    und sind doch Kinder ihm heut nacht geboren,
    und alle werden reinen Herzens sein.


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    Geschrieben 1944 oder 1945.
    *
    Aus: E.W.: Meine Gedichte. 1952 (posthum erschienen) S. 36.
    (Nach einer Verlagsnotiz in Wiecherts "Gesammelten Werken". Bd. 7. Kurt Desch Verlag. München. S. 331, darf dieses und andere Wiechert-Gedicht zu Bildungszwecken honorarfrei nachgedruckt werden: "Um das Wissen und die Erinnerung an die Geschehnisse von 1933 bis 1945 wachzuhalten.")

    Nachtrag:
    Ernst Wiechert im KZ Buchenwald...


    Ein Bild von der Goethe-Eiche, unter der E.W. oft saß, nach der Befreiung. Von ihr und seinen Mithäftlingen, von den Mordschüssen unmittelbar neben sich, berichtete er in "Totenwald".


    Die "Goethe-Eiche" vor einer beschneiten Baracke (nach einer Aufnahme von 1944; weil die durch Fliegerbomben abgebrannte Eiche schon während der KZ-Zeit abgehackt wurde; nur die Baumscheibe blieb lange erhalten):


    http://thirdreichruins.com/GoetheOak44.jpg

    Die angegebenen literarischen Beispiele sind so hochwertig, dass ich erst dachte - da kannste nix ergänzen, da weißte nix Neues.
    Und doch - ins Politische und Literarhistorische gekehrt - ist Ernst Wiechert (Lehrer, Dichter, Flüchtling aus der Bundesrepublik - nach 45!) ein gutes, existenzielles Beispiel:


    Von seiner Haft in Buchenwald (ja, ganz nahe bei dem von Nazis so heimgesuchten Weimar) berichtet er in "Der Totenwald" (1939 geschrieben, unter abenteuerlichen Umständen versteckt, weil E.W. ja von der Gestapo überwacht war; erst nach dem Krieg erschienen, im Ausland bei "Rascher" in Zürich 1945). Eine deutsche Taschenbuchausgabe (bei Propyläen/Ullstein, 1963; TB 440) hat es später auch gegeben.
    Seine politischen und psychologischen, teilweise pazifistischen, erzählerischen Texte sind am besten gesammelt in einer Ausgabe des Union Verlages (Berlin 1969; ja, damals DDR!): E.W.: Erzählungen. Hg. v. Ruth Böhmer.
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    Wer kennt hier in diesem Forum wohl Ernst Wiechert...?

    Zola:
    Das kann man im Internet beantwortet finden. Z.B. bei der Kulturbehörde in Hamburg.


    Die zitierten Richtlinien gibt es, gedruckt in einem Verlag; der sie, nachdem die Abiprüfungen durch sind, veröffentlichen darf.
    *
    Wie übrigens auch in Nordrhein-Westfalen u.anderswo..

    ':klatschen:' Meister des Karl Mayschen Hinter- und Unter- und Hintern-Grundes:


    Meintest Du das Eindringen ("immissio") und versuchte Durchqueren der latent/offen zur Schau liegenden Talgründe - als Ein- und Eroberung in die (oder: der) talwärts geleitete(n) Suche nach den vulgo unnennbaren Gefilden männlicher Homoanalität....?
    Serr woll! Salute, Sithara! Gutes Gelingen in oder bei der Pro-und Analyse; da ist ja kein Greenhorn unterwegs... (?)

    Antwort an Sandhofer - und: wen es interessiert...:


    Nein, eine rechtfertigende Diskussion möchte ich über meine Beiträge nicht führen.
    Wenn sie nicht für DICH geschrieben erscheinen - bitte, überlasse anderen ein Urteil, eine Verwertung - meinethalben auch, natürlich, Kritik.


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    Ich habe noch einmal ein Beispiel für Analyse zum Thema Raum - von Sandhofer angefragt - eingegeben, wenn es Dir nicht passt - bitte, werde nicht unglücklich.


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    Eine Diskussion hat h i e r nicht stattgefunden... - obwohl ich darauf wartete.


    Ein Kollege von mir fand, weil er frühmorgens eine Freistunde hatte und surfte - hier im Thema einen ironisch-fontanesken Beitrag als Replik - und hat ihn mir ausgedruckt... - Dieser Text ist hier verschwunden. Ohne Erklärung.


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    Frage: Sandhofer - hat er ihn erhalten...?

    Bisher sind hier Räume im Normalsinn (Wohnungen, Zimmer, Zellen, Keller...) aufgezeigt worden.


