Beiträge von finsbury

    b.a.t. , inzwischen habe ich die Hälfte des Romans gelesen. Danke für deinen Hinweis auf den realen Hintergrund, der mir bisher entgangen war. Der Roman ist keine ganz leichte Kost, da multiperspektivisch und auf verschiedenen Zeitebenen erzählt und von der Autorin wohl extra darauf angelegt, die Leser ein wenig hinzuhalten und zu verwirren, was mit der im Roman von auctorialer Seite getätigten Aussage zu tun hat, dass es eigentliche historische Wahrheiten gar nicht gebe, weil das kollektive Gedächtnis zu ungenau und interessengeleitet sei. Einer von den Romanen, an denen sich der Leser bewähren muss, um ihn würdigen zu können, aber gerade deshalb wichtig und gut.

    Die Trilogie kann ich dir nur ans Herz legen: eine neue Dimension des historischen Romans. Sehr gut ist auch ihr Roman über die Französische Revolution "Brüder". Ich bin traurig, dass wir keine Bücher mehr von ihr erwarten können.

    Das kann ich gut verstehen, aber wenn es dann irgendwann vorbei ist, ist es eben vorbei, dann weiß ich ja nicht, was mir alles entgangen ist. Insofern sehe ich meinen Bücherberg eher mit Gelassenheit und freue mich daran, dass soviel da ist. Selbst wenn ich jetzt durch die Energiekrise völlig verarme, komme ich mit meinen Restbüchern bequem durchs Leben, vor allem wenn man, wie du auch schreibst, die ganzen Rereads dazu nimmt, auf die man sich schon seit Jahren freut.

    Das klingt doch noch nach einem ambitionierten Restjahr, Zefira.


    Mir geht es auch so, dass ich oft nicht Leserunden oder irgendwelche Nebenpfade berücksichtige. Ich mache auch gerne bei irgendwelchen eigentlich sinnfreien Challenges mit, die mir helfen, meinen riesigen ungelesenen Bücherberg weiter abzubauen und Titel oder Autoren zu entdecken, die mir sonst wahrscheinlich noch jahrelang durch die Lappen gegangen wären. Auf diese Weise habe ich schon wirklich schöne Sachen wieder entdeckt, die ich aus meiner Wahrnehmung gelöscht hatte.

    Gerade habe ich mal nachgesehen, ob ich ein Buch von ihm besitze. Wohl sogar 2000 gelesen: Mein Herz so weiß.
    Ich kann mich nicht im entferntesten erinnern..., auch nicht nachdem ich jetzt die Verlagsinfo gelesen habe. Aber das muss ja nichts heißen, es gehen so viele Erinnerungsspuren mit den Jahren verloren.

    Nachtrag: Den Trollope: Die Türme von Barchester habe ich ja schon vorgestellt, dass er gelesen ist, habe ich hier noch nicht verkündet. Mir bleibt von meiner diesjährigen Liste tatsächlich nur noch der letzte Band der Ahnen, hoffentlich schaffe ich auch den. Es ist ganz gut, wenn man nur so wenig auf der Liste hat. Dann kann besser auf seine Leseinteressen und Nebenpfade eingehen.

    Anthony Trollope: Die Türme von Barchester („Barchester Towers“ 1857)


    Dieser in der Manesse-Ausgabe über 850 Seiten starke Roman ist der zweite in der Romanreihe der „Barchester Chronicles“ und knüpft inhaltlich an das Geschehen im ersten „Septimus Harding, Spitalvorsteher“ („The Warden“ 1855) an.

    Nach dem Tod des Bischofs von Barchester, dem Vater von Septimus Hardings älterem Schwiegersohn, Erzdiakon Grantly, wird das Amt nicht an diesen, einen Vertreter der traditionellen Hochkirche vergeben, sondern, weil gerade ein Regierungswechsel zu den Liberalen stattgefunden hat, an Dr. Proudie, Vertreter einer reformerischen Richtung, die Elemente der Low Church und strengere Regeln, so z.B. Sonntagsschulen für die jungen Menschen, einführen will. Dr. Proudie hat allerdings selbst kaum etwas zu sagen, sondern wird geführt einerseits durch seine willensstarke Frau, die auch in allen bischöflichen Fragen ungefragt mitbestimmt, sowie durch seinen Bischofskaplan Slope, einen kleinbürgerlichen Karrieristen, der unter dem Deckmantel reformerischer Absichten vor allem sein eigenes Vorankommen sichern will.


    Dieser letztere ist der natürliche Feind des Erzdiakons, weiß aber viele Damen der Bischofsstadt durch einschmeichelndes Benehmen und scheinbar sinnvolle Forderungen auf seine Seite zu ziehen. So geht es auch Eleanor Bold, der jüngeren Tochter Hardings, die sich im letzten Band mit dem aufstrebenden Journalisten und Aktivisten Bold verheiratet hatte, der jedoch sehr früh verstarb, so dass er sie als vermögende Witwe mit kleinem Sohn zurücklassen musste. Eleanor gibt aber Slope nur eine Chance als Reformer, ohne ihn ansonsten, der auch abstoßend genug von Trollope geschildert wird, attraktiv zu finden. Dies aber ahnt ihre Familie nicht, die nun fest annimmt, dass sie Slope heiraten werde, der ihr Avancen macht, die sie nicht erkennt.


