Beiträge von finsbury

    Hallo Freund Hermann,


    die Schwarzweißzeichnung der Gesellschaftsschichten hat sicherlich viel mit der Empörung des alten Tolstoj über die gesellschaftlichen Verhältnisse im spätzaristischen Russland zu tun, und die müssen auch laut historischen Quellen wirklich übel gewesen sein.


    Seine Ideologie, dass alle Menschen eigentlich gut seien und man ihnen nur nahelegen sollte, nach den Geboten der Bergpredigt zu leben, ist eine gutgemeinte, aber leider ziemlich weltfremde Utopie. Auf den letzten Seiten aber macht Tolstoj durchaus deutlich, dass diese Grundauffassung des Menschen für alle Stände gilt. Er arbeitet auch vorher schon immer wieder heraus, dass auch die Angehörigen der höheren Stände über gute Anlagen verfügen, aber durch eben diese Standeszugehörigkeit korrumpiert werden.


    Letzten Endes ist das eine Aussage, die auch noch für heute gilt, denn auch wir Bewohner der Wohlstandsländer mache über weite Strecken die Augen zu gegenüber dem Elend in den Entwicklungsländern und genießen den Lebensstandard, der letztendlich zu einem großen Teil auch auf der Ausbeutung der Rohstoffe und Arbeitskräfte in diesen benachteiligten Ländern beruht.


    Dennoch finde ich - wie bereits unten angedeutet - das Ende des Romans misslungen: Dieses Alleinlassen Nechljudows mit den Erkenntnissen aus der Bergpredigt und dem Abreißen aller Handlungsfäden wirkt nicht gewollt, sondern hilflos, so als hätte die narrative Kraft den alten Autoren zugunsten dieser Räsonniererei verlassen.


    Das aber lässt mich nicht die weiten guten Strecken des Romans vergessen.


    finsbury

    Mit dem Tolstoj (Auferstehung) bin ich fertig und lese nun etwas Zeitgenössisches:


    Sasa Stanisic (auf die südslawischen Sonderzeichen muss ich leider verzichten): Wie der Soldat das Grammofon repariert


    Ein junger bosnischer Autor, der aus Kriegsgründen mit seiner Familie nach Deutschland emigrierte und auf Deutsch schreibt, und das furios!
    Die ersten Seiten, die ich bisher nur gelesen habe, sind ganz wunderbar: sprachlich originell und lustig, aber so, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Der Autor arbeitet mit Kontrasten, Chiasmen, Parataxen, die absichtlich unverbunden sind usw. Das klingt anstrengend, ist es aber nicht, weil sich jede Sprachfigur unmittelbar in den Dienst der Aussage stellt. Ihr seht: Bisher hat`s mich wirklich begeistert, aber das geht mir oft so mit einem neu angefangenen Buch. Ich hoffe, dass die Ernüchterung ausbleibt.


    finsbury

    ich muss sagen, dass ich das Buch vor Jahren einmal gelesen habe und es mich, insbesondere der fehlenden dramaturgischen Wendungen wegen, letztendlich einigermaßen enttäuschte.


    Da hast du Recht. Um der Handlung willen sollte man den Roman nicht lesen. Aber - wie unten mehrfach geschrieben, die Schilderungen der Nebenpersonen - gleich welcher Gesellschaftsschicht - sind das Besondere, und das macht mir gerade wieder viel Spaß, wie Tolstoj jetzt z.B. am Ende des Romans die unterschiedlichen Revolutionärstypen beschreibt: Das erinnert mich in manchem an meine wildbewegten Studienzeiten in den Achtzigern mit den unterschiedlichen Typen politisch Engagierter ... :zwinker:


    finsbury

    Hallo picco,


    mit dem Predigen fängt Tolstoi auch erst am Ende so richtig an. Ich bin auf den letzten 50 Seiten und habe mal auf die letzten Seiten gelugt, da kommen seitenweise Bibelzitate!
    Den zweiten Teil finde ich etwas spröder zu lesen, allerdings, seitdem die Zwangsarbeiter auf dem Weg nach Sibirien sind, wird es wieder spannender. Du hast Recht, auch mich sprechen weder Nechljudow noch Katja Maslowa als Identifikationsfigur an, aber die Schilderung der Nebenfiguren ist einfach meisterhaft, ganz großes Kopfkino und auf jeden Fall den beiden anderen großen Romanen ebenbürtig.
    Und dies Schilderung der sozialen Verhältnisse lässt einen schon verstehen, wie es zur großen Revolution kommen konnte. Umso schlimmer, dass einige der geschilderten Justizumstände auch noch heute in den demokratischen Ländern vorkommen. Wie kann es sonst sein, dass man bei millionenhoher Steuerhinterziehung mit Geldstrafe und Bewährungsstrafe davonkommt, während viele Delikte der sogenannten kleinen Leute viel härter bestraft werden.


    finsbury

    Hello picco,


    dein Problem treibt hier wohl viele von uns um.


    Interessanterweise findet man immer viele Freunde und Bekannte, mit denen man über Gegenwartsliteratur reden kann, aber wenn man aus der Uni raus ist und sich im normalen Berusfsleben befindet, kaum mehr solche, die wirklich mehr oder weniger systematisch Klassiker lesen.
    Aber eben dafür gibt es ja solche Foren wie dieses. Wenn dir dennoch der elektronische Austausch nicht reicht: Wir haben hier auch sicher Nordlichter. Schau doch einfach mal in den Profilen nach, ob jemand in deiner Nähe wohnt.


    finsbury

    "Wie wenig ahnt doch der Amateur, der behaglich zu Hause sitzt, von den Mühen und Gefahren des Autors, und wie wenig weiß er, wenn er mit einem Lächeln seinen Blick über die Seiten eines Werkes der Romanliteratur schweifen lässt, von den Stunden der Plackerei, dem Studium der maßgeblichen Quellen, der Nachforschung in der Bodleyan Library, der Korrespondenz mit unleserlichen deutschen Gelehrten - kurz vom riesigen Gerüst, das zuerst aufgestellt und dann wieder abgerissen wurde, um ihm im Zug eine Stunde lang die Zeit zu vertreiben."


    Der Anfang von "Die falsche Kiste" - mein humoristischer Lieblingsklassiker von R.L. Stevenson und sienem Schwiegersohn LLoyd Osburne, aus dem auch mein Nick stammt.


    finsbury

    Hallo Lost,


    nochmal zurück zu deiner Frage nach einem Bibellexikon. Ich benutze schon seit Jahrzehnten das "Kleine
    Bibellexikon", herausgegeben von einem ökumenischen Arbeitskreis und veröffentlicht in der Konstanzer ChristlichenVerlagsanstalt. Meine Ausgabe stammt von 1980.
    Als begleitendes Nachschlagewerk reicht es mir meist bei meiner sporadischen Bibellektüre und bisher habe ich mich - kein Mitglied der Kirche - nicht indoktriniert gefühlt: Das Werk bleibt immer ganz sachlich.


    finsbury


    Hallo zusammen,


    ich lese gerade "Flush" von Virginia Woolf. Eine feine kleine Geschichte, originell.


    Hallo Maria,


    ja, dieses Büchlein las ich auch, allerdings ist das ewig her. Es ging doch um den Hund Elizabeth Barretts?! Ich weiß noch, dass ich die Geschichte auch schön fand, und ganz anders als "Mrs. Dalloway". Aber mehr kenne ich auch bisher nicht von Virginia Woolf.


    finsbury

    Hallo Juvavist,


    das musst du nicht. Wenn sandhofer :winken: liest, dass sich genügend Leute auch ohne den Leserundenstarter versammelt haben, richtet er die Leserunde sicher auch ohne den Themenstarter ein.


