Beiträge von giesbert

    Aktuell lese ich den Oliver Twist in der Meyrink-Übersetzung (die londoner Halb- und Unterwelt spricht bayerischen und berliner Dialekt. Ts)


    Von einzelnen Genre-Skizzen abgesehen ein ziemlicher Müll.


    Naja.

    Ein Hinweis auf Arno Schmidt darf natürlich nicht fehlen. Dessen Ich-Erzähler lassen sich sehr häufig über Literatur und andere Autoren aus. Daneben hat Schmidt zahlreiche Rundfunk-Dialoge über andere Autoren geschrieben, ein Buch über Karl May ("Sitara und der Weg dorthin") und, wenn man so will, eines über EA Poe ("Zettel's Traum").


    Btw, Karl May: Da gibt es auch immer wieder Passagen, in denen sich der Ich-Erzähler über andere Autoren auslässt, meist nach dem Motto: "Alles Schund! Aber ich habe alles selbst erlebt!".


    Überhaupt dürfte es schwer fallen, einen Autor zu finden, in dessem Werk nicht auf die ein oder andere mehr oder weniger deutliche Form auf andere Autoren eingegangen wird.

    An das erste kann ich mich nicht erinneren, das wird eine der Schullektüren gewesen sein (Schillers Fiesco oder dergleichen). Aber ich habe einige Zeit meine Klassiker nolens volens bei Reclam gekauft; für Schüler bezahlbar und dank jackentaschenkompatibler Größe allzeit griffbereit. Eines davon war Conrad Ferdinand Meyer, Der Schuss von der Kanzel. Ich kann mich daran erinnern, es gelesen zu haben. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was ich gelesen habe.

    Zitat von "Stoerte"

    Wäre, sofern ich's überhaupt recht verstanden hab, trotzdem verständlich, dass Rothbauer von einem Fehler spricht, klappern gehört auch zum Neuübersetzerhandwerk.


    Aber das gibt ihm nicht das Recht, Fehler im Text zu korrigieren.


    Zitat

    Die lateinischen Sentenzen in der Einleitung sind auch schon oft falsch zugeordnet. Das alles wäre störend, wenn sich das Buch selbst bierernst nehmen würde, aber so paßt es doch.


    Auch das ist keine Legitimation zum freihändigen Rumpfuschen. Ich hätte den Text schon ganz gern so, wie ihn der Autor geschrieben hat. Und wenn das, etwa wg. der Überlieferungslage, nicht geht, dann möchte ich erläutert haben, wie die Textfassung zustande gekommen ist, die ich in der Hand halte. Aber dass der Übersetzer in einer Anmerkung (die ich vermutlich nie nachgeschlagen hätte, hätte es die Eseslfrage nicht gegeben) mal eben anmerkt, er habe dem tüddeligen Autor auf die Sprünge geholfen, ist schon ein starkes Stück.

    Mein Vertrauen in die Rothbauer-Übersetzung / 2001-Ausgabe hat einen Stoß bekommen. Ich war etwas irritiert über die zitierten Widersprüche, weil mir die bei meiner Lektüre nicht untergekommen sind. Kein Wunder -- da hat der Übersetzer rumgepfuscht:

    Zitat

    In der ersten Auflage (1605) hatte Cervantes völlig vergessen, den Diebstahl von Sanchos Esel ... zu erzählen. Die Stelle [mit dem Diebstahl] wurde erst in die Ausgabe von 1608 eingeschoben. Es mußten nun alle Stellen korrigiert werden, in denen Sancho in der Sierra Morena immer noch den Esel hat. Dabei wurden einige übersehen. Die vorliegende Übersetzung versucht nun diese allgemein bekannten Fehler zu überbrücken. Wie Ginés de Pasamonte den Esel gestohlen hat, erfährt der Leser erst im 4. Kapitel des II. Teils.


    Das ist ja fast so schlimm wie bei Karl May. Also wirklich.

    dass sich Cervantes ein paar mal in seinen Erzählfäden verheddert - ok. Aber so drastisch eigentlich nicht. Kannst Du das mal im Kontext zitieren? Also das mit dem plötzlich wieder aufgetauchten Esel; der Diebstahl findet in Kapitel 23 statt und in den nächsten Kapitel versäumt Cervantes es auch nicht, darauf hinzuweisen, dass Sancho nun alles mögliche zu schleppen hat, was zuvor der Esel trug.

