Beiträge von finsbury

    Hallo Flegelianer,


    es geht sehr zäh voran: Walt schwärmt sich gerade durch seine Wanderreise, zum einen sehr schön, zum anderen - trotz gelegentlicher ironischer Seitenhiebe (z.B. der Wirt, der den Töchtern das von Walt geschenkte Geld gleich wieder durch Verkäufe abknöpft) - ein wenig zu idyllisch und handlungsarm.
    Lustig fand ich ich übrigens das starke Präteritum von bellen. Ein Hund boll in Nr. 42.


    Zu eurer Fichte-Auseinandersetzung kann ich nichts beitragen. Ich habe nur ein wenig im Weischedel gelesen und habe nun so eine grobe Vorstellung von der Fichteschen Philosophie. Nach Weischedel hat Fichte am Ende ja auch von dem absoluten Ich wieder Abstand genommen, weil es sich damit selbst auslöscht.
    Wenn ihr auch theoretische Werke von JP lest, könnt ihr sicher besser beurteilen, welche religiöse Ausprägung sein Leben bestimmte, falls eine solche es wirklich bestimmte.
    Im Roman ist die Naturschwärmerei (aber nur, wenn Walt im Mittelpunkt steht) wirklich stark ausgeprägt, wogegen ich bisher nicht viel Christliches gefunden habe.


    HG
    finsbury

    Zitat von "sandhofer"

    Meines Erachtens denkt Keyserling genau umgekehrt, bzw. spricht dem Adel Gefühle eher ab. Es erinnert mich an die Kältestarre eines Insekts im Spätherbst. Das Insekt stirbt, während die warmblütigen Lebewesen, die "einfachen Leute", überleben. Wobei "einfache Leute" hier wohl der falsche Ausdruck ist - "naturnah, nicht degeneriert" trifft es imho besser.


    Grüsse


    Sandhofer


    Hallo,
    dennoch beschreibt er dieses "Absterben" mit Wehmut und Sympathie.
    Es ist aber auch eine leidige Diskussion.
    Eine gewisse Arroganz der "Gebildeten, Arrivierten" gegenüber den "ungebildeten, einfachen" Leuten ist wohl leider Bestandteil weiter Teile des europäischen und anderer Literaturen.


    HG
    finsbury

    Hallo JMaria,


    "Septimus Harding" habe ich als Reclam-Remittende auf meinem SUB, melde dich also gerne, wenn du das noch lesen willst: Ich lese gerne mit, denn ich habe auch Einiges im Rahmen meiner George-Eliot-Lektüre über ihn vernommen.



    HG
    finsbury

    Hallo zusammen,


    Nr. 36 bis 38 haben mir den Sonntagmorgen versüßt, gestern war ich unterwegs.


    sandhofer


    Zu Fichte muss ich leider passen, der lag immer außerhalb meiner Lektürebemühungen. Du magst gerne Recht haben. Dennoch widersprechen sich unsere Thesen zu JPs theologischer Einstellung nicht unbedingt. Ich behaupte nur, dass es ein bewusstes Glauben ist, das sich dem sonst zu erwartenden Nichts entgegenstellt.


    Zitat von "Sandhofer"

    die Vernunft und Logik des christlichen Glaubens herausschält.


    Meinst du wirklich, dass er dem christlichen Glauben anhängt?
    Richtet sich also seine Kritik in Nr.36, wo er die Kirche "Tempel" nennt, nur gegen den katholischen Glauben? Ich habe seine anderen Werke nicht gut im Kopf, soweit ich sie gelesen habe, aber ich hätte ich ihn, obige Einschränkung vorausgesetzt - eher für eine Pantheisten gehalten. Bitte um Aufklärung!


    Herrlich finde ich in Nr. 36 ebenfalls Walts jugendlicheTräumereien von Wina. Hier kann man auch erahnen, dass ihm Klothar unbewusst nur als gesellschaftlich erfolgreiches Traumbild seiner selbst, also seiner guten Eigenschaften verbunden mit dem äußeren Glanz wichtig ist, aber das wird die zukünftige Lektüre weisen.


