Beiträge von finsbury

    Hallo Manjula,


    nun habe ich frei und also komme ich weiter beim Lesen.


    Ich bin nun mit dem 18. Buch fertig und das Ende ist abzusehen.


    Nachtrag: Das 14. Buch hat noch einmal Einiges zu den Sturm und Drang -Autoren gebracht: Interessant, wie unterschiedlich Goethe seine Dichterkollegen wahrnahm: Klinger kommt am besten weg: Der hatte ja später auch eine hochgeachtete Position am Zarenhof. Lenz' Genie nimmt Goethe sehr genau wahr und sieht den Zusammenhang mit seinem späteren "Wahn"sinn. Am wenigsten mag er wohl Wagner, der ihm seiner Meinung nach zuerst die Kindermörderin aus dem Gretchen- Stoff geklaut hat und ihn später durch eine anonyme Schrift, die Goethe zugelastet wird, bei seinen Bekannten in Misskredit bringt.


    Im 15.Buch kommt es zur ersten Begegnung mit dem Erbprinzen von Sachsen-Weimar und die Sympathie ist gleich groß! Und das, nachdem er gerade den Prometheus geschaffen hatte und diesen alten Titanen sich gegen die neuen Götter auflehnen ließ. In diesem Zusammenhang sagt er aber:

    Zitat von "Goethe"

    Der titanisch-himmelstürmende Sinn jedoch verlieh meiner Dichtungsart keinen Stoff. Eher ziemte sich mir, darzustellen jenes friedliche, plastische, allenfalls duldende Widerstreben, das die Obergewalt anerkannt, aber sich ihr gleichsetzen möchte.


    Nun, das passt zu ihm. Er scheint genügend Selbstbewusstsein besessen zu haben, sich aufgrund seiner Geistestärke jederzeit mit den Großen der Welt ebenbürtig zu fühlen, so dass er niemals Anlass sah zu sozialer Revolte. Dabei half ihm natürlich auch sein gutsituierter Hintergrund und das Aufwachsen in der freien Reichsstadt Frankfurt.
    Das war bei Schiller schon ganz anders, dessen Vater unmittelbar abhängig war vom Landesfürsten, dessen Willkür Schiller auch schon früh persönlich zu fühlen bekam.


    Im 16. Buch nun Lili Schönemann, nach etlichen Tändeleien wieder eine echte Versuchung zur ehelichen Etablierung. Aber auch hier kommt erst von außen der Anstoß, eine Bindung einzugehen, und sofort macht er sich mit den befreundeten Grafen Stolberg auf zu einer Reise in die Schweiz.


    Jetzt sind wir aber schon im 17. Buch, in dem der immerhin 26jährige "Jüngling" nun einige Aktionen der wohl immer noch ein wenig halbstarken Stolberg-Brüder als albern zu empfinden beginnt. Nächtliches Nacktbaden im Mondschein, ach nein, das scheint ihm doch nicht mehr das Wahre.
    So begibt er sich auch immer auf Extratouren, z.B. nach Emmendingen zu seiner unglücklichen Schwester. Neben der von ihm selbst erwähnten fehlenden Sinnlichkeit, die ihr in der Ehe zu schaffen macht (aber wer weiß, aus welchen Gründen das so erschien?), sind es wohl auch vor allem die fehlenden geistigen Freuden, die sie herzlich vermisst. Das kann ich gut nachvollziehen, denn in der großen Stadt Frankfurt mit ihrem relativ ansehnlichem kulturellem Angebot, nach der teilweise repressiven, aber dennoch umfassenden Bidlung, die der Vater leitete und dem großen und vielseitig interessierten Freundeskreis der Geschwister, dem Zusammensein mit dem Bruder selbst, muss ihr Emmendingen wie die Wüste erschienen sein. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie dort verkümmerte.
    Wir brauchen ja nur zu sehen, wie sehr allein hier im Forum alle den Austausch genießen: Da kann man sich vorstellen, wie vereinsamt gerade die damals ans Haus gebundene geistig interessierte Frau in einem Provinzkaff war!