    Grantly sucht Hilfe gegen die reformerischen Ansätze in Barchester in seiner geistigen Heimat Oxford, das wohl zu jener Zeit ein Gral der Hochkirche war. Er installiert seinen Freund im Geiste, Mr. Arabin, einen 40jährigen Geistlichen und guten Redner, auf einer freigewordenen Pfarrstelle des Bistums.

    Gewürzt wird diese Ausgangslage durch die zugezogene Familie des Domherrn Stanhope und seiner Familie, die für viele Jahre in Italien gewohnt hatten und deren Mitglieder ausgesprochene Egoisten in verschiedenen Seinsvarianten darstellen. Wichtig für die Romangeschichte ist insbesondere Madeline Neroni, die zweite Tochter, mit einem Wüstling verehelicht und anscheinend im Rahmen einer ehelichen Züchtigung so schwer verletzt, dass sie nicht mehr gehen kann. Von ihrem Mann getrennt und von außerordentlicher Schönheit und großer erotischer Anziehungskraft gelingt es ihr, die Männer von Barchester um sich zu scharen und an sich zu fesseln.


    Nach der Aufstellung der gegnerischen Linien gipfelt der Roman in zwei gesellschaftlichen Ereignissen, in denen die verschiedenen sozialen und geistigen Elemente aufeinanderprallen.


    Zunächst zeigt auf einem Empfang Mrs. Proudies anlässlich der Installation ihres Ehemanns als Bischof Madeline ihre Macht, indem sie ihre Verehrer um ihr Sofa schart, damit Mrs. Proudie gesellschaftlich ins Abseits drängt und diese dann auch noch lächerlich macht, indem ihr Bruder Bertie durch das Verschieben des Sofas, auf dem Madeline reizvoll arrangiert Hof hält, die Spitzen der Tournüre vn Mrs. Proudies Galarobe abreißt. Mrs. Proudie kann danach nur noch in ohnmächtigem Zorn beobachten, wie ihr Günstling Slope der Macht ihrer Rivalin anheimfällt, was sich später als sein Todesstoß erweist.


    Der zweite Höhepunkt ist das über mehrere Kapitel ausgedehnte Landfest der Thornes auf Ullathorne, eines äußerst konservativen adeligen Geschwisterpaares, das noch an die angelsächsischen Traditionen der vornormannischen Zeit anknüpft. Hier gibt es köstliche Szenen mit als original sächsisch empfundenen Ritterbräuchen, die Miss Thorne unter der adeligen und der Stadtjugend wieder modern machen will, womit sie natürlich scheitert.

    Hier wird Eleanor nun gleich von zwei Freiern bedrängt, Mr. Slope bestraft sie mit einer Ohrfeige für seinen Antrag und Bertie Stanhope, der ihr freimütig erzählt, dass er ihr Geld braucht und sie ihn lieber nicht erhören solle, öffnet ihr die Augen dafür, dass die Freundschaft, die sie von seiten der Stanhopes genoss, nur ein Mittel zum Zweck war.


    Am Ende bekommt Mr. Arabin die offene Dekanatsstelle, auf die sich Slope Hoffnungen gemacht hatte, heiratet Eleanor Bold und alles scheint wieder in den traditionell festgelegten und beruhigenden Schienen zu verlaufen.


    Der Roman ist stark satirisch angelegt mit ausgedehnten Erzählerkommentaren, die den Leser immer wieder davon abhalten, sich allzu sehr mit den Figuren zu identifizieren. Dabei geht Trollope mit den meisten Figuren eher sanft ins Gericht, nur Slope und Mrs. Proudie werden durchgängig unsympathisch dargestellt, wenn er auch ihren Handlungsgründen Raum gibt. Allerdings darf man von diesem Roman keinerlei emanzipatorischen Einsatz für die Frauen erwarten, hier argumentiert Trollope streng chauvinistisch, so dass das vielleicht schon wieder ungewollt satirisch ist. Eleanor Bold kann froh sein, dass sie nun nach ihrer zweijährigen Witwenzeit sich wieder wie Efeu um einen stabilen Kirchturm winden kann. Vorher wird ihre übertriebene Verhätschelung ihres kleinen Sohnes immer wieder satirisch beleuchtet. Mrs. Proudie ist ein böses Mannweib, die ihrem Mann jede Freiheit raubt, und Madeline wird als leicht teuflische Verführerin dargestellt, die wie die Schwarze Witwe in ihrem Spinnennetz sitzt und den Männern auflauert.


    Aber abgesehen von diesem viktorianischen Frauenbild der Mitte des vorletzten Jahrhunderts kann man sich an wunderbarer Gesellschaftssatire delektieren und findet in den kirchlichen Intrigen den Abklatsch auch mancher heutiger Auseinanandersetzungen unter Honoratioren jeglicher Art. Trollope geht es dabei wohl weniger um tiefgreifende gesellschaftliche Reformen, sondern darum, dass allen Lesern klar ist, wie wenig Entscheidungen von Moral und wie sehr von Egoismen und der Sicherung von Privilegien bestimmt sind.