    In der Sekundärliteratur wird "Raum" auch erweitert als "Lebensraum", Entwciklungsbereich, Region - auch als "Landschaft" verstanden und beschrieben.


    Deshalb hier ein Beispiel aus dem Deutschunterricht:


    AB: Funktionen der Räume und der Landschaft(en) in fiktionalen Texten:
    - Arbeitsblatt zu: G. Kellers Novelle "Romeo und Julia auf dem Dorfe"


    1. Handlungsraum:
    Raum als Bedingungsrahmen für Ereignisse und Handlungen.
    Als Orientierungsrahmen für Personen: In welcher personalen, sozialen und emotionalen Beziehung stehen sie? Wie sind die Beziehungen gespiegelt? Wie verlaufen sie vom Ausgangsspunkt bis zur Schlusssequenz?


    2. Stimmungsraum:
    Raum als Ausdrucksträger mit expressivem Charakter, der die Erlebnisse der Personen bestimmt; Beispiel: das Bauernhaus, das Vrenchen verlassen muß; das Haus des Manz in Seldwyla; das Lebkuchenhaus (zu Kirchweih), das "Paradiesgärtlein"...


    3. Lebensraum:
    Raum, in dem die Personen zu Hause sind, der ihre Wirklichkeitssicht bestimmt (Arbeitswelt/Nachbarschaft, häuslicher Alltag, ‘Milieu’-Bedingungen, Fremde/Heimat, Eigentum/Fremdbesitz).


    4. Kontrastraum:
    Spannung zwischen Raum und erzählten Ereignissen zur Betonung von Widersprüchen und Konflikten: räumliche Gegensätze (das Zu-Hause-Sein/Auszug, Vertreibung=Verlust des Vaterhauses; Stadt/Land; Heimat/Fremde; Verträglichkeit/Feindseligkeit; Alter/Jugend); die Tal-Aue als Ersatz für die verlorenen Elternhäuser; Hochzeits- und Totenbett auf dem Heuschiff bei der Durchfahrt durch die heimische Landschaft...


    5. Raumsymbolik:
    Raum oder Dingwelt (Region, Feld, Flussgegend, Brücke; Bauwerke/Naturelemente) mit symbolischer Bedeutung für die Gegenstände und/oder die Personen der Erzählung.


    Aufgaben:


    Erschließe mit Hilfe dieser Begriffe die besondere Bedeutung des Raumes (der Landschaft) in der E x p o s i t i o n der Novelle "Romeo und Julia auf dem Dorfe"!

    Der Text aus der Abi-Arbeit:


    Giovanni Pico della Mirandola (1463 – 1494):
    Über die Würde des Menschen


    Gott hat am Ende der Schöpfungstagenden Menschen geschaffen, damit derselbe die Gesetze des Welltalls erkenne, dessen Schönheit liebe, dessen Grösse bewundere. Er band denselben an keinen festen Sitz, an kein bestimmtes Tun, an keine Notwendigkeiten, sondern er gab ihm Beweglichkeit und freien Willen.
    "Mitten in die Welt", spricht der Schöpfer zu Adam, "habe ich dich gestellt, damit du umso leichter um dich schauest und sehest alles, was drinnen ist. Ich schuf dich als ein Wesen, weder himmlisch noch sterblich noch unsterblich allein, damit du dein eigener freier Bildner und Überwinder seiest; du kannst zum Tier entarten und zum gottähnlichen Wesen dich wiedergebären. Die Tiere bringen aus dem Mutterleib mit, was sie haben sollen.
    Die höheren Geister sind von Anfang an oder bald hernach, was sie in Ewigkeit bleiben werden. Du allein hast eine Entwicklung, ein Wachsen
    nach freien Willen, du hast Keime eines allartigen Lebens in dir."


    http://www.schoolwork.de/neuzeit/mirandola.php

    Ob im Vatikan - oder hier im Forum:
    Ein aktueller Beitrag – und ein historischer, der zum Thema "Adam" oder "Prometheus"... ein Abiturthema bietet (aus Hamburg, im Fach Philosophie, beim Abitur 2002):


    Eine Überlegung wert - ob unter dem Schöpfungs-Fresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle – wo z. Zt. die Kardinäle noch sitzen und einen Nachfolger wählen... - oder im "Geiste überall" - oder irgendwo, wo Abiturarbeiten geschrieben werden:


    „Adam“ oder „Prometheus“... - hier als ein Abiturthema...



