Hallo Maria,
ich habe noch ein wenig nachgeschlagen, weil mir die Bezüge zur Odyssee im "Aeolus"-Kapitel auch nicht klar waren (mit Ausnahme der Zeitungsburschen, die frech hereinstürmen und den Durchzug verursachen *g*):
Genau wie Odysseus denkt, er käme endlich nach Hause, denkt Bloom, die Annonce, die er für die Zeitung an Land ziehen will, habe er schon so gut wie in der Tasche. Und dann tun sich aber doch Schwierigkeiten auf, der Chefredakteur ist keine Hilfe, will auch keine sein, benimmt sich arrogant und abweisend, so wie Aeolus Odysseus gegenüber.
Von allein wäre ich da nicht drauf gekommen. :rollen:
Gruß, Fevvers
Beiträge von Fevvers
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Hallo,
@ Rainer u. adia: Das war ein Missverständnis, ich bin noch nicht mit dem "Ulysses" durch (Gott bewahre!), sondern lediglich mit dem für mich leidigen "Skylla & Charybdis"-Kapitel, mit dem habe ich mich ziemlich gequält, das zog sich. Stephen ist ein anstrengender Charakter. Ich fühlte mich richtig erlöst, als es vorbei war. Dabei kann man es - zum großen Teil - mit schlichten Worten zusammenfassen: Promi-Klatsch auf (vermeintlich) hohem Niveau. Ich unterstelle Joyce, dass er nicht viel von der Literaturwissenschaft hielt und sich über Anglistengeschwätz lustig machen wollte. :zwinker: Ich bin jetzt mitten im "Irrfelsen"-Kapitel und habe wieder mehr Spaß am Lesen. Ich finde es interessant, wie die einzelnen Abschnitte durch bestimmte wiederkehrende Personen, deren Wege sich flüchtig kreuzen, in Beziehung zueinander gebracht werden.
"Meine" Lesetechnik habe ich immer noch nicht gefunden. Wenn sich im Kopf zu viele Fragezeichen anhäufen, dann mag ich nicht mehr weiterlesen, verliere leicht den Faden und beschäftige mich lieber eine Weile mit der Sek.lit.
@ aida: In "Skylla & Charybdis" werden von Eglinton "des Barden (=Shakespaeares) Landsleute" erwähnt (bei mir S. 278), ich hatte den Eindruck, das bezieht sich auch auf Mulligan, aber vielleicht täusche ich mich.
Wie weit seid Ihr?
Liebe Grüße, Fevvers -
Hallo zusammen,
Zitat von "Steffi"Die damalige Presse arbeitet ja genauso schlampig wie heute. Warum werden alle Trauergäste aufgeschrieben ? Sollen deren Namen dann in der Zeitung erscheinen?
Presse? Waren das nicht Einträge für die ganz normale Kondolenzliste?
Das Ende der "Hadesfahrt" fand ich witzig, die Szene mit Menton und seinem zerknautschten Hut. Menton hat auf mich exakt den gleichen beleidigten Eindruck gemacht wie sein Pendant Ajax in der Odyssee.Zitat von "JMaria"Man kann direkt verstehen, daß so ein Kult mit dem Autor bzw. mit "Ulysses" betrieben wird. Interessant, daß einige diesen Trauerzug nachvollziehen
Also ich wäre dabei! :zwinker: Und Ihr? Manche Fans tragen Kleidung im Stil des frühen 20. Jhdts. und Gerüchte besagen, dass reichlich gezecht wird. Beim Essen würde ich mich wohl für das Gorgonzola-Sandwich entscheiden. Nächstes Jahr geht's bestimmt hoch her, da Jubliläum (1904-2004). Infos gibt's hier.
Aber es gibt noch mehr Absurditäten in diesem Zusammenhang. In Zürich hat mal jemand den "Ulysses" wasserdicht verpackt, ihn in die Limmat geworfen und demjenigen, der ihn findet, ein "Nierengericht" in einem bekannten Restaurant versprochen. Tatsächlich hat jemand das Buch herausgefischt, aus Zufall. Ob ihm das Essen geschmeckt hat, darüber habe ich leider keine Informationen.@ JMaria: Aus dem Aeolus-Kapitel, in dem sehr viel vom gewaltsamen irischen Befreiungskampf die Rede war ("The Phoenix Park-Murders", ein Attentat irischer Nationalisten), habe ich in erster Linie folgendes mitgenommen: Irland=Israel, England=Ägypten.
