Beiträge von Volker

    Nachdem ich die ersten fuenf Kapitel gelesen habe, will ich mal ein wenig dazu schreiben:

    Reuter wurde wegen seiner "Aktivitaet" bei der Burschenschaft im Studentenalter zum Tode verurteilt, dann zu 30 Jahren Festungshaft " begnadigt" und schliesslich durch Eingreifen des Grossherzogs von Mecklenburg nach 7 Jahren als dreissigjahriger entlassen. Mit einem Abstand von ueber 20 Jahren verfasste er den plattdeutschen Roman "ut mine Festungstid" (aus meiner Festungszeit) ueber diese Zeit, den bisher finsbury und ich lesen. Obwohl die Geschichte mit viel (Galgen) humor erzaehlt wird, greift einem doch der untergruendige Ernst ans Herz, etwa wenn er ueber die nichtigen Gruende schreibt, derentwegen er verurteilt wurde, oder wenn er erfaehrt, dass der Raubmoerder in der Zelle unter ihm am naechsten Morgen hingerichtet wird, dass der liebenswurdige Vizekommandant der Festung, in der er gerade einsitzt, in "angeheitertem" Zustand am Weihnachtsabend in einem unbedachten Augenblick einen Stafling erstochen hat. (in einer eingeschobenen Erzaehlung erfaehrt man, dass die einzige Tochter dieses Vizekommandanten - in die sich Reuter als 24jaehriger bei einem Spaziergang unter Aufsicht (aussichtsslos) verliebt hatte - an einem Weihnachtsabend gestorben und der Vater daraufhin den "Verstand verloren" hat und in einem Irrenhaus lebt.

    Finsbury liest den Roman in einer hochdeutschen Fassung, ich bin sehr gluecklich, ihn recht fluessig in Plattdeutsch lesen zu koennen. Einige Sachen von Reuter lese ich immer wieder mal, so zum Besipiel Doerlaeuchting (Durchlaucht), ut mine Stromtid (Strom ist ein Landwirtschafts"lehrling"), alle Sachen in denen Entspektor Braesig eine Rolle spielt, ut de Franzosentid, ut mine Festungstid und besonders gern de Reis nah Belligen, die Kempowski, der sie "im Block" gelesen hat, albern fand. Aber wie schrieb Sandhofer so schoen: Albernheit schliesst Grossartigkeit nicht aus..... Und Grossartig ist schon die erste Seite von der Reis nah Belligen.

    Nachtrag: Durch ein Missverstaendnis meinerseits, bin ich mit dem Lesen vorgeprescht. Wir wollen aber erst im Juni anfangen. Ich bitte um Entschuldigung!

    Nachdem ich die ersten fuenf Kapitel gelesen habe, will ich mal ein wenig dazu schreiben:

    Reuter wurde wegen seiner "Aktivitaet" bei der Burschenschaft im Studentenalter zum Tode verurteilt, dann zu 30 Jahren Festungshaft " begnadigt" und schliesslich durch Eingreifen des Grossherzogs von Mecklenburg nach 7 Jahren als dreissigjahriger entlassen. Mit einem Abstand von ueber 20 Jahren verfasste er den plattdeutschen Roman "ut mine Festungstid" (aus meiner Festungszeit) ueber diese Zeit, den bisher finsbury und ich lesen. Obwohl die Geschichte mit viel (Galgen) humor erzaehlt wird, greift einem doch der untergruendige Ernst ans Herz, etwa wenn er ueber die nichtigen Gruende schreibt, derentwegen er verurteilt wurde, oder wenn er erfaehrt, dass der Raubmoerder in der Zelle unter ihm am naechsten Morgen hingerichtet wird, dass der liebenswurdige Vizekommandant der Festung, in der er gerade einsitzt, in "angeheitertem" Zustand am Weihnachtsabend in einem unbedachten Augenblick einen Stafling erstochen hat. (in einer eingeschobenen Erzaehlung erfaehrt man, dass die einzige Tochter dieses Vizekommandanten - in die sich Reuter als 24jaehriger bei einem Spaziergang unter Aufsicht (aussichtsslos) verliebt hatte - an einem Weihnachtsabend gestorben und der Vater daraufhin den "Verstand verloren" hat und in einem Irrenhaus lebt.

