Kant beschäftigte sich in dem, von uns behandelten Abschnitt aus der ,,Kritik der reinen Urteilskraft`` mit der Ästhetik. Ästhetik ist die Betrachtung des Vorganges in einem Menschen, an dessen Ende das Urteil ,,schön oder nicht schön`` über einen betrachteten Gegenstand gefällt wird. Wie in seinen beiden vorausgegangenen Werken (Kritik der reinen Vernunft und Kritik der praktischen Vernunft) will Kant auch in der Kritik der Urteilskraft beweisen, das synthetische Urteile apriori möglich sind.
Seine erste Setzung, auf der sein Gedankengebäude ruht, ist, dass ,,das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurteil bestimmt, [...] ohne alles Interesse`` (Kant, Kritik der Urteilskraft, Reclam, S.69 Z.1 - 3) sei, denn man müsse die Vorstellung eines Gegenstandes als schön empfinden können, ohne ein Interesse an der Existenz des Gegenstandes zu haben. Weiterhin werde beim Geschmacksurteil über das Schöne die Vorstellung des zu beurteilenden Gegenstandes nicht einem Begriff untergeordnet. ,,Denn von Begriffen gibt es keinen Übergang zum Gefühle der Lust oder Unlust`` (Kant, K. d. U., S.81, Z.6,7) So bleibe die Grundlage des Urteils subjektiv. Nun zum Vorgang des Urteilens: Kant setzt in jedem Menschen zwei Erkenntniskräfte voraus, die Einbildungskraft ,,für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung``(Kant, K. d. U., S.90, Z.21,22), welche die Sinneseindrücke sammelt und den Verstand ,,für die Einheit des Begriffs, der die Vorstellungen vereinigt`` (Kant, K. d. U.,S.90,Z.22,23) welcher als logisches, ordnendes Element Einheit in die vielen Eindrücke bringt. Aus dem freien Zusammenspiel dieser beiden Kräfte (frei = nicht zu einem bestimmten Begriff führend, um das ästhetische Urteil von dem Moralischen abzusetzen, letzeres beruht auf einem bestimmten Begriff) an der Vorstellung eines Gegenstandes, könne ein Gemütszustand der Harmonie resultieren, welcher wiederum ein Gefühl der Lust bedinge. Dieses Gefühl der Lust (oder Unlust im ,,unharmonischen`` Fall) sei der Bestimmungsgrund für das Urteil über das Urteil über das Schöne.
Hieraus zieht Kant nun mehrere Schlüsse. Das Urteil über das Schöne müsse allgemeingültig sein, da im Urteil erstens alles Privatinteresse des einzelnen Subjektes ausgeschlossen sei und zweitens Verstand und Einbildungskraft in jedem Menschen vorhanden seien, somit hätten alle Menschen die Möglichkeit zum gleichen Urteil zu kommen. Da die Grundlage des Urteils eine subjektive bleibe, sei es auch nur eine subjektive Allgemeingültigkeit. ,,Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.`` (Kant, K. d. U., S.93, Z.21,22) Auch seine Frage ob synthetische Urteile apriori möglich wären, wäre hiermit beantwortet - sie sind möglich, denn das synthetische am Urteil über das Schöne ist die Zusammensetzung der Sinneseindrücke durch Verstand und Einbildungskraft, während diese beiden apriori, d.h. in jedem Menschen vorausgesetzt sind. ,,Es ist ein empirisches [ = auf Sinneseindrücken beruhendes] Urteil: dass ich einen Gegenstand mit Lust wahrnehme und beurteile. Es ist aber ein Urteil apriori: dass ich ihn schön finde, d.i. jenes Wohlgefallen jedermann als notwendig ansinnen darf.`` (Kant, K. d. U., S. 207, Z. 2 - 7)
Zu Kants großem Verdienst gehört, dass es ihm gelang die zwei großen philosophischen Strömungen seiner Zeit, die rationalistische Schule (Betonung der Verstandesleistung, Wahrnehmung als Täuschung) und die empiristische Schule ( alles Denken baut erst auf Wahrnehmung auf) zu verbinden. Dies zeigt sich auch in seiner Ästhetik, denn weder der Verstand noch das Empfinden werden in seiner Betrachtung vernachlässigt. In seiner Ästhetik rettet er die Beurteilung der Schönheit vor der Beliebigkeit der Auslegung indem er den Anspruch der Allgemeingültigkeit des ästhetischen Urteils herleitet.
Probleme bereiten allenfalls seine Setzungen. Wenn ich im Urteil über das Schöne kein Interesse an der Existenz eines Gegenstandes haben darf, darf ich überhaupt nicht urteilen wollen, denn das Urteil setzt die Vorstellung von dem zu beurteilenden Gegenstand voraus und die Vorstellung ist nur möglich, wenn der Gegenstand überhaupt existiert. Sobald ich also ein Urteil über das Schöne fällen will, kann es für mich gar nicht mehr schön sein.
Weiterhin setzt Kant den Verstand für das Ordnen der Sinneseindrücke in jedem Menschen voraus. Nun braucht man für dieses Ordnen, aus dem nach Kant die Lust oder Unlust als Bestimmungsgrad des ästhetischen Urteils entspringt, mehr als nur den, jedem Menschen angeborenen Verstand. Nehmen wir als Beispiel Schönbergs Kompositionen in der Periode der Zwölftontechnik. Es ist zugegebener Maßen eine ,,Kopfmusik``, alle uns bis dahin bekannten musikalischen Floskeln harmonischer Art sind aufgelöst. Für den, nur an klassische Harmoniefolgen gewöhnten Hörer ist es ein bloßes Sammelsurium zusammenhangloser Töne, es wird ihm nicht möglich sein die Ordnung in diese Sinneseindrücke zu bringen, die für Kant maßgeblich für die Empfindung für Schönheit ist. Jemand der die Regeln der Zwölftontechnik kennt, und auch fähig ist diese Zusammenhänge beim Hören zu erkennen, wird diese Musik als schön empfinden können. Auch angelerntes Wissen, nicht nur Verstand, ist Bedingung zum Erkennen der Zusammenhänge der Ordnung. Angelerntes Wissen ist allerdings nicht in jedem Menschen gleich voraussetzbar.
So überträgt sich der Zweifel an den beiden Begründungen für die Allgemeine Gültigkeit des ästhetischen Urteils (am interesselosen Wohlgefallen und an den gleichen Vorraussetzungen in jedem Menschen) auch auf den Anspruch der Allgemeingültigkeit selbst.
Ich persönlich habe Respekt vor Kants gedanklicher und logischer Klarheit, auch wenn diese sich nur bedingt in seinem Satzbau widerspiegelt. Dass man eine Theorie immer angreifen kann, wenn man Grundvoraussetzungen, die diese Theorie macht, bezweifelt, ist keine Neuigkeit - in sich ist Kants Gedankengebäude jedoch, soweit ich es kenne (und das ist bestenfalls der Eingangsbereich), sehr differenziert und stimmig.