Beiträge von Suse

    Hallihallo,


    enttäuscht war ich überhaupt nicht von dem Ende. Ich hatte nie einen schnulzigen, positiveren Schluß - ein Happy End - erwartet.


    Mit der Definition vom Literaturlexikon bin ich auch nicht so ganz einverstanden, weil ich auch finde, daß Ève diejenige war, die sich für die Liebe entschieden hatte und nicht für die Verpflichtungen. Pierre war derjenige, der alles zerstört hat.


    Ich versuche jetzt mal ein paar Gedanken in Worte zu fassen. Meiner Meinung nach handelt die Geschichte davon, daß es Menschen gibt, die füreinander bestimmt sind. Das bedeutet jedoch noch nicht, daß sie nichts dafür tun müssen und daß alleine nur die Liebe zählt. Außerdem glaube ich auch nicht, daß die beiden so etwas wie Liebe empfunden haben. Vielmehr eine gegenseitige Anziehung, die vielleicht nur aufgrund ihrer Bestimmung vorhanden war.


    Interessant fand ich, daß diese Anziehungskraft im Reich der Toten sehr viel stärker zwischen den beiden bestand. Als sie wieder lebten, waren sie einander fremd, mussten sich erst beschnuppern und kennenlernen.


    Übrigens finde ich nicht, daß sie ihr Schicksal weggeworfen haben. Sartre hat das doch eigentlich sehr schön gelöst. Ich empfand jedenfalls keinen Verlust am Ende des Buches, sondern eher Nüchternheit. Vielleicht haben die beiden ihre Liebe zueinander nicht gefunden, aber keiner von beiden schien mir darunter sehr zu leiden.


    Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich diese Chance ergriffen hätte. Stellt euch nur mal vor: Menschen, die ihr im Leben geliebt habt, schweben nun in großer Gefahr und ihr müsst euch entscheiden zwischen der Liebe zu einem "Fremden" oder der Möglichkeit, eure Kinder, euren Mann, eure Frau zu retten. Ich glaube, daß ich mich für letzteres entschieden hätte. Allerdings hätte ich diese Menschen dann aufgegeben, wenn sie sich so aufgeführt hätten wie die Leute im Buch.


    Ein weiterer Gedanke: Eigentlich war von vornherein klar, daß die beiden mit ihrer Rettungsmission scheitern mussten. Sie konnten nicht in den Lauf der Dinge eingreifen, sondern lebten nur wieder, um sich zu finden. Lucette und die Verschwörer streubten sich und _wollten_ nicht gerettet werden. Es war Pierre und Ève unmöglich, die Vorhersehung zu ändern. Trotzdem muß ich nochmal sagen: Auch ich hätte es versucht.


    Klar, daß es furchtbar voll auf der Erde sein müsste - der Gedanke kam mir auch irgendwann, aber ich denke, das ist für das Buch - genauso wie die Logik über das Verhalten der Geister - nicht wirklich relevant.


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallo Davor,


    ich glaube, das Buch wird Dir gefallen. Es ist wirklich interessant und spannend und vor allem kann man es in einem Rutsch durchlesen (hätte ich auch getan, aber mein Bus stand dann schon vor unserem Bürogebäude *seufz*). 30 Minuten mehr und ich hätte es nun schon durch.


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallo,


    ich bin sogar schon etwas weitergekommen, obwohl ich das Buch heute erst im Zug angefangen habe. Aber es lässt sich ja sehr sehr flüssig lesen. Deshalb bin ich schon auf Seite 86 und Éve und Pierre sind bereits wiedergeboren.


    Mich hat das Buch bisher übrigens auch an einen Film erinnert: An Sixth Sense. Am Anfang ist den Toten nicht bewusst, dass sie tot sind. Sie wandeln durch die Welt an den Lebenden vorbei und wundern sich, dass sie nicht beachtet werden. Ein bißchen unheimlich, wenn man sich vorstellt, dass man von Toten umgeben ist, aber andererseits auch sehr schön, weil man dann gewiss sein kann, dass man Menschen wiedertrifft, die man mal geliebt hat (das passiert ja auch Ève, als sie zurückkehrt).


    Interessant fand ich auch, dass die Bürokratie sogar vor den Toten nicht Halt macht *gg* Sartre lässt sie tatsächlich ihren Tod unterschreiben!


    Schön war für mich auch die Stelle, als Ève und Pierre die feine Dame und den Arbeiter beobachten und Pierre meint, dass die beiden unterschiedlicher Qualität seien und aneinander vorbeilaufen würden, obwohl sie füreinander bestimmt sein könnten.


    Ich überlege mir schon die ganze Zeit, ob ich selbst so eine zweite Chance nutzen könnte. Ob man alle Fesseln des Lebens abschütteln kann? Ich bezweifle es ehrlich gesagt.


    Zitat

    Und man merkt, dass Sartre aus dem Buch einen Film machen wollte, nicht?


    Wusste ich gar nicht! Wollte er das?


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallo Eva,


    Du scheinst Dich schon ein bißchen an das neue Forum gewöhnt zu haben? *freu*


    Zitat

    ja ich kenne Bernd Lafrenz, er ist wirklich gut, aber leider hoffnungslos eingebildet, ich kann den Mensch nicht leiden*grr*.


    Das ist dann immer sehr ärgerlich! Ich habe ihn ja nur einmal gesehen und hatte sonst keinen näheren Kontakt zu ihm. Schade, daß die Leute gleich eingebildet werden, sobald sie mal was außergewöhnliches machen. Aber ich schau auf jeden Fall, ob ich die Karten per Internet kriegen kann. Sollte eigentlich hinhauen.