    Originalanforderungen als Aufgabenstellung:


    1. „Die Erschaffung des Adam“ – so nennt man das berühmte, 1511 vollendete Fresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle (Rom, Vatikan). Klären Sie, welches Menschenbild Michelangelos Darstellung zugrundeliegt; gehen Sie dabei auch auf die Rede Pico della Mirandolas „Über die Würde des Menschen“ (1486) [diesen Text habe ich hier weggelassen] ein.


    2. Vergleichen Sie das unter 1. rekonstruierte Menschenbild mit demjenigen, das in Goethes Gedicht „Prometheus“ (1777) zum Ausdruck kommt.


    3. Überprüfen Sie, ob diese beiden anthropologischen Archetypen – „Adam“ und „Prometheus“ – dazu geeignet sind, das Selbstverständnis des Menschen in der Gegenwart zu klären.
    *
    Die Bewertungseinstufungen gemäß den Anforderungen kann man auch im Internet finden... (wenn man sehr intensiv sucht).

    Nachträgliche Nachrichten zur Osterzeit:
    (Text eines Nazi-Gedichts und gekürzter Entwurf einer Abiturklausur für Deutsch Gk)


    Heinrich Anacker: Deutsche Ostern 1933


    Hört ihr die Osterglocken
    Frohlocken?
    So haben wir noch zu keiner Frist
    Des Festes Sinn verstanden
    Wie heute ... Denn Deutschland selbst ist
    leuchtend auferstanden. :


    Hört ihr die Osterglocken
    Frohlocken?
    Auch Deutschland erlitt sein Golgatha,
    Und ward ans Kreuz geschlagen –
    Nun hat das Bittre, das ihm geschah,
    Herrliche Frucht getragen.


    Hört ihr die Osterglocken
    Frohlocken?
    Auch Deutschland hatte der Mütter viel
    Mit dem Schwert im blutenden Herzen –
    Nun läßt alte das österlich-hohe Ziel
    Vergessen alle Schmerzen.


    Hört ihr die Osterglocken
    Frohlocken?
    Auch Deutschlands Grab ist heute leer:
    Das Volk hat heimgefunden –
    Und war der Stein auch noch so schwer,
    Es hat ihn überwunden.
    Hört ihr die Osterglocken Frohlocken?
    So haben wir noch zu keiner Frist
    Die Botschaft tief verstanden –
    Denn Deutschland ist, wie der Heilige Christ,
    Leuchtend auferstanden!


    (Aus Heinrich Anackers nationalsozialistischem Gebetuch "Die Fanfare. Gedichte der deutschen Erhebung". München 1934. S. 112f.)


    Voraussetzungen zu den Abituranforderungen:


    Kenntnisse in der Analyse politischer Lyrik sind für die Lösung Grundvoraussetzung; die weiterführende Aufgabenstellung macht es noch nötig, dass Texte oder Tendenzen zur NS-Kulturpolitik bekannt sind, wie die Richtlinien es z.B. für die Jahrgangsstufe 13 vorschlagen. In diesem Zusammenhang müsste außerdem die Behandlung von Fragen der Wirkung und Rezeption von literarischen Texten geläufig sein.


    Literaturhinweise: A. Schöne: Über politische Lyrik im 20. Jahrhundert, Göttingen 1965.
    Biograf. Artikel zu H.A., in: H. Sarkowicz und A. Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Hamburg 2002. 71f.


    Zur Analyse:


    Zum Verfasser:
    H.A. (1901 - 1971) früher, begeisterter Wortführer der nationalsozialistischen Bewegung in Berlin; literarische Veröffentlichungen (besonders Gedichte), die politisch von der NSDAP ab 1931 gefördert wurde; der Dichterling galt als "fortschrittlicher" 'Lyriker der braunen Front'.


    Vorüberlegungen zur Interpretation:


    Drei Komplexe sind in der Analyse besonders zu berücksichtigen:
    - Das Stichjahr "1933" ist der Hintergrund im historischen Zusammenhang, auf den der Text direkt sich bezieht und der im Verstehen berücksichtig werden muss:
    - Das Heilswort "Ostern" nimmt einen bedeutsamen Begriff der christlichen Religion auf, der den Blick lenkt auf die Art der Verarbeitung christlicher Inhalte im Text
    - Die Bezugsgruppe "Deutsche" verweist hier als Adjektiv, dass das gemeinte und propagierte 'Ostern' in seiner religiösen Bedeutung national eingeschränkt verstanden werden soll (im Widerspruch zu einer christlichen Begriffsverwendung); die nationalsozialistische, rassistische Ideologie, die „Deutsch“ als bevorzugt gegenüber anderen Nationalitäten und sozialen oder religiösen Gruppen gemeint ist, tritt programmatisch hervor


