Hallo zusammen,
ich habe heute in Immermanns Tagebüchern nach Spuren des Münchhausen-Romans gesucht und bin dank des Personen- und Werksregisters leicht fündig geworden. Viel hat er zu dem Roman leider nicht notiert, es lässt sich eigentlich nur erkennen, wann er welche Teile geschrieben hat. Die aus meiner Sicht interessantesten Tagebucheinträge möchte ich hier kurz zitieren:
11. Januar 1832:
"Notiz zu einem Balladenstoffe: Die Geister Andacht.
Ein Priester schleicht alle Nacht aus dem Hause. Die Magd schleicht ihm nach, und findet ihn in der Kirche den Geistern der Verstorbnen predigen.
Mährchenstoffe
1) Geschichte von der alten Frau Muhme.
2) Die verhängnißvolle Erbschaft.
3) Die fünf Tänzer
Notiz zu einer Fabel.
Die Lerche. Rosenkranz pagina 600.
Ob nicht ein neuer Münchhausen möglich wäre.
(...)"
Das war der erste Tagebucheintrag, in dem er die Idee des Münchhausen-Romans festhielt.
22. Oktober 1837
"Den 22ten October. Denke ich ernstlich an den Münchhausen. Es heißt die Doctorin Joesten sei auf dem Heimwege, vom Schlage gerührt, gestorben (...)"
28. Oktober 1837
"Den 28. Die Geschichte vom schönen Annerl u. braven Casper gelesen. Befriedigt meine Erwartung nicht. Die Idee zu Münchhausen consolidiert sich durch die Fabel von der Erzeugung des Helden auf chemischem Wege. Abends die Sybel, läuft im Dunkel nach Hause. (...)"
15. November 1837
"Dramaturgica. Ich kaufe Voltaire, Rousseau, Robertsons Charles V. Roscoes Leo X. Münchhausen vielfach bedacht. Die Schnaase schenkt Botargo."
30. November 1837
"Ich fange an Münchhausen zu schreiben. Lessings Zeichnung von Wien. Brief von Paris, dass der kleine Tieck abgegangen. nachmittags Besuch bei Schnaase."
1. Dezember 1837
"Weiter an Münchhausen geschrieben. (...)"
Ähnliche Beiträge den ganzen Dezember über
3. Januar 1838
"Zwecklose. Ich lese aus Münchhausen. Alle Malcontente sind da. Stielcke blamirt sich. Ich mitten unter der Familie Hübneriana. (...)"
8.-13.Januar 1838
"Sitze ich unpaß in der Stube. Ein tüchtig Stück von Münchhausen wird fertig. Absolute Einsamkeit. Draußen Schneegestöber, harter Frost. Schwarze Vögel. Ruhige Stimmung. Ich lese Straussens theologische Streitschriften, die auf mich die Wirkung machen, daß ich das Evangelium Matthäi vornehme, und mich herzlich am reellen Christus erbaue."
15. Januar 1838
"Die Sybel abends draußen. Münchhausen vorgelesen. Erste Nachricht von der Aufführung des Stücks."
21.-28. Januar 1838
"Confuse, verdrießliche Woche. Die Journale lästern über mich und das Stück. Indeßen wird am Münchhausen fortgeschrieben u. das 1te Buch vollendet. Mährchen von den Wundern im Spessart begonnen. Albertus Magnus zeigt sich als praegnante Hintergrundfigur."
4. Spril 1838
"Abends die Sybel draußen.
Mein Entschluß, daß mein Name nie wieder auf den Brettern genannt werden solle.
(...)"
8. April 1838
"1ter Correcturbogen von Münchhausen. (...)"
13. April 1838
"Charfreitag. Nach langen Jahren wieder einmal zum Abendmahl gegangen. Gute Wirkungen im Hause."
Mai 1838
"Sonntag den 6ten Mai das 2te Buch des Münchhausen angefangen und Sonnabend den 26. Mai dasselbe vollendet.