    Zitat

    Bei Les Mis habe ich schon in der ersten Hälfte geheult, als Fantine gestorben ist, meine Lehrerin guckt mich merkwürdig an und sagt: Warum heulst du denn? Ich sehe geschockt zurück: Fantine ist doch gerade gestorben!*gg*. Ich glaub, die hat kein Wort verstanden.


    Ich muß zugeben, daß ich auch das eine oder andere Mal Schwierigkeiten hatte. Aber ich kannte die Geschichte zum Glück und deshalb war es etwas einfacher für mich. Ich bin aber sowieso nicht sehr nahe am Wasser gebaut, wenn ich unterwegs bin. Frag nur nicht, wie ich heulen kann, wenn ich zu Hause einen Film ansehe *g*


    Zitat

    Daraufhin habe ich übrigens das Buch gelesen, Die Elenden. Auch sehr zu empfehlen, und passt natürlich hervorragend in dieses Forum*g*.


    Jaaa...und das Buch liegt auch schon ewig auf meinem SUB!


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallo Eva,


    ja, ich bin aus Achern, falls Dir das etwas sagt. Aber mein Freund kommt aus Heilbronn und von dort ist Jagsthausen nicht weit entfernt :-) Der Götz wird auf der Freilichtbühne dort aufgeführt. Gutes Wetter ist also Voraussetzung.


    Zitat

    War wirklich genial. Miss Saigon habe ich auch in London gesehen. Hat mir gut gefallen, war aber völlig überladen, man wußte überhaupt nicht, wo man als erstes hinsehen sollte.


    Oh...da war ich mit Les Miserables auch ein bißchen überfordert. Ich war damals mit meiner Schulklasse in London und die beiden Englischlehrerinnen saßen in meiner Nähe. Eine davon hat geheult wie ein Schloßhund am Ende der Vorstellung *g*


    Kennst Du eigentlich Lafrenz? Ich würde meinen Freund gerne in die Open Air Vorstellung von "Romeo & Julia" in Müllhausen schleppen. Leider weiß ich nicht genau, wo ich Tickets kriegen kann. Ist das Open Air dort sehr bekannt? Hast Du da eine Ahnung?


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallo Eva,


    auch hier nochmals ein herzliches (Wieder)Willkommen *knuddel*


    Falls Du irgendwann mal nach Jagsthausen kommen solltest, dann schau' Dir den Götz auf jeden Fall an. Ich habe zwar überhaupt keine Ahnung von Theater, aber mir hat das wirklich sehr sehr gut gefallen.


    Zitat

    Ansonsten gehe ich ziemlich regelmäßig ins Theater und würde mich auch freuen, über Schauspiele zu reden, wenn noch jemand Interesse hat*schautfragendindieRunde*.


    Bin sofort dabei! :-)


    Du bist doch aus der Freiburger Ecke, oder? Dann kennst Du doch bestimmt Bernd Lafrenz? Falls nicht: Er ist ein wandelndes Ein-Mann-Schauspiel, spezialisiert auf Shakespeare. Ich habe ihn vor ein paar Jahren bei uns in der Gegend mit "Othello" gesehen und war hin und weg.
    Er hat sogar eine eigene Homepage.


    Den Parzifal habe ich hier auch noch ungelesen herumstehen *seufz*, aber irgendwie würde ich wahnsinnig gerne noch weiter am Don Quijote lesen. Die Diskussion darüber liest sich ja sehr interessant. Im Moment habe ich nur so viele Rezensionsexemplare.


    Sonst habe ich keine Theatererfahrungen - leider. Ich kann nur noch mit den Musicals "Miss Saigon" (Stuttgart) und "Les Miserables" (London) dienen. Beide waren toll, wobei natürlich letzteres durch London noch mehr Eindruck hinterlassen hat.


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallo ihr Lieben,


    mein Wochenenderlebnis muß ich nun unbedingt mit euch teilen! Frisch verliebt wurde ich am Wochenende von meinem Schatz mit Karten für die Freilichtbühne in Jagsthausen überrascht. So hatte ich endlich mal die Gelegenheit, den "Götz von Berlichingen" hautnah zu erleben, nachdem mein Deutschlehrer mir das immer nahegelegt hatte. Toll war natürlich, daß ich den Götz bereits als Schullektüre sehr genießen konnte! War jemand von euch auch schon in Jagsthausen? Falls nicht, solltet ihr euch das wirklich überlegen. Es war wunderwunderschön (obwohl das natürlich auch an meiner Begleitung gelegen haben könnte *g*).


    Was für Schauspiel/Theater/Oper/Klassik Erfahrungen habt ihr?


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallo alexa,


    willkommen im Forum. Bisher haben wir keines der Bücher gelesen, die in der Vorschlagsliste stehen. Die Gelesenen Bücher rutschen in die Rubrik "Gemeinsames Lesen - Chronik". Zur Zeit lesen wir "Don Quijote" (ich habe im Moment leider gar keine Zeit mitzumachen *schnief*). Oliver Twist und Lederstrumpf würde ich auch gerne mal lesen, ich weiß aber nicht, wann ich dazu komme.


