Hallo ihr Lieben!
Ich glaube, ich sollte nicht an einer Lesung teilnehmen. Ich schreibe zu viel Text. sorry
Erst einmal zu meiner ersten Leseerfahrung: Jetzt habe ich den Roman endlich durch, puh! – und, ehrlich gesagt, noch keinen wirklichen Zugang zu dem Buch. Was soll das? Am Ende dachte ich, na endlich, das sie das ... gemacht haben, wurde auch wirklich Zeit.
Deshalb lasse ich mich jetzt auf eine intensivere Diskussion über den Text ein und lese mit euch den Text genauer.
Vorab will ich aber noch einige Fragen formulieren, die mich auch interessieren:
Wenn ich an den deutschen Naturalismus denke, dann fällt mir Gerhard Hauptmann: Die Weber ein, eine Studie über die Arbeitsbedingungen der Weber – das ist in Zolas Stück gar nicht der Fall. Statt dessen wird das Liebesleben einer armen Kurzwarenhändlerin beschrieben. Wo finden sich die naturalistischen Elemente in dem Roman, wo gibt es noch romantische oder ?realistische? Elemente? Nun ist natürlich Zolas Roman der erste naturalistische Roman, deshalb interessieren mich ja gerade die Elemente, die ihn zu einem naturalistischen machen bzw. welche Elemente weisen noch auf die vorherige Epoche zurück?
Wie sah der reale (berufliche) Alltag der Frauen in der beschriebenen Zeit aus? Gab es schon Liebesehen – oder bestimmten die Eltern die Ehepartner? Wie sah es im Allgemeinen mit Trennung in der Verlobungszeit und in der Ehe aus? Diese Frage hängt eng mit dem jeweiligen Verhalten der beiden Hauptfiguren Laurent und Therese ab. Inwieweit konnten sie sich aufgrund der gesellschaftlich real gegebenen Konventionen anders verhalten bzw. mussten ihren Trieben/ Leidenschaften gehorchen?
Das sind allerdings Fragen, die man zu Beginn des Textes noch nicht beantworten kann, sondern erst nach Beendigung des Textes. Ich wollte sie nur aufschreiben, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.
Zu den Temperamenten schaut doch auch auf die Seite:
Hier findet ihr eine ausführliche Darstellung der Temperamentenlehre aus der Sicht der Psychologie:
http://www.uni-saarland.de/fak…he_temperamentenlehre.pdf
Hier sind den verschiedenen Temperamenten Farben zugeordnet. Es ist eine Seite der Mediziner:
http://tcm-arbeitskreis.uni-hd…edizinisches/typen1.shtml
Zitat
riff-raff schreibt: Aus meinem Deutschunterricht weiss ich noch, dass die Naturalisten darauf aus waren, die Vorgehensweisen und Methoden der modernen Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Medizin usw.) auf die Literatur zu übertragen; oberstes Ziel war eine „Verwissenschaftlichung“ der Kunst, eine objektive Darstellung der Wirklichkeit. Schon damals habe ich mich gefragt, ob das überhaupt möglich sei..
Der Begriff der Wissenschaften zur Zeit des 19. Jahrhunderts ist ein etwas anderer als der des 20. Jahrhunderts. Richtungsweisend ist hier Auguste Comte und die Richtung des Positivismus zu nennen. Und im Endeffekt besagt der Positivismus nur, dass er ein konsequenter Empirismus sein will, d.h. dass er sein Hauptaugenmerk nur auf ausschließlich zu beobachtende Dinge legt. Auguste Comte beschäftigte sich daher auch intensiv mit den Methoden der Sozialwissenschaften und verlangte, dass alle Sätze aus Erfahrungsbegriffen, nicht aus mathematisch-logischen Begriffen zusammengesetzt werden.
In einem schlauen Buch habe ich zum Thema Naturwissenschaften und Literatur folgendes gefunden:
„In der Schrift Le roman expe´rimental (1880) hebt Zola die Synthese von Literatur und Naturwissenschaft, Kunst und Experiment hervor und konstatiert, (...) ,Der Romanschriftsteller muß wie ein Wissenschaftler den Menschen studieren. Er muß die den Menschen determinierenden psychischen, physischen und sozialen Mechanismen erforschen. (...). Wie in einer Versuchsanordnung sollen diese Faktoren (Vererbung und Milieu) im Roman zur Geltung kommen. Der Roman wird zum Experimentalroman.“ (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, dtv, Bd. 7, S. 37)
Danke schön riff-raff! Du hast mich auf wichtige Dinge aufmerksam gemacht, als du die ersten Kapitel analysiert hast. So muss das auch laufen. :winken:
(Das ist ein weiterdenken der These riff-raffs, nicht ein falsch verstehen. Riff-raff hat den Vergleich mit dem Establishing Shot benutzt, um die ersten Kapitel zu analysieren, stimmt das? nachfragen ist dann doch besser.)