    Nett ist Flittens Intrige in 37 / 38: Das in vielem verlogene Städtchen wird hier von einem hoppgenommen, der das noch viel besser kann und daher auch ganz plastisch in einer höheren Position, im Glockenturm über ihnen schwebend gezeigt wird.
    Unser Walt ist auch kein völlig ungetrübter Gutmensch, sondern zeigt auch kleine, aber allzu verständliche Kratzer im Lack, wenn ihm sein kleines flittisches Erbe wichtiger ist als dessen Überleben.



    HG finsbury

    Hallo, Friedrich-Arthur, Sandhofer und hoffentlich noch Maja,


    nun musste ich erstmal noch "Die Rede des toten Christus..." und etwas Nietzsche überfliegen, damit ich auch nicht allzu hohles Gewäsch schreibe :zwinker: .


    Zitat von "sandhofer"


    Schon interessant, wie unterschiedlich Rezeptionen sein können. Gerade im Philosophischen sehe ich wenig Übereinstimmendes zwischen Jean Paul und Nietzsche (Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei beginnt praktisch mit der Fussnote Wenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben wäre, dass in ihm alle Gefühle, die das Dasein Gottes bejahen, zerstöret wären; so würd ich mich mit diesem meinem Aufsatz erschüttern und - er würde mich heilen und mir meine Gefühle wiedergeben. Und das war wohl durchaus Jean Pauls Ernst.)


    Meiner Meinung nach zwingt sich Jean Paul gegen besseres Wissen zum Glauben, wenn er in dem oben genannten Text Christus sagen lässt:
    ""Ach, ihr überglücklichen Erdenbewohner, ihr glaubet Ihn noch.[...] Sterblicher neben mir, wenn du noch lebst, so bete Ihn an: Sonst hast du ihn auf ewig verloren.""
    Und später, als der Ich-Erzähler aus seinem Traum erwacht:
    "Meine Seele weinte vor Freude, daß sie wieder Gott anbeten konnte [...]
    und zwischen Himmel und Erde streckte eine frohe, vergängliche Welt ihre kurzen Flügel aus und und lebte, wie ich vor dem unendlichen Vater [..].


    Es ist zumindest durchaus nicht unmöglich, daraus zu entnehmen, dass JP sich vor dem erkannten Nichts fürchtend, den Glauben bewusst als Schutzmauer einsetzt.
    Und in dieser Erkenntnis des Nichts liegt die Parallelität zu Nietzsche, seiner These vom Tod Gottes.


    Zitat von "sandhofer"


    Bitterkeit und Egomanie bei Nietzsche? Letzteres vielleicht in seinen spätesten Texten. Bitterkeit? Nietzsche wie Jean Paul waren dem menschlichen Wesen gegenüber sehr kritisch eingestellt - Misanthropen halt. Ist Misanthropie = Bitterkeit? Ich weiss es nicht ...


    Ob nun Misanthropie = Bitterkeit ist oder nicht, beides kann man meiner Ansicht auf keinen Fall auf JP anwenden, dagegen auf Nietzsche - gut, nur in bestimmten Phasen seines Lebens und sicherlich autobiografisch und krankheitlich bedingt - sehr wohl!


    Beispiel aus "Ecce homo":
    Das, was die Menschheit bisher ernsthaft erwogen hat, sind nicht einmal Realitäten, bloße Einbildungen, strenger geredet, Lügenaus den schlechten Instinkten kranker, im tiefsten Sinne schädlicher Naturen heraus - alle die Begriffe 'Gott', 'Seele', 'Tugend', 'Sünde', 'Jenseits', 'Wahrheit', 'ewiges Leben'[...]


    Über die Egomanie will ich jetzt nicht schreiben: Sie liegt gerade in den autobiografischen Schriften auf der Hand und ist ja auch in vieler Hinsicht verständlich.


    Zitat von "Friedrich-Arthur"


    Jean Paul finde ich eigentlich sehr menschlich eingestellt und seine Werke zeugen mir von Menschenliebe und Freude am kleinen Deteil all dessen, was menschlich ist und zum Menschsein gehört. Besonders auch in den Flegeljahren. Was denkt ihr? Liege ich so danaben mit meiner Einschätzung?