    finsbury

    Hallo,


    habe nun diesen Ordner ausgegraben, um über Tolstois letzten Roman "Auferstehung" zu schreiben. Da insgesamt nicht so sehr viel zu Tolstoi geschrieben wird, muss man vielleicht nicht zu jedem Werk einen Extra-Ordner öffnen.
    In der "Auferstehung" geht es nicht um Christus, und eigentlich auch - bis jetzt, ich bin mit dem ersten Drittel der Lektüre fertig - nicht um Religion, sondern um die Wiederentdeckung ethischer Prinzipien, die die beiden Protagonisten des Romans, Fürst Nechljudow, aus dessen Perspektive bisher hauptsächlich geschrieben wird, und Katjuscha Maslowa, die von ihm "verführt" und danach zur Prostituierten wird, verdrängt haben.
    Nechljudow, ein reicher Großgrundbesitzer in den Dreißigern, ist in seiner Jugend reformerischen und demokratischen Ideen zugeneigt und teilt das ihm damals zugefallene relativ kleine väterliche Erbe unter den dort lebenden Bauern auf. Während der Militärzeit jedoch verfällt er in den typischen Lebensstil der reichen Adligen und verliert seine Grundsätze, auch nachdem er das wesentlich beträchtlichere Erbe seiner Mutter angetreten hat. Als er eines Tages als Geschworener an einem Mordprozess teilnimmt, erkennt er in der fälschlich Angeklagten Maslowa das ehemalige Dienstmädchen seiner Tanten, Katjuscha, in das er als junger Mann sehr verliebt war und das er dann später, schon während seiner Militärzeit und unter dem Einfluss des genusssüchtigen Lebensstils seiner Klasse, mehr vergewaltigt als verführt hat. Reue überkommt ihn nun, als er erkennt, dass ihm Katjuscha nun als Prostituierte in dieser misslichen Lage wiederbegegnet. Aufgrund zahlreicher Unfähigkeiten der beteiligten Personen wird die Maslowa zur Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt.
    Nechljudow versucht das Urteil kassieren zu lassen und besucht die Verurteilte im Untersuchungsgefängnis. Er will sie aus ihrer Lage befreien und sogar heiraten. Obwohl also bereits zu seinen früheren Prinzipien zurückgekehrt, sieht ihn Tolstoi dennoch nicht als vollständig geläutert, denn er genießt zu sehr den Gutmenschen in sich.
    Katja Maslowa wird bisher nur wenig aus eigener Sicht geschildert, aber es wird klar, dass sie sich mit ihrer Situation als Prostituierte abgefunden hat und die Triebgesteuertheit der Männer zu ihrem Vorteil ausnutzt, ohne dabei allerdings ins Kriminelle abzurutschen.
    Die erste Begegnung zwischen beiden Protagonisten verläuft daher für Nechljudow enttäuschend, der das offene und liebenswerte Mädchen seiner Jugendzeit nicht mehr in ihr wiederentdecken kann.
    Soweit bin ich in der Handlung bisher. Tolstoi würzt diese mit scharfen Angriffen auf die verlogene Justiz, die Sinnlosigkeit von Militarismus und den hedonistischen und skrupellosen Lebensstil der herrschenden Klasse.
    Dabei bleibt der Roman gut lesbar; Im Gegensatz zum Beispiel zu Rolf Vollmann, der die späten Werke Tolstois ablehnt, weil er in diesen angeblich zu viel predigt, kann ich das für diesen Roman nicht bestätigen. Tolstoi legt den Finger genau auf die Wunden, die diese Gesellschaftsform scheitern ließen. Dass er dabei manchmal vielleicht etwas überzieht, finde ich nicht so schlimm.
    Wunderbar gelungen sind die Szenen im Geschworenenzimmer und im Frauengefängnis, die Tolstoi zu breiten Schilderungen exemplarischer VertreterInnen städtischer Lebenskreise ausbaut.
    Im Moment komme ich aus beruflichen Gründen langsam voran, freue mich aber an jeder Seite!


    finsbury

    Hallo troll,


    im Moment habe ich keine Zeit für eingehendes Posting, wenn, dann setzen wir aber, so denke ich, unsere Diskussion [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2250.0.html]hier[/url] fort, denn unser jetziger Schreibort gehört in den Leserundenvorschlagsordner und da diskutiert man ja keine Inhalte, sondern nur Teilnehmer und Termine :zwinker:.


