Mittlerweile hab ich das Buch zum zweiten Mal, diesmal in Ruhe, gelesen. Es stimmt, das Buch ist in einen sehr guten, praezisen, lakonischen Stil geschrieben. Was ich bemaengelt hatte, naemlich dass die Autorin mit ihrem Hauptanliegen zu frueh herausgerueckt sei, hatte ich zu unrecht kritisiert: Sie strebte keine langsame Steigerung oder Entfaltung an sondern sie hat - so wie ich es sehe - einen Teppich gewebt, in dem miteinander verknuepfte Faeden und Farben mal hinten mal vorne sichtbar sind: Die Saengerin, der Dreissigjaehrige Krieg, die Droste, die Kraehe, und immer wieder, gleichsam in Signalfarben, die von ihr als bedrohlich empfundene Situation durch Religionen, insbes. Islamismus, Fluechtlinge, Afrikaner usw. Das ist es, was Karamzin und dann auch mich so getroffen hat. Das ("Sach"-) Buch von Sarrazin habe ich nicht gelesen (ich stand "auf der anderen Seite"), aber ich bin sicher, es haette mich nicht beeindruckt. Der Maron ist es mit ihrem eindringlichen literarischen Werk, das aufs Gefuehl zielt, (fast?) gelungen. Vorher habe ich mir das nicht eingestanden, jetzt habe ich das deutliche Gefuehl: Das alles geht nicht gut aus.
Iris Radisch kann ich nicht ganz recht geben. Das, was die Maron umtreibt, kommt doch ziemlich unverbluemt raus. Ich reihe die Kernstellen hier mal aneinander (das sind die im Vordergrund sichtbaren Faeden in Signalfarben):
S. 12: "........dass es in Europa je wieder einen Krieg geben koennte, dass unser gutes Leben ein Ende haben koennte, dass afrikanische Stammes- und Religionskriege in Deutschland einziehen koennten. Und jetzt war der Krieg sehr nah......"
S. 45: "Einige Stunden zuvor hatte ich gelesen, dass im Irak wieder einmal eine amerikanische Geisel von islamischen Terroristen enthauptet worden war." (Volker: Sie schreibt islamischen, nicht islamistischen)
S. 55: " vieles sieht wie Vorkriegszeit aus, stand da als unuebersehbare Zwischenueberschrift in dem Artikel eines auf Kriege spezialisierten Historikers."
S. 56: " Je laenger ich darueber nachdachte, umso sicherer war ich, dass es auch mit unserem Frieden in naechster Zeit vorbei sein wuerde, In jedem Aufsatz, in jedem Cicely- Kapitel" (Volker: Cicely Wedgwood ueber den dreissigjaehrigen Krieg) "fand ich Parallelen zu unserer Zeit, zu unserer Vorkriegszeit: die kreuz und quer laufgenden Fronten und Interessen, die religioes verbraemten Herrschaftskaempfe, wechselnde und undurchschaubare Buendnisse, und diese archaische Grausamkeit, die ploetzich wieder in unsere befriedete Welt eindrang....."
Einschlaegige Stellen auch auf S. 66 und 73.
S. 86 bis 88: "Vor einiger Zeit hatte ich den Artikel eines Wissenschftlers gelesen, der die Gefahr gegenwaertiger Kriege vor allem in den ueberzaehligen Soehnen armer, dafuer bevoelkerungsreicher Laender sah. Diese jungen Maenner, obendrein sexuell frustriert, weil ohne berufliche Zukunft nicht heiratsfaehig, wuerden wie Dynamit in einer Gesellschaft wirken, in der sie sich erobern muesten, was Ihnen verwehrt sei. Entweder wuerden sie kriminell oder erfaenden sich eine Theorie zu einer gerechten Gesellschaft, mit der sie das Toeten aller, die sie zu Feinden erklaerten, rechtfertigen koennten. Mir", so Monika Maron, "erschien diese Theorie logisch zumal er (der Professor) sie mit ueberzeugenden Zahlen belegen konnte." (Anmerkung von Volker: Diese These glaubt das "Berlin-Institut fuer Bevoelkerung und Entwicklung" widerlegen zu koennen. Das ueberzeugt mich allerdings nicht. Ich neige eher zur Ansicht des Professors der Maron). Weiter im Text: ".......Ploetzlich spuerte ich meinen Herzschlag, schnell und heftig, als haette mein Herz schon erkannt, was sich in mir erst muehsam als Gedanke formte: dass nichts vorbei war, dass die Gewalt, Rohheit Dumpfheit auch uns wieder erobern koennte, dass das Aelteste auch das Neueste sein koennte, und die Menschen in tausend Jahren an uns denken wuerden, wie wir an die Maya, die alten Aegypter oder Roemer. Klopfte diese Angst nicht laengst in meinem Kopf, wenn ich die abweisenden Gesichter der kopftuchtragenden Frauen sah, die sich selbst in unserer Gegend mit jedem Tag, wie mir schien, vermehrten; oder wenn ich ihren Maennern auf dem Gehsteig ausweichen musste, weil ich fuerchtete, sie wuerden mich sonst ueber den Haufen rennen;" (Anmerkung von Volker: Das kann ich bisher fuer unseren Ort so nicht bestaetigen, viele sind ausgesprochen hoeflich und charmant). Weiter im Text (S.88): "War es nicht so, dass die hundert Millionen Soehne uns laengst den Krieg erklaert hatten und wir glaubten immer noch, sie liessen sich beschwichtigen oder wir koennten sie besiegen?" (Volker: Das fange ich allerdings langsam auch an zu denken. Verwunderlich waere es nicht. Ursachen m.E.: 1.) s. oben ueberzaehlige Soehne, 2.) Islam m.E. schwer kompatibel mit saekularem,demokratischen Rechstsstaat westlicher Machart, 3.)Minderwertigkeitskomplex bei gleichzeitiger Ueberheblichkeit, wegen technischer Rueckstaendigkeit gegenueber dem Westen, aber auch gegenueber fernoestlichen Laendern).
Ein interessantes, gut geschriebenes Buch, dessen Sog ich mich aber nicht ausgesetzt haette, wenn ich geahnt haette, wie es auf mich wirken wuerde. (Aber das ist halt die Unberechenbarkeit der Wirkung von finsburys, bzw. Kafkas Axt...)