    Finsbury liest den Roman in einer hochdeutschen Fassung, ich bin sehr gluecklich, ihn recht fluessig in Plattdeutsch lesen zu koennen. Einige Sachen von Reuter lese ich immer wieder mal, so zum Besipiel Doerlaeuchting (Durchlaucht), ut mine Stromtid (Strom ist ein Landwirtschafts"lehrling"), alle Sachen in denen Entspektor Braesig eine Rolle spielt, ut de Franzosentid, ut mine Festungstid und besonders gern de Reis nah Belligen, die Kempowski, der sie "im Block" gelesen hat, albern fand. Aber wie schrieb Sandhofer so schoen: Albernheit schliesst Grossartigkeit nicht aus..... Und Grossartig ist schon die erste Seite von der Reis nah Belligen.

    Nachtrag: Durch ein Missverstaendnis meinerseits, bin ich mit dem Lesen vorgeprescht. Wir wollen aber erst im Juni anfangen. Ich bitte um Entschuldigung!

    irgendwie scheint es mit der PRIVATkorrespondenz zwischen finsbury und mir nicht zu klappen, deshalb jetzt oeffentlich. Ich habe angefangen und habe die ersten vier Kapitel gelesen. Bin wieder beeindruckt.

    Das hast Du sehr schoen und richtig geschrieben. Ja, wir sind nicht weiter. Aber erstmals gibt es zarte Ansaetze, die VIELLLEICHT helfen koennen, an einer Katastrophe vorbeizukommen. Das, was ich im Goerlitzer Park in Berlin gesehen habe, haette ich nie fuer moeglich gehalten. Vielleicht versuche ich mal, das zu vertiefen. Ich muss aber sagen, dass ich mich immer weniger ueberwinden kann, komplexen Fragen wirklich auf den Grund zu gehen.

    Das ist ja wieder richtig schoen bei und mit Euch. Ein Glueck, dass ich das Forum gefunden habe und, dass es Leute gibt, wie den Sandhofer und die Suse, die das eroeffnen und am Laufen halten. Danke an Euch alle!

    Das ist ja herrlich, Zefira! Fontane ist "mein Mann". Eine Biografie ueber ihn habe ich allerdings noch nicht gelesen und werde das vermutlich auch nicht tun. Seine autobiografischen Buecher "meine Kinderjahre" und "zwischen zwanzig und dreissig" habe ich aber mit viel Genuss gelesen und ich denke, dass sie ein ganz bestimmtes Licht auf seine anderen Werke werfen. Der Stechlin ist mein Lieblingsbuch, finsbury hat mir dazu mal geschrieben, dass er vor dem Sturm noch hoeher schaetze. Habe das daraufhin nochmal gelesen, bleibe aber beim Stechlin. Was mich aber frappiert hat: Die Werke sind (bewusst oder unbewusst?) regelrecht parallel gesetzt (ich kann ja schwerlich der einzige sein der das bemerkt hat?????). Zu jeder Figur in vor dem Sturm gibt es eine Entsprechung im Stechlin. Es ist geradezu unglaublich. Ich wuerde was drum geben, wenn jemand von Euch auch beide Werke hintereinander lesen und zu diesem Punkt seine Meinung sagen wuerde.

    Abi habe ich 1956 gemacht an einem Neusprachlichen Gymi. Wenn ich sehe, was Ihr schon in der Schule gelesen habt, wird mir klar, warum ich so unterbelichtet bin. Selbst habe ich erst mit etwa 40 J. "richtig" mit dem Lesen - allerdings nicht excessiv, sondern doucement - angefangen (der Zauberberg war der "Ausloeser"). Was haben wir in der Schule gelesen:

    Prosa?: Da kann ich mich nur an den Schimmelreiter, Michael Kolhaas und die Judenbuche erinnern. VIEL mehr wird es nicht gewesen sein, da bin ich mir ziemlich sicher. Die Buecher wurden nach meiner Erinnerung hauptsaechlich IM Unterricht von wechselnden Lesern laut gelesen und besprochen. Ein(?) Jahr vor dem Abi gab es dann eine Liste von Buechern, die man gelesen haben "muesste". Ich habe einen Selbst-Lesenden Klassenkameraden (sowas gab es durchaus) gefragt, welches das "schwierigste" der Buecher sei. Er: Das Glasperlenspiel. Da bin ich eingestiegen. Hoffnungslos. Hab dann gar nichts gelesen (ja, tatsaechlich). Ansonsten Goetz, Iphigenie, Minna von Barnhelm, Tell, Don Carlos, Hamlet auf Deutsch (ich glaube?) und als Kroenung von allem Faust (auch alles mit verteilten Rollen, hauptsaechlich(?) IM Unterricht. Nach meiner Erinnerung nichts Modernes, auch nichts von Brecht (es war ein Internat der evgl. Kirche des Rheinlands, der Direktor von Internat und Schule war urspruenglich sehr konservativ.) Einige Jahre nach dem Abi habe ich an seiner Schule (er hatte dann eine eigene Privatschule) in den Semesterferien meines Architekturstudiums (an der TU Berlin) Biedermann und die Brandstifter inszeniert. Hat Spass gemacht, aber WIE ich das gemacht habe und woher ich den Schneid hatte, frage ich mich heute noch. Fremdsprachliche Lektuere? An etwas Englisches kann ich mich nicht erinnern, ausser Hamlet auf Deutsch in Deutsch(?). Franzoesisch (franzoesische Zone): Maupassant(?) les Chevres de Monsieur Seguin(?). Irgendwas von Corneille, Moliere le malade imaginere und Racine. Sonst noch was? Wenn ueberhaupt, kann es nicht viel gewesen sein. Waehrend des anschliessenden Architekturstudiums bin ich dann ab und zu ins Theater gegangen, Schiller-Theater, vor 61 (Mauer) haeufiger auch ins Brecht-Theater am Schiffbauerdamm (Kaukasischer Kreidekreis, Mutter Courage u.a. ), auch in ein "Keller-Theater" in der Naehe des Bahnhofs Zoo (spaeter Delphi), dort u.a. Draussen vor der Tuer. Im Studium generale habe ich dann auch u.a. Deutsche Literatur gewaehlt (heimliche Sehnsucht?, voellige Ueberschaetzung?) Hab mich "berieseln" lassen von Peter(?) Altenberg (nicht der Beruehmte!), der das sehr gut konnte, wenn er den Koenig in Thule deklamierte, kamen einem die Traenen und dem beruehmten Walter Hoellerer, der nicht so mein Typ war, mich aber gnaedigst durch die Pruefung gelassen hat mit Alfred Doeblin, auf den ich mich (angeblich) konzentriert hatte, obwohl ich nur sehr wenig von ihm gelesen und noch weniger "verstanden" hatte. Wenig selbst gelesen, allerdings damals sehr intensiv, angeregt durch Hoellerer, den Gruenen Heinrich, das Buch traf meine damalige Stimmung: Ich war eine lange Zeit sehr unzufrieden mit mir, meiner Lage und meinen Leistungen und wundere mich, dass ich nicht eine regelrechte Depression im klinischen Sinne entwickelt habe. Warum habe ich das hier so breit geschildert: Wohl weil es eine total andere Welt war als die, von der Ihr berichtet. Unsere Lehrer kamen aus dem Krieg, hatten selbst vermutlich oft eine eher lueckenhafte Ausbildung und die "Instrumente" waren z. T. noch nicht geschaerft. Allerdings wird es auch damals schon "Elite-Schulen" gegeben haben, wo "mehr geboten" wurde. Ein Schulkamerd, eine Klasse ueber mir, hat es aber immerhin zum Chefredakteur der Frankfurter Rundschau gebracht.

    von Berlin zurueck, haette ich Stoff in Huelle und Fuelle, um die Diskussion hier neu zu "beleben". Ich moechte aber (vorerst?) nicht tiefer einsteigen. Nur soviel: Alle Entwicklungen muessen nicht gradlinig verlaufen. Ich habe z.B. Erstaunliches gesehen: Der Goerlitzer Park, genannt Goerli, wo frueher der Goerlitzöer Bahnhof war, war vor wenigen Jahren fuer einen "normalen" Buerger eine No-Go-Area und man hatte das deutliche Gefuehl, dass die deutschen Behoerden das Terrain aufgegeben hatten. Jetzt bin ich ohne Bgelitung meines Sohnes allein (allerdings am hellichten Tag) durch den Park geschlendert, in dem ueberwiegend Einheimische mit Kind und Kegel unterwegs waren, keine "Ausgeflippten", sondern ueberwiegend "Buerger". Die jugendlichen Schwarzen sind immer noch da, die Polizei (die mit zwei Mann in einem Auto STAENDIG langsam im Gebiet patroulliert) sagt auch, dass sie immer noch Drogen verkaufen, aber nicht mehr agressiv (wer nicht kaufte, war Geld oder Handy los). Viele von denen machen uebrigens einen leicht verruekten Eindruck, jemand sagte, das kaeime vom Koks(?). Dann habe ich mir auf dem Tempelhofer Feld (ehemaliges Flugfeld des Flughafens Tempelhof) das riesige Asylbwerberlager aus Containern angsehen. Man konnte am Montag nicht rein, wegen eines "Events". Es ist alles eingezaeunt, wie im Zoo, die Leute koennen aber wohl an bestimmten Stellen frei raus und rein(?). Trotzdem ein deprimierender Anblick. Der Gegensatz: Ein Freund von mir in einem Dorf in der Nachbarschaft war als Ingenieur jahrelang in arabischen Laendern, spricht arabisch und kocht arabisch. Dort sind mehere syrische Asylbewerber. Er besuccht sie, sie besuchen ihn. Sie kochen gemeinsam usw. So koennte sowas funktionieren, aber die Gegebenheiten liegen natuerlcih kaum irgndwo vor und sind auch nicht herzustellen.....