    Ich schätze mal, die nächste Leserunde erfolgt erst, wenn der Cervantes gelesen ist. Aber vielleicht melden sich hier ja noch ein paar Leute für ein anderes Buch :-)


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallo,


    im Literaturcafé habe ich gerade eben einen sehr interessanten Artikel darüber entdeckt, wie Suhrkamp es schafft, sich zum Gespött der Leute zu machen.


    Der Verlag verteilte anscheinend an ausgewählte Pressevertreter Vorabexemplare des Walser Buches - allerdings als pdf-Datei per Mail. Ratet mal, was in allen Tauschbörsen in Windeseile zu finden war *g*


    Liebe Grüße
    nimue


    Boykottaufruf

    Hallo,


    wie es der Flohmarkts-Zufall heute so wollte, habe ich eine neuwertige Ausgabe von Pigafetta gefunden! Bin schon gespannt nach den Postings hier, obwohl ich absolut keine Ahnung habe, wann ich das lesen soll *g*


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallo kb,


    Zitat

    MRR in "Mein Leben" sagte: "Ich liebe Theater zu schauen als Kino, weil ich Wörter liebe als Bilder".


    Wie gut, daß ich Ranicki überhaupt nicht leiden kann ;-)
    Was ist denn DEINE Meinung zu Literaturverfilmungen? Ich finde es nämlich schade, daß immer wieder Ranicki angeführt wird, und so viele ihre Meinung danach ausrichten, was dieser selbsternannte Papst vorgibt.


    Liebe Grüße
    nimue

    Hallihallo,


    vielleicht haben es einige von euch schon mitgekriegt: Für Literaturschock bastele ich gerade eine Seite, die Literaturverfilmungen vorstellt. Bisher sind 121 Filme online und ich bin immer noch auf der Suche nach weiteren Informationen.


    Vielleicht fällt euch ja noch etwas ein? :-)


    Liebe Grüße
    nimue


    Literaturverfilmungen

    Hallo hagi, hallo Steffi,


    es freut mich, daß ihr den Weg in dieses Forum gefunden habt :-)


    Ich bin zur zeit leider nicht sehr aktiv, da ich für meine andere Homepage eine Übersicht der Literaturverfilmungen erstelle. Ist ganz schön viel Arbeit, vor allem weil da noch Cover, Inhaltsangabe, Darsteller etc. vermerkt sind *argh*


    Ich wünsche euch beiden viel Spaß hier!


    Liebe Grüße
    nimue

    [url=http://www.taz.de/pt/2002/05/30/a0103.nf/text.name,ask3csuuz.n,1]taz Nr. 6761 vom 30.5.2002[/url], Seite 4, 164 Zeilen (Interview), PATRIK SCHWARZ


    "Ich bin kein Möllemann"
    Interview PATRIK SCHWARZ


    taz: Ist Ihr Buch eine Exekution von Marcel Reich-Ranicki?


    Martin Walser: Ich würde niemals ein Buch schreiben, das einer Exekution gewidmet ist, weil ich ohne Liebe nicht schreiben kann. Zwischen Kritiker und Autor gibt es natürlich eine sehr vielstimmige, vielfältige, vielfarbige Liebe - und der Kritiker in meinem Buch hat ein Verhältnis zu dem Schriftsteller, das ich zumindest als ambivalent bezeichnen möchte. Dieser Autor, meine Hauptfigur, gibt sich zeitweise der Illusion hin, dass er der engste Freund dieses Kritikers werden kann. Da steht so viel drin - und Sie haben jetzt natürlich nur diesen elenden Artikel! Solche Wörte wie Hass und Exekution würde ich nicht schreiben - da wäre ich lieber Gefängniswärter geworden.


    Der FAZ-Herausgeber wirft Ihnen vor, Sie hätten einen Tabubruch beabsichtigt - und auf antisemitische Stereotype zurückgegriffen.


    Das ist verrückt.


    Er nennt eine ganze Reihe Belege.


    Er sagt, es geht in meinem Roman um den Mord an einem Juden. Ich sage, ein Mord kommt überhaupt nicht vor, wie sich am Ende des Buches herausstellt, und es geht nicht um einen Juden, sondern um einen Kritiker.


    Er wift Ihnen vor, mit Ihren Vokabeln und Bildern zurückzugreifen auf antisemitische Klischees. So attestieren Sie dem Kritiker "Herabsetzungslust" und "Verneinungskraft".


    Es ist doch gar nichts Schlechtes, eine Herabsetzungslust zu haben. Das als etwas Jüdisches zu bezeichnen, halte ich für antisemitisch! Das hat man nur im Dritten Reich so gesagt, das ist Nazivokabular! Ich bin mit Herabsetzungslust und Verneinungskraft halb bewundernd, halb kritisch umgegangen. Herr Schirrmacher sagt, das seien jüdisch besetzte Wörter, dadurch ist er für mich antisemitisch.


    Schirrmacher sieht das Bild vom "ewigen Juden" bei Ihnen aufscheinen und zitiert: "Umgebracht zu werden passt doch nicht zu André Ehrl-König."


    Das sagt die Ehefrau des Kritikers über ihren gloriosen Mann, über diesen genialen Clown in einer von Party zu Party taumelnden Literaturbetriebsgesellschaft. Da schiebt Herr Schirrmacher schnell den Hintergrund Holocaust dazwischen und behauptet, ich hätte gesagt, Getötetwerden oder Überleben sei eine Charaktereigenschaft. Das ist ungeheuerlich!


    Sie meinen, der Literaturkritiker Schirrmacher versteht Ihre Subtilität nicht?


