Beiträge von finsbury

    Das klingt sehr interessant, @JH Newman. Auch ich mag lieber die unaufgeregte differenzierende Schreibe.

    Momentan bin ich immer noch mit der Darwin-Biografie von Jürgen Neffe beschäftigt. Das ist für mich ein bisschen aufwändiger, weil ich das alles als alter Geograf auf Karten nachvollziehen muss und auch die Ausführungen zu modernen Erkenntnissen der Evolutionsbiologie in Ruhe durchdacht werden müssen.


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    Nebenher lese ich von Ilona Jerger: "Und Marx stand still in Darwins Garten", ein unterhaltsamer Parallelroman vor allem über den alten Darwin und aber auch Marx im Londoner Exil, der wohl zum Ende hin eine fiktive Begegnung zwischen den beiden schildert. Aber so weit bin ich noch nicht.

    Wir hatten gerade Besuch aus der Schweiz. Der männliche Teil des Besuches vertrat die Ansicht, dass er sich in so einer Wohnung wie unserer nicht wohlfühlen könne, sie sei viel zu überfüllt mit überflüssigen Medien - wir sammeln Bücher, Comics und CDs - er habe nur noch Ebooks und würde alle seine Musik rippen oder so ähnlich (irgendwas mit Rasberry, kenn mich da nicht aus). Ich konnte dazu nur entgegnen, dass ich mich in einer Wohnung ohne Bücher nicht wohlfühlen könne, da könnten digital so viele vorhanden sein wie sie wollen, und das gilt auch für die Musik. Auch da brauche ich das Vergnügen, sie haptisch aus dem Regal zu holen und im Booklet zu blättern, mich über gelungene Cover zu freuen oder über nicht gelungene ein bisschen aufzuregen .. . Und auch wenn das abgegriffen ist, gelesene Bücher um mich stehen zu haben, ist wie das Gefühl, gute Freunde um sich versammelt zu haben, auch wenn man selten wieder hereinsieht. Und wie das Lesezeichen durch das Buch wandert, das kann einem das E-Book nicht ersetzen.

    Um zum eigentlichen Thread-Thema zurückzukommen: Ich habe alle meine Bücher mehrfach erfasst, digital und auch noch handschriftlich nach verschiedenen Kriterien. Deshalb konnte ich auch unseren Besuch gut aushebeln, der meinte, in diesen riesigen Regalmengen könne man doch die Bücher gar nicht wiederfinden, und genauso sei es mit den CDs. Aber wir wissen genau, wo jedes Buch und wo jede CD steht, wenn auch nicht jeder von uns, wo alle vom anderen sind.

    Übrigens macht es sehr viel Spaß, hier die Stellungnahmen zu lesen. Auch das Leben von Büchermenschen in der ehemaligen DDR, dass du, Karamzin, so farbig zu vermitteln verstehst, macht mir immer viel Freude zu lesen.


    Und Hörbücher mag ich auch gar nicht, aus den gleichen Gründen wie Zefira und giesbert. Ich gehe auch gar nicht so gerne ins Theater und schaue mir Literaturverfilmungen immer nur an, wenn ich das Buch schon kenne. Zuerst muss die eigene Fantasie das Buch im Hirn hören und sehen, danach bin ich vielleicht bereit, mir andere Interpretationen anzusehen oder noch seltener zu hören.

    Das ist eine schöne Metapher, die du da beschreibst, Zefira. Allerdings klingt der Rest nicht danach, als müsste ich mir dieses Buch als nächstes vornehmen.

    Ich habe nun den "Tyll" von Kehlmann beendet und bleibe ein wenig unzufrieden zurück. Grundsätzlich ist der Roman ein funkelndes Panorama und wieder eine Warnung vor der Sinnlosigkeit und Brutalität des Krieges. Auch ersteht durch Kehlmanns Roman der Aberglaube und das Halbwissen dieser Epoche mit den daraus folgenden Ängsten, unsäglichen Irrtümern und Unmenschlichkeiten plastisch vor Augen. An mehreren Stelle musste ich auch lachen und überlegte, ob Kehlmann beim Schreiben schon Trump und seine Fake News vor Augen hatte, wenn Tyll immer wieder mit den Erinnerungen an die Vergangenheit spielt und seine Gesprächspartner narrt. Aber was ist nun die übergeordnete Idee dieses Romans? Oder braucht man das nicht? Ich kann diese Idee nicht immer formulieren, aber in der Regel lässt mich ein Buch zufriedener zurück, wenn ich weiß oder zumindest ahne, auf welche Fährte mich der Autor als Leser setzen wollte. Das bleibt mir beim "Tyll" weitestgehend verschlossen.

    Oje, das klingt stressig. Ich denke, wir können auch genauso gut im September starten, vielleicht sind bis dahin alle aus dem Urlaub zurück. "Wallenstein" passt sowieso besser in den Lesesessel als auf die Balkon- oder Gartenliege, so rein gefühlsmäßig …:sonne: wärt du damit einverstanden, Karamzin?

    Der Stil von "Die Vermessung der Welt" mit der konsequenten, aber völlig unpassenden und nervtötenden Verwendung des Konjunktivs ging mir sehr auf den Geist, aber das Thema und die Idee, Gauß und Humboldt mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen und Begabungen gegenüberzustellen fand ich spannend und über dem Niveau eines Unterhaltungsromans.

    Du bist schon eine Bank, Karamzin, mit deinem breiten Hintergrund- und Spezialwissen! Interessant auchnder Hinweis, wieso sich Schiller und andere zu der Zeit mit Wallenstein beschäftigten. Vielen Dank für die Infos.

    Wir müssen schauen, was @Zefiras Urlaubspläne machen, dann können wir beschließen, ob es August oder eher doch September wird. Im Juli habe ich noch eine Trollope-Leserunde.

    Finde Sinclair Lewis auch immer noch lesenswert und in Teilen immer wieder überraschend aktuell. "Babbitt" liegt bei mir auch noch in einer alten Taschenausgabe der 50er Jahre aus dem Bücherschrank meines Vaters herum, außerdem "Sam Dodsworth"; "Benzinstation" und das gruselige "Das ist bei uns nicht möglich" habe ich mit Gewinn, aber vor vielen Jahrzehnten, gelesen.


    Im Moment bin ich allerdings im 17. Jahrhundert unterwegs, mit Daniel Kehlmanns "Tyll". Und der führt, zumindest auf den ersten hundert Seiten, drastisch vor Augen, wie eine vorwissenschaftliche, dem Aberglauben anheim gegebene Welt, egal ob auf Seiten des Volksglaubens oder in den verblendeten Augen der mörderischen Inquisition das Leben gefesselt und verdüstert wird. Stark geschrieben und starkes Thema!

    Ach ja, danke, das ist die "Kollektion"-Reihe. Ich habe alle Original-Hefte gesammelt, da müsste ich mir die Aufsätze zusammensuchen. Hab aber auch schon einige Bände gelesen.

    Ich hab auch nichts gefunden, es kam nur im Zusammenhang mit "Buntschriftstellerei" vor. Das sind, wie du selbst schon weißt, die vermischten Texte, zwischen Antike und Neuzeit, die gleichzeitig den Anspruch haben, in unterhaltsamer Weise die Bildung ihrer Leser zu fördern. Aber den Eintrag Polyhistorismus finde ich auch nicht allein. Wo hast du den Begriff denn her?

    Welche Hefte sind denn das? Meinst du vielleicht die "Panorama"-Reihe? Bei der normalen GEO-Epoche-Reihe sind ja Dutzende Hefte zur deutschen Geschichte erschienen, da kann ich mich an so eine Abfolge nicht erinnern. Aber ich lese diese Hefte auch sehr gerne und habe davon schon sehr profitiert. Im Moment bin ich eher auf dem naturwissenschaftlichen Trip, aber Geschichte gehört neben Büchern über Literatur auch zu meinen Lieblingsthemen.

    Leibgeber und JHNewman, "Die Dämonen" habe ich auch schon zweimal gelesen und auch in der Übersetzung von Marianne Kegel, an der ich ebenfalls nichts zu bemängeln fand. Aber selbstverständlich kann ich das nicht mit dem russischen Originaltext vergleichen. Der Sprachstil Kegels ist flüssig und erscheint mir adäquat, deshalb habe ich genau wie du, JHNewman, niemals das Bedürfnis gehabt, die neue Übersetzung anzuschaffen. Es ist ein großartiger Roman, der wie alle Dostojevskij-Romane in eine ganz eigene Welt mit ethischen Erörterungen, die man in dieser Art selten in anderen Romanen antrifft.

    "Der Meister und Margerita" ist damit nicht vergleichbar, weil er den satirischen Unterton hat und damit in einer ganz anderen Liga spielt. Aber beide Romane haben ihren hohen Rang in ihrer je eigenen Art sehr verdient. "Die weiße Garde" liegt noch auf meinem SUB, vielleicht wandert sie jetzt ein wenig höher.

    Oh ja, habe den Roman aus den Regalen meiner Eltern gezogen und in den 90ern gelesen. Er ist natürlich sehr kolonial geprägt, hat aber tolle Bilder und ein spannendes Geschehen zu bieten. Und ist eigentlich auch von der Tendenz her okay, wenn ich mich recht erinnere.

    Tatsächlich habe ich jetzt erst :entsetzt: mein erstes Buch für den Klassikerforumswettbewerb 2020 geschafft und endlich - nach zehn Jahren- die Joseph-Tetralogie von Thomas Mann mit "Joseph, der Ernährer" abgeschlossen.

    Und das ist auch gut so, denn erst der letzte Band gibt die Zusammenschau und Pointierung der Idee. Mann wollte ja wohl den Mythen des Totalitarismus einen neu nachgedichteten positiven, die Humanität und die praktische Menschenliebe feiernden Mythos aus der Tradition des Pentateuch entgegenstellen. Das Ganze garniert mit einer schönen Portion Humor, die die Erzväter-Geschichte liebevoll ironisiert und für viele erzählerische Glanzlichter sorgt. Z.B. das "Vorspiel in oberen Rängen", das diesen vierten Band einleitet: Da schütteln die Engel immer wieder halb amüsiert, halb genervt den Kopf über ihren Chef, weil er sich von ihrem gefallenen Kameraden Rosinen in den Kopf setzen lässt und die Menschen absichtlich in schwierige und herausfordernde Situationen schickt. Auch wird erst im letzten Teil deutlich, dass es nicht nur um die Humanität geht, sondern auch darum, ganz praktisch zu denken und den mythisch-religiösen "Überbau" eher distanziert-liebevoll als allein sinnstiftend zu sehen und sich lieber auf die notwendigen Dinge, die eine Gesellschaft am Laufen halten, zu konzentrieren. So muss Joseph auch am Sterbebett seines Vaters Jaakob, obwohl er dessen lange vermisster Lieblingssohn ist, auf die Ehre eines Stammvaters der Israeliten verzichten und diese an seine Söhne Manasse und Ephraim übergeben. Er stattdessen soll als genialer Volkswirt im Gedächtnis der Menschheit weiterleben. Auch ganz klasse: Echnaton, in dessen Regierungszeit Mann kurzerhand den erwachsenen Joseph versetzt und der als empfindsamer, im Prinzip lebensuntüchtiger religiöser Schwärmer dargestellt wird, der den Sonnengott Aton kurzerhand über die ägyptische Götterwelt gesetzt hat.


    Für dieses herausforderende, aber lohnende Werk gilt ein Zitat, das ich im Moment leider nicht zuordnen kann: Ehe die Bücher sich an uns bewähren, müssen wir uns an ihnen bewähren. Ich habe dazu zehn Jahre gebraucht … .

    Aber es lohnt sich!

    Ach, das ist ja schön, dass ihr Lust auf diese Werkfolge habt, Zefira und Karamzin. Bei mir ist es tatsächlich das erste Mal - shame on me - dass ich die Trilogie lesen würde und gesehen habe ich sie auch noch nicht. Und wie interessant, dann auch mal den literatursoziologischen Ansatz, der wohl am Erfurter Gymnasium damals gelehrt wurde, zu besprechen. Wobei auch bei mir im Studium in Bonn in den Endsiebzigern und Anfang Achtzigern die Literatursoziologie noch eine große Rolle spielte, und ich finde, dass vieles davon gerade für ein solches Werk durchaus noch seine Berechtigung hat.

    Es muss nicht gleich der August sein. Aber wir können uns ja nach dir richten, Zefira, sobald du weißt, wie es urlaubsmäßig wird. Wenn's nicht geht und du, Karamzin, vielleicht auch im Herbst könntest, dann wäre das ja auch eine Möglichkeit. Ich liebäugelte dann damit, vielleicht vorher noch seine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges zu lesen, aber die ist ganz schön dick, und Schillers Sachtextstil ist nicht so meins. Mal sehen … .

    Diese berühmte Dramenfolge von Schiller, die sich um den General aus dem Dreißigjährigen Krieg dreht, habe ich mir für dieses Jahr vorgenommen. Aber ich würde es leichter und noch spannender finden, wenn andere mitlesen würden, denn es gibt doch viel, was man bei diesen Dramen besprechen könnte. Für Mai und Juni bin ich noch gut beschäftigt, dann kommt der Urlaubsmonat, aber vielleicht hätten welche Lust, sich im Spätsommer oder Herbst an diesen wichtigen Klassiker zu wagen … . Ich würde mich freuen und bin ab August ganz frei in der Planung.

    Wurde eigentlich schon Die Wahrheit über den Fall D. genannt? Ein Krimi von Fruttero & Lucentini, es geht um Dickens’ letzten, unvollendeten Roman "Edwin Drood". Der Dickens-Text wird kapitelweise in den Roman gemischt, drumherum gibt's dann eine Krimihandlung. Ich hab’s als sehr amüsant und pfiffig in Erinnerung, aber mehr weiß ich davon nicht mehr ;-).

    Das war meine allererste Leserunde im Internet, 2004 im Mutterforum. Gibt's sogar noch. Danke für die Erinnerung, war wirklich ein netter Einfall und damals hatte ich tatsächlich verdrängt, wer Captain Hastings ist, aber da gab es ja auch noch nicht die stilvolle Poirot-Serie.