Ich habe als Kind / Jugendlicher heimlich unter der Bettdecke Hörspiele gehört. Mein Bruder (der ein paar Jahre älter ist als ich) nahm die auf und übertrug sie über ein längeres Stück Klingeldraht durch ein extra dafür gebohrtes Loch von seinem Tonbandgerät zu mir in einen alten, schwarzen Bakelit-Telefonhörer. Da lag ich dann still im Dunkeln und lauchte auf die etwas verrauschten Töne. Damals brachte der WDR noch regelmäßig recht aufwändig produzierte, mehrteilige SciFi- und Krimi-Hörspiele. Unvergessen: "Revolte auf Luna" und "Paul Temple und der Fall Spencer". Und natürlich der erste Kontakt zu "Per Anhalter durchs All", ein Sechsteiler im WDR.
Einige der Paul-Temple-Hörspiele gibt es inzwischen auf CD, nach kurzem Zögern habe ich sie mir alle gekauft, ver-em-pe-dreit und in den letzten Wochen vor dem Einschlafen gehört. Für mich geht von diesen eigentlich durch und durch falschen Stücken - die Stories sind hanebüchen, die Atmosphäre verlogen und die Sprecher haben durch die Bank ganz grauenhafte Akzente - ein ganz eigentümlicher und unwiderstehlicher Reiz aus (so falsch muss man erstmal sein können!). Zu den Sprechern gehören übrigens klangvolle Stimmen wie die von Rene Deltgen (als Paul Temple), Peter Rene Körner, Gustav Knuth, Pinkas Braun u.a.
Kürzlich hab ich im Buchhandel drei CDs mit "Kommissar Maigret"-Hörspielen entdeckt und gleich mitgenommen. Mit Paul Dahlke als Maigret, BR 1960/1961. Ich hab noch nicht reingehört, verspreche mir aber einiges 8-)
Bestellt habe ich gestern das neu aufgelegte "Winnetou"-Hörspiel aus dem Jahr 1956. 7 CDs, 350 Minuten. Eigentlich wollte ich nicht, aber dann bin ich über ein 2-Minuten-Sample gestolpert und wurde derart von Lektüre-Erinnerungen überflutet, dass ich gar nicht anders konnte, als zu bestellen.
Nun ist das alles triviales Serien-Zeug. Also schnell etwas schwerstliterarisches: Ror Wolfs wirklich phänomenales Hörspiel "Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nord-Amerika" (u.a. mit dem Kriegsblinden-Preis ausgezeichnet) ist ebenso auf CD erschienen, wie die nicht minder erstaunlichen Radio-Collagen des Autors.
Aber Vorsicht! Der sehr schöne Band " Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nord-Amerika" kommt zwar mit einer Audio-CD, aber auf der findet sich <i>nicht</i> das titelgebenden Hörspiel, sondern die vier Collagen "Der Ball ist rund", "Schwierigkeiten beim Umschalten", "Expertengespräche" und "Heinz - wie ist Deine Ansicht?". Alle vier sind klasse, das Buch selbst sehr empfehlenswert - aber den "Beiderbecke" gibt es nur als Text.
Erschienen ist das Beiderbecke-Hörspiel als SWR-Produktion im Audio-Verlag (ISBN 3-89813-108-4)
Im Beiderbecke-Buch finden sich nicht nur die Texte einiger Hörspiele, sondern auch 1 Rede ("Rede zur Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden (1988)" und 1 Essay ("Das Blinzeln des magischen Auges. Neun Bemerkungen zum Hörspiel (1998 / 2000)". Daraus rasch noch ein paar Zitate:
Zitat
Aber so gesehen wäre das Hörspiel ... die versteckteste, die zeitlich am stärksten geschnürte, die womöglich lautloseste Kunstform, die es gibt. ... Der Name des Autors tut wenig zur Sache. Wir erfahren ihn nur am Rand; am Anfang oder am Ende. Aber den Anfang haben wir nicht gehört; und am Ende sind wir schon aus dem Auto gestiegen und hören ihn nicht mehr. ... Der Autor wird angemessen bezahlt und genießt für gewöhnlich den Schutz der Dunkelheit. - Das hat auch sesin Gutes: er kann, wenn er das Medim nicht mag, ungeniert produzieren, bleibt dabei unentdeckt und kommt ungestraft davon. Das Programm ist gefräßig und verdaunt sehr schnell. ... Es ist unnötig darauf hinzuweisen, wie mühsam, mit welchem zeitlichen Aufwand die Radio-Collagen entstanden sind: es glaubt ohnehin keiner. Es war ein langes Leben unter Kopfhörern und in der Umgebung von Tonbandmaschinen. ... Keine meiner literarischen Arbeiten, alle Romane, alle Geschichten, alle Gedichte eingeschlossen, war so aufwendig, so total, so zeitraubend die Arbeit an dem, was ich Radio-Collagen genannt habe. ...
Enzensberger, den ich eines Abends traf, fragte mich sehr besorgt, was mit mir los sei. Haben Sie aufgehört zu schreiben? Man hört überhaupt nichts mehr von Ihnen. - Da haben wir es: ein Mann hatte 8 Jahre lang nahezu ununterbrochen fürs Radio gearbeitet, 13 Hörspieele, ausschließlich zum Hören bestimmt; und nicht einmal Hans Magnus Enzensberger hatte etwas gehört.