    Wenn man jeden Satz irgendeiner Konversation in irgendeinem Roman auf den Hintergrund Holocaust bezöge, dann gibt es nur noch grauenhafte Missverständnisse.


    Warum sollte Herr Schirrmacher Ihnen etwas unterstellen?


    Darüber kann ich schon nachdenken, aber ich komme auf keinen Grund. Vielleicht ist es etwas Saisonales?


    Saisonal ist doch auch die Regelmäßigkeit, mit der Sie sich dem Verdacht des saloppen Umgangs mit der Vergangenheit aussetzen - angefangen bei der Bubis-Debatte.


    Ignatz Bubis hat formell und schriftlich und mündlich den Vorwurf des latenten Antisemitismus zurückgenommen, er hat die geistige Brandstiftung zurückgenommen. Zurückgenommen! Wenn leichtfertige Medienmenschen das so weitertransportieren, als existiere der Vorwurf noch, dann kann ich mich damit nicht auseinander setzen.


    Offenbar setzen Sie doch zumindest missverständliche Ideen in die Welt - und wollen hinterher nichts Böses gemeint haben. Ist Ihre Methode nicht die Methode Möllemann?


    Mit Herrn Möllemann möchte ich nicht das Geringste zu tun haben. Ich bin kein Möllemann, ich bin Schriftsteller.


    Herr Schirrmacher argumentiert, Sie versteckten sich hinter den Stilmitteln von Travestie und Kömodie, um Ihren Tabubruch zu tarnen.


    Tarnen! Dass ich nicht lache! Da wäre ich gleich Anstreicher geworden! Ich will doch keinen Tabubruch - was soll denn das?!


    Aber Sie karikieren Marcel Reich-Ranicki.


    Ja klar. Aber mein Schriftsteller Hans Lach hat eine wahrhaft ambivalente Beziehung zu diesem Kritiker Ehrl-König. Ich kann überhaupt keine Bücher schreiben mit nur negativen Einstellungen. Da bin ich zu naiv.


    Naivität haben Sie schon bei der Bubis-Debatte für sich reklamiert. Sie hätten Ihr privates Nachdenken vielleicht nicht auf öffentlicher Bühne vortragen sollen, sagten Sie. Ist es nicht reichlich naiv, sich schon wieder auf Ihre Naivität zu berufen?


    Ich habe mich nicht auf Naivität berufen, sondern auf den Unterschied zwischen privat und öffentlich. Aber ich weiß ja schon, dass man alles, was ich sage, vorgeformt verstehen kann. Aber ich hätte vor fünf Tagen, vor drei Tagen nie, nie, nie daran gedacht, dass der Schirrmacher so etwas könnte. Er kennt meine Bücher - wenn Sie ein Romanschreiber sind, mit 15, 16, 17 Romanen, müsste sich das schon mal irgendwann bemerkbar gemacht haben, dass da etwas antisemitisch ist. Ein Autor kann sich nicht 15 Romane lang tarnen, das will er auch gar nicht! Ein Roman ist immer eine Gesamtoffenbarung der Person. Jetzt, weil ich dieses Thema genommen habe und weil es diese Saison ist, kommt diese Breitseite - und der Kerl vergisst alles, was er schon besser gewusst hat.


    Aber Ihr Buch handelt von einer Mordfantasie - an einem Großkritiker mit Doppelnamen.


    Nein! Es geht nicht um Mord. Es ist ein Buch über die Machtausübung im Literaturbetrieb zu Zeiten des Fernsehens - vom Standpunkt des Autors aus geschrieben.


    Erleben Sie nicht gerade das Gegenteil? Herr Schirrmacher hat das Fernsehen nicht gebraucht, um Sie anzugreifen.


    Er hat eine Exekution versucht. Aber wenn er zehn Jahre Polemiken schriebe, würde er nie den Effekt erzielen wie im Fernsehen. Natürlich wirkt der Showeffekt sich auch auf mich aus. Im "Literarischen Quartett" sind ja auch Autoren exekutiert worden. Im "Literarischen Quartett" erledigt zu werden war viel schlimmer als auf dem Papier.

    [url=http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,198481,00.html]SPIEGEL ONLINE - 30. Mai 2002[/url]


    "So ein erbärmliches Buch"


    Jetzt zieht der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki über den neuen, noch unveröffentlichten, Roman Martin Walsers her. Bei der Lektüre habe er "als Betroffener" allerdings keine Wut, sondern Mitleid mit Walser empfunden. Walser bestätigte unterdessen, Reich-Ranicki in seinem Buch karikieren zu wollen. Den Skandal sah er bereits voraus.


    Schon im Februar gab sich Martin Walser in einem Interview mit der Zeitschrift "Bunte" geheimnisvoll. "Bereits der Titel ist skandalös, deshalb verrate ich ihn nicht", weckte er Neugier auf seinen nächsten Roman. Die Brisanz seines Sujets muss dem Schriftsteller demnach schon damals bewusst gewesen sein. Deshalb dürfte ihn eigentlich nicht verwundern, welches Echo ihm jetzt von seinem Roman-Opfer entgegen schallt, dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki.
    "Walser hat noch nie so ein erbärmliches Buch geschrieben", kritisierte der den Schriftsteller am Donnerstag. Er fühle sich als "Betroffener", klagte Reich-Ranicki in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Der Literaturkritiker warf Walser vor, "leicht erkennbare Personen lächerlich zu machen und teilweise zu denunzieren".


