Beiträge von sandhofer

    Eigentlich verwende ich vor allem den Begriff Höhepunkt sehr ungern für meine Lektüre. Höhepunkte gibt es in meinem gesamten Lektüreleben vielleicht deren fünf oder sechs. Keiner davon war im vergangenen Jahr, obwohl Dos Passos und Schmidt verdammt nahe dran kommen. Ich spreche daher lieber von Büchern, die mich wirklich enttäuscht haben und denen, die mir sehr, sehr gut gefallen haben.


    Also:


    Bücher, die mich enttäuscht haben waren

    - Don DeLillo: The Body Artist [wobei das mit Ansage kam, ich wusste, dass es schlecht sein würde]

    - Bertha von Suttner: Marthas Kinder [plumpes Herumschieben von Figuren, die unter den Deckmantel des Pazifismus Probleme des k.u.k. Hochadels wälzen]

    - Uwe Johnson: Jahrestage [konnte mich weder sprachlich noch inhaltlich überzeugen, aber ich weiss, dass es Fans gibt]

    - Wilhelm Lamszus: Das Menschenschlachthaus / Das Irrenhaus [noch ein Pazifist, der Figuren herumschiebt]

    - Volker Weidermann: Mann vom Meer [ein Versuch, Th. Mann eine Liebe zum Meer anzudichten, die ihn ein Leben lang beschäftigt hätte. Stellt sich heraus: es waren bestenfalls die ersten paar Jahr des erwachsenen Mann]


    Bücher, die mir sehr, sehr gut gefallen haben:

    - Arno Schmidt: Seelandschaft mit Pocahontas [die wohl berührendste Liebesgeschichte aus der Adenauer-Zeit]

    - Jane Austen: Pride and Prejudice [braucht Jane Austen eine Erklärung? Höchstens die, dass es sich bei ihr nie um einfache Liebesromane handelt]

    - Lawrence Ferlinghetti: Notizen aus Kreuz und Quer [Reisenotizen eines Vertreters der Beat Generation aus fast 100 Jahren Reisens]

    - Wilhelm Raabe: Fabian und Sebastian [diese wenig bekannten Romane Raabes haben sehr viel Untergründiges in sich]

    - Josephine Tey: Wie ein Hauch im Wind [ihr bester Roman - stilistisch wie von der Kriminalhandlung her]

    - Ingrid Bachér: Das Paar [eine von der Gruppe 47 marginalisierte Autorin - eine sehr zarte und melancholische Liebesgeschichte]

    - Ruth Rehmann: Abschied von der Meisterklasse [noch eine von der Gruppe 47 Marginalisierte, die das Scheitern einer Künstlerexistenz beschreibt]

    - Hanns Eisler: Johann Faustus [eine gut gelungene sozialistische Variation über das Thema "Faust"]

    - Louis Aragon: Der Pariser Bauer [der den Surrealismus begründende Text]

    - Étienne Bonnot de Condillac: Abhandlung über die Empfindungen [übersetzte Lockes Sensualismus ins Französische]

    - Herders Briefe [tiefe Einblicke in die Zeit des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik]

    - John Dos Passos: U.S.A.-Trilogie [formal wie inhaltlich das Vorbild von Uwe Johnson - ein Vorbild, das Johnson meiner Meinung nach nicht erreicht hat}

    - Jane Austen: Mansfield Park [braucht Jane Austen eine Erklärung? Höchstens die, dass es sich bei ihr nie um einfache Liebesromane handelt]

    - Béla Rothenbühler: Polifon Pervers [eine echte Überraschung. Nominiert für den Schweizer Buchpreis. Eine freche Abrechnung mit dem kommerzialisierten Kulturbetrieb]

    - Hermann Broch: Der Tod des Vergil [Brochs hier verwendete Sprache hier muss man mögen]

    - Wilhelm Raabe: Unruhige Gäste [diese wenig bekannten Romane Raabes haben sehr viel Untergründiges in sich]

    - Jean-Yves Tadié: Marcel Proust [die Proust-Biografie schlechthin - erschöpfend und nie wertend]

    - Thomas Pynchon: Mason & Dixon [Postmoderne at its best]

    OT, aber interessant, wie ich finde:

    mithilfe des Herausgebers des Göttinger Musenalmanachs

    Heinrich Christian Boie. Ein vor allem als Herausgeber verschiedener Zeitschriften ungeheuer wichtiger Mann jener Zeit. Seine eigenen Gedichte sind ... na ja ... Seine Schwester heiratete übrigens 1777 Voß. Was wiederum Boie in die Bredouille bringen sollte, als sich Voß einerseits, Heyne und Lichtenberg andererseits über Details der griechischen Philologie verkrachten. (Der Verleger des Göttinger Musenalmanachs, Johann Christian Dieterich, war auch Verleger, Freund und Mietsherr Lichtenbergs ...)

    Ich habe die Canterbury Tales Anfang Jahr mal angelesen, bin aber über den Prolog nicht hinausgekommen, kann also zu den eigentlichen Erzählungen nichts sagen. Dass ich nicht weiter gekommen bin, lag vor allem daran, dass ich versuchte, den Text im mittelenglischen Original zu lesen. Da habe ich mich wohl übernommen, obwohl ich der Meinung bin, als Student zumindest die eine oder andere Erzählung geschafft zu haben. Hilft jetzt auch nicht weiter, ich weiss.

    Nun überlege ich, ob ich mir sämtliche Erzählungen von Borges zulege...

    Borges hat immer wieder mal grossartige Ideen. Einige davon sind ja legendär geworden. Aber in der Masse seiner Geschichtgen wird er für mein Dafürhalten dann doch repetitiv.

    Oh, das hab ich gelesen, wohl kurz nach Erscheinen dieser Ausgabe

    https://d-nb.info/976787091

    angeblich ist die komplett, bis auf den (unübersetzbaren) Abschnitt über den Argot.

    Der Fan dickleibiger Romane war durchaus angetan, fand aber die (jahrelang später gelesenen) "Arbeiter des Meeres" besser.

    Sinn für ein gewisses Ausmaß an Romantik wie Kolossalität sollte eventuell vorhanden sein, aber schlussendlich ist's ja nicht dicker als drei Romane von Balzac zusammen :-)

    Oh ... gelesen habe ich den Roman schon einmal. In der Ausgabe, die hier steht und mich so unverschämt angrinst: Texte variantes, notes et bibliographie par Maurice Allem. Bibliothèque de la Pléiade, 1951. Antiquarisch erworben. Rund 1775 Seiten Taschenbuchgrösse.


    Deine letzten beiden Sätze unterschreibe ich.

    (Proust wird bei jeder Lektüre nur schöner - auch die scheinbar langwierigeren Passagen. Und man kann - meiner Meinung nach - den typisch Proust'schen Satzbau, die typisch Proust'sche Sprachmelodie halt nur auf