Stimme: »Durch üppig verzweigtes Gebüsch, über unwegsames Gestein hinauf, klommen die Ritter, während der Sturm heulend den waldigen Abhang hinunter zog, und in grausiger Tiefe mit den Wellen eines ungestümen Bergwassers brüllend rang. Endlich zeigte sich durch die bereiften Äste der Buchen, durch der Tannen schneebelastetes Dunkelgrün, ein freier Platz, welchen sie alsbald im Betreten für den vom Köhler angegebenen erkannten. Denn hoch in dessen Mitte, fast wie ein Felsengeklipp, ragte der heidnische Opferheerd gegen den Himmel an, und der Mond, plötzlich aus einer Wolke vorbrechend, warf seinen bleichen Totenschimmer auf schwarze Holzbrände und verwittertes Gebein, über der furchtbaren Oberfläche des Baues zusammengehäuft.
Noch standen die Ritter zweifelnd vor dem gewaltigen Heerde, ungewiß, ob sie hier die Erscheinungen der frevlen Abgötterei erwarten, oder lieber angreifend die Eingänge aufsuchen sollten. Da merkten sie mit einigem Schaudern unversehens, daß sie zu Viert waren: ein riesengroßer, aber ganz schattenartig aussehender Mann stand neben ihnen. Der sagte mit hohler windiger Stimme: ‹Ihr meint es gut, und ich möchte Euch doch lieber raten, abzustehen. Die drunten sind verzweifelt stark. Wollt Ihr aber durchaus nicht ablassen, da müßt Ihr an die Nordseite des Heerdes, wo die beste Einfahrt ist, dreimal mit den Klingen anklopfen und dazu sagen:
Gieb uns guten Gang, du,
Grieß, Gestein und Hartwuchs.
Haußen harren Starke,
haben Lust zum Abgrund. –
Angriff ist immer das Beste: bei meinen Lebzeiten hab’ ich grimmige Tiere auch lieber angefallen, als mich von ihnen anfallen lassen!› – Da ihn die Ritter mit forschender Verwunderung anblickten, sagte er noch: ‹Ich möchte Euch gern ein Stückchen auf dem Jägerhorn vorblasen, damit Ihr desto kampflustiger würdet; aber ich darf mich jetzt hier nicht sehr laut machen. Glück auf, Ihr wackeren Bergleute!› – Damit schwand der wunderliche Waidmannsschatten in den Wald hinein, und die Herren beschlossen, seinem Rate zu folgen, weil er ja doch etwas recht Ritterliches und Tapfres enthalte. Sie schlugen mit den Klingen gegen die Nordseite des Opferheerdes, und Heerdegen, welcher die Beschwörungsworte am besten behalten hatte, sagte sie dazu her.
Da fing es an, sich zu regen und zu rollen in dem Gestein, und auseinander tat sich die moosige Wand, daß man tief hinein sehen konnte in einen langen, steil abschüssigen, sehr engen Gang. Lichtlein gaukelten, bald wie mutwillig, bald wie scheu, die Mauern entlängst, über die verfallenen Stufen hinab. Der Seekönig Arinbjörn schritt rasch in die Wölbung hinein; Otto ihm nach, einen Blick noch auf die lichte Mondscheibe zurückwerfend; dann folgte Heerdegen, ein altes Lied von Berggeistern vor sich hin summend. Der Falke schmiegte sich scheu an Ottos Brust, wohl fühlend, daß er zwischen diesen engen Wänden seinen kühnen Flug nicht entfalten dürfe. Bald aber ward es geräumiger. Der edle Wunsch, keiner Gefahr später als der Waffenbruder zu begegnen, trieb Otto und Heerdegen an des Seekönigs Seite vor; und nebeneinander gereiht, schritten die drei Genossen mitsammen fürder, ihre langen Schwerter wie Fühlhörner in die Dunkelheit vorausstreckend.
Sie trafen auf nichts Feindliches. Vielmehr, je tiefer sie stiegen, je mehr erweiterte sich das Gewölbe, je milder senkten sich die Stufen: plötzlich standen sie auf ganz ebenem Boden. Eine Zugluft hauchte sie an, wie aus freier Gegend; und sie meinten umsomehr in eine solche gelangt zu sein, da es hoch über ihnen, als von einer Himmelswölbung, herabfunkelte mit einzelnem Sternenlicht. Wie sie in dieser ungeheuren Tiefe zum Anschauen des Firmaments gelangt sein mochten, darüber sannen sie noch zweifelnd nach, als schon der Falke von Ottos Brust in die Höhe stieg, freudigen Schwunges den ungehemmten Raum begrüßend. Bald aber kam das mutige Tier verstört und taumelnd zurückgeflattert; sie sahen wohl, es hatte seine Jagd beginnen wollen, und war auf entsetzliche Gestaltungen gestoßen, die nun dicht über den Häuptern der Ritter hinwallten; man wußte nicht, war es riesiges Geflügel von unerhörter Art, waren es Höhlendämpfe, die in dieser unterirdischen Gegend in so zahlreichen Scharen und bedräuenden Bildern umherzogen.