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Ich habe gelesen, dass einer von Joyces Brüdern den "Ulysses" mit einem Kreuzworträtsel verglichen hat, das war ja auch mein Eindruck. Gifford zitiert übrigens zu Beginn seines Wälzers folgendes von Joyce:
I've put so many enigmas and puzzles
that it will keep the professors busy for centuries
arguing over what I meant, and that's the only
way of insuring one's immortality.Das dürfte ihm gelungen sein. Aber was ist mit seinen LeserInnen? Warum hat er nicht mal einen Gedanken an uns verschwendet? :smile: Ich glaube, der hatte sehr viel Spaß beim Schreiben.
Mir haben bislang einzelne Kapitel sehr viel Spaß gemacht, andere waren nervig, hier mein übliches Mantra: "Skylla & Charybdis". Ich bin nun endlich durch, "Heureka", um es mit Mulligans Worten auszudrücken. Das war ein Brocken. Aber das Ende hat mich versöhnt. Stephen beantwortet eine bestimmte Frage sehr spontan und ehrlich...
Die wechselnden Erzählstile im Roman sind für mich ein Highlight, aber auch sehr anstrengend. In der Hinsicht soll das "Rinder"-Kapitel außergewöhnlich sein. Übrigens hat Joyce im Originaltext oft auch deutsche Begriffe verwendet, aber das geht uns leider in der Übersetzung verloren.Gruß, Fevvers
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Hallo Ikarus,
Burgess ist also einer von uns. Seine Metaphern sind ausgesprochen gelungen. Gut, dass er so schön in Worte gefasst hat, was wir denken. Die Zürcher Joyce-Gesellschaft scheint übrigens eine permanente "Ulysses"-Lesegruppe zu haben, und das wundert mich gar nicht mehr.
Lange habe ich über die Niere als Symbolorgan nachgedacht. Mit Deinen Eindrücken zur inneren und äußeren Reinigung macht es Sinn. Was Bloom allerdings nicht (noch nicht?) hinbekommt, ist die spirituelle Reinigung. Die Gepflogenheiten der Beichte scheinen ihm suspekt zu sein.
Schon mal vorweg: Kindler verrät, "Skylla & Charybdis" sei die "letzte Episode, in der Stephen seine ganze hochmütige Schärfe im Gebrauch von Begriffen demonstriert." Dafür bin ich sehr dankbar. :zwinker: Ich fand's wirklich furchtbar, obwohl ich viele Stücke von Shakespeare kenne und auch einiges über seine Biographie gelesen habe. (Wenn man denn annimmt, dass es Shakespeare gegeben habe und es sich nicht um ein Pseudonym handelt.) Aber den Kern der Diskussion, die "Spitze des Eisbergs", kann man auch hier herausfiltern.
Gruß, Fevvers
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An Bloomsday mieten sich manche Joyce-Fans Kutschen und stellen die Trauerprozession nach.
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Zitat von "JMaria"ich bin kurz vor dem Ende des Kapitels "Hades". Bemerkenswertes Kapitel. Leopold Blum hat seinen Vater durch Selbstmord verloren, es wurde aber als Unfall eingeordnet(?). Wie kann man Gift als Unfall einordnen?
Hallo Maria,
vielleicht aus Barmherzigkeit ("hat zufällig ein paar Tabletten zu viel...")? Selbstmord wurde oft vertuscht, wenn man dem Verstorbenen ein kirchliches Begräbnis ermöglichen wollte. Allerdings habe ich keine Ahnung, ob Blooms Vater auch katholisch war (war sein Grab auch auf dem Friedhof von Glesnevin?) bzw. wie das Judentum mit Selbstmördern umgeht.Zitat von "JMaria"sie kommen an einem Haus vorbei, wo jemand namens Childs ermordet wurde.
Giffords Anmerkung dazu: Samuel Childs ermordete dort am 2. Sept. 1898 seinen 26-jährigen Bruder Thomas Childs (5 Bengal Terrace, Glasnevin).Zitat von "JMaria"Schwarz für die Verheirateten. Scheckig für Junggesellen. Dunkelbraun für Kosterfrauen.
Dafür hat Gifford keinen Beleg gefunden.Zitat von "JMaria"Ein Kapitel das auf bemerkenswerter Weise sich mit verschiedenen Todesarten beschäftigt.