Dabei ist mir nämlich folgendes aufgefallen: Zola berichtet, erzählt in Rückblenden und Zola rafft die Zeit. Allerdings werden einzelne, für die gesamte Handlung wichtige Entscheidungen und Handlungen innerhalb 1 Tages entschieden und dieser 1 Tag wird dann auch relativ ausführlich beschrieben.
Bsp.: (III. Kapitel) Acht Tage nach Camilles Hochzeit mit Therese kommt der junge Mann auf die Idee, nach Paris zu ziehen. Ein/zwei Tag später fährt seine Mutter nach Paris und besorgt dort den neuen Laden für Kurzwarenwäsche.
(III. Kapitel) Innerhalb eines Tages verlässt die Familie Vernon und zieht noch am selben Tag nach Paris.
Und der Hochzeitstag findet natürlich auch innerhalb eines Tages statt.
Was somit in Opposition zueinander steht, sind diese einzelnen Tage, in denen entscheidendes für die Handlung passiert gegenüber der Zeitraffung. Durch diesen Gegensatz wird, meines Erachtens, die Öde und Langweiligkeit in Thereses Leben sehr deutlich. „Drei Jahre folgten die Tage einander, und einer war wie der andere; ...) (III. Kapitel)
Was dadurch natürlich auch auffällt ist die nicht-lineare Struktur der Erzählung innerhalb der ersten 4 Kapitel. 1. Kapitel: Beschreibung der Passage du Pount-Neuf. Hier ist der Ort des eigentlichen Geschehens. 2. Kapitel: Darstellung der zentralen Figuren im Rückblick 3. Kapitel: Der Entschluss und die Umsetzung, nach Paris zu ziehen. Camilles und Thereses Heirat. 4. Kapitel: Leben in Paris. Das Treffen alter Bekannter an den Donnerstag-Abenden.
Ich würde den ganzen Roman gerne mit dem Aufbau eines geschlossenen Dramas vergleichen. Dann verstehe ich die einzelnen Tage, in denen wichtiges für die Handlung geschieht, als Elemente der dramatischen Handlung.
Dann würde ich den Roman nach folgendem Schema strukturieren:
Einleitung:
1./2. Kapitel: in Rückblicken und Berichten werden die Figuren und die Orte dargestellt.
Ab dem 3. Kapitel beginnt die eigentliche Handlung: erst Camilles Wunsch mit seiner Ehefrau nach Paris zu ziehen sorgt für ein Zusammentreffen mit Laurent. Ab dem 3. Kapitel wird die Handlung linear aufgebaut, auch wenn Zola dort mit Zeitraffung arbeitet. Das zentrale Problem: Camilles und Thereses Heirat als absolute Ödnis ist dort schon eingeführt, denn jeder Tag gleicht dem anderen und Therese schmückt das gemeinsame Wohn- und Schlafzimmer nicht aus. Als sie Laurent liebt, verändert sie ihre Wohnung.
(Ich möchte hiermit nicht riff-raff widersprechen. Wenn man Zolas Stück als Theaterstück aufführen würde, würde ich aus dem selben Grund wie riff-raff angegeben hat, mit dem 5. Kapitel die Handlung beginnen lassen.)
Ab dem 5. Kapitel sehe ich durch das Auftreten Laurents ein erregendes Moment gegeben. Therese sieht Laurent und verknallt sich prompt in ihn. Diese Liebe beruht auf Gegenseitigkeit.
(Jetzt gehe ich nur ganz grob über die Handlung hinweg!!!)
Die Handlung nimmt an Spannung zu. Laurent und Therese treffen sich heimlich. Laurent schmiedet einen Mordplan (IX).
Höhepunkt: Laurent führt diesen Plan aus (XI Kapitel). Die Liebe zwischen Laurent und Therese verändert sich. Sie distanzieren sich voneinander.
Was dann einen zentralen Teil des gesamten Romans ausmacht, ist das Leben beider Figuren im Wissen darüber, dass beide Camille getötet haben. Das führt dann zum eigentlichen Schluss der Handlung.
Was ich noch nicht kapiert habe, ist die Selbstverständlichkeit der Figuren, diesen Mord zu begehen und nicht mal darüber nachzudenken, welche Folgen das für beide haben kann.
Beide Figuren (Laurent und Therese) handeln nur aufgrund ihrer Leidenschaft: Beide lieben einander, also treffen sie sich. Camille stört ihr Liebesverlangen, also muss er beseitigt werden. Am leichtesten ist die Tötung. Beide haben keine Angst davor entdeckt zu werden, beide machen sich keine Gedanken über ein mögliches schlechtes Gewissen. Und dann endet der Roman so, wie es meiner Ansicht nach vielen Menschen geht, die gegen ihr Gewissen gehandelt haben: Sie bekommen Schuldgefühle, zeigen Reue.
Deswegen auch meine Frage nach dem beruflichen und sozialen Alltagsleben einer Frau in der jeweiligen gesellschaftlichen Zeit. War es damals üblich, dass Frauen mit einem „Langeweiler“, sprich Camille, verheiratet waren und sich einen Liebhaber wie Laurent wünschten? Einfachste, und im Endeffekt auch zerstörerischste Lösung: die Tötung des Ehemannes.