    In dem Gespräch hält der frühere FAZ-Feuilletonchef die Entscheidung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für richtig, das Buch nicht abzudrucken. Der FAZ- Herausgeber Frank Schirrmacher habe in seinem Offenen Brief an Walser "das Nötige klar gesagt", meinte Reich-Ranicki. Zu der Frage nach antisemitischen Untertönen in Walsers Roman wollte Reich-Ranicki sich nicht äußern. "Ich bin schließlich der Betroffene." Das Buch enthalte sogar mehrere seiner Äußerungen.


    "Keine Wut sondern Mitleid"



    "Ich habe viele Bücher von ihm gelobt und Jahrzehnte lang an sein Talent und seine Redlichkeit geglaubt", sagte Reich-Ranicki, der bislang generell eher zu den Kritikern Wasers zählte. Bei der Lektüre des Romans mit dem Titel "Tod eines Kritikers" habe er keine Wut, sondern Mitleid verspürt, sagte Reich-Ranicki. "Walser stellt sich wieder einmal als Opfer dar." Ein Gespräch mit Walser lehnte Reich-Ranicki ab: "Ich halte nichts davon, dass mir ein Autor sein Werk erklärt. Der Text muss für sich selbst stehen." Besprechen wolle er es auch nicht, weil das literarische Niveau aus seiner Sicht zu niedrig sei.


    Zuvor hatte Reich-Ranicki den Walser-Roman bereits in der "Neue Zürcher Zeitung" als "miserable Literatur" bezeichnet und eine erste Romanlektüre mit den Worten "es ist wirklich ungeheuerlich" kommentiert.


    Walser bestätigt Karikatur Reich-Ranickis


    In Interviews mit mehreren Tageszeitungen bestätigte Martin Walser unterdessen, dass er in seinem Roman den Literaturkritiker Reich-Ranicki bewusst parodiert habe. Er wies aber Vorwürfe des Antisemitismus zurück. "Ja, klar", beantwortete Walser die Frage der "taz", ob er Reich-Ranicki karikiere. Es liege "auf der Hand", dass man in seiner Romanfigur den Genannten erkenne: "Man darf in der Literatur jede beliebige öffentliche Figur parodieren, warum nicht Reich-Ranicki?", fragte Walser in der "Welt". Es gehe ihm aber nicht darum, "Reich-Ranicki oder einen anderen Kritiker in meinem Roman anzugreifen, weil sie Juden sind". Dies liege nicht in seinem Interesse. "Mir geht es darum, wie so eine Figur wie Reich-Ranicki seine Macht im Literaturbetrieb ge- und missbraucht", beschreibt Walser seinen Ansatz.


    Hart geht er dabei mit der öffentlichen Absage des "FAZ"-Herausgebers Frank Schirrmacher ins Gericht, seinen neuen Roman nicht vorab abzudrucken. "Er hat eine Exekution versucht", wirft Walser Schirrmacher in der "taz" vor und bezichtigt ihn, seinerseits in Einzelformulierungen "antisemitisch" zu sein und einen "elenden Artikel" geschrieben zu haben.


    "Was ich jetzt erfahre, ist Machtausübung"


    In einem Interview mit dem Radiosender MDR Kultur bekräftigte Walser am Donnerstag erneut, eine Strafanzeige gegen die "FAZ" wegen Verleumdung zu erwägen. "Ich muss mal sehen, was ich da für juristische Chancen habe", sagte der Autor. Er begreife nicht, was da gerade passiert, und halte die Anschuldigungen der "FAZ" für "reine Willkür". "Ich habe ein Buch geschrieben gegen Machtausübung im Kulturbetrieb, und das Erste, was ich jetzt erfahre, ist Machtausübung", sagte er dem Radiosender. Walser bekräftigte, dass er nichts an seinem Roman ändern wolle. "Ich habe die Hoffnung, dass die lesende Welt nicht aus lauter Schirrmachers besteht", lästerte er.


    Verlegerlob für FAZ


    Unterdessen warf der Verleger des Berliner Aufbau-Verlags, Bernd Lunkewitz, dem Schriftsteller Martin Walser vor, mit seinem noch unveröffentlichten Roman gezielt einen verkaufsfördernden Eklat provoziert zu haben. "Das war Kalkül des Autors", sagte Lunkewitz. Walsers Taktik der "gezielten Regelverstöße" sei ein Marketingtrick, um die Auflage in die Höhe zu treiben. "Die ganze Story schmeckt nach Judenfeindschaft", meinte der Verleger. Ohne Eklat würden von dem Buch vielleicht 5000 Exemplare verkaufen werden, schätze Lunkewitz, "jetzt kann Walser mit 100 000 Exemplaren und mehr rechnen".


    Der Verleger sagte, bei nur stillschweigender Ablehnung des Romanvorabdrucks durch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wäre schnell von einer "jüdischen Lobby" die Rede gewesen, die das Buch habe verhindern wollen. Deshalb sei die Entscheidung der "FAZ", den Abdruck in einem Offenen Brief des Herausgebers Frank Schirrmacher wegen "antisemitischer Klischees" in dem Buch abzulehnen, richtig gewesen, meinte Lunkewitz.


    Nachkorrektur beim Verlag?