Sogar bis hin zur Nekrophilie, aber das wundert uns ja nicht mehr, Bloom hat ja schon den halben Tag lang erotische Anwandlungen verschiedenster Art. Geradezu mittelalterlich sind die Gedanken über die Vergänglichkeit des Menschen, konkret seine Verwesung, und schließlich der Satz Wie Du jetzt bist, so warn wir einst. Eigentlich heißt es: "Was ihr seid, das waren wir. Was wir sind, das werdet ihr." Ein Zitat aus einer Legende, in der drei Prinzen die Skelette ihrer Väter finden, die anfangen zu reden. Das war ein beliebtes Motiv in der "Memento Mori"-Literatur, oft zu finden auch als Aufschrift an Beinhäusern, eine Mahnung an die Lebenden, an den eigenen Tod zu denken und sich vorzubereiten.Ich habe gestern etwa die Hälfte der 9. Episode gelesen. "Skylla & Charybdis" in der National Library, Stephen trägt seine Shakespeare-"Theorie" vor.
Viel [Blockierte Grafik: http://www.handykult.de/plaudersmilies.de/person/znaika.gif] über [Blockierte Grafik: http://www.handykult.de/plaudersmilies.de/tales/mcking.gif], Wirkung meist [Blockierte Grafik: http://www.handykult.de/plaudersmilies.de/sad/conf.gif] oder aber.
Gruß, Fevvers
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Hallo Nimue,
an dieser Stelle einmal Dank an Dich, dass Du diese Klassiker-Nische ins Leben gerufen hast. Ich hatte an der gemeinsamen Lektüre auch viel Spaß und fand es ferner angenehm, dass in einem Bücherforum tatsächlich über Literatur diskutiert werden kann.
Mach weiter so :winken: ,
Fevvers -
Zitat von "JMaria"
@alle
Habt ihr übrigens gesehen, wieviele Aufrufe die Odyssee bisher hatte? Fast 1000 (bisher). :)LG Maria
Hallo Maria,
das ist mir auch schon aufgefallen. Meinst Du, da haben uns noch viele über die Schulter geschaut oder stammt das alles von uns?
Ich wette, mit "Ulysses" können wir den Rekord überbieten.
Gruß, Fevvers -
Hallo Maria,
Dein Eindruck wird von Giffords Anmerkungen bestätigt. :breitgrins: Und der körperliche Verfall wird ja des öfteren thematisiert.
Warum nennt er sich "Flowers"? Ist eigentlich naheliegend, viele Menschen sind nicht so wahnsinnig phantasievoll, wenn es um die Auswahl eines Pseudonyms geht. Er will den Briefwechsel geheimhalten. Der Gedanke, Martha (sie wohnt offenbar auch in Dublin) könne theoretisch in der Messe sein, erregt ihn. Aber will er sie wirklich treffen? Hier nun meine Chance zur Blamage: Leopold, der "böse Junge", hat masochistische Neigungen, die er nur auf diesem Weg ausleben kann. Das sind die "anderen Welten", von denen er Martha im vorausgehenden Brief erzählt hat. Oder? :redface: Ist das aber nicht genauso schlimm wie Mollys Ehebruch mit Boyle, an dem Leopold so schwer zu knabbern hat?
Ich habe heute Abend das "Laistrygonen"-Kapitel gelesen, alles dreht sich ums Essen. (Was für ein widerlicher Vorgang!) Aber immer wieder geht es auch um die Liebesbeziehung der Blooms, wie sie früher einmal war (nämlich schön). Es kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass der Tod des neugeborenen Sohnes einen Wendepunkt in der Ehe markiert.
Und in diesem Kapitel erfährt man auch, welchen Text Blooms Anzeige hatte, durch die er Martha kennen lernte. Ich will den Wortlaut nicht verraten, aber ich habe sehr gestaunt!Gruß, Fevvers
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Hallo Maria,
was mir noch bei den Briefen aufgefallen ist: Milly schreibt ihren Eltern, von denen sie getrennte Geburtstagsgeschenke erhalten hat, keinen gemeinsamen Brief. Molly bekommt eine Karte von ihrer Tochter, Blum einen Brief. Außerdem scheint die 15-jährige fern von Zuhause regelrecht aufzublühen. Ein Zeichen dafür, dass die Blum'sche Ehe schon lange nicht mehr funktioniert und die Atmosphäre angespannt ist?