    Zum historischen Kontext "Ostern 1933":


    - Ereignisse der gewaltmäßigen Etablierung der NS-Herrschaft als Ablösung der ersten deutschen Demokratie bis 1933 haben zuvor stattgefunden: Ostern 1933 fiel auf den 16. /17. April.
    - Vereidigung der Präsidialregierung Hitlers.
    - Aufhebung der verfassungsmäßigen Grundrechte (durch die propagandistische, polizeiliche und verwaltungsmäßige "Gleichschaltung").
    - "Ermächtigungsgesetz". Die Grundlage der unumschränkten NS-Gewaltherrschaft ist damit vorhanden.


    Der Text stellt gleich zu Beginn (nach direkter Ansprache - Frage - an die deutschen Zuhörer) heraus, dass die Gegenwart - d.h. der Zeitpunkt, den die Überschrift angibt und der in der 1. Zeile ("Osterglocken") herausgestellt wird - als geschichtlich herausgehobenes, einmaliges Ereignis ("noch zu keiner Frist") vorgestellt ist.
    Das machtpolitische „Heils-“Geschehen besteht darin, dass es einen besonderen Sinn und Handlung ermöglichen soll, das der Text mit der - für ihn charakteristischen Parallelisierung politischer und nationaler Vorgänge mit christlichen Traditionen umschreibt: die Besonderheit der Gegenwart besteht im als parallel gekennzeichneten Hinzutreten des nationalen, kämpferischen Aspekts zum überkommenen Osterfest:
    "Deutschland selber ist / leuchtend auferstanden".
    Diese nationale Intention ist der emotionale Kern, der Zustimmung, Begeisterung und weitere politische Druchseuchung durch Nachahmung und Akklamation und Paradieren und Kampf - in militärisch organisierter Nachfolge - provozieren soll.


    Die zentrale politische Intention, die hier „operativ-manipulativ“ befördert werden soll durch die Gleichsetzung der politischen Bewegung, die Hitler als „Revolution“ meinte und durchführte mit Gewalt, Geschrei und Lügen – ist der deutsche Faschismus, der die christliche Religion durch eine germanische Götterlehre ersetzen wollte. Hitlers Originalton, zu Anfang noch im kleinen Kreis vorgetragen: „Der christlichen Lehre setze ich mit eiskalter Klarheit die erlösende Lehre von der Nichtigkeit und Unbedeutendheit des einzelnen Menschen und sein Fortleben in der sichtbaren Unsterblichkeit der Nation gegenüber.“ (H. Rauschning: Gespräche mit Hitler. Zürich 1940)

    Zwar nicht zu den hier genannten Titeln - aber zum Thema - Deutschunterricht, Lehrer, Literatur - passt folgendes Lesezitat:


    Heinrich Böll...


    ... in seinem Essay "Briefe an meine Söhne oder Vier Fahrräder" (1984, ein Jahr vor seinem Tod geschrieben; jetzt neu veröffentlicht in: DIE ZEIT - Geschichte. Nr. 1. Teil 2. April 2005):
    Dort S. 20 fordert H.B. seine Söhne auf: ..."lest nach, lest die Gedichte, die Günter Eich darüber geschrieben hat..."
    Worüber, ja, klar, doch!
    Über das "Ende" - im Deutschen Reich - die Endkämpfe und Hunger und Tötungen und Fluchten und Papier-Fälschungen und ... - Ende 44 bis Mai 45, im Rheinland, wo Erschießungen und "Heldenklau" und Überlebenswille und Volkssturm sich "abspielten"!
    *
    Würde mich mal interessieren, welche Deutschlehrer/innen solche literarischen Bezüge aufarbeiten lassen.
    *
    Titel....?
    Ja, nicht nur "Inventur" - viel genauer noch: "Camp 16", "Blick nach Remagen", "Mohn", "Pfannkuchenrezept", "Latrine", "An die Lerche"...


    ':sonne:'


    Alles aufgeschrieben von 1944 - bis etwa MAI 45...! -


    ':winken:'P:S.: Dem "schönsten Mai ihres Lebens", von dem meine Mutter mir erzählen konnte, nachdem wir als niederländische Familien auf deutschem Boden - im Rheinland - endlich befreit waren...