Ein großer See lag zu ihren Füßen, das schwarze Gewölb und die Lampensterne recht freudlos rückspiegelnd. Die Ritter fühlten mit ihren Schwertern hinein, Arinbjörn endlich mit seiner langen Hellebarde: es war auch ganz dicht am Ufer an keinen Boden zu denken! Das kam ihnen ganz schauerlich vor, so ein Wasserabgrund tief noch unter den Bergen wo sie standen. Sie nahmen sich aber vor, ihr Abenteuer frisch zu Ende zu bringen, und schritten das Ufer des mächtigen Weihers entlängst; der Falke ruhte auf Ottos Helm.
Mehr als eine Meile lang waren sie schon am Borde hin gewandert, da tat es sich vor ihnen auf, wie ein steiler Hügel, auf dem eine getürmte Feste stand. Während sie sich ihr nähern wollten, bemerkten sie, daß der See hier einen wildrauschenden Fluß aufnehme, der sich gerade zwischen sie und das Ziel ihrer Reise hinzog. An Durchwaten oder Durchschwimmen war bei diesen entsetzlich schäumenden Wirbeln nicht zu denken: man hielt sich also stromaufwärts, um vielleicht irgendwo einen Übergang zu entdecken. Bald auch erreichten sie eine hohe, von lauterem Erz gewölbte Brücke, die unter den geharnischten Fußtritten der Wandelnden wie in Melodieen eines grausen Marsches zu tönen anhub. Jenseits angelangt, sahen sie ein weites ebenes Feld vor sich; man hätte es eine blühende Aue nennen mögen, denn es leuchtete wie von vielen Blumen darauf; aber diese gaben sich allzumal im Näherkommen als bleiche, wunderlich geformte und Schwefelduft aushauchende Flämmlein kund. Doch war es, als ob viele seltsame, über die Ebene bald einzeln, bald in Scharen hintrabende Tiere, halb wie Rosse, halb wie Stiere gebildet, ihre Nahrung daraus zögen, denn sie rupften oft solche Flämmlein ab und sprangen dann lustiger fürder.
‹Sollen wir uns doch solch ein Roß fangen? Und darauf einreiten in die Burg?› fragte Heerdegen mit einem dreisten Lachen; verhoffend, dadurch das Grauen in sein und seiner Gefährten Brust zu ersticken. Aber der vom Entsetzen geborene Scherz weckte auch wieder zum Entsetzen auf; sie schauderten alle Drei zusammen, daß die Harnische rasselten. Zudem kam ein kleiner häßlicher Zwerg auf einem Beine gesprungen, der sagte: ‹Nein, lasset Euch nach diesen Tieren nicht gelüsten: das sind der Göttin Freia Zauberrosse; damit jagt sie die Menschen, die ihr nicht opfern wollen: Ich aber bin der edlen Rosse Hirt.› Nach diesen Worten stieß er in ein ungeheures Horn, so gellenden und zugleich donnernden Tones, daß die Ritter sich des Zurückwankens kaum erwehren konnten. ‹Erschreckt Euch das?› lachte der Zwerg: ‹Ich spiele ja nur ein bißchen auf der Schalmei, wie es der Hirten Art und Weise ist: hier unten klingt ein eigner Schall, und blüht ein eigner Mai – da macht es denn die Schalmei den beiden nach. Aber wenn Ihr wollt, kann ich Euch auch unsre Hirtentänze sehen lassen; ich habe noch viel Genossen hier nahe bei –: ?› Die Ritter winkten ihn mit den beerzten Händen fort, und gingen schweigend auf die Burg zu. Gellend lachte der zwergische Hirt ihnen nach, und die Zauberrosse sprangen wildwiehernd auf der Flammenwiese umher.
Die drei Herren gingen über Zugbrücken, durch Tore hin, wie in eine ordentliche Ritterburg; einige erzgeharnischte Männer, schien es, hielten an den Eingängen Wacht. Sie neigten sich vor den Eintretenden mit strengem Waffengruß, ohne daß man doch eigentlich recht wissen konnte, ob es nicht bloß künstliche Bildsäulen wären, die so wunderlich zusammenrasselten und sich bückten und dann wieder grade ständen, in regungsloser Härte fest.
Durch leere Gemächer und Säle hin führte der Gang; die Tritte hallten schauerlich wieder in dem, es schien ganz erstorbenen, Gebäu. Flackernde Lampen hingen hin und her an den Wänden, den Weg der Wandernden wie mit Grabkerzen beleuchtend. Endlich kamen sie in ein wunderliches Zimmer; da saß ein Ritter darin, hinter einem langen leeren Tisch, und las in einem aufgeschlagenen Buche, auf dessen Blättern sich grauenvolle Züge, mit Runenschrift untermischt, wahrnehmen ließen. Dem Otto ward es zumute, als habe er ähnliches irgend einmal schon wo im Traume gesehen. Indem er sich noch darüber besann, schlug der Ritter sein Buch zu, richtete sich in die Höhe, und sagte hinausgehend: ‹Ihr hättet klüger getan, wegzubleiben; da Ihr nun aber einmal hier seid, will ich Euch melden.› .......«
1. Sprecher: Das war eine Probe aus dem berühmten »Zauberring«, dem »größten Roman aller Zeiten«, wie einst der junge Willibald Alexis, und mit ihm so mancher Burschenschaftler schwor: eben er eine jener »Vollendungen« mittelalterlicher Zustände und Denkweisen; vom naiv=verwegensten Sprachschatz genährt; Stichflammen von Metaphern; himmelsfarbene Lautkristalle, aneinander geschliffen und mit ihresgleichen in hinreißende Muster gelegt: tolle lege!