Die übliche Rollenverteilung, die man für den Anfang des 20. Jhdts. erwartet hätte, gibt es auch nicht: Blum macht Frühstück, erfüllt seiner Frau, Langschläferin und etwas schlampig mit ihrer Wäsche, die kleinen, behaglichen Wünsche am Morgen, und nicht umgekehrt.Gruß, Fevvers
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Hallo adia und alle anderen "Ulysses"-LeserInnen,
mein gestriger Leseabend sah wie folgt aus: "Ulysses annotated" auf den Knien, darauf den Roman, in der Tat 'doppeltes Lesen'. So kommt man natürlich nur langsam voran, zumal ich auch noch das engl. Pendant zu meiner deutschen Formulierung suchen muss. Das ständige Unterbrechen nervt, ist aber sehr nützlich. Aber wenn ich größere Passagen lese, ohne etwas nachzuschlagen, komme ich stets an einen Punkt, wo ich denke "Jetzt versteh ich gar nix mehr". Ein Teufelskreis!Tapfer habe ich mich bis zum "Aeolus"-Kapitel vorgearbeitet, das ich ohne Anmerkungen kaum hätte entwirren können, während sich die "Hades"-Episode ganz gut am Stück lesen ließ.
Erstaunt bin ich darüber, dass es mir nicht schwer fällt, längere Zeit im "Ulysses" zu lesen. Denn genau wie bei Ikarus hat sich ein wirklicher Lesegenuss bei mir bislang nicht eingestellt. Ich sehe das mehr als Herausforderung, ähnlich dem hartnäckigen Lösen eines schweren Kreuzworträtsels. Am reizvollsten ist für mich zurzeit weniger der Roman selbst, als vielmehr das 'Drumherum', das Nachspüren nach Joyces Quellen und Inspirationen, den Bezügen zur "Odyssee" etc.
Geht Euch das auch so?
Gruß, Fevvers -
Hallo aida,
ich habe mir heute "Ulysses annotated" aus der Bibliothek geholt und hatte daran ebenfalls schwer zu schleppen. :winken:
Die "Encyclopaedia Britannica" ist derzeit meine beste Freundin:
Ein "Fenian" ist ein Mitglied einer nationalistischen irischen Partei (benannt nach "Fianna Eireann", legendären Kriegern aus dem 16. Jhdt). Getragen wurde die Gruppe von Exil-Iren in den USA und England, sie entstand ca. in den 1860er Jahren, ihr Ziel war die politische Selbstständigkeit Irlands. Zur Zeit des Ulysses spielte sie aber keine Rolle mehr, ein ehemaliges Mitglied hatte da schon die "Sinn Fein" gegründet.Gruß, Fevvers
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Zitat von "Steffi"
Auch bei mir stellen sich Fragen über Fragen und als ich eure Beiträge gelesen habe, habe ich gemerkt, dass es noch viel mehr Fragen gibt !
Hallo Steffi,
da sprichst Du mir aus der Seele! Ich glaube, die Entscheidung, dieses Oeuvre gemeinsam in Angriff zu nehmen, war goldrichtig. :smile: Alles in allem kann ich feststellen, dass der "Ulysses" seinen monströsen Charakter verloren hat. Ich habe das Gefühl, ich weiß jetzt in etwa, worauf ich mich eingelassen habe.Zitat von "Steffi"Die ersten 3 Kapitel sind mir sehr schwer gefallen - vor allem das dritte (Stephen am Strand) - ich habe nicht ganz begriffen, um was es eigentlich geht ? Welche Zusammenhänge es mit der Odysse gibt ? Ich habe das Gefühl, wichtiges mischt sich mit unwichtigem, biografisches mit konstruiertem ...
Ich hingegen habe das Gefühl, alles müsse von irgendeiner tieferen Bedeutung sein, und das macht micht beim Lesen ganz kribbelig. Einzelne Abschnitte der Strand-Szene habe ich mehrfach gelesen. Vieles ist nach wie vor undurchschaubar, aber folgendes hat sich für mich heraus kristallisiert: Stephen macht sich Gedanken über sein Leben. Wie es bisher verlaufen ist (z.B. das Studium in Paris), über seinen Ursprung, seine familiären Wurzeln und Verbindungen. In Beziehung dazu setzt er die Beobachtung des Meeres, das Werden und Vergehen, die Gezeiten. Sehr schön fand ich (bei mir S.55u) die Formulierung vom "Webstuhl des Mondes". Zuvor klingt das Vater-Sohn-Motiv an, das auf die Odyssee verweist. Ferner überlegt er, dem Turm fernzubleiben, vermutlich weil er Haines (=unliebsamer Bewohner=Freier?) nicht mag. Und Telemachos ist über das Meer gefahren.