    Keineswegs. Ich denke genauso. JP gießt zwar auch seinen Spott über seinen Romanfiguren aus, zeigt aber auch große Liebe zu ihnen, auch gegenüber den karikierten. Man kann das natürlich als reinen Spott ansehen, aber ich empfinde zum Beispiel die unglaublich witzige Stelle in Kapitel 33 über die Unmöglichkeit der Kommunikation zwischen "Studierstubeninsassen" und "Welt- und Geschäftsmännern" als von freundlich-resignativer Menschenkenntnis und -liebe erfüllt, besonders die Schlussfolgerung:


    Rechte gewöhnliche und doch befriedigende Unterhaltung ist allgemein unter den Menschen die, daß einer das sagt, was der andere schon weiß, worauf dieser aber etwas versetzt, was jener auch weiß, so daß jeder sich zweimal hört, gleichsam ein geistiger Doppelgänger.


    Ich fühle mich da voll erkannt, aber auf liebevolle, nicht gemeine Weise hoppgenommen.


    Bin nun mit Kapitel 35 fertig geworden und darüber informiert, dass Walt durchaus noch Chancen bei Wina hat, weil sie den Grafen ja eigentlich gar nicht soo liebt, sondern ihm ein Kopfkissen aus dem ehelichen Bette ziehen wollte, um es ihren Eltern zuzuwerfen. Die Vernunftehe wird hier auch von der Gutmenschin Wina durchaus realistisch gesehen.

    Zitat von "sandhofer"


    Wenn Du, finsbury, mal einen Abend Jean Paul widmest, hast Du mich wieder eingeholt ...


    Kaum. Schaffst du es, dich einen ganzen Abend mit den Flegeljahren zu befassen? Ich genieße den Roman sehr, aber in therapeutischen Dosen, sonst erschlagen sich die herrlichen Stellen gegenseitig. Außerdem, wie schon gesagt: Genuss bedeutet nicht unbedingt Entspannung. Es ist für mich schon ganz schön anstrengend, diesem Meister durch den Wunderwald der deutschen Sprache zu folgen.


    HG finsbury

    Hallo Steffi und Sandhofer,


    eurer Einschätzung stimme ich durchaus zu. Dennoch finde ich, dass v.Keyserling, wenn er über die "einfachen" Menschen schreibt, den Eindruck vermittelt, als würde man im Zoo eine Herde gemütlich dasitzender Primaten zuschauen, die nicht mit unseren zivilsatorischen Problemen zu kämpfen haben oder diese locker bewältigen.


    Zitat aus "Wellen":


    Diese rauhe Stimme, die grob und vertraulich von dem Furchtbaren da draußen sprach, tat Doralice wohl.


    Zitat aus "Schwüle Tage":


    Margusch seufzte: "Ja, ja, den Herrschften geht es auch nicht immer gut. Alle haben was. Der Herr gibt nun auch sein Fräulein fort. Was kann man machen." 'Sein Fräulein', das klang in dem Munde dieses Mädchens wie eine klare, melancholische Geschichte, eine Geschichte wie die zwischen Jacob und Margusch.


    Das klingt doch so, als seien "Einfache Leute" nur zu einfachen Gefühlen fähig. Schon ein elitärer Standpunkt!


    HG
    finsbury

    Hallo,


    letzte Woche habe ich mit den "Flegeljahren" pausiert und zwei Novellen gelesen:
    von v.Keyserling: Schwüle Tage (s. entsprechenden Thread) und von Schnitzler die "Traumnovelle".
    Was ich von letzterer halten soll, weiß ich nicht so recht: Klassisch streng ist sie aufgebaut und bietet eine eheliche Nabelschau: Vielleicht liegt das Genre nicht jedem.
    Schön ist es, wie Schnitzler mit Andeutungen, Vorausdeutungen und Spiegelungen arbeitet: eine Motivbehandlung fast wie in der klassischen Musik: Frau und Mann verarbeiten ihre unterdrückten Bedürfnisse in unterschiedlichen und doch ähnlichen Situationen:
    Metaphorisch opfern sie jeweils den Ehepartner und finden erst dadurch zueinander.
    Das Ganze wird dann noch in der Brechung unterschiedlicher Nebenfiguren gezeigt.
    Kunstvoll, aber auch befremdlich ...