    Cervantes' vielleicht wichtigster Beitrag zur Weltliteratur scheint mir Sancho Panza zu sein, den Arno Schmidt mal als "Sancho, der Entzifferer" bezeichnet und von dem er sich eines seiner schönsten Mottos zu seinem schönsten Roman, der einer der bedeutensten Romane überhaupt ist, borgt:

    Zitat

    "Und Du, Du kanntest sie also?" fragte der Ritter. "Oh nein, ich habe sie nicht gekannt," erwiderte der Knapp: "doch er, der mir die Geschichte erzählte, sagte, sie wäre so gewiß & zuverlässig, daß, wenn ich sie einem Anderen weitererzählte, ich darauf fluchen und schwören könnte, ich hätte es alles mit eigenen Augene gesehen"


    Don Quijote


    [size=10px]Arno Schmidt, Abend mit Goldrand, Motto des ersten Tages[/size]

    Spontan fallen mir da die diversen Rollenspiele ein, die man mit etwas guten Willen als Du-Erzählungen auffassen kann. Aber erstens sind die kreuzdämlich und zweitens hat sich zweitens wegen erstens schon erübrigt.

    Zitat von "xenophanes"


    Selbst der Übersetzer räumt ein, dass Cervantes "im ersten Teil dauernd in Gefahr" schwebe, "eintönig zu werden, sind doch alle Abenteuer des Don Quijote trotz aller Variation letzthin auf eine sehr einfache Formel beschränkt: der Ritter unternimmt in Verkennung der Wirklichkeit ein Abenteuer, siegt ab und zu, heimst aber meist Prügel ein."


    Und auch der originellste Einfall ist nach vierhundert Jahren halt nicht mehr sooo taufrisch. Natürlich hat Cervantes vieles als erster gemacht, aber das allein ist ja erstmal kein Qualitätsmerkmal (denkbar wäre ja auch, dass jemand etwas als erster tut und verpatzt).


    Was natürlich der Bedeutung des Romans keinen Abbruch tut, natürlich lohnt es sich, ihn zu lesen (weshalb ich ihn ja auch derzeit zum zweiten Mal lese), natürlich lässt er sich mit Wissen um seine Bedeutung lesen, natürlich ist es ganz interessant, die Anfänge des Romans, wie wir ihn kennen, gewissermaßen live mitzuerleben.


    Aber man kann doch nicht einfach so tun, als hätte sich in den letzten 400 Jahren in der Literatur nichts getan und als wäre man von dieser Entwicklung nicht beeinflusst worden. Wenn mir heute jemand erzählt, er fände den DQ so ganz direkt und ungebrochen ganz toll, superlustig und irre spannend -- tja, dann glaub ich das ganz einfach nicht.

    Auch das noch -- meine Tieck-Übersetzung ist gar nicht von Tieck. Sondern:

    Zitat

    Miguel de Cervantes Saavedra: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha. Mit 24 Illustrationen von Grandville. Vollständige Ausgabe. In der Übertragung von Ludwig Braunfels, durchgesehen von Adolf Spemann. Mit den Anmerkungen von Ludwig Braunfels, durchgesehen von Johannes Steiner. München: dtv 1979.


    Ts. Und ich hab all die Jahre geglaubt, ich hätte den Roman in Tiecks Übersetzung gelesen.

    Zitat von "Wolf"

    Ein Übersetzungsfehler hält sich nur dann über so lange Zeit, wenn er <i>nicht</i> absurd ist. ;-)


    im Gegenteil - vieles, was sprichwörtlich geworden ist, ist im Prinzip falsch, z. B. die berühmte Morgenluft, die jemand wittert. Das meint im ursprünglichen Kontext (nämlich Hamlet) so ziemlich das Gegenteil dessen, was man gemeinhin darunter versteht. Während im Sprichwort ein Anfang / eine Chance gemeint ist, legt Shakespeare es dem Geist von Hamlets Vater in den Mund, der damit ankündigt, dass er verschwinden muss, weil der Morgen graut. Also Ende & Abgang statt Anfang & Aufbruch.