Geschmunzelt habe ich bei Stephens Gedanken: Gehe ich jetzt Tante Sara besuchen? Dann die Erinnerungen an die bucklichte Verwandtschaft mit ihren gewohnheitsmäßig lästigen Fragen und letztlich sein Entschluss, besser nicht... (Wer kennt das nicht?)@ Maria: Arius war ein frühchristlicher Theologe aus Alexandria (ca. 250-336), der auf dem Konzil von Nicaea 325 zum Häretiker erklärt wurde, weil er bestritt, dass Christus dieselbe göttliche Natur haben könne wie Gottvater, weil er von diesem erschaffen wurde. Dieser sog. Arianismus muss zuvor in der Ostkirche sehr verbreitet gewesen sein. Joyce vertieft mit der Anspielung also das Vater-Sohn-Motiv und Stephens Überlegungen über den eigenen Vater, über das "Konsubstanzielle" zwischen ihnen beiden ("...Mann mit meiner Stimme und meinen Augen...").
Erschaffen, aber nicht gezeugt? Ich verstehe das auch nicht so recht, weil es kurz danach doch heißt: Sie "taten des Kupplers Willen".@ Ikarus: Danke für die Erkärung zur Maul- und Klauenseuche. Eigentlich finde ich solche Verknüpfungen ganz reizvoll, aber mich würde interessieren, ob Joyce bei seinen Lesern eine solch umfassende Bildung vorausgesetzt hat, wie er sie offenbar besaß?
@ aida: Steht in "Ulysses annotateted" etwas zu dem Namen "Kevin Egan", der mehrach in III erwähnt wird?
Um meinen Eindruck von Mr. Deasy zu präzisieren: Mich hat nicht so sehr gewundert, dass er antisemitische Sprüche klopft, sondern wieviele Themen er in einem kurzen Gespräch unterbringt, darunter auch antisemitische und sexisitsche Bemerkungen. Und dass er auch noch hinter Stephen herläuft, um eine Pointe anbringen zu können. War Joyce selbst eigentlich jüdischen Glaubens oder Herkunft? Weiß das jemand von Euch?
Ich lese heute das 5. Kapitel.
Gruß, Fevvers -
Hallo,
meine Erklärung zum Turm, abgesehen von der biographischen, ist eher profan: Die Jungs, jedenfalls Buck und Stephen sind doch beide ziemlich pleite, Stephen trägt sogar die Stiefel von Mulligan und zählt im Gespräch mit Mr. Deasy seine Schulden auf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein alter Geschützturm ein behagliches Nest ist. Der kostet nicht viel Miete, ist meine Vermutung.
"Ulysses annotated" - das gibt es nicht auf deutsch, oder?
Gruß, Fevvers -
Zitat von "JMaria"
Ich seh schon, ich bin auf eure Hilfe bereits sehr angewiesen. [...]
Fevvers: in dem anderen Link über Joyce Einteilung der Kapitel werden auch "Farben" angegeben. Weiß jemand was das bedeutet?Hallo Maria,
ich glaube, das wird uns allen so gehen. :zwinker: Beim James-Joyce-Portal (optisch ein Desaster, aber inhaltlich eine Fundgrube) gibt es auch noch folgenden nützlichen Link: AnalysisWas die Farben anbelangt: Joyce scheint den Roman völlig durchstrukturiert zu haben, so habe ich jedenfalls das Schema interpretiert. Jeder Episode wird etwas zugeordnet, das es einzigartig macht: ein Thema aus der Odyssee, eine neue Erzähltechnik, eine Wissenschaft oder Kunst, ein bestimmtes Symbol, ab IV ein Organ (Blum isst eine Niere zum Frühstück, da ist es sehr deutlich) und auch eine Farbe. Gold und weiß der ersten Episode habe ich mit dem anbrechenden Morgen auf dem Turm in Verbindung gebracht, mit der aufgehenden Sonne, hell und gleißend. Kastanienbraun in der zweiten ist mir nicht weiter aufgefallen, blau und grün der dritten verweisen auf das Meer (Stephen geht am Strand spazieren). Das ist jedenfalls meine Erklärung.
Deine "Gedankennotizen" ähneln den meinen: Ich lese und zähle hinterher für mich spontan auf, was ich erfahren habe. Ein Bleistift ersetzt das Lesezeichen. Vielleicht kann man auf diese Weise "Ulysses"-Lesen "lernen"? Blums Gedankensprünge auf seinem Weg zum Metzger (Episode IV) konnte ich ganz gut nachvollziehen. Er sieht etwas, verbindet damit einen Gedanken, sieht etwas anderes, spricht ein paar Worte, geht weiter, sieht und denkt etwas anderes und immer so weiter. Die Strandepisode (III) habe ich ein zweites Mal gelesen, da war sie schon nicht mehr so abschreckend.