    HG
    finsbury

    Hallo,


    letzte Woche habe ich einen schönen Sommerabend auf dem Balkon mit der Novelle "Schwüle Tage" verbracht: eine melancholische Adoleszenzgeschichte, die einen morbiden Charme verbreitet.
    Kritisch empfinde ich, dass von Keyserling die bäuerlichen und dienstbaren Charaktere als völlig andere Menschen beschreibt als seine Adelswelt. Man erhält manchmal den Eindruck, dass er ihnen nicht nur nicht die gleiche Intellektualität, sondern auch nicht die gleiche Leidensfähigkeit und -intensität zutraut: DAs hinterlässt bei mir -trotz aller sprachlichen Schönheit und Tiefe der dargestellten Schicksale - doch einen etwas bitteren Beigeschmack.


    Werde ihn dennoch weiterlesen: Auf dem SUB liegen noch "Fürstinnen" und "Dumala".


    HG
    finsbury

    Hallo zusammen,


    die Tristan-Übersetzung Dieter Kühns habe ich mit großem Vergnügen vor zwei Jahren gelesen: Es ist im Wesentlichen wie ein Märchen und daher gut zu lesen, Gitta, vor allem durch Kühns frische Übertragung.
    Kühns Mittelalterarbeiten sind meiner Ansicht nach ein großes Geschenk an alle, die sich mit dieser Literaturepoche beschäftigen wollen: Ich habe alle seine Mittelalterbücher bis auf den Parzival, den ich ebenfalls in einer Prosaübersetzung las, mit großem Gewinn gelesen und mich dabei auch noch gut unterhalten.


    Insgesamt finde ich Tristan und Isolde von der Thematik nicht so spannend wie den Parzival oder auch das Nibelungenlied oder die Kudrun, aber das ista Geschmackssache.
    Interessant an Gottfried ist übrigens, dass kaum ein anderer mittelalterlicher Dichter so minutiös Gewänder und Wohnungseinrichtungen beschreibt, in dieser Hinsicht fast ein Proust jener Epoche.


    HG
    finsbury

    Hallo Flegelianer ( hübsche Wortschöpfung, @FA! :zwinker: ),


    nun bin ich wieder frei, mehr zu lesen: Allerdings bist du, @ sandhofer, ja weit vorausgaloppiert : Da werde ich wohl kaum hinterherkommen.
    Wie sieht's bei dir aus, Maja?
    Ich bin erst mit NR.33 fertig, in welchem Vult den zögerlichen Walt zum Rendezvous mit dem Grafen vorbereitet. Ein schräger Vogel, dieser Vult:
    Sucht er sein eigenes Eifersuchtsleid zu vergrößern oder hofft er darauf, dass Walt Klothar endlich durchschaut? Aber davon ist laut Sandhofer ja zunächst mal nicht auszugehen.
    Übrigens erinnert mich die Verkleidungsszene sehr an die berühmte Keller-Novelle "Kleider machen Leute": Da gewinnt Wenzel Strapinski sein vornehmes Äußeres auch einem polnischen Mantel ab und wird dadurch gleich für einen Grafen aus eben diesem Land gehalten.
    Auch Keller und JP haben- wie ich meine - gewisse Gemeinsamkeiten, was ihre satirischen Passagen angeht.
    In Nr.30 gibt es übrigens eine sehr treffende soziologische Betrachtung zum Einzelkämpfertum des Bürgertums, das gegenüber dem Adel kein gemeinschaftliches Klassenbewusstsein ausbildete. Sicherlich ein Grund für das lange Überdauern überkommener feudaler Strukturen.


    Friedrich-Arthur: Siehst du tatsächlich so große Übereinstimmungen zwischen JP und Nietzsche: Im philosophischen Bereich vielleicht z.T, z.B.was die "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab" angeht,
    aber literarisch finde ich keine großen Ähnlichkeiten: die Bitterkeit, die bei Nietzsche alles überlagert und seine Egomanie finden bei JP nur ganz geringe Entsprechungen.