    Unterdessen nutzt der Suhrkamp Verlag den ausgebrochenen Rummel um das Walser-Buch für eine Offensive und gibt das Manuskript an interessierte Medien heraus. Es gehe darum, allen Journalisten den "gleichen Informationsstand zu ermöglichen, damit sie wissen, worüber sie sich erregen", sagte die Verlagssprecherin Heide Grasnick am Donnerstag in Frankfurt. Es seien bereits weit über hundert Anfragen eingegangen. Der Erscheinungstermin des Romans soll zudem von August auf Juni vorgezogen werden.


    Die Sprecherin betonte, dass es sich bei dem jetzt freigegebenen Text nicht um die definitive Druckvorlage handele, denn die Fahnen werden wie bei jedem Suhrkamp-Buch noch Korrektur gelesen. Eine inhaltliche Korrektur sei damit aber nicht mehr verbunden, stellte sie erste Meldungen klar. In einem Interview mit der "Welt" hatte am Vortag Suhrkamp-Verlagsleiter Günter Berg missverständlich auf die Frage geantwortet, "In welchem Zustand ist das Manuskript eigentlich?". Bergs Antwort: "Es war nicht zitierfähig, es ist zitiert worden. Damit ist es leider in einem Zustand in der Welt, in dem wir es nie in der Welt haben wollten".


    Spiegelt das Buch nur die Wirklichkeit?


    Die "FAZ" hatte allerdings schon 20 Tage zuvor eine fertige "Entscheidungsvorlage" zum Vorabdruck erhalten. Damit sollte ursprünglich in zwei Wochen begonnen werden. "Das, was wir hatten, sollten wir drucken", verlautete aus der "FAZ"-Redaktion. Dies sei aber nur "eine halbe Wahrheit", hieß es aus dem Suhrkampf-Verlag. Denn selbstverständlich sollte die Zeitung für ihre Veröffentlichung noch eine weitere, nochmals Korrektur gelesene Text-Datei erhalten. Inhaltlich hätte sich der Roman dann aber nicht mehr geändert.


    Daraus folgt: Die inhaltliche Provokation wäre geblieben. Aber nun läuft der fiktive Roman sogar mit der Wirklichkeit um die Wette. Trotz aller internen Aufregung im Suhrkamp-Verlag (am Dienstagabend sollte der FAZ- Bericht Frank Schirrmachers noch gerichtlich gestoppt werden), kann der Rummel Walser nur gefallen. Die Realwelt erfüllt alle Klischees, die er klischeehaft beschreibt.


    Holger Kulick

    [url=http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,198412,00.html]SPIEGEL ONLINE - 29. Mai 2002[/url]


    WALSER IM WORTLAUT


    "Es passiert im ganzen Buch kein Mord"


    In einer Stellungnahme wehrt sich der 75-jährige Schriftsteller Martin Walser gegen Vorwürfe der FAZ, einen neuen antisemitischen Roman geschrieben zu haben. Der Wortlaut:

    "Frank Schirrmacher schreibt über meinen Roman: "Es geht um den Mord an einem Juden". Erstens passiert im ganzen Buch kein Mord. Zweitens geht es im ganzen Buch nicht um einen Juden, sondern um einen Kritiker. Das Buch erzählt die Erfahrungen eines Autors mit Machtausübung im Kulturbetrieb zur Zeit des Fernsehens. Wie Schirrmacher dazu kommt, dieses Thema auf den Holocaust zu beziehen, weiß ich nicht.
    Ein Beispiel dafür, wie er arbeitet, er schreibt: "Die "Herabsetzungslust", die "Verneinungskraft", das Repertoire antisemitischer Klischees ist leider unübersehbar...". Das heißt aber doch, Herabsetzungslust und Verneinungskraft seien etwas Jüdisches und wenn man Herabsetzungslust und Verneinungskraft kritisch behandelt, operiert man antisemitisch. Für mich ist eindeutig antisemitisch die Unterstellung, Herabsetzungslust und Verneinungskraft seien etwas Jüdisches. Das hätte man wohl in der Nazizeit so gesagt, dass es aber genau so heute in der FAZ gesagt wird, darf einen wundern. Aber so wunderlich ist der ganze Artikel.


    "Tod eines Kritikers" ist auch ein Buch über das Schicksal der Poesie unter Bedingungen des immer rauer werdenden Kulturbetriebs. Poesie hat schlechte Quoten. Darüber darf ein Roman elegisch werden. Er darf aber auch polemisch werden, wenn er endlich einmal das, was man als Autor jahrzehntelang einzustecken hat, auf literarische Art beantwortet. Ich habe das Buch mit der Widmung versehen: "Für die, die meine Kollegen sind". Ich habe auf meine Erfahrungen nicht mit Kolportage reagiert, sondern mit Literatur.


    Ich kann es nicht begreifen, dass jetzt so getan wird, als sei eine Romanfigur identisch mit ihrem Vorbild in der Wirklichkeit. Eine Romanfigur hat immer mehr als ein Vorbild. Aber am wenigsten begreife ich, dass Schirrmacher gegen jeden Brauch und Anstand über ein Buch schreibt und urteilt, das noch nicht erschienen ist. Das Manuskript wurde der FAZ überlassen zur Prüfung, ob sie es vorabdrucken wolle. Wenn sie das nicht wollten, hätte eine Mitteilung an den Verlag genügt. Ich nehme an, Frank Schirrmacher sah sich aus Gründen, die ich nicht kennen kann, nicht einmal kennen will, genötigt, sich auf sehr opportune Weise einzumischen. Das tut mir leid. Für ihn."