Ich habe meine Suhrkamp-Ausgabe komplett durchgeblättert, der Anfang einer neuen Episode ist meist an einem größeren Absatz erkennbar:
"Morgengrauen"/"Telemachie": I 7-34, II 35-52, III 53-73.
"Morgen/"Odyssee": IV 77-98, V 99-122, VI 123-163, VII 164-209, VIII 210-258, IX 259-304, X 305-354, XI 355-403, XII 404-480, XIII 481-536, XIV 537-603, XV 604-755.
"Mitternacht"/"Nostos": XVI 759-839, XVII 840-939, XVIII 940-1015.
Sind unsere Ausgaben identisch?Gruß, Fevvers
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Hallo Steffi,
ganz nützlich ist auch der "Ulysses"-Artikel im Kindler, der gibt ebenfalls eine Übersicht über die Kapitel.
Vorgestern hab ich eine literarische Pilgerfahrt zu Joyces Grab unternommen. Scheint geholfen zu haben, die erste Leopold Blum-Episode las sich schon sehr viel gefälliger als die vorhergehenden. :zwinker:
Gruß, Fevvers -
Hallo,
ich mache mal den Anfang, da ich die ersten drei Episoden gelesen habe, in denen Stephen Dedalus im Mittelpunkt steht und die Bezüge zur "Telemachie" haben sollen. (Es fühle sich jetzt bitte niemand beim Lesen gehetzt, aber in ein paar Tagen kriege ich meine Gedanken so nicht mehr zusammen.)
Schon nach wenigen Seiten habe ich mich gefragt: Hat Alfred Döblin den "Ulysses" gekannt? Bei "Berlin Alexanderplatz" (ein Roman, den ich großartig finde) empfand ich das letzte Mal eine solche Verwirrung beim Lesen. Für den Einstieg brauchte ich die Zusammenfassungen als grobe Orientierungshilfe. Die vielen Anspielungen sind mir etwas zu viel, wenn ich alles nachschlagen würde, käme ich mit dem Lesen gar nicht mehr voran.
Schon nach der ersten Episode ist mir klar, warum man dem Roman Blasphemie vorgeworfen hat. Buck Mulligan (ein Mensch, den ich nicht als Mitbewohner haben möchte, zu laut, zu derb, zu schwatzhaft und das alles schon am frühen Morgen) nimmt da kein Blatt vor den Mund. Er scheint im hier und jetzt verankert, dem Leben weitaus mehr zugetan als z.B. Stephen (=Telemachos).
Letzterer heißt ausgerechnet Dedalus, der in der Antike als der Künstler schlechthin galt. Ansonsten kriege ich ihn aber noch nicht zu richtig zu fassen. Er hat scheinbar den Glauben an Gott verloren (wenn er ihn denn jemals gehabt hat), hat sein Studium in Paris geschmissen, seine auf dem Sterbebett liegende Mutter schwer enttäuscht, was sein Gewissen belastet, lässt sich offenbar finnanziell von seinen Freunden ausnutzen und sein Lehrer-Job scheint ihm nicht so zu liegen. Und er hat offenbar eine außergewöhnliche Shakespearetheorie, die Haines gern hören möchte. Haines, was ist eigentlich mit dem, was macht der Oxford Student im Dubliner Turm? Keine Ahnung.
Ebenso unverständlich sind mir die plötzlichen antisemitischen Ausbrüche des Schuldirektors Mr. Deasy (=Nestor) sowie sein Interesse an Maul- und Klauenseuche.
Die dritte Episode, Stephen allein am Strand, sein innerer Monolog, die hin- und herspringenden Assoziationen, wer ist Kevin Egan? - Ich fand's ziemlich anstrengend zu lesen, werde vielleicht einzelne Abschnitte nochmals lesen müssen.Welche Ausgaben habt Ihr eigentlich? Ich habe die Wollschläger-Übesetzung (gibt es eigentlich noch andere deutsche Übertragungen außer dieser?), Suhrkampf TB, 9. Auflage von 1989, insgesamt 1015 S. Ist das identisch mit neueren Auflagen, sodass wir auch mal Seitzenzahlen angeben können?
@adia: Liest Du die deutsche oder engl. Fassung?