    Das 18. Buch bringt nun die Wiederbegegnung mit Lavater (diese Anziehung verstehe ich immer noch nicht), den Besuch bei dem greisen Schweizer Literaturpapst Bodmer, mit dem man aber wohl nur über die Aussicht aus dessen hoch über Zürich gelegenem Haus plaudert und den Aufbruch in die Berge zusammen mit Freund Passavant, denn von den Stolberg-Brüdern scheint sich Goethe immer mehr zu absentieren. Anlässlich der Fahrt über den Zürichsee wird das herrliche Gedicht "Und frische Nahrung, neues Blut" im Selbstzitat eingeschoben:



    An diesem Gedicht bewundere ich besonders den Metrum- Wechsel vom Jambus im ersten zum Trochäus in der 2. Strophe, der die Wortbedeutung genau nachzeichnet: Aug, mein Aug, was sinkst du nieder ... Das ist Musik in der Literatur!


    Falls wir vorher nicht mehr voneinander lesen, wünsche ich dir (und den anderen Forenmitgliedern) ein schönes, ruhiges Fest.


    HG
    finsbury

    Hallo Manjula,


    entschuldige, dass ich mich solange nicht gemeldet habe: Der Job hatte mich fest im Griff. Aber jetzt geht es weiter: Das dreizehnte Buch habe ich durch und befinde mich mit Goethe, Lavater und Basedow auf der Reise.
    Zum dreizehnten Buch hast du ja schon einige Anmerkungen gemacht: Auch ich fand es ein wenig bemüht, wie er die Werther-Hysterie mit ihren elenden Folgen dem allgemeinen Klima anlastete, obwohl er das gar nicht nötig gehabt hätte: Wahrscheinlich hat es davor genauso viel Selbstmorde junger Männer gegeben, nur eben nicht im Werther-Kostüm mit weiteren literarischen Anspielungen garniert.
    Das vierzehnte Buch ist wegen des oben erwähnten Lavater sehr interessant, wobei ich nicht ganz nachvollziehen kann, warum ein so intellligenter Mann wie Goethe, der ja am eigenen Leib die Fehlerhaftigkeit von Lavaters Charakterisierungen erlebt hat, dennoch die Physiognomie so interessant finden kann. Obwohl, in unserer Zeit lesen auch durchaus intelligente Leute mit großer Intensität ihr Horoskop.
    Was ich allerdings ziemlich daneben finde, ist die Stelle, in der Goethe die Hässlichen kritisiert, die Lavaters Kritik nicht auf sich sitzen lassen wollten:

    Zitat von "Goethe"

    Was ihm dagegen die größte Pein verursachte, war die Gegenwart solcher Personen, deren äußere Hässlichkeit sie zu entschiedenen Feinden jener Lehre von der Bedeutsamkeit der Gestalten unwiderruflich stempeln musste. Sie wendeten gewöhnlich einen hinreichenden Menschenverstand, ja, sonstige Gaben und Talente, leidenschaftlich misswollend und kleinlich zweifelnd, an, um eine Lehre zu entkräften, die für ihre Persönlichkeit beleidigend schien; denn es fand sich nicht leicht jemand so groß denkend wie Sokrates, der gerade seine faunische Hülle zugunsten einer erworbenen Sittlichkeit gedeutet hätte. Die Härte, die Verstockung solcher Gegner war ihm (d.i Lavater)fürchterlich, sein Gegenstreben nicht ohne Leidenschaft, so wie das Schmelzfeuer die widerstrebenden Erze als lästig und feindselig anfauchen muss.


    Himmel, da blutet einem ja das Herz für Lavater, dass diese dreisten Menschen, die andere schon durch ihr Aussehen belästigen, nicht einfach freundlich hinnehmen, nun auch noch einen schlechten Charakter zu haben. :hm:
    Das fand ich schon ganz schön heftig, denn bisher hat mir an der Autobiografie besonders die -echte oder zur Schau getragene :rollen: - Toleranz gefallen.
    So, nun bin ich für zwei Tage weg, hoffe dann aber wieder mehr ans Lesen zu kommen.


    Eine schöne zweite Wochenhälfte!


    HG
    finsbury

    Hallo,


    bleiben wir in Ägypten: das Alexandria-Quartett von Lawrence Durrell: im Nachhinein eine sehr intensive Leseerfahrung.


    Aus Südamerika ein Argentinier: Ernesto Sabato: Abaddon, letzter Teil einer unabhängig voneinander verständlichen Romantrilogie, eine Art Romanchronik von Buenos Aires mit vielen surrealistischen Elementen.


    Und aus Russland kein Roman, aber dennoch längere Erzählprosa: Gogols Petersburger Novellen.