    In der Hoffnung, nun etwas schneller voranzukommen


    HG finsbury

    Hallo zusammen,


    ein bisschen, aber nicht viel weiter bin ich gekommen und halte nun bei Vults Konzert inne: Ein besonders Schmankerl für mich als begeisterten Konzertbesucher und Klassikhörer. J.P. hatte wohl auch Herzohren für die Musik und findet hier sehr schöne, geradezu lyrische Worte für die Macht der Musik, allerdings auch sehr ironische für das Konzertpublikum: Besonders gefällt mir die Wendung von den Hörferien für die Konzertpausen, die ja auch heute gerne noch mit hohlem Geschwätz gefüllt werden und scheints für einige Konzertbesucher der einzige Anlass sind, die lästigerweise dazwischen gespielten Stücke mit einigem Anstand über sich ergehen zu lassen.


    Maja,
    in Bezug auf deine Frage für Pferdekenner habe ich auch keine Antwort, kann aber nur sagen, dass mich das Ganze an Karl May erinnert, dessen Kara Ben Nemsi in "Durch die Wüste" seinen Zossen Rih zu ungeheuren Rennleistungen antrieb, indem er ihm eine Hand zwischen die Ohren legte und ihm ein geheimes Wort zuflüsterte. Aber ob May jemals ein JP-Leser war?


    sandhofer,


    es tröstet mich, dass auch du durch die Congeries von mäusefahlen Katzenschwänzen verwirrt warst. Ich musste sehr aufmerksam lesen, um ein bisschen den Zusammenhang zwischen der optischen Projektion unserer Seheindrücke und der Frage, ob es wirklich Hexen gab, auch nur in Ansätzen folgen zu können.


    In Nr. 24 begegnet uns nun zum ersten Mal auch indirekt WINA, durch ein von ihr an Klothar gesandtes Briefchen. Nun also auch die Religion als Attribut der reinen aufrichtigen Seele und nicht nur der scheinheiligen Ausprägung Glanzens.


    Übrigens habe ich in der Jean Paul-Biografie von de Bruyn ein schönes Zitat zum "Verständnis" jeanpaulischer Texte gefunden:


    Je gründlicher man liest, je mehr man begreift, desto größer wird die Ratlosigkeit vor dieser Fülle.


    Ich behaupte nicht, viel zu begreifen und wirklich gründlich zu lesen, aber dennoch, je tiefer man einsteigt, desto mehr Fragen erwarten einen tatsächlich hinter den scheinbar gelösten Fragen.


    In diesem Sinne:
    Niemals den Mut verlieren!


    Eine schöne Arbeitswoche


    finsbury
    _________________________________________________
    - Noch anderthalb Wochen bis zu den Ferien!!! :klatschen:

    Hallo Zola,

    Zitat von "Zola"

    aber ich glaube ein 79jähriger kann gar nicht mehr in der Lage sein die heutige Zeit und vor allem ihre Jugend treffend zu beschreiben.


    Genau das kann aber Grass, den du vorschlägst, und der ist, glaube ich, auch nicht viel jünger.

    Zitat von "Zola"

    Wie wäre es mit "Im Krebsgang" als Schullektüre ? Nachdem dieses Frühjahr Kriegsende und Flüchtlingsgeschichten ausführlich in den Medien behandelt wurden wäre das Buch für die Schüler vielleicht interessant. Und eine Brücke zur aktuellen Zeit hat Grass in der Novelle ja auch gebaut.


    Viele Grüße,
    zola


    danke für den Tipp, aber ich unterrichte in der Sek 1 und da haben die Schüler noch nicht die intellektuelle Spannweite für den "Krebsgang", der mir übrigens, wie so ziemlich alles von Grass, gut gefallen hat.
    Ich habe mal "Katz und Maus" in der 10 als Referat vergeben: Das kam gut an, allerdings besonders wegen der zotigen Stellen! :zwinker:

    Zitat von "Zola"

    P.S.: habe gestern mit "Erfolg" angefangen.


    Viel Spaß dabei und wie gesagt, meld dich mal mit Leseeindrücken.


    HG
    finsbury

    Zitat von "sandhofer"

    (Der Taugenichts - als Ich-Erzähler - läuft da glatter meine literarische Kehle hinunter ... )


    Grüsse


    Sandhofer


    Hallo Sandhofer,


    der Taugenichts ist aber auch ein rechter Simpel, wenn auch in der Ich-Perspektive!
    Aber das mit dem Schütteln, das kenne ich: Merkwürdigerweise geht mir das immer so mit Kafkas Helden: Ich will sie aus diesem entsetzlichen Gieren nach Katastrophen und Verstrickungen befreien.