    Ja, das ist eine sehr seltsame Erfahrung, die ich auch immer wieder mache. Mit den Listen kenne ich mich nicht aus, koennte mich auch eher nicht dafuer erwaermen, aber ich hatte mir mal vor vielen Jahren ein von der "Zeit" herausgegebenes Buch gekauft, das heisst .......der 100 Buecher (spaeter gabs dann noch eines fuer Sachbuecher). Damals war ich noch weniger als heute das, was man eine Leser nennt. Ich hab danach dann u.a. mit viel Spass an der Freud den Tristram Shandy gelesen und noch ein paar andere Buecher und fand das damals FUER MICH recht hilfreich. Den Don Quijote habe ich bis voriges Jahr schmoren lassen.

    Den Radetzkymarsch habe ich ausgelesen, Newman. Danke fuer DEINE Sicht auf das Fest. MIR kam das zu wenig vorbereitet mit dem Zerfall en miniature auf dem Fest vor (Gott sei Dank, dass das Schwein hin ist, oder so aehnlich sagte der Serbe(?) in Bezug auf den Thronfolger). Durch Dich ist mir klargeworden, dass es Roth, aehnlich wie Maron, nicht darum ging, etwas langsam ins Unertraegliche zu steigern. In Wirklichkeit war es ja auch offenbar ein Ploetzlch und Unerwartet(?), wie Du schreibst. Eine falsche Erwartungshaltung bei mir. Auf den Zusammenbruch wird man vorher - wenn man nicht sehr zwischen den Zeilen liest - nur hingewiesen durch den sagenhaft reichen Fuerst und Weltmann mit dem unausprechlichen Namen. Was das Schreiben betrifft und den Blick auf Menschen, Natur und Situationen, ist der Roth m.E. doch noch ein ganz anderes Kaliber als die Maron. Merkwuerdig, Auch Wassermann hat z.T. diesen "Blick". Beide mit juedischen Wurzeln.

    Mit dem Soeder hast Du natuerlich recht. Ich dachte mir, dass Du das so siehst. Fuer jemanden, der es mit dem Christentum und dem Kreuz ernst meint, muss das einer Gotteslaesterung gleichkommen. Ich finde auch, dass es problematisch ist zu sagen: Weil viele Muslime ihren Glauben ernst nehmen, muessen wir jetzt auch religioes "aufruesten". Ob er glaubt oder nicht und wie er das macht, sollte man jedem selbst ueberlassen, natuerlich duerfen die Kirchen "Angebote" machen, aber wichtiger finde ich, dass wir unser Staatsverstaendnis mit Gewaltenteilung, unabhaengiger Justiz, Gewaltmonopol des Staates, Gleichberechtigung der Frau, Religionsfreiheit, Trennung von Kirche und Staat usw. deutlich machen. Nix Scharia, nix "Ehren"-Morde. Was da die Vaeter und Muetter unseres Grundgesetzes zu Papier gebracht haben ist - wie Karamzin schreibt - bewunderns- und lebenswert.