    Farben, Symbolik? - Stil, Poetik, Romankunst – bei Th. F…?


    Was die Struktur seiner Romane angeht, schwankte Fontane im Wesentlichen zwischen zwei Möglichen Realisierungen, also Erzähltypen, für die er selber die Begriffe „Vielheitsroman" und „Einheitsroman" prägte.


    „Meinst Du nicht auch", schreibt er an Romancier Paul Heyse am 9. Dezember 1878, „daß neben Romanen [. . .], in denen wir ein Menschenleben von seinem Anbeginn an betrachten, auch solche berechtigt sind, die statt des Individuums einen vielgestaltigen Zeitabschnitt unter die Lupe nehmen? Kann in solchem Falle nicht auch eine Vielheit zur Einheit werden? Das größte dramatische Interesse, soviel räum ich ein, wird freilich immer den Erzählungen ,mit einem Helden' verbleiben, aber auch der Vielheitsroman, mit all seinen Breiten und Hindernissen, mit seinen Porträtmassen und Episoden, wird sich dem Einheitsroman ebenbürtig - nicht an Wirkung, aber an Kunst - an die Seite stellen können, wenn er nur nicht willkürlich verfährt, vielmehr immer nur solche Retardierungen bringt, die, während sie momentan den Gesamtzweck zu vergessen scheinen, diesem recht eigentlich dienen."


    Als Vorbild für den definierten „Vielheitsroman" diente der Romankunst des „Nebeneinander" von Karl Gutzkow, dessen „Zauberer von Rom“ [der Roman ist nicht mal in Kindlers Literatur-Lexikon verzeichnet] Fontane besonders geschätzt hat. Deutlich hat Fontane dieses Modell in seinem historischen Roman „Vor dem Sturm“ (1878) erzählerisch umgesetzt, als dessen „Stärke" er nicht den Inhalt, sondern die Komposition, die Überschneidung verschiedenartiger Motive und „Lebenskreise", ansah. In seinen späteren Romanen entschied sich Fontane wohl eher für einen Kompromiß zwischen dem „Vielheits-" und dem „Einheitsroman".
    – Aber poetologisch-formale Fragen haben Th. F. nicht sehr interessiert. Oft schreib er mit dem „Psychographen“ – und er war selber überrascht, welche Motive, Bezüge und Intentionen zur Realität – dem Hintergrund der Gesellschaft, der Politk und der Psychologie – sich dabei ergaben.


    Er - Th. F. - als auktorialer Erzähler versteckte sich aber nie hinter einer seiner vielen Figuren samt Gegenspielern – er schrieb Panorama-Romane oder Gesellschaftsspiegelungen, deren Intention(en) sich – als Abfolge einer Handlungsstrecke – in der Entwicklung der Handlung zwischen „conträren“ Personen, Bedingungen, Annäherungen, Abwandlungen und Ab-Lösungen und in ihren vielen symbolischen Vergegenwärtigungen und Vergänglichkeiten sich entwickelten. (S. in den vielen Kontrasten das Eingangskapitel zu „Effi Briest“ und die verwandelte, abgetragene Szenerie dort im Schlusskapitel.)
    *
    Ich wundere mich selber, dass diese Fontaneschen Begriffe nicht Eingang in die allgem. literaturwissenschaftl. Begrifflichkeit, die schulische "Stil-Sprache" und entsprechende Wörterbücher gefunden haben. - Weiß jemand da einen Hinweis?


    *
    Mhm – aber zu „safran-gelb“ – also konkret zu den Farben in ihrer Symbolik - und in der Bedeutung für die Kleidung ihrer Träger - da weiß ich nichts Konkretes.


    Stephanie ':winken:'

    Tipp:
    Jürgen W o l f f: Mit Fontane durch die Mark Brandenburg und den Harz.


    Nicht nur Fontane, auch Strittmatter - und natürlich Kleist und Tucholsky - die ganze Corona aus der Sand-Streubüchse, sind in dem als Reiseführer und Anthologie angelegten Buch zu finden. (Wo? Bei K l e t t 1992; spätere Auflage oder andere Ausgabe mir bisher unbekannt.)