Gruß, Fevvers
Martello-Tower, Dublin (heute Joyce-Museum)
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Inhalt:
Der 16. Juni 1904 war ein ganz gewöhnlicher Tag, und dennoch ist er in die Geschichte der Weltliteratur eingegangen. An diesem Tag von acht Uhr früh bis drei Uhr morgens erlebt Leopold Bloom die Großstadt Dublin, und der Leser lernt mit ihm seine Handlungen, Begegnungen und Gedanken kennen.
[Blockierte Grafik: http://www.literaturschock.de//pics/Covers/J/joyce01.jpg]
Links
Ein gutes Internet-Nachschlagewerk scheint The James Joyce Portal zu sein. Dort finden sich die vielfältigsten Informationen rund um das Thema Joyce und Ulysses, z.B. Chapter summaries oder auch Joyces eigene Schemata, die auf die Verknüpfungen zur Odyssee Homers verweisen.
Gruß, Fevvers-----------------
Things you should know about Ulysses:
* It takes place in a single day, 16 June 1904 (Bloomsday).
* The main characters-- Leopold and Molly Bloom, and Stephen Dedalus-- correspond to Homer's Odysseus (aka Ulysses), Penelope, and Telemachus.
* Joyce first thought of the idea in 1906 as a story for Dubliners
* He quickly realised it should be the sequel to his autobiographical novel, Stephen Hero (which he rewrote with this in mind, as A Portrait)
* Each of the 18 chapters corresponds to one of Odysseus's (or Telemachus's) adventures.
* Each chapter is written in a different style, with symbolism appropriate to the corresponding adventure. These patterns were hinted by Joyce in privately-circulated schemata.
* Joyce included hundreds of puzzles that can only be understood by very careful reconstruction of exactly what each character is thinking and doing.
* Because the book was so complex, no one has ever managed to create an authoritative 'corrected' edition.
* The most useful companion-volume is Gifford's Ulysses Annotated
* Harold Nicolson claimed that Joyce pronounced it 'oolissays' (but this may have been only when he was speaking Italian or French?)-----
Ergänzt von JMaria:
weil es sich als praktisch erwiesen hat, hier einige Links aus dem gemeinsamen Lesen um die Suche zu erleichtern:
James Joyce Portal
Chapter Summaries
James Joyce Schemata
Analysis
Literaturtipps:
-Jack McCarthy, Joyce's Dublin. A Walking guide to Ulysses, NY 1991.
-Don Gifford, "Ulysses" annotated. Notes für James Joyce's Ulysses, 2nd
revised and enlarged edition, Berkeley/Los Angeles/London 1988.
-Biografie von Ellmann "James Joyce
-Anthony Burgess "Joyce für Jedermann"Martello-Tower, Dublin (heute Joyce-Museum)
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Hier noch einige Infos zum Übersetzer des "Ulysses" Hans Wollschläger:
http://members.maxonline.at/436769360826/Wollschlaeger.htm
weitere Links:
http://www.ulysses-art.demon.co.uk/scheme.html
http://www.2street.com/joyce/etext/schema.html
eine Übersicht:
die Lieder in den Werken von James Joyce:http://www.james-joyce-music.com/selectedsongs.html
LG Maria
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Ergänzt von nimue:
In Berlin trifft man sich auch dieses Jahr wieder zum Bloomsday
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Ergänzt von ikarus:
Anläßlich des morgigen Bloomsday ein Artikel aus der "Literarischen Welt". Mal kein Porträt über Joyce, sondern eines über seine Frau Nora Barnacle:
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Hallo Ingrid,
mich würde der Roman interessieren, aber ich komme so bald nicht dazu, werde zunächst einen Versuch mit "Ulysses" starten.
Gruß, Fevvers -
Hallo adia,
die Liste findest Du hier: Leseempf. für Germanistik-Stud.
Sie beginnt übrigens auch mit der Bibel bzw. gibt Hinweise auf wichtige Kapitel. Dein Einwand, dass es sich bei den genannten Werken um schwere Kost handelt, ist berechtigt. Ich habe das damals genannt, weil viele Autoren auf Motive aus der Antike und der Bibel zurückgreifen, und viele LeserInnen sich damit nicht mehr gut auskennen. Ich sehe das als eine Art Rüstzeug, das nicht schaden kann. Shakespeare ist mein persönlicher Klassiker-Favorit, und da denke ich, wer sich auf die Dramenform einlässt, der kann auch als "Leseanfänger" z.B. an "Macbeth" großen Spaß haben.