    es ist schon toll, dass Ihr hier so tiefschuerfend schreibt. Newman als Historiker und Karamzin als Literaturwissenschaftler. Die Angst vor den Tuerken als EINE der Ursachen fuer den 30j. Krieg war mir gaenzlich unbekannt. Aber es gab ja wohl sowieso ein fuer einen Laien schwer zu durchschauendes Geflecht von Ursachen, was ja die Protagonistin der Maron schon bald zu der Erkenntnis kommen liess, dass es fuer sie und ihre Aufgabe (Festschrift) unmoeglich sei, das zu entwirren. Wonach sie sich dann klugerweise auf den Muellerssohn und die Droste konzentriert hat. (Mein Vater war Hobbyhistoriker. Er hatte eine ungebundene Schwarte: "Die Politik Philipp von Soeterns im Dreissigjaehrigen Kriege", in die ich mal zaghaft reingeguckt habe. Schon nach einer Seite brummte mir der Kopf. Ich habe sie einem entfernten Cousin geschenkt.) Newman hat sich - bewusst(?), angeregt durch das Maron-Buch - (nochmal) den dreissigjaehrigen Krieg vorgeknoepft. Mir ist durch Zufall ein Buch ueber eine andere VORKRIEGSZEIT in die Haende gefallen, was ich schon immer mal lesen wollte: Josef Roths Radetzkymarsch. Ein grossartiger Schriftsteller (und Miniaturmaler). Im Radetzkymarsch, m.E. besser noch im Zauberberg, kann man spueren, wie sich Vorkriegszeit anfuehlt. Es laesst sich schwer uebertragen aber mit der Donaumonarchie zerfiel ja auch etwas, was wegen seiner Heteroginitaet nicht mehr zusammenzuhalten war. Funktioniert Nordamerika, der vielgeruehmte Schmelztiegel, wirklich? Ich weiss zu wenig, aber es faengt ja schonmal damit an, dass die Urbevoelkerung fast ausgerottet wurde und deren Reste ueberwiegend ein kuemmerliches Dasein fristen. Und die WASPS haben immer noch hauptsaechlich das Sagen(?), trotz des Katholiken Kennedy und des (gemaessigt) Farbigen Obama. Karamzin und ich als Atheisten oder Agnostiker haetten einen scfhweren Stand und koennten wohl nix rechtes werden. Das Wasserpfeifenlokal schraeg unter unserem Balkon vivat, crescat, floreat. Laerm gibt es nur, wenn die jungen, baertigen, gutaussehenden Machos ihre Autos bei der Abfahrt volle Pulle aufdrehen; wenn sie an ihren Wasserpfeifenschlaeuchen nuckeln, sind sie bemerkenswert ruhig.