    Zu den Flegeljahren am Wochenende mehr, dann komm ich wieder zum Lesen!


    HG
    finsbury

    Hallöchen zusammen,


    und ich dachte schon, ich würde hoffnungslos hinterherhinken ... .


    Unter der Woche hatte ich keine Ruhe für Jean Paul, dafür habe ich gestern und heute mehrere Kapitel gelesen.


    Für @ Friedrich-Arthur wäre das sicher wieder zu schnell :winken: .


    Ich behaupte auch nicht, auch nur annähernd alles zu verstehen.


    Aber es ist köstlich.


    Im Kapitel 19, Mergelstein, lustwandelt Walt in Klothars Garten. Über weite Strecken fühle ich mich hier an Eichendorff erinnert, Taugenichts und Marmorbild: JP langt schon zur Romantik hinüber.


    Aber dann, in Nummer 20 bis 22 dient Walts Klavierstimmaufgabe wieder als Vehikel für böseste Satire - JP in Hochform! Wie er die Frauen beschreibt und die ökonomische Einstellung der sie umwerbenden Herren, da muss man manchmal wirklich nach Luft schnappen und die armen Damen bedauern ...
    Besonders Raffaela und Engelberta können einem leid tun, wobei sich die letztere recht gewitzt aus der Affaire zieht ... .


    Auch Selbstzitate kommen beim Tischgespräch an Neupeters Tisch gehäuft vor, von JPS Zettelkastenmethode, die Walt indirekt anspricht, als er sich überlegt, wie all die köstlcihen Gerichte in seinen Doppelroman wandern werden bis hin zum Hesperus, der direkt erwähnt wird.


    Ach übrigens, Klothar kommt an Neupeters Tisch ganz schlecht weg: Ein arroganter Schlinghansel, der sich zu fein ist, am Tischgespräch der Bürgerlichen teilzunehmen.


    Uns allen eine schöne Arbeitswoche und frohes Weiterlesen


    finsbury

    Zitat von "Zola"

    Heute werde ich wohl "Arnes Nachlaß" von Siegfried Lenz abschließen und da mir das Buch so gut gefallen hat danach wohl gleich mit dem nächsten Lenz weitermachen.


    Viele Grüße,
    Zola


    Hallo, Zola,


    vor zwei Jahren habe ich auch "Arnes Nachlass" gelesen. Den Gehalt fand ich auch gut, aber die Schreibweise und einige "Ausstattungsdetails" der Geschichte unglaublich altbacken, so z.B. die Aufgabe des Gymnasiums für die Schüler (soweit ich mich entsinne, einen Aufsatz zum Hafengeburtstag oder etwas ähnlich Besinnungsaufsatzmäßiges) und die Bezeichnung von Strandzweiteiler o.ä. für den Bikini des Mädels. Ich denke, dass Lenz gut daran getan hätte, sich mit einigen Details des modernen Jugendlebens auseinanderzusetzen oder die Geschichte lieber in die sechziger Jahre zurückzuverlegen.
    Ich hatte nach einer Lektüre für meine Schüler gesucht, aber ich denke, bei diesen Stilblüten hätten sie wiehernd auf dem Boden gelegen.
    Im Moment habe ich daher auch keine rechte Lust zu "Fundbüro", obwohl ich früher immer gerne Lenz gelesen habe.


    HG


    finsbury

    Hallo zusammen,


    habe im Moment einen erzwungenen Korrekturrausch, der auch noch bis
    übernächsten Sonntag anhalten wird :sauer: , aber dann beginnen langsam die Ferien und das Leben wird wieder schön :urlaub: .


    Deshalb komme ich im Moment langsam voran.
    sandhofer


    Du hast natürlich Recht: Das 18.Kapitel rückt die Schwärmerei des 17.Kapitels wieder ordentlich zurecht. Vult wir mir immer symphatischer:
    Ein scheinbarer Luftikus, der aber trotz bissiger Satire ein großes Herz hat und auch leicht zu kränken ist: eine herrlich facettenreiche Romangestalt, deren Name, wie du gut bemerkt hast, Programm ist.


