Hallo, Friedrich-Arthur, Sandhofer und hoffentlich noch Maja,
nun musste ich erstmal noch "Die Rede des toten Christus..." und etwas Nietzsche überfliegen, damit ich auch nicht allzu hohles Gewäsch schreibe :zwinker: .
Zitat von "sandhofer"
Schon interessant, wie unterschiedlich Rezeptionen sein können. Gerade im Philosophischen sehe ich wenig Übereinstimmendes zwischen Jean Paul und Nietzsche (Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei beginnt praktisch mit der Fussnote Wenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben wäre, dass in ihm alle Gefühle, die das Dasein Gottes bejahen, zerstöret wären; so würd ich mich mit diesem meinem Aufsatz erschüttern und - er würde mich heilen und mir meine Gefühle wiedergeben. Und das war wohl durchaus Jean Pauls Ernst.)
Meiner Meinung nach zwingt sich Jean Paul gegen besseres Wissen zum Glauben, wenn er in dem oben genannten Text Christus sagen lässt:
""Ach, ihr überglücklichen Erdenbewohner, ihr glaubet Ihn noch.[...] Sterblicher neben mir, wenn du noch lebst, so bete Ihn an: Sonst hast du ihn auf ewig verloren.""
Und später, als der Ich-Erzähler aus seinem Traum erwacht:
"Meine Seele weinte vor Freude, daß sie wieder Gott anbeten konnte [...]
und zwischen Himmel und Erde streckte eine frohe, vergängliche Welt ihre kurzen Flügel aus und und lebte, wie ich vor dem unendlichen Vater [..].
Es ist zumindest durchaus nicht unmöglich, daraus zu entnehmen, dass JP sich vor dem erkannten Nichts fürchtend, den Glauben bewusst als Schutzmauer einsetzt.
Und in dieser Erkenntnis des Nichts liegt die Parallelität zu Nietzsche, seiner These vom Tod Gottes.
Zitat von "sandhofer"
Bitterkeit und Egomanie bei Nietzsche? Letzteres vielleicht in seinen spätesten Texten. Bitterkeit? Nietzsche wie Jean Paul waren dem menschlichen Wesen gegenüber sehr kritisch eingestellt - Misanthropen halt. Ist Misanthropie = Bitterkeit? Ich weiss es nicht ...
Ob nun Misanthropie = Bitterkeit ist oder nicht, beides kann man meiner Ansicht auf keinen Fall auf JP anwenden, dagegen auf Nietzsche - gut, nur in bestimmten Phasen seines Lebens und sicherlich autobiografisch und krankheitlich bedingt - sehr wohl!
Beispiel aus "Ecce homo":
Das, was die Menschheit bisher ernsthaft erwogen hat, sind nicht einmal Realitäten, bloße Einbildungen, strenger geredet, Lügenaus den schlechten Instinkten kranker, im tiefsten Sinne schädlicher Naturen heraus - alle die Begriffe 'Gott', 'Seele', 'Tugend', 'Sünde', 'Jenseits', 'Wahrheit', 'ewiges Leben'[...]
Über die Egomanie will ich jetzt nicht schreiben: Sie liegt gerade in den autobiografischen Schriften auf der Hand und ist ja auch in vieler Hinsicht verständlich.
Zitat von "Friedrich-Arthur"
Jean Paul finde ich eigentlich sehr menschlich eingestellt und seine Werke zeugen mir von Menschenliebe und Freude am kleinen Deteil all dessen, was menschlich ist und zum Menschsein gehört. Besonders auch in den Flegeljahren. Was denkt ihr? Liege ich so danaben mit meiner Einschätzung?
Keineswegs. Ich denke genauso. JP gießt zwar auch seinen Spott über seinen Romanfiguren aus, zeigt aber auch große Liebe zu ihnen, auch gegenüber den karikierten. Man kann das natürlich als reinen Spott ansehen, aber ich empfinde zum Beispiel die unglaublich witzige Stelle in Kapitel 33 über die Unmöglichkeit der Kommunikation zwischen "Studierstubeninsassen" und "Welt- und Geschäftsmännern" als von freundlich-resignativer Menschenkenntnis und -liebe erfüllt, besonders die Schlussfolgerung:
Rechte gewöhnliche und doch befriedigende Unterhaltung ist allgemein unter den Menschen die, daß einer das sagt, was der andere schon weiß, worauf dieser aber etwas versetzt, was jener auch weiß, so daß jeder sich zweimal hört, gleichsam ein geistiger Doppelgänger.
Ich fühle mich da voll erkannt, aber auf liebevolle, nicht gemeine Weise hoppgenommen.
Bin nun mit Kapitel 35 fertig geworden und darüber informiert, dass Walt durchaus noch Chancen bei Wina hat, weil sie den Grafen ja eigentlich gar nicht soo liebt, sondern ihm ein Kopfkissen aus dem ehelichen Bette ziehen wollte, um es ihren Eltern zuzuwerfen. Die Vernunftehe wird hier auch von der Gutmenschin Wina durchaus realistisch gesehen.
Zitat von "sandhofer"
Wenn Du, finsbury, mal einen Abend Jean Paul widmest, hast Du mich wieder eingeholt ...
Kaum. Schaffst du es, dich einen ganzen Abend mit den Flegeljahren zu befassen? Ich genieße den Roman sehr, aber in therapeutischen Dosen, sonst erschlagen sich die herrlichen Stellen gegenseitig. Außerdem, wie schon gesagt: Genuss bedeutet nicht unbedingt Entspannung. Es ist für mich schon ganz schön anstrengend, diesem Meister durch den Wunderwald der deutschen Sprache zu folgen.
HG finsbury