    Lieber Newman, das ist jetzt SEHR interessant und stellt fuer mich die Bruecke her zur Unterhaltung mit meinem Sohn: Sicher liegt vieles im Auge der Bertrachters. Berlin ist aber nicht gleich Berlin. Wenn man Flaneur liest, denkt man an den Kurfuerstendamm und Unter den Linden. Ich bin ja bisher jedes Jahr mindestens einmal in Berlin und besuche bewusst mehrere Stadtteile. Auf dem Ku-Damm war ich seit vielen Jahren mal wieder. Damals schien er mir im Niedergang wegen des (Wieder-) Aufstiegs der alten Mitte. Voriges Jahr war ich ueberrascht ueber die Eleganz, Gepflegtheit und die Unberuehrtheit von allen negativen Veraenderungen. Mein Sohn lebt im Wedding und auch sonst nicht auf der Sonnenseite. Er ist hier in der Pfalz aufgewachsen und charakterisiert die Pfaelzer zutreffend als etwas grob und direkt "aber nicht boesartig", ich wuerde sogar soweit gehen zu sagen: Die Pfaelzer sind tolerant (ich bin kein Pfaelzer, stamme aus dem Westerwald). Er sagt, dass aus seiner Sicht "die Intergartion hier gelungen" sei. Ob das ganz so zutrifft, lasse ich mal dahingestellt. Tatsache ist, dass hier die unterschiedlichsten Bevoekerungsgruppen recht gut miteinander auskommen. Das Wasserpfeifenlokal schraeg unter unserem Balkon scheint eine angesagte Adresse zu sein. Es gehen auch viele jugendliche Deutsche beiderlei Geschlechts rein oder sitzen bei schoenem Wetter zusammen mit den Molems draussen, Ich muss den Leuten das Zeugnis ausstellen, dass sie keinen oder kaum Laerm machen. Das war, als es noch ein Cafe war, anders. Eine zeitlang hat mein Sohn in Frankfurt gelebt und ist auch dort mit Leuten aus anderen Kulturkreisen - nicht aus der Oberschicht - zusammengekommen. Er sagt, dass auch dort das Zusammenleben geklappt haette, wenn man beachtet haette, dass man sich "vor Albanern in acht nehmen" muesse. Berlin sieht er in einer haerteren Kategorie mit grossen Unterschieden: "Die Syrer, das sind ganz oft gebildete Leute, die kann man als vornehm bezeichnen, aber wat soll ein junger Syrer machen, der in ner bestimmten Gegend im Wedding landet? Der geht dann vielleicht mit den Libanesen, weil die Kohle haben (in deren Hand liegt dort der Drogenhandel). Es muss in Berlin eine ziemliche Ablehnung in der Unterschicht gegenueber "den Auslaendern" geben. Die muss besonders ausgepraegt bei denen sein, die aus dem Osten kommen. Mein Sohn: "Mir hat mal einer erzaehlt, als ick nach dem Mauerfall rueberkam, det warn Schock fuer mich mit den vielen Auslaendern, ick kann mer noch jenau an meinen ersten Tuerken erinnern...." (dabei gab es ja damals kaum Auslaender). Mein Sohn hat ihn auf die Vietanmesen und andere Auslaender in der ehemaligen DDR angesprochen und sagt, dass sein Gespraechspartner kaum die Aehnlichkeit des "Problems" erkennen konnte. Wie schon mehrfach bemerkt, ich bin wider Willen von der Maron infiziert worden. Mich laesst auch vieles, weil hier alles ganz gut laeuft, unberuehrt, aber wenn ich weiterdenke und die Linien in die Zukunft verlaengere, bin ich ueberzeugt, dass es nicht gut ausgehen kann. Daran haben wir moeglicherweise einen gleich grossen Anteil wie "die Auslaender". Es kam in den Anfaengen auch schon haeufig vor, dass Auslander "augegrenzt" wurden. Irgendwer hat hier mal zutreffend geschrieben, dass vieles auch ein Schichtenproblem war und ist. Es kamen halt, besonders als die tuerkischen Arbeistkraefte angeworben wurden, nicht so viele "gutausgebildetet Leute". (Ich habe aber den Eindruck, dass viele Toechter dieser Tuerken der ersten Generation sehr tuchtig und ehrgeizig waren und einen "Aufstieg" geschafft haben). Mein Sohn denkt auch, dass es ein Fehler war, Erdogan keine Perpektive fuer Europa aufzuzeigen; ich denke, da ist was dran. Tatsache ist, dass ich hier seit Erdogan seinen nationalistisch-autokratischen Kurs faehrt, ein anderes Verhalten der Tuerken feststelle. Ein ganz grosses Problem ist ja auch, wie schon mehrfach hier erwaehnt, dass die Leute ihre Konflikte mitbringen und hier austragen (Tuerken-Kurden, Sunniten-Shiiten usw.). Vielleicht schreibt ja auch Kramzin mal wieder etwas und/oder Zefira hatte nicht auch mal Gontscharow hier etwas geschrieben(?).

    zuerst muss ich meine Gedanken etwas ordnen. Mein Sohn aus Berlin war hier und dann gab es ia den grossen Artikel im Spiegel. Beides bringe ich noch nicht so zusammen. Chaos in meinem Kopf. Ich habe die Absicht, hier in den nächsten Tagen nochmal was zu schreiben.

    Mittlerweile hab ich das Buch zum zweiten Mal, diesmal in Ruhe, gelesen. Es stimmt, das Buch ist in einen sehr guten, praezisen, lakonischen Stil geschrieben. Was ich bemaengelt hatte, naemlich dass die Autorin mit ihrem Hauptanliegen zu frueh herausgerueckt sei, hatte ich zu unrecht kritisiert: Sie strebte keine langsame Steigerung oder Entfaltung an sondern sie hat - so wie ich es sehe - einen Teppich gewebt, in dem miteinander verknuepfte Faeden und Farben mal hinten mal vorne sichtbar sind: Die Saengerin, der Dreissigjaehrige Krieg, die Droste, die Kraehe, und immer wieder, gleichsam in Signalfarben, die von ihr als bedrohlich empfundene Situation durch Religionen, insbes. Islamismus, Fluechtlinge, Afrikaner usw. Das ist es, was Karamzin und dann auch mich so getroffen hat. Das ("Sach"-) Buch von Sarrazin habe ich nicht gelesen (ich stand "auf der anderen Seite"), aber ich bin sicher, es haette mich nicht beeindruckt. Der Maron ist es mit ihrem eindringlichen literarischen Werk, das aufs Gefuehl zielt, (fast?) gelungen. Vorher habe ich mir das nicht eingestanden, jetzt habe ich das deutliche Gefuehl: Das alles geht nicht gut aus.

    Iris Radisch kann ich nicht ganz recht geben. Das, was die Maron umtreibt, kommt doch ziemlich unverbluemt raus. Ich reihe die Kernstellen hier mal aneinander (das sind die im Vordergrund sichtbaren Faeden in Signalfarben):

    S. 12: "........dass es in Europa je wieder einen Krieg geben koennte, dass unser gutes Leben ein Ende haben koennte, dass afrikanische Stammes- und Religionskriege in Deutschland einziehen koennten. Und jetzt war der Krieg sehr nah......"

    S. 45: "Einige Stunden zuvor hatte ich gelesen, dass im Irak wieder einmal eine amerikanische Geisel von islamischen Terroristen enthauptet worden war." (Volker: Sie schreibt islamischen, nicht islamistischen)

    S. 55: " vieles sieht wie Vorkriegszeit aus, stand da als unuebersehbare Zwischenueberschrift in dem Artikel eines auf Kriege spezialisierten Historikers."

    S. 56: " Je laenger ich darueber nachdachte, umso sicherer war ich, dass es auch mit unserem Frieden in naechster Zeit vorbei sein wuerde, In jedem Aufsatz, in jedem Cicely- Kapitel" (Volker: Cicely Wedgwood ueber den dreissigjaehrigen Krieg) "fand ich Parallelen zu unserer Zeit, zu unserer Vorkriegszeit: die kreuz und quer laufgenden Fronten und Interessen, die religioes verbraemten Herrschaftskaempfe, wechselnde und undurchschaubare Buendnisse, und diese archaische Grausamkeit, die ploetzich wieder in unsere befriedete Welt eindrang....."

    Einschlaegige Stellen auch auf S. 66 und 73.

    S. 86 bis 88: "Vor einiger Zeit hatte ich den Artikel eines Wissenschftlers gelesen, der die Gefahr gegenwaertiger Kriege vor allem in den ueberzaehligen Soehnen armer, dafuer bevoelkerungsreicher Laender sah. Diese jungen Maenner, obendrein sexuell frustriert, weil ohne berufliche Zukunft nicht heiratsfaehig, wuerden wie Dynamit in einer Gesellschaft wirken, in der sie sich erobern muesten, was Ihnen verwehrt sei. Entweder wuerden sie kriminell oder erfaenden sich eine Theorie zu einer gerechten Gesellschaft, mit der sie das Toeten aller, die sie zu Feinden erklaerten, rechtfertigen koennten. Mir", so Monika Maron, "erschien diese Theorie logisch zumal er (der Professor) sie mit ueberzeugenden Zahlen belegen konnte." (Anmerkung von Volker: Diese These glaubt das "Berlin-Institut fuer Bevoelkerung und Entwicklung" widerlegen zu koennen. Das ueberzeugt mich allerdings nicht. Ich neige eher zur Ansicht des Professors der Maron). Weiter im Text: ".......Ploetzlich spuerte ich meinen Herzschlag, schnell und heftig, als haette mein Herz schon erkannt, was sich in mir erst muehsam als Gedanke formte: dass nichts vorbei war, dass die Gewalt, Rohheit Dumpfheit auch uns wieder erobern koennte, dass das Aelteste auch das Neueste sein koennte, und die Menschen in tausend Jahren an uns denken wuerden, wie wir an die Maya, die alten Aegypter oder Roemer. Klopfte diese Angst nicht laengst in meinem Kopf, wenn ich die abweisenden Gesichter der kopftuchtragenden Frauen sah, die sich selbst in unserer Gegend mit jedem Tag, wie mir schien, vermehrten; oder wenn ich ihren Maennern auf dem Gehsteig ausweichen musste, weil ich fuerchtete, sie wuerden mich sonst ueber den Haufen rennen;" (Anmerkung von Volker: Das kann ich bisher fuer unseren Ort so nicht bestaetigen, viele sind ausgesprochen hoeflich und charmant). Weiter im Text (S.88): "War es nicht so, dass die hundert Millionen Soehne uns laengst den Krieg erklaert hatten und wir glaubten immer noch, sie liessen sich beschwichtigen oder wir koennten sie besiegen?" (Volker: Das fange ich allerdings langsam auch an zu denken. Verwunderlich waere es nicht. Ursachen m.E.: 1.) s. oben ueberzaehlige Soehne, 2.) Islam m.E. schwer kompatibel mit saekularem,demokratischen Rechstsstaat westlicher Machart, 3.)Minderwertigkeitskomplex bei gleichzeitiger Ueberheblichkeit, wegen technischer Rueckstaendigkeit gegenueber dem Westen, aber auch gegenueber fernoestlichen Laendern).

    Ein interessantes, gut geschriebenes Buch, dessen Sog ich mich aber nicht ausgesetzt haette, wenn ich geahnt haette, wie es auf mich wirken wuerde. (Aber das ist halt die Unberechenbarkeit der Wirkung von finsburys, bzw. Kafkas Axt...)

    Diese Passagen haben Thomas Mann ja auch so beeindruckt und sind heute wieder aktuell. Das Komplizierte ist nur, dass solche Dinge immer in anderen Gewaendern auftauchen und schwer oder gar nicht vergleichbar sind (vgl. z.B. Munin).

    Das Bild ist wirklich ganz grossartig. Die Szenen in den "Wolken" herrlich. DANKE!

    DQ-Bild in der Bank in Barcelona. Hallo Zefira, ich bin ja immer wieder voellig geplaettet, was selbst ich, der ich alles andere als ein Nerd bin, so alles aus dem Internet herausfischen kann. Meinst Du nicht, wenn Du Bank (Vielleicht weisst Du ja noch welche, oder kannst es googeln?), Barcelona, Plakat und DQ "irgendwie" eingibst, dass Du das wieder hervorholen kannst? Dazu wuenscht Dir jedenfalls viel Glueck! Volker

    Newman, das Radischzitat hat mich bewogen, das Buch nochmal IN RUHE zu lesen. Beim ersten Mal habe ich es verschlungen und nur auf den Inhalt geachtet. Jetzt hab ich zwar gerade erst wieder angefangen, aber ich fange an, zu verstehen, warum ihr Stil gerühmt wird. Mal sehen. Was mir aber wieder gegen den Strich gegangen ist, ist, dass sie auf Seite 11 die (Haupt-) Katze schon aus dem Sack lässt.

    Vielen Dank, Newman!, aber leider bin ich trotz Hoergeraeten in jedem meiner beiden Ohren offenbar so schwerhoerig, dass ich der interessanten Unterhaltung nicht folgen kann (laut genug hoere ich alles, aber verstehen tue ich nur wenig).

    Was ich aber verstanden habe, ist, dass auch die Diskussionsteilnehmerin, die ganz rechts sitzt, der Maron einen brillianten Stil und noch einige andere literarische Qualitaeten bescheinigt. Vielleicht fehlt mir da irgendeine Antenne, aber ich bleibe dabei, dass sie ihre Angst nicht "entwickelt", sondern sie legt den wahren Kern ihrer Angst schon ganz am Anfang sozusagen "auf den Tisch" (S. 11) und gibt sich dann Muehe, das wieder in die "Flasche zu kriegen" und langsamer zu entwickeln. Ich kann das nicht so gut formulieren wie Ihr, aber ich versuche es nochmal mit anderen Worten: Auf Seite 11 zeigt sich deutlich, worauf bei ihr alles hinauslaeuft (sie hat naemlich gar kein Chaos im Kopf!) und dann wirft sie Nebelkerzen, um den Eindruck zu erwecken, als sei ihr die Erkenntnis, dass die massive Zuwanderung ihr Angst macht, durch die Beschaeftigung mit dem 30 jaehrigen Krieg, die Saengerin usw. erst nach und nach gekommen. Ich sehe es so, dass sie ihre Befuerchtungen, die ich gut verstehen kann, nicht so unverpackt auf ihre Mitbuerger loslassen wollte, vermutlich auch deshalb, weil sie nicht sofort in die Sarrazinkiste gesteckt werden wollte(???). .....ist eben Literatur....

    Hab mich gefreut, dass es weitergeht, aber wir sollten uns weiterhin der Zivilisiertheit befleissigen.

    Nachtrag: Euch beide schaetze ich noch mehr, seit ich gelesen habe, was Ihr zur Romantik und Safranski schreibt. Was mich wundert, ist, dass Sandhofer und Ihr und auch Peter (Vult) so weit auseinanderliegt. "Geschmack" allein kann das doch gar nicht sein(?). Peter zitiert das wunderbare Eichendorff-Gedicht (um es gegen Safranski zu "verteidigen?" Ich habe noch nichts von Safranski gelesen, aber ein kluger Freund von mir schaetzt ihn sehr, )