    Wunderbar, wie er sich selbst analysiert und doch zu seinen Schwächen steht:


    Daß ich immer abreisete von alten Menschen zu neuen, muß ich eben tun, um nicht zu zanken, sondern noch zu lieben.


    Ich muss sagen: Früher fiel mir Jean Paul sehr schwer und deshalb konnte ich ihn nicht genießen, aber jetzt , in höherem Alter :belehr: , kann ich mich darauf einlassen und bin begeistert von seiner unglaublichen Vielschichtigkeit.


    Anstrengend zu lesen bleibt's aber dennoch.


    HG



    finsbury

    Hallo zusammen,


    auch ich bin jetzt mit dem ersten Bändchen fertig.


    sandhofer: Danke für den Hinweis mit Hoppelpoppel: Das heißt bei uns hier im Westfälischen Bauernfrühstück und im Schwäbischen "Katzagschroi", an letzterem Namen hätte JP sicher auch seine Freude gehabt und etwas daraus gestrickt.


    Danke auch für deinen Hinweis über die Rezeption: Ich neige auch zur Hinweglesetheorie, dennoch ist es mir nach wie vor nicht klar, wie ausgerechnet ein so anspruchsvoller Autor - trotz aller Sentimentalitäten - als erster Autor von seinem Erfolg leben konnte.


    Stellt euch das mal heute vor: Wer käme da infrage? Vielleicht Okopenko mit seinem "Lexikon-Roman" oder etwas früher natürlich JPs Nachfolger Arno Schmidt, von dem ich kaum glaube, dass ihm seine Leserinnnen atemlos zu Füßen sanken.


    Walts Hingabe an den schönen englischen (?) Adeligen ist Vult natürlich ein Dorn im Auge: Interessant, dass hier, obwohl die Wiederbegegnung
    zwischen den Geschwistern so schwärmerisch geschildert wird, doch ein qualitativer Unterschied zwischen Bruder- und Freundesliebe gemacht wird.


    Interessant, dass auch JP in den Standesgrenzen seiner Zeit verbleibt. Schön und aufregend ist natürlich der geheimnisvolle fremde Adelige, nicht irgendein Bauers- oder Bürgersohn. Das lässt sich ja noch bei vielen ansonsten großen Schriftstellern bis weit ins 20. Jahrhundert beobachten.


    Parallel zu den Flegeljahren lese ich die JP-Biografie von Günter de Bruyn wieder. Sehr empfehlenswert: Sie bietet zum Beispiel einige Hintergründe zum schwärmerischen Freundeskult der Zeit, die für uns Heutige teilweise homoerotische Hintergründe vermuten lässt, wo nur (?) überfließendes Sentiment gemeint war.


    Bis bald


    finsbury

    Hallo,
    na, dann versuch ich's auch einmal:


    Meine zehn liebsten "Klassiker", wie sie mir gerade einfallen. Kann gut sein, dass ich ein paar persönliche Lieblinge vergesse.


    Dostojevskij: Schuld und Sühne
    Fontane: Vor dem Sturm
    Th.Mann: Doktor Faustus
    Th.Mann:Buddenbrooks
    Scholochov: Der stille Don
    Austen: Stolz und Vorurteil
    Dickens: David Copperfield
    Hugo: Die Elenden
    Gogol: Die toten Seelen
    Homer: Ilias
    Eliot: Midddlemarch


    Huch, das sind ja schon elf. Und eine absolut nicht ausgegorene Auswahl.
    Dennoch, die gehören auf jeden Fall unter meine Top 50-Allstars!
    Man sieht, gerne auch dick und die Mischung Geschichte-Gefühl-Satire.


    HG
    finsbury

    Hallo, Flegeljahrianer,


    da bin ich wieder. war kurzfristig durch überraschende Gesundheitskomplikationen außer Gefecht gesetzt, die mich auch vom Lesen abhielten.
    Versuche jetzt - trotz nachzuholender Arbeit - weiterzulesen.
    Bisher stecke ich immer noch in I, 14: Modell eines Hebammenstuhls.


    Zitat von "sandhofer"

    Bei Jean Paul lässt diese Spannung die Figuren oft explodieren, sie spaltet sie in Zwill- und Mehrlinge. So ist meines Wissen Vult so eine im Laufe des Schreibens oder Konzipierens entstandene Abspaltung von Walt. Ursprünglich also gar nicht vorgesehen.