    Eine lohnende Lektüre für alle, die an Gesellschaftsromanen ihren Spaß haben, welche mit satirischem Finger deutlich auf verzerrte gesellschaftliche Strukturen und die wahren Hintergründe hinter vorgeschobenem moralischem Denken zeigen.

    Ich wollte mit meinem Diktum auch niemanden verletzen, Zefira. Sehr viele Menschen lieben diese Erzählungen, weil sie eben oft mit ihrer Kindheit verbunden sind. Ich dagegen habe sie erst im Erwachsenenalter gelesen, nachdem ich schon einiges Andere von Dickens gelesen hatte und diesen Autor schätzen gelernt habe. Gegen die großen Romane fallen für mich diese Erzählungen ab, aber ich habe sowieso ein Problem mit diesen moralischen Geschichten, die Weihnachten als Anlass nehmen. An die Lachanfälle bei Scrooge kann ich mich gar nicht mehr erinnern, mir aber vorstellen, dass mir bei meiner oben genannten Voreinstellung einige Feinheiten entgangen sind-

    Leibgeber: Den "Raritätenladen" kenne ich nicht. Es gibt einige Dickens, die ich nicht besonders mag, allen voran die Weihnachtserzählungen. Die finde ich nur kitschig. "Große Erwartungen" und "Harte Zeiten" habe ich auch gelesen, besonders gefallen hat mir der erstere Titel. Auf meinem Reader sind noch "Martin Chuzzlewit" und "Eine Geschichte aus zwei Städten", vielleicht im nächsten Jahr. Im Moment mag ich Trollope sehr gern und werde sicher noch mehr von ihm lesen. So tolle Dialoge und diese Ansehens- und Machtkämpfchen: Ich habe immer unsere (Lokal-) politiker und andere Größen vor Augen, wenn ich mir das Ranggeschachere der anglikanischen Kirchenkleinen -und -größen zu Gemüte führe. Trotz anderer Zeit und anderem Milieu, eigentlich ändert sich an menschlichen Eitelkeiten überhaupt nichts.

    In seinen Vorzügen, wie auch Mängeln: Dickens hat Qualitäten, die ihn herausragen lassen.

    So sehe ich das auch. Manchmal muss man sich durch dicke Kitschschichten kämpfen und bekommt dann wieder einen so köstlichen Dialog, eine so brillante satirische Schilderung, dass es sich dennoch gelohnt hat. Und er ist von allen großen Viktorianern am nächsten an den sozial Schwachen, legt den Finger gnadenlos auf so einige Wunden.

    Den "Reisenden" habe ich auch vor ca. 20 Jahren gelesen. Ist das nicht eine Montage aus lauter Romananfängen? Ich erinnere mich nur, dass ich es ganz unterhaltsam zu lesen fand.

    Trollopes "Türme von Barchester" kommen nach ca. 100 Seiten der Manesse-Ausgabe so richtig in Fahrt, in dem Moment, wo das Erzählen und Erklären aufhört und die Dialoge einsetzen. Da ist Trollope in seinem Element und das Lesen macht großen Spaß.

    Daneben lese ich Yuval Hararis "Eine kurze Geschichte der Zeit", eine sehr kluge, manchmal überspitzt formulierte Zusammenschau der Menschheitsgeschichte unter verschiedenen Ansätzen: u.a. aus dem Blickwinkel der Evolution, der Philosophie, der WIssenschaftsgeschichte und Ideologiekritik. Sehr interessantes und auch noch wirklich kurzweilig zu lesendes Buch!

    Da hast du Recht, sandhofer. Aber das gilt für eine ganze Menge der englischen Schriftsteller, zum Beispiel auch für Barbara Pym, die ich ja seit ein paar Jahren aus ähnlichen Gründen wie Trollope ebenfalls sehr gerne lese. Spannend ist zudem, wenn man zum Beispiel bei den Cromwell-Büchern von Hilary Mantel erkennen kann, woher dieser Unterschied kommt. Früher wusste ich tatsächlich nichts darüber, dass es High Church und Low Church gibt, weil ich mich für kirchliche Fragen im engeren Sinne kaum interessiere. Letzten Endes geht es ja aber auch in diesem Gewand immer um das Menschlich Allzumenschliche.

    "Die Türme von Barchester", der zweite aus der Reihe der Barchester-Romane von Anthony Trollope, ein schön satirischer Roman, der das anglikanische Kirchenmilieu und seine Postenbesetzungsstrategien thematisiert.

    Ich wollte eigentlich schreiben,

    dass ich gerade den Roman "Einfach so" von Lily Brett lese, einer jüdisch-amerikanischen Autorin, die in diesem Roman wohl auch die Geschichte ihrer Eltern, Opfern des Holocaust, verarbeitet. Sehr erschütternd und dennoch unterhaltsam, wie sie ihren Alltag im New York der beginnenden Neunziger schildert.