Aeußerst anstrengend und anhaltend daran gearbeitet. Auch einen 10tägigen Brustrheumatismus durchgemacht, zugezogen auf einem Ball beim Prinzen am 10ten Mai, wo es in der Nacht fror.
(...)
27ten Mai Besuch der Dieffenbach. Vorlesung des 2ten Buchs des Münchhausen an die Sybel.
(...)
Die Gelbsucht bricht aus.
Ich bin bettlägrig vom 30ten Mai bis zum 9ten Juni, wo ich zum Erstenmale wieder aufstehe.
(...)
Ich las 2 Bücher des Gargantua und La vie de Rabelais.
Briefe von Nicolai - Hamilton - Runkel."
3. August 1838
"Königs Geburtstag. Nicht gefeiert. Regenwetter. In Münchhausen das ActienAbentheuer geschrieben."
9. August 1838
"Mitten im ZiegenAbentheuer Münchhausen s. Mittag Nachricht von Jena, daß ich Doctor geworden"
20. August 1838
"Holländercapitel in Münchhausen. nachmittags Matzerath."
21. August 1838
"Schlußcapitel."
22. August 1838
"Frau v. Sybel draußen. Vorlesung aus Münchhausen. Mein Diplom aus Jena erhalten."
23. August 1838
"Geistergeshichten.
Mein Diplom mit komischen lateinischen Inschriften versandt an Friedrichs, Ebermaier, (...)"
24. August 1838
"Geistergeschichten. Abends Frau v. Sybel draußen. Volesung aus Münchhausen.
Münchhausen I fertig zur Ausgabe."
27. August 1838
"Morgens Geistergeschichten in Münchhausen. Danach Deliberationssitzung den Dr. zum Erstenmale meinen Unterschriften beigefügt. (...)"
2. September 1838
"Morgens. 3tes Buch des Münchhausen vollendet.
(...)"
9. Oktober 1838
"Das Merkwürdigste unter meinen hiesigen Begegnungen war, daß ich mit dem hier residirenden jungen Deutschland fraternisirt habe, nämlich mit Gutzkow und Wiebarg. Ich schickte Gutzkow meine Karte, ließ anfragen wann er zu sprechen sei, und muß ihm das Zeugniß geben, daß er sich bei unserer Zusammenkunft sehr vernünftig betagen hat. Er verhehlte seine Empfindlichkeit nicht, die er gehabt, setzte aber hinzu, daß bei ihm die Sache ausgeglichen sei, und daß er nur wünsche, sie auch vor dem Publico in Ordnung zu bringen, damit nicht meine Stimme von seinen Feinden wider ihn gemißbraucht werden möge. Er war sehr offen über sich und sein Schicksal und schilderte letzteres als das eines Verfolgten Beistands- und Anhaltslosen nicht beneidenswerth. Seine Aeußerungen waren glasscharf und schneidend, wenn man will, ohne Liebe und Gemüth, zeugten aber von Wahrhaftigkeit, Verstand und Penetration. Er hat ein schmales Gesicht, schmale, feine Lippen, eine Röthe auf den Wangen, die ich für hektisch halte, helle Augen, und geht gebückt, obgleich er erst sieben und zwanzig Jahre alt ist. Ich durfte mir in dem Gespräch mit ihm nichts vergeben. So that auch er. Unsere ganze Unterredung hatte die vornehme Haltung einer Tractatschließung kriegführender Mächte, bei welcher aber Aufrichtigkeit von beiden Seiten obzuwalten schien. Das Sonderbarste bei der ganzen Sache ist, daß er in seinem Telegraphen nach den in den oldenburger Blättern mitgetheilten Proben des Münchhausen, vor dessen Erscheinen darauf als auf ein sehr witziges und geistreiches Buch hingewiesen hatte, was ich erst in Hamburg erfuhr.
(...)
In dieser Beziehung stelle er [Gutzkow] Bettinen [Bettina von Arnim] sehr hoch und tadelte mich, daß ich über sie im Münchhausen gespottet.
(...)"