    Ob das wirklich ungewollt ist bei Valt und Vult? Die gesamte Romankonzeption hängt hier doch an der Doppelbesetzung und im oben genannten Kaptitel sagt Vult:


    Was kann ich nun dabei machen? Ich allein nichts, aber mit dir viel, nämlich ein Werk; ein paar Zwillinge müssen, als ihr eigenes Widerspiel, zusammen einen Einklang, ein Buch zeugen, einen trefflichen Doppelroman.


    Ich denke, dass hier Jean Paul wieder, wie fast immer in mehrfacher Brechung spricht /schreibt: Es ist der von Valt/Vult projektierte Roman und gleichzeitig auch der dem Leser vorliegende Roman gemeint.


    Was mich immer mehr brennend interessiert:
    Jean Paul wurde doch zu seiner Zeit beinahe als Bestsellerautor gehandelt:
    Was sagt das über die Bildung seines zeitgenössischen Publikums aus?
    Sein Wortschatz war so riesig und teilweise so entlegen, wie konnten das die zeitgenössischen LeserInnen so ohne Weiteres verstehen? Oder haben die darüber hinweggelesen?


    Wenn ihr Infos zur Rezeptionsgeschichte habt, die auf diesen Punkt eingehen, dann bitte Hinweise darauf!


    Weiterer Aspekt, der mir auffiel:
    Selbst in den sentimental-idyllischen Teilen überrascht J.P. mit seiner hinterlistigen Sprachkunst, die fast immer ironisch gebrochen ist.
    Ebenfalls Beispiel aus I,14:


    Die nahen Birken dufteten zu den Brüdern hinab, die Heuberge unten dufteten hinauf. Mancher Stern half sich heraus in die Dämmerung und wurde eine Flugmaschine der Seele.


    Nun noch eine Anmerkung zu den von euch diskutierten Streckversen. Ich habe das ganz wörtlich genommen, da die "Verse" Valts ja sehr lang sind und eher einer "poésie en prose" gleichen. Widerspricht das den gelehrten Meinungen?



    Schönes weiteres Wochenende


    HG
    finsbury

    Hallo, ihr beiden,


    habe das Buch gerade nicht zur Hand und leider im Moment kaum Zeit.


    Ich weiß nicht genau, welches Kapitel es ist, aber ich bin jetzt gerade mit dem tränenreichen Zusammentreffen der beiden Brüder fertig geworden.


    Es ist einfach unglaublich, wie Jean Paul die verschiedenen Stilebenen ständig durchmischt. Sentimentalste Elemente, die meinem heutigen Empfinden nach schon gut als Kitsch durchgehen können (Goldines Reaktion auf Gottwalts Lyrik, die oben erwähnte Offenbarung Vults gegenüber seinem Bruder) wechseln mit sehr ironischen Passagen voller ausufernder Phantasie (Gottwalds Ritt zur Stadt, die Kugel im Ohr des Pferds).
    Wenn wir Vergleiche innerhalb der deutschen Literatur heranziehen wollen
    (sowas mag ich auch, Maja :zwinker: ), so fällt mir vor allem Raabe ein:
    eine ähnliche Mischung von Sentimentalität und Ironie, z.B. in den 'Akten des Vogelsangs' oder 'Stopfkuchen', aber weniger phantasievoll als Jean Paul, dafür einfacher zu lesen.
    Die Idee mit der beschleunigenden Kugel erinnert mich an Bürgers Münch-hausen: Eine Tradition skurriler Literatur haben wir in Deutschland durch-aus, nur nicht so elegant und weltmännisch wie die Engländer mit ihren Sterne und Swift ( sandhofer: Für dich die gleichen Autoren beim Tristram Shandy?).
    Bei uns ist alles gerne ein bisschen mit Gemütlichkeit, Provinzialität und Tränenseligkeit durchmischt, aber das hat ja auch viel mit unserer Kleinstaaterei der Vergangenheit zu tun und ist allemal sympathischer als die Großmannssucht in den beiden Weltkriegen.


    Kann mich momentan aus Jobgründen nicht so oft melden.
    Einen schönen Start in die Arbeitswoche wünscht

    finsbury