    Ein weiterer interessanter Roman aus einer orientalischen Stadt: Sami Michael: Viktoria - spielt vor dem ersten Weltkrieg in dem jüdischen Viertel von Bagdad.


    HG finsbury

    Hallo sandhofer,


    von Hauff kenne ich nur die Klassiker, Kalif Storch, den kleinen Muck, den Hirschgulden usw., die in jedem Kindermärchenbuch stehen.
    Aber auch wenn Hauffs Märchen besonders sein sollen, das Genre behagt mir nicht. Außerdem lese ich generell nicht gerne kurze Prosa.
    Euch viel Spaß, den Lichtenstein lese ich dann allein, in die alte Leserunde kann ich ja dann schauen.


    HG
    finsbury

    Hallo Manjula,



    nun habe ich das 12. Buch beendet: Es geht eben nur langsam voran, was aber nicht am Buch, sondern am Job liegt. Außerdem läuft jetzt wieder parallel eine andere Leserunde auf Literaturschock, aber es geht dennoch immer weiter.


    Über den Thiry d'Holbach habe ich nur überfliegend gegoogelt: Er war wohl ein so massiver Materialist, dass er schon den Biologismus des 20. Jahrhunderts vorwegnahm und dem Menschen die Seele absprach. Das muss natürlich unserem Goethe sehr missfallen haben, aber anscheinend war er ja doch soweit von diesem Denker fasziniert, dass er sich das Werk - wie du schriebst - in höheren Jahren nochmal vornahm. Vielleicht floss es auch daher in DuW ein.


    Nun also das 12. Buch.
    Interessant fand ich zunächst die Exkurse zur Rechtsgeschichte: Da ich mit der edlen Juristerei nichts am Hut habe, ist das für mich terra incognita. Dieses Gebirge liegen gebliebener Rechtsangelegenheiten aufgrund von fehlendem Personal, Bürokratismus, Einflussnahme und mangelnder Aufsicht erinnert doch sehr an heutige Zustände: Das hat wohl Tradition.


    Das mit den Visitationen ist mir nicht so ganz klar geworden: Heißt das, während Goethes Aufenthalt in Wetzlar wurden die Abläufe gehemmt, weil sozusagen die Aufsicht alles durchsah? :rollen:


    Und dann schon wieder eine dieser mir sinnlos erscheinenden Verstellungskomödien: Um den missliebigen Literaten Chirstian Heinrich Schmid zu düpieren, lässt sich Goethe unter falschem Namen in einer Herrenrunde nieder und verbreitet Gleichnisse, die das Epigonale und Schmarotzerische des Kritikers herausstellen. Warum musste er sich dazu verstellen? War er damals denn schon so bekannt, dass man andernfalls seine Auslassungen in anderer Form zur Kenntnis genommen hätte?


    Und wieder eine Frauengeschichte, diesmal die Vorlage zum Werther: Goethe liebt - so scheint's - in seinen jungen Jahren den natürlich-häuslichen Frauentyp, der ganz in Familie und Freundeskreis aufgeht. Das wird später wohl anders, denn Frau von Stein passt ja nicht so ganz in dieses Schema.


    Eine sehr schöne Stelle fand ich zu Beginn des Buches, als es um den inneren Kern des Kunstwerks geht:


    Zitat von "Goethe"

    Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns besonders zusagt, zu erforschen, sei daher eines jeden Sache, und dabei vor allen Dingen zu erwägen, wie sie sich zu unserem eigenen Inneren verhalte, und inwiefern durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und befruchtet werde [...]


    So soll's wohl sein!
    Einen schönen Sonntag noch


    HG
    finsbury

    Hallo xenophanes,

    Zitat von xenophanes"

    Also zwischen dem 1.1. und dem 5.1. ließe sich die Trilogie doch bequem lesen :breitgrins:


    soll ich auf :breitgrins: oder auf das Zeitfenster reagieren?


    Es ist wirklich schade, aber wenn ich die Trilogie lese, möchte ich auch nebenher in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges schmökern.
    Erzähl dann lieber mal über den Theaterbesuch, vielleicht motiviert uns das im Nachhinein!


    HG
    finsbury

    Hallo Leibgeber,



    Ja, der ist das schon.
    Ich hatte den gegooglet gekriegt bei irgendeiner Raabe-Recherche.
    Ist aber auch in Internet-Zeiten sehr viel einfacher geworden ...


    danke für die ausführliche Antwort.
    Das ist ja wirklich ein Ding! Ob Oppermann wohl gemeint hat, seine nazistische Vergangenheit verstecken zu können, wenn er sich dem soweit politisch unverdächtigen Raabe zuwendete :rollen:?!