    Zitat

    Don Quixote ist ja in seiner gesamten Erscheinung kläglich, das ist nicht nur auf sein Gesicht beschränkt. Außerdem klingt »Ritter von der traurigen Gestalt« eindeutig besser als das eher banale »Ritter mit dem kläglichen Gesicht«


    Dass es besser klingt steht außer Frage - aber in dem Kontext, in dem es auftaucht, meint es eindeutig das Gesicht; DQ ist übel verprügelt worden, ihm sind die Zähne ausgeschlagen worden, die Nase gebrochen etc. -- Was für ein Spaß. Cervantes malt diese Szenen derart liebevoll aus, dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass das als komisch burleskes Intermezzo gemeint ist.


    Zitat

    Schreibt Rothbauer eigentlich noch etwas Genaueres über diesen Übersetzungsfehler?


    Ich hab den Band jetzt nicht griffbereit, aber er schreibt, glaub ich, man solle einfach an allen Stellen "mit dem kläglichen Gesicht" und "von der traurigen Gestalt" vergleichen, dann würde man schon sehen.


    [q]Sind die modernen Ausgaben der Tieck-Übersetzung eigentlich bearbeitet?[/q]
    keine Ahnung, ich hab nur gerade festgestellt, dass ich mich gestern beim Abtippen wohl vertan habe, ich kontrolliere das heute abend noch mal und setz die vollen bibliographischen Angaben her.

    Einen Vergleich der beiden DQ-Übersetzungen kann ich ja rasch an einer wichtigen Stelle machen:


    TIECKs Übersetzung:

    Zitat

    Hiermit machte sich der Baccalaureus davon, und Don Quijote fragte Sancho, was ihm jezt eher als sonst Anlaß gegeben habe, ihn den Ritter von der traurigen Gestalt zu heißen.


    "Ich will's euch sagen", antwortete Sancho, "ich hab's getan, weil ich eine Zeitlang dastand, Euch beim Lichte der Fackel anzuschauen, die jener so übelfahrender Mann trägt, und in Wahrheit hat Euer Gnaden seit kurzer Zeit die jämmerlichste Gestalt, die ich je gesehen. Daran muß entweder die Ermattung von dem Kampfe schuld sein oder das Fehlen Eurer Vorder- und Backenzähne"
    (Gegen Ende vo Kapitel I/19, S. 162 f. in meiner dtv-Ausgabe)


    Und hier ROTHBAUERs Übersetzung der Stelle:


    Zitat

    DerBakkalaureus schickte sich an fortzureiten, und Don Quijote fragte Sancho Panza, was ihn denn gerade jetzt bewogen hätte, ihn den 'Ritter mit dem Kläglichen Gesicht' zu nennen.


    "Ich will es Euch sagen", erwiderte Sancho. "Als ich Euch im Schein der Fackel, die jener hatte, mit dem Ihr so übel verfahren seid, eine Weile betrachtete, da habt Ihr, Euer Gnaden, wahrhaftig das kläglichste Gesicht gemacht, das ich bis zur Stunde je gesehen habe. Daran muß wohl die Ermüdung durch den Kampf schuld sein, oder es ist so, weil Euch die Vorder- und Backenzähne fehlen."


    (S. 196 in Bd. 2 der 2001-Werkausgabe)


    Die Zähne fehlen ihm übrigens, weil sie ihm kurz vorher ausgeschlagen wurden. Eine der "komischen Stellen" im Roman, die sich dem eher drastischen Witz derber Schwänke verdankt. Davon gibt's mehrere. Als Sancho und Don Quijote halb tot geprügelt werden, braut DQ einen Zaubertrank, der ihn angeblich sofort von aller Qual heilen wird. Was bei ihm wegen seiner extremen Dürre und Ausgemergeltheit funktioniert, beim rundlichen Sancho allerdings eine sofortige und sehr heftige abführende Wirkung entfaltet, was Cervantes genüßlich in aller Breite beschreibt (und nicht nur an dieser Stelle greift er hinein ins volle Menschenleben).


    Wie gesagt - man kann die Bedeutung des Roman für die Entwicklung der westlichen Literaur vermutlich gar nicht hoch genug anschlagen. Aber es ist halt doch ein Text, der seine gut 400 Jahre auf dem Buckel hat.

    Derzeit les ich den Don Quijote in der Übersetzung von Anton M. Rothbauer, der ich u. a. entnommen habe, dass Don Quijote mitnichten der "Ritter von der traurigen Gestalt" ist (das sei, merkt der Übersetzer an, "ein absurder Übersetzungsfehler, der, nie ausgemerzt, bereits zu einem Bestandteil des deutschen Sprachschatzes und der deutschen Literatur" geworden sei), sondern der "Ritter mit dem Kläglichen Gesicht".