    [url=http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,198412,00.html]SPIEGEL ONLINE - 29. Mai 2002[/url]


    STREIT UM ROMAN "TOD EINES KRITIKERS"


    Walser erwägt Klage gegen die "FAZ"


    Der Schriftsteller Martin Walser will die "FAZ" verklagen, weil sich die Zeitung vor Erscheinen seines neuen Romans ausführlich mit dessen Inhalt auseinander gesetzt hat. Von Antisemitismus gebe es in seinem Buch keine Spur, behauptet Walser. In "Tod eines Kritikers" gehe es nicht um Kritik an einem Juden, sondern einem Kritiker.


    Überlingen - Er wolle juristische Schritte gegen die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unternehmen, sagte der 75-Jährige am Mittwoch. "Ich werde es zum ersten Mal nicht auf mir sitzen lassen, dass man Behauptungen in die Welt setzt, ich bediente mich eines "Repertoires antisemitischer Klischees", sagte der Autor der Deutschen Presse-Agentur.
    Deshalb habe er seinen Verlag in Frankfurt gebeten, juristische Schritte zu prüfen. Er bezeichnete es als skandalösen Vorgang, dass "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher ihm vorwerfe, einen verletzenden Schlüsselroman über den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki geschrieben zu haben.


    Die Zeitung habe aus seiner Sicht einen "Bruch der heiligsten Bedingungen" begangen, dass erst über ein Buch geurteilt werde, wenn es da sei. Außerdem warf er Schirrmacher vor, den Inhalt seines neuen Buchs verfälscht zu haben.


    Schirrmacher hatte zuvor in einem offenen Brief in der Mittwochausgabe der "FAZ" an Walser begründet, warum die Zeitung seinen Wunsch ablehne, "Tod eines Kritikers" vorab abzudrucken. "Ihr Roman ist eine Exekution", schrieb der "FAZ"-Herausgeber und bezeichnete den Roman als "eine Abrechnung - lassen wir das Versteckspiel mit den fiktiven Namen gleich von Anfang an beiseite! - mit Marcel Reich-Ranicki. Es geht um die Ermordung des Starkritikers." Schirrmacher bezeichnete das Buch als "ein Dokument des Hasses" und es gehe "um den Mord an einem Juden".


    Gegenerklärung von Walser


    "Das Buch erzählt die Erfahrungen eines Autors mit Machtausübung im Kulturbetrieb zur Zeit des Fernsehens", bezog Walser am Mittwochnachmittag Stellung. Es sei auch ein Buch "über das Schicksal der Poesie unter Bedingungen des immer rauer werdenden Kulturbetriebs", teilte der 75-jährige Schriftsteller mit. In dem Roman gehe es "nicht um einen Juden, sondern um einen Kritiker", argumentierte Walser.

    Warum Schirrmacher, der Walser ein Spiel mit dem "Repertoire antisemitischer Klischees" vorwirft, dieses Thema auf den Holocaust beziehe, wisse er nicht, heißt es in Walsers Stellungnahme weiter. "Ich hätte nie, nie, niemals gedacht, dass jetzt dieses Buch auf den Holocaust bezogen wird. Verstehen Sie, dann hätte ich das Buch nicht geschrieben", sagte Walser in einem Interview mit dem NDR.


    "Ich schreibe über die von Party zu Party taumelnde Kulturbetriebslandschaft und davon, dass es zu einem enormen Star und fröhlichen Menschen nicht passt, umgebracht zu werden. Es passt nicht, und daraus wird gemacht, ich hätte gesagt, getötet zu werden oder den Holocaust zu überleben sei eine Charaktereigenschaft. Wenn Sie alle Sätze, die irgendwo geschrieben werden, immer projizieren auf den Hintergrund Holocaust, dann werden ziemlich viele Sätze sehr komisch wirken, das kann ich Ihnen sagen", wehrte sich Walser.


    Verlag: "FAZ" lag unredigierte Fassung vor


    Auch der Frankfurter Suhrkamp-Verlag hielt der "FAZ" vor, den neuen Roman Martin Walsers zu früh öffentlich an den Pranger gestellt zu haben. Die der "FAZ" vorliegende Version des Romans sei eine unredigierte Fassung. Diese sei nach Verlagsangaben zum gegenwärtigen Zeitpunkt "nicht zitierfähig". Durch die jetzigen Zitate in der "FAZ" sei der Roman aber "in einem Zustand in der Welt, in dem wir es nie in der Welt haben wollten", sagte Suhrkamp-Verlagsleiter Günter Berg der Tageszeitung "Die Welt". Verlag und Autor bemühten sich nun, das Buch rasch in den Handel zu bringen - womit der Verlag zweifelsohne von dem Rummel profitiert.


    "Es wäre der "FAZ" angemessener gewesen, die gewiss notwendige Diskussion um diesen neuen Roman dann zu eröffnen, wenn alle ihn in Händen halten können", meinte Verlagsleiter Günter Berg. "Die Vorwürfe, die Herr Schirrmacher gegen Martin Walser erhoben hat, wiegen schwer. Sie zu beurteilen ist ohne Kenntnis des Buchs unmöglich."


    Auf Walsers mögliche Klage gegen die "FAZ" angesprochen, sagte die Verlagsleitung der Nachrichtenagentur dpa: "Der Verlag wird keine juristischen Schritte gegen die FAZ einleiten." Suhrkamp hatte auf Bitten Walsers am Dienstagabend das Erscheinen des FAZ-Artikels vom Mittwoch stoppen wollen. Der Suhrkamp Verlag hatte versucht, eine Einstweilige Verfügung zu erwirken, bei Gericht aber niemanden mehr erreicht. Walser sah in dem Artikel seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Jetzt, wo der Text in der Welt sei, sehe der Verlag keinen Handlungsbedarf mehr. "Wenn Herr Walser klagen will, muss er das selbst machen", sagte eine Sprecherin.