    HG
    finsbury

    Hallo zusammen,


    Ich besitze diese Rowohlt-Monographie auch (noch aus der Phase, wo ich die Dinger quasi sammelte). Ich habe weiter keine schlechten Erinnerungen daran - eine typische Rowohlt-Monographie jener Zeit halt. Wenn ich mich recht erinnere, stellt Oppermann Raabes Leben und Werk unter das Gegensatzpaar Künstler <-> Philister. Ich habe bedeutend schlechtere Monographien gelesen ...


    ich kann sandhofers Eindruck bestätigen. Ich las die oben angeführte Biografie 1988 und erinnere mich zwar nicht intensivst, aber positiv.


    HG
    finsbury


    Leibgeber: Bist du denn sicher, dass dieser Altphilologe Hans Oppermann gleich dem Raabe-Biographen ist? Ich habe den von dir verlinkten Artikel nur überflogen, aber keinen Hinweis auf Raabe gefunden. Auch kann ich mir kaum vorstellen, dass sich so ein Altnazi ausgerechnet mit Raabe beschäftigt hat. Aber vielleicht habe ich etwas überlesen. In der Raabe-Biografie - jedenfalls in meiner Auflage - sind leider auch keinerlei biografische Angaben zum Autor, nur im Literaturverzeichnis taucht er mehrfach auf.

    Hallo xenophanes,


    schade, ich hätte gerne mitgelesen, aber bis Ende des Jahres bin ich leider ausgebucht.
    Vielleicht findet sich jemand anderes.
    Viel Spaß bei der Lektüre und der Aufführung an prominentem Ort.


    HG
    finsbury

    Hallo Manjula,


    bezüglich des elften Buches habe ich noch eine Nachfrage an dich, da du ja eine kommentierte Ausgabe liest. Goethe erwähnt da im Zuge seines Abkanzelns der französischen aufklärerischen Literatur ein "Système de la nature" das ein Greis am Rande der Gruft verfasst habe, um die Existenz Gottes zu negieren. Er wird damit kaum Karl von Linné gemeint haben, der ja das schwedische System der Natur verfasst hat, das Ordnungssystem für Vegetation und Fauna, das uns heute noch leitet. Könntest du bitte mal nachschauen, welche Aufklärung dein Kommentar dazu bietet?


    Vielen Dank und ein schönes Restwochenende!


    HG
    finsbury

    Hallo Manjula und alle,



    nun habe ich endlich weiterlesen und das 11. Buch abschließen können.
    Auch hier gab es wieder viel Interessantes. Goethe verbreitet sich ausführlich über die in seinen Augen stocksteife Literatur der Franzosen in der Nachfolge Racines, Corneilles und Molières und lässt sogar Voltaire und Rousseau nicht besonders gut wegkommen. Dagegen wird Shakespeare hochgelobt und mit dem Verweis auf dessen Rezeption unter den jungen Leuten in Straßburg und auf die Begegnung mit Jakob Michael Reinhold Lenz sind wir jetzt mitten im Sturm und Drang.
    Ich finde das wirklich faszinierend. Zwar hat Goethe das alles aus seiner Alterssicht zusammengestellt, doch ich komme mir mitunter vor wie auf einer Zeitreise durch die Literaturgeschichte.
    Auch muss ich hier mal Goethes Stil loben. Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen - wie auch z.B. Schiller -, die häufig ein wenig angestaubt wirken, liest sich Goethes Autobiografie für mich über lange Strecken wie frisch aus dem Buchladen, sehr modern und schlicht im Ausdruck,
    wenn er nicht gerade mit seiner Friederike in arkadischen Gefielden neckische Verwechslungsspielchen treibt :zwinker:.
    Aber nun - Ende des elften Buches - hat es sich ausgefriederiket - Goethe zeigt zwar Ansätze eines schlechten Gewissens, lässt sie aber dennoch sitzen und begibt sich über Mannheim zurück nach Hause, nachdem er mit relativem Unwillen sein juristisches Examen abgelegt hat.
    Was die Verwechslungskomödie und Bezüge zum Pfarrer von Wakefield im neunten Buch angeht, Manjula, so liegt meine Lektüre dieses Werks leider in zu grauer Vorzeit, als dass ich mich an eine solche Szene erinnern könnte. Vielleicht wissen hier unsere Kollegen von der Nachbarleserunde besser Bescheid.