    Vor Urzeiten hab ich die Tieck-Übersetzung gelesen, die ich immer noch im Regal stehen habe. Eigentlich wollte ich ab und an mal ein paar Stellen vergleichen, aber dazu konnte ich mich dann doch noch nicht aufraffen. Allerdings bin ich gerade dabei, meine Buchbestände um- und aufzuräumen, abzustauben und so den nötigen physischen und psychischen Raum zu schaffen, in dem es sich geistig arbeiten lässt, ein Vergleich kann also noch kommen.


    Zumal ich noch nicht weit bin - S. 245 von 1313. Ich hatte die Lektüre für Harry Potter 6 unterbrochen, gleich noch HP 1 nachgeschoben und anschließend William Goldmans Brautprinzessin gelesen.


    Denn der Wahrheit die Ehre: Bei allem Respekt und bei aller Kenntnis der enormen Bedeutung des Romans und allem Interesse an der Geschichte & Entwicklung der Romanpraixs -- so richtig mitreißend oder komisch oder erhellend ist der Roman ja nun wirklich nicht. Das Handlungsprinzip, das die gesamte Romanmaschinerei antreibt, läuft in Teil 1 doch häufig ziemlich leer und Teil 2 besteht, wenn ich mich da richtig erinnere, überwiegend aus Geschichten, die sich das Personal erzählt (was ja auch nur ein Zeichen dafür ist, dass die Geschichte des Ritters von der traurigen, äh, mit dem Kläglichen Gesicht einfach keine 1300 Seiten trägt.

    Die Lektüre der "Ritter" lohnt sich, ist am Anfang etwas mühsam, Gutzkow lässt sein Personal zu lange Grundsatzreden halten, kommt aber dann doch in die Gänge, lässt sich locker weglesen (zumal die 2001-Bände ja wirklich schöne und handliche Bücher sind) und ist ein wichtiger Beitrag zur Literatur des 19. Jhrds. Nur, weil man ihn heute kaum noch kennt, heißt das ja nicht, dass der Roman nicht seine Spuren hinterlassen habe.


    Wilhelm Raabe konnte seinerzeit zB noch eine Anspielung auf Gutzkows "Roman des Nebeneinander" machen (im "Dräumling" ruft er die Muse des Romans mal als "Göttin des Durcheinander" an) und davon ausgehen, dass seine Leser ihn verstanden.

    Dieses wirklich tolle Buch:


    [Blockierte Grafik: http://bilder.jokers.de/produkte/9/976770z.jpg]


    wird bei Jokers derzeit für 12,90 verramscht (statt: 39,00).

    Zitat

    Twain-Kenner Michael Patrick Hearn erzählt in diesem Band die abenteuerliche Entstehungsgeschichte des Buches. Den Text selbst hat er mit zahlreichen Anmerkungen versehen. Herausgekommen ist ein einzigartiger Band, der dem wilden Huck und seinem literarischen Vater ein Denkmal setzt. ... Nach der Erstausgabe von 1884. In der vielgelobten Haffmann-Übersetzung durch Friedhelm Rathjen. Mit sämtlichen Original-Lithografien von E.W. Kemble und zahlreichen anderen Abbildungen. ... 455 S., zahlr. s/w-Abb., 23 x 26 cm, geb., SU, mit Lesebändchen.


    Muss man haben. Zugreifen!

    btw - Hans Wollschläger ist ein großer Fan des "Hungerpastors", die Figurenspychologie sei beeindruckend (oder so ähnlich).


    (Ich selber hab den Roman allerdings eher als unerträglich klischeehaft und kitschig in Erinnerung.)


    Aber um mal ein paar Titel zu nennen, die ich für sehr empfehlenswert halte:



    Der Dräumling
    Meister Autor
    Zum Wilden Mann
    Frau Salome
    Die Innerste
    Vom alten Proteus
    Horacker
    Fabian und Sebastian
    Pfisters Mühle
    Unruhige Gäste
    Im alten Eisen
    Das Odfeld
    Der Lar
    Stopfkuchen
    Die Akten des Vogelsangs
    Hastenbeck