    "Martin Walser ist nicht der Möllemann der deutschen Literatur"

    Der Verlag werde versuchen, das Erscheinen des Buches von August auf Juni vorzuziehen, wolle "aber dem Drängen des Autors, es jetzt sofort zu publizieren, einen Moment widerstehen", präzisierte Berg gegenüber der "Welt". Der Verlag müsse den Eindruck vermeiden, "dass das Ganze eine zynische Marketingaktion war".


    Mit den Worten "Martin Walser ist nicht der Möllemann der deutschen Literatur" wies Berg in dem Blatt die gegen Walser gerichteten Attacken zurück. In diese Rolle könne ihn auch nicht Schirrmacher drängen. Es habe im Suhrkamp Verlag wie bei jedem Manuskript auch in diesem Fall Diskussionen gegeben. "Den Generalbass Antisemitismus hat es aber dabei nicht gegeben", sagte Berg. Im Übrigen sei man ein Verlag und keine Zensurbehörde.


    Der 81-jährige Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki wollte auf Anfragen nichts zu der Auseinandersetzung sagen.

    [url=http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,198288,00.html]SPIEGEL ONLINE - 28. Mai 2002, 18:31[/url]


    Martin Walsers Mordphantasie


    FAZ lehnt Walser-Vorabdruck ab


    Hauptfigur in einem neuen Roman von Martin Walser ist ein Literaturkritiker, offensichtlich Marcel Reich-Ranicki, der scheinbar einem gekränkten Autor zum Opfer fällt. Deshalb lehnte die "FAZ" einen Vorabdruck wegen "antisemitischer Klischees" ab.

    Frankfurt - Das Buch, bisher unter Verschluss gehalten, erscheint im Sommer beim Frankfurter Suhrkamp Verlag und soll den Titel "Tod eines Kritikers" tragen. Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Mittwoch berichtete, soll es in dem "Schlüsselroman über den deutschen Literaturbetrieb" ganz offen um eine Abrechnung Martin Walsers mit dem "Literaturpapst" Marcel Reich-Ranicki gehen. Ein jüdischer Starkritiker namens André Ehrl-König falle vermeintlich einem Mord zum Opfer. Die Schuld werde einem von ihm verrissenen und gekränkten Schriftsteller zugeschoben.
    Die "FAZ" lehnte das Angebot Walsers, das Buch im Feuilleton des Blattes vorab zu veröffentlichen, in einem offenen Brief an den Autor ab: Der Roman sei "ein Dokument des Hasses" und eine "Mordphantasie", die mit dem "Repertoire antisemitischer Klischees" spiele, schreibt Herausgeber Frank Schirrmacher. Der populäre, wenn auch streitbare Kritiker Reich-Ranicki überlebte den Holocaust der Nationalsozialisten im Warschauer Ghetto zusammen mit seiner Frau Teofila. "Verstehen Sie, dass wir keinen Roman drucken werden, der damit spielt, dass dieser Mord fiktiv nachgeholt wird?", schreibt Schirrmacher: "Verstehen Sie, dass wir der hier verbrämt wiederkehrenden These, der ewige Jude sei unverletzlich, kein Forum bieten werden?"

    Über die bei Walser offensichtliche Herabwürdigung der von den Nazis verfolgten Juden erregt sich Schirrmacher besonders: "Und wenn 'André Ehrl-König zu seinen Vorfahren auch Juden zähle, darunter auch Opfer des Holocaust', dann ist Ihr 'darunter' besonders hervorhebenswert, als wäre die große Mehrheit der europäischen Juden eben nicht Opfer gewesen", schreibt er in seinem Brief. "Das sind so Kleinigkeiten, die mich stutzig machen und hinter denen ich schließlich zu meiner Überraschung Methode vermute", so Schirrmacher.


    Der Suhrkamp Verlag zeigte sich am Mittwoch überrascht von der harschen "FAZ"-Absage und kündigte ein offizielles Statement Martin Walsers für den Nachmittag an. Marcel Reich-Ranicki wollte zum Streit zwischen der "FAZ" und dem Schriftsteller zunächst keine Stellung nehmen. "Ich äußere mich zu dieser Sache nicht", sagte der Kritiker am Mittwoch.


    Antisemitismus-Vorwürfe gegen Martin Walser wurden erstmals 1998 laut: Anlässlich seiner Ehrung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (Laudatio: Frank Schirrmacher) hielt Walser in der Frankfurter Paulskirche eine Rede, in der er die "Instrumentalisierung von Auschwitz" kritisierte und die ständige öffentliche Thematisierung des Holocausts als "Moralkeule" monierte, die letztlich den gegenteiligen Effekt erziele. Der dadurch ausgelöste Proteststurm wurde angeführt vom damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, der Walser unter anderem "geistige Brandstiftung" und "latenten Antisemitismus" vorwarf.


    Nach wochenlangen Debatten in den Feuilletons legten die Kontrahenten ihren Streit jedoch bei. Bubis nahm den Vorwurf des "geistigen Brandstifters" zurück, Walser verteidigte allerdings die Unmissverständlichkeit seiner Rede.