    Von Fontane sind natürlich besonders "Stechlin" und "Grete Minde" einbezogen.
    (':winken:')Vorbereitende Frage: Wer (Namen, Vornamen...!) erlebt als Pärchen hier welches Schloss (Ortsnamen, Besonderheiten der Fassade; welcher See liegt vor der Tür...?)
    (':entsetzt:')


    "Das Schloß! - Das Schloß mußte besichtigt werden. Man schritt hallend in den Hof und zog an einer Messingstange mit weißem Porzellangriff. Eine kleine Glocke scheeeeeeeeeeepperte...."
    *
    Pardon: Die "eeeee" sind nicht original, nee, nee. Das muss man imaginativ im Ohr hallen lassen; heute tritt man dort durch die fast immer offene Portaltür in die Eingangshalle - und zur Kasse...;(.. und die klickt so leisssse pc-mäßig.)


    Und kein Kastellan ist mehr da angestellt, der bittet:
    "Nu kommen Sie man hier hinten rum, - da ist es am nächsten." :entsetzt: :entsetzt:


    Aber: Gute Reise!
    Vielleicht seh ich da jemanden mit einer in Ribbeck geklauten Holzbirne in der Hand...:


    Danach sucht ... Saturnia (...Stephanie)

    Hallo! Wolf, Poeta!


    Dank für die Rhythmus-Korrekturen und den "John-Maynard"-Text!
    Der scheint ja völlig unbekannt zu sein. Ich habe ihn nirgendwo im Netz - und bei keinem Fontane-Interpreten gefunden.


    *
    Joachim Krueger und Anita Golz, die Bearbeiter der Th. F-Gedichtausgabe (innerhalb der GBA), haben angemerkt:


    Fontane hat sicherlich bereits 1841 die Zeitungsberichte über das Unglück gelesen; die von Robert Binder herausgegebene Zeitschrift »The German and Continental Examiner« hatte in ihrer vom 15. Oktober 1841, einen Bericht über den »Brand des Dampfschiffes Erie auf dem Eriesee am 9. August 1841« veröffentlicht, und auch das »Gewerbeblatt für Sachsen« hatte in seiner Nr. 79 (wohl vom Oktober 1841; Werbeanzeige in: »Die Eisenbahn«, Nr. 46, 16. Oktober 1841, S. 184) einen Bericht über den »Untergang des Dampfbootes Erie« publiziert.


    Aber erst 1885, als Fontane sich erneut den Balladen zuwandte und die Arbeit am Roman »Quitt« (der ja teilweise in den USA spielt) begann, die Anlaß gab, sich eingehender mit den Vereinigten Staaten zu beschäftigen, hat er die Ballade »John Maynard« geschrieben.
    G. Salomon hat in seinem Aufsatz »Wer ist John Maynard?« (FB, Bd. I, H. 2, 1965, S. 25-40) eine ausführliche Darstellung des Unglücks und seiner literarischen Gestaltung gegeben: Am 9. August 1841 geriet auf dem Erie-See der Raddampfer »Erie« auf der Fahrt von Buffalo nach Detroit in Brand, da sich feuergefährliche Stoffe, die der Dampfer zufällig mitführte, in­folge unsachgemäßer Lagerung entzündet hatten. Da die vor­handenen Rettungsmöglichkeiten unzureichend waren und eine Panik unter dem Passagieren ausbrach, kamen viele von ihnen in den Flammen um oder ertranken im Erie-See. Ein Schiff, das die »Erie« zwei Stunden nach der Katastrophe er­reichte, sowie einige kleinere Schiffe konnten nur wenige von den ca. 200 Passagieren retten. Während dler Kapitän Titus mit dem Leben davonkam, fand der diensthabende Steuer­mann Luther Fuller, der auf seinem Posten ausharrte, um auf kürzestem Wege Land zu erreichen, in den Flammen den Tod.
    Das Schiffsunglück wurde zuerst in der Erzählung eines an­onymen Autors literarisch gestaltet, die unter dem Titel »The Helmesman of Lake Erie« (»Der Steuermann vom Erie-See«) im September 1845 in der Tageszeitung »Commercial Advertiser« in Buffalo erschien.
    Im Gegensatz zum tatsächlichen Verlauf werden in der Erzählung alle Passagiere gerettet, nur der Steuermann kommt zu Tode. Der anonyme Autor gab ihm den Namen John Maynard, offenbar unter Verwendung des Na­mens eines Mitgliedes der Kommission, die das Unglück un­tersucht hatte, des Buffaloer Bürgers Robert H. Maynard. Diese Erzählung hat nur lokale Verbreitung gefunden. Allgemein bekannt wurde der Stoff, als ihn der Propagandist der Absti­nenz und Verfasser erbaulicher Geschichte» John Bartholomew Gough (1817-18186) aufgriff und in einem (wohl für Kin­der bestimmten) Vortragsstück nacherzählte, das von 1869 an in amerikanischen Sammlungen von Vortragsstücken und schon 1866 in einer Zeitschrift gedruckt worden ist.
    Das Vortrags­stück hieß »Der Steuermann. Ein spannender Vorfall« und schliefst sich in der Handlung fast ganz an die anonyme Vor­lage von 1845 an. Nur daß das Schiff nun nach Buffalo fährt, statt von dort zu kommen, daß das Feuer erst kurz vor Ende der Reise ausbricht und der Kapitän ein Sprachrohr verwendet.
    Schließlich hat der Verfasser von Jugendschriften, Horatio Alger jun. (1834-1899) nach Goughs "Der Steuer­mann« die Ballade »John Maynard« verfaßt, die im Januar 1868 in der Kinderzeitschrift »The Student and Schoolmate« in Boston erschien. Diese Ballade ist später mehrmals in amerikanische Sammlungen von Vortragsstücken aufgenommen worden.
    Nach den Feststellungen von Salomon hat Fontane sich, was die Einzelheiten des Ablaufs der Handlung betrifft, im Wesentlichen an die Darstellung bei J. B. Gough gehalten, nicht aber an Alger. Die anonyme Erzählung von 1845 dürfte als Quelle ausscheiden, da sie, als Fontane seine Ballade schrieb, verschollen war. Da denkt Salomon an persönliche Übermittlung des Quellentextes.
    *
    Na, nochmals Dank für diese Einfach-Ballade, eine fast "volkstümliche", von der Frau, die ja auch fast völlig unbekannt ist.
    Ludwig Reiners bringt mal was von derAda Christen...