    Ein schönes Wochenende!
    HG
    finsbury

    Hallo Manjula,


    entschuldige, dass ich so lange nichts mehr von mir hören ließ. Auch jetzt kann ich nichts Neues berichten, da ich in beiden Leserundenbüchern überhaupt nicht weitergekommen bin.
    Ich finde auch wie du, dass das neunte Buch, das heißt eigentlich eher die Schilderung der elsässischen Landschaft etwas Arkadisches hat. Das verstärkt sich noch im zehnten Buch mit der Beziehung zu Friederike Brion.
    Wahrscheinlich komme ich erst Ende nächster Woche zum Weiterlesen.
    Dir noch ein schönes Restwochenende.
    HG
    finsbury

    Hallo Sandhofer,


    Zitat von "sandhofer"

    Ich jedenfalls finde bisher allenfalls eine vorbildhafte Person - und das ist ganz gewiss nicht der Pfarrer .


    da bist du nicht allein!
    Allerdings liegt bei mir die Lektüre so weit zurück, dass ich mir kein abschließendes Urteil erlauben kann. Vielleicht würde ich heute die Doppelbödigkeit auch mehr erkennen und genießen als damals.


    HG
    finsbury

    Hallo Manjula und alle,


    nun habe ich das 10. Buch abgeschlossen und halte ein wenig inne.
    Es ist dies ein zentrales Buch, weil hier Goethes Bekanntschaft mit Herder und dessen Einfluss auf ihn geschildert wird.
    Goethe erkennt Herders hohen Rang an und auch seine große Bedeutung für seinen Werdegang, aber sympathisch stellt er ihn nicht da. Nach seiner Schilderung erscheint mir Herder als ein sehr egozentrischer, geistig unduldsamer und düsterer Charakter, der wenig Wert auf gesellschaftliche Konventionen und eine freundliche Behandlung seiner Mitmenschen legt.
    Gegenüber dieser Schilderung seiner menschlichen Schwächen bleibt die Darstellung seines literarischen Einflusses ein wenig nebulös: Herder bringt Goethe von allen Dingen aus zweiter Hand ab, selbst seine geliebten ovidischen Metamorphosen müssen daran glauben und führt ihn zurück zur Volksliteratur, z.B. den skandinavischen Götter- und Heldenepen:
    Nebenbei, das wird in D_u_W nicht thematisiert, aber wir wissen es alle aus der Literaturgeschichte, sitzt auch der gestrenge Herder mit seinen Jüngern einem frechen Fälscher auf, dem Ossian, einem zeitgenössischen Literaten, der Heldengesänge u.Ä. im Stil altenglischer Fragmente veröffentlicht.
    Im zehnten Buch beginnt auch die Beziehung zu Friederike Brion, der Pfarrerstochter in Sesenheim, was zu interessanten Berührungen mit einer der anderen aktuellen Leserunden führt, dem "Vikar von Wakefield" von Oliver Goldsmith.
    Goethe hat diesen Roman wohl sehr verehrt und seine Figuren, besonders den Pfarrer, als vorbildhaft gepriesen.* Mit dieser Leseerfahrung im Hintergrund trifft er nun auf die Pfarrersfamilie in Sesenheim und sieht sofort zahlreiche Ähnlichkeiten, was soweit geht, dass er für einige Personen, die älteste Tochter und den jüngsten Sohn, Namen aus dem Roman entnimmt.
    Bis zum Ende des zehnten Buches scheint sich eine Idylle anzubahnen, wobei eine - wie ich finde - höchst alberne Verkleidungskomödie eine Rolle spielt, die sich aber der alte Goethe behaglich in epischer Breite in Erinnerung ruft.
    Nun, gut ausgehen wird es nicht, jedenfalls für Friederike, das wissen wir ja. Obwohl ein Leben an Goethes Seite gewiss auch nicht das große Los gewesen ist, wie seine Frau sicherlich insgeheim bestätigt hätte.
    Ein schönes Wochenende


    HG
    finsbury


    * Ich habe ihn vor zwanzig Jahren gelesen und mich hat er damals, ehrlich gesagt, ziemlich kalt gelassen, einer der wenigen englischen Autoren, die ich kenne und die mir nichts sagen.