    Bis bald im angegebenen Ordner



    finsbury

    Hallo Lost und Gontscharow,


    in der Tat entspricht Losts Verständnis dem, was ich sagen wollte.
    Gontscharow, du kanns wohl nicht davon ausgehen, dass viele Franzosen die "Geheimnisse" von A bis Z gelesen haben. Dennoch wird er in ihren Literaturgeschichten, die sie ja im Rahmen ihrer auf Anhäufung von Wissen ausgerichteten Schulbildung auch eifrig studieren müssen (jeweils war das zu meiner Zeit noch so) als Autor erwähnt, der erheblichen Einfluss auf das soziale Gewissen der Nation genommen hat. Wie Sue selbst zur 89er Revolution stand, mögen dabei die wenigsten berücksichtigen.


    finsbury

    Hallo sandhofer,


    sorry, natürlich Internet-Explorer, 8.0 ist immer noch meine Version. Im Forum bin ich ganz normal unterwegs mit dem Forum- oder Board-Standard.
    Wie du von meinen früheren Schwierigkeiten her vielleicht noch weißt, habe ich oben in in der Kopfleiste des Internetexplorers die Kompatibilitätsansicht eingestellt.

    Zitat von "sandhofer"

    Und den einen Button oder Link, den giesbert nicht findet, finde ich auch nicht ...


    Ja, bin ich denn ...?


    So, hier kopier ich es dir rein:
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    Hallo finsbury, Sie haben ..., .... sind neu.
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    11. Januar 2010, 20:09

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    News: Unsere Leserunden: Miguel de Cervantes Saavedra - El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha. Start: 1. Mai 2010.
    11. Januar 2010, 20:09


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    Im Moment hüpft es auch wieder!*


    Grüße


    finsbury


    *Das habe ich jetzt aber wieder im Griff, hatte aus Versehen die Kompatibilitätsansicht ausgestellt ... . Vielleicht hängt damit ja auch das oben beschriebene Problem zusammen. Jetzt muss ich warten, bis wieder einige neue Beiträge da sind.

    Die meisten Franzosen sind stolz auf ihre große Revolution und auf ihre erkämpften sozialen Errungenschaften, was immer man sich von außerhalb dazu auch denken mag. Selbstverständlich wird dann ein derart sozialkritischer Autor wie Sue im sozialen und kulturellen Gedächtnis der "Grande Nation" verweilen.


    finsbury

    HAllo trolll,


    dann wollen wir das so halten. Ich habe etwas über hundert Seiten hinter mir, und da wären wir sowieso nicht übereingekommen. Ich werde zu gegebener Zeit meine Eindrücke in einem Tolstoj-Ordner posten und wir können dann ja auch noch später ins Gespräch kommen.


    finsbury

    Hallo Maria,


    das verstehe ich gut. Ich rechne auch gar nicht damit, dass so schnell noch jemand mitmacht. Aber da troll sich kurzfristig bereitfand, wollte ich zumindest die Möglichkeit dazu geben.


    finsbury


    Sorry,


    bin nicht so firm in der Forumfachsprache: Ob die links als Buttons dargestellt sind oder nur als Schreibzeile, hat mich jetzt nicht zu unterschiedlichen Bezeichnungen veranlasst.


    Die Anmerkung: "Neue ungelesene Beiträge" erscheint nur auf der Startseite bei mir.


    finsbury