    Da kann man schöne Vergleichaufgaben stellen und stilistische Ansprüche und poetische Intentionen erhellen.

    Ja, Berch - und es war der letzte, gewaltig wirksame, rettende Schrei des Lotsen - so versteht es der Anspruch in der schulsichen Überlieferung: Der Lotse opfert sich mit "letztem Schrei".


    Von einer Kollegin bin ich aufmerksam gemacht worden auf einen älteren, schönen Text von Hans Erich Nossack, einem kundigen, sprachgewaltigen Norddeutschen (1901 - 1977)


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    Es ist ein schönes Lehrer-Porträt - und eine entschiedene Klärung von tragischer Heldik!


    Hans Erich Nossack: Eine Sache, die stimmen muß


    So geschehen Anno 1911 in der Sexta der Gelehrtenschule des Johanneums der Freien und Hansestadt Hamburg. (Ich kann mir nicht verkneifen, diesem anspruchsvollen Titel auszuschreiben; alle Johanniter sind stolz darauf, obwohl die meisten, wie ich, keine Gelehrten geworden sind.) Unser Klassenlehrer war Professor Benno Diederich, ein her­vorragender Literat, von denn es ein Buch Hamburger Poeten gibt, der einen literarischen Verein in meiner amusischen Heimatstadt gegründet hatte und der Kritiken und ausgezeichnete Artikel über Barockdichtung schrieb. Davon wußten wir Sextaner natürlich nichts. Für uns war er der mehr oder weniger gefürchtete Klassenlehrer, der seit vielen Schülergenerationen schlicht »Benno« genannt wurde. Eines Tages gab er uns ein deutsches Diktat. Zum Thema hatte er das Gedicht Der Lotse von Ludwig Giesebrecht gewählt. 'Ein ungewöhnlich minderwertiges Machwerk, das aber damals wegen seiner handfesten Moral in allen Lese­büchern zu finden war. Als Kind macht man sich deswegen keine Gedanken; die Erwachsenen wollen es offenbar so, und damit gut. Daß man dergleichen auswendig lernen muß, ist lästig, doch denselben Ärger hat man auch mit besseren Gedichten.
    Der Inhalt des Gedichtes, das hoffentlich die Heutigen nicht mehr kennen, ist kurz folgender: Ein Schiff fährt bei hefti­gem Sturm in eine Bucht ein», hat falschen Kurs genommen und ist in Gefahr, in die Klippen zu geraten. Das beobachtet ein alter Lotse vom Ufer aus. Mit der beherzigenswerten Sentenz: »Ein ganzes Schiff voll junger Leben / ist wohl ein altes Leiben wert« läßt er sich ein Sprachrohr geben, springt in ein Boot und rudert dem Schiff entgegen, bis er ihm zurufen kann: »Links müßt ihr steuern!« Das Schiff wird natür­lich dadurch gerettet, während das Ruderboot kentert und der alte Mann ertrinkt, wie es sich gehört - jedenfalls in einem Gedicht.
    So weit, so gut. Nur bei dem Schlußsatz des Diktates stutzte ich. Er lautete wörtlich: »Wir aber als Hamburger glauben nicht, daß ein Schiff durch den Ruf ‚Links müßt ihr steuern!’ gerettet werden kann, und wundern uns, daß Herr Professor Giesebrecht aus Stettin das nicht auch gewußt hat.“ Das ist reinster, unvergänglicher Kritikerstil; das Herz lacht einem. Ob es pädagogisch richtig ist, ihn Sextanern beizu­bringen, steht auf einem ändern Blatt. Übrigens hatte die Klasse viel zu viel Mühe mit Orthographie, Kommata und Schönschrift, um auf dergleichen zu achten. Daß aber mir Neun- oder Zehnjährigem der Satz im Gedächtnis blieb, scheint mir darauf hinzudeuten, daß ich damals eine erste Ahnung davon bekam, was Literatur ist: eine Sache, im der es nicht mit schönen Worten und schöner Moral getan ist, sondern die vor allem stimmen muß.
    Einen indirekten Beweis für diese kühne Behauptung; erhielt ich etwa fünfzig Jahre später. Meine jüngste Schwester äußerte, als wir uns über unsere Kindheit unterhielten: „Wir sind immer der Meinung gewesen, daß dieser Mann dich verdorben hat.“ Verdorben? Das war nicht böse gemeint; ich kenne kein gutmütigeres Geschöpf als meine Schwester. Sie gab damit nur ganz naiv dem Bedauern der Sippe Ausdruck, daß ich mich auf etwas so Unzuverlässiges wie Literatur eingelassen hatte, statt einen anständigen Beruf zu wählen. Ich bin mit Benno Diederich auch nach der Schule zusammengekommen, wenn auch nicht sehr häufig. Tatsache ist jedoch, daß er mich jedesmal ganz unmerklich in meinen noch sehr unklaren Absichten bestärkte.
    Dann brachten uns die bitteren Zeitumstände auseinander, doch; gleich nach 1945, nach dem zwölfjährigen Schweigen, stand er eines Tages fast völlig erblindet vor der Tür meiner damaligen Notwohnung. Er hatte ein Gedicht von mir im Radio gehört und war gekommen, um mir zu sagen, daß er stolz auf mich sei. Das war für mich, als ob ich nun endlich das Abitur wirklich bestanden hatte. Bald darauf starb er. Ich nahm als einziger seiner Schüler an der Beerdigung teil.
    Das soll kein Vorwurf sein. Es war der entsetzliche Winter 46/47. Das Thermometer stand auf 20 Grad unter Null. Es gab keine Kohlen. Es fuhren keine Straßenbahnen.

    *
    (Verfasst 1962; in Erinnerung an die frühe Nachkriegszeit und die noch frühere, politisch erzwungene Heldenopfer-Theatralik, die schon Nossacks Lehrer mit einer nüchtern-realistischen Bemerkung abstrafte. Aus: H. E: Nossack: Pseudobiographische Glossen. Frankfurt/M. 1971. S. 23f.)
    *
    Mir ist Nossack nach 1965 aus dem Blick- und Lesefeld verschwunden.
    Wer hat Neueres von Nossack gelesen? Z.B. seine Tagebücher?


    Hans Erich Nossack: Die Tagebücher 1943–1977.
    Herausgegeben von Gabriele Söhling. Mit einem Nachwort von Norbert Miller. Drei Bände. 1720 Seiten. Kartoniert. € 51,–
    http://www.suhrkamp.de/webimages/260/3518412612.jpg

    Ja, gute Überlegung:


    Aber, statt:


    Jetzt schießt es aus dem Klippenrande!
    "Links müßt ihr steuern!" hallt ein Schrei.
    Kieloben treibt das Boot zu Lande,
    und sicher fährt die Brigg vorbei.


    geht - klingt's doch auch markant und laut genug gebollert, über der Wellen Wogen und Wahn hinweg:


    Jetzt schießt es aus dem Klippenrande!
    "Backbord! Jungs!" - des Lotsen Schrei.
    Kieloben treibt das Boot zu Lande,
    und sicher fährt die Brigg vorbei.


    *
    Oder verhör ich mich da an der Metrik?
    Grüße -
    Saturnia
    (i.e. Stephanie)


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    P.S.:
    Humor zu Seenotzeiten..?
    http://www.sy-arion.de/Seekiste/SEENOT.JPG