Gelesen hat mein Schwager davon sowieso nichts, da er nur deutsche Literatur lesen wollte. Ich kann mich nicht mehr erinnern, welche Titel ich ihm genannt habe, er hatte bei jedem Vorschlag irgend einen Einwand. Abgesehen davon, ist mir die Sichtweise, Klassiker ja, aber bitte nur deutsche, viel zu eng.
Wie hättest Du die Frage beantwortet?
Liebe Grüße, Fevvers
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Hallo alle zusammen,
ich habe Eure spannende Diskussion eben erst entdeckt und den Zeitungsartikel gelesen.
Ich schiele gern mal auf Bestsellerlisten. Ich finde, was viele mögen, muss nicht zwangsläufig schlecht sein. Ich sehe die als Anreiz und Vorschlag, keinesfalls als verpflichtend. Ich kaufe ohnehin selten etwas, versuche es auszuleihen, da auf den Listen gewöhnlich nur HCs stehen. Ich wüsste übrigens gern, wie viele der Bestseller auch tatsächlich von den Käufern gelesen werden.
Die verschiedenen Kanones sehe ich ählich. Es kommt immer darauf an, wer sie warum erstellt. Und vor allem, wie man damit umgeht. Sicherlich gibt es Leute, die sich sklavisch daran halten möchten, um sich gebildet fühlen zu können. Aber ist das die Mehrheit? Und kann man einen Kanon wirklich "abarbeiten"? Ich wage das zu bezweifeln. Ich muss gestehen, dass ich gern ankreuze, was ich kenne, aber damit hat sich der sportliche Ehrgeiz auch schon erledigt. :zwinker: Neulich habe ich die Leseempfehlungen eines Germanisten ausgedruckt, den ich in guter Erinnerung habe. Er zählt zu den wenigen Profs, die wirklich Lust machen können auf Bücher. In der Rubrik "englische Literatur" war bei ihm u.a. Agatha Christie zu finden und unter "amerikanischer" sogar Donald Duck.
Der Aspekt des "Mitredens", fällt bei mir völlig weg. Die "Vereinsamung" (etwas übertrieben formuliert, aber im Kern wahr) kenne ich nämlich nur zu gut. Aber das bezieht sich nicht nur auf Klassiker, sondern z.B. auch auf meine Krimi-Leidenschaft. Ich habe in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass mein Hobby von Nicht-Lesern entweder als purer Luxus beurteilt wird oder ich ehrfürchtig in die Intelektuellenecke gestellt werde.
Denn oft höre ich z.B. den Satz "Ich hätte dafür aber keine Zeit" oder "Wie kann man nur so viele Bücher besitzen?!" (Nebenbei: Es sind gar nicht übermäßig viele, und die Hälfte davon brauche ich beruflich.) Würde ich jedes WE Berge besteigen oder stundenlang heimwerken, bekäme ich das nicht zu hören. Das wäre ja nach außen hin als Aktivität erkennbar. Ich habe nie mit meinem Bücherbestand angegeben oder mich abfällig über die Lieblingsbeschäftigungen anderer geäußert, ich hetze nicht gegen das Fernsehen oder das Internetsurfen (mache beides gern), und doch kommt es immer wieder zu solchen Reaktionen. Was glaubt Ihr: Warum haben LeserInnen immer noch ein solches Image?
Schon lange, bevor der Begriff "Literatur-Kanon" durch die Medien geisterte, fragte mich mein Schwager, der nur ganz selten ein Buch liest, was ich ihm empfehlen könne, was man denn gelesen haben sollte? Das kam von ihm ganz allein. Manche Menschen haben offenbar das Bedürfnis, in der Hinsicht ein bisschen an die Hand genommen zu werden. Aber: Was soll man antworten, wenn unvermutet an den eigenen missionarischen Eifer appelliert wird? Ich habe spontan gesagt: Homer, die Bibel, Shakespeare.
Gruß, Fevvers
@ Steffi: Kann es sein, dass die Schule Dir die Klassiker verleidet hat? Bei mir war es so. Es hat Jahre gedauert, bis ich gern Schiller oder Frisch gelesen habe. Auch ich mag am liebsten Buchhandlungen, in denen nicht nur die Autoren mit hohen Verkaufszahlen ausliegen. In der Mayer'schen Buchhandlung in Köln bspw. stand das Klassikerregal neben den TB-Neuerscheinungen, die Klassiker-Bestseller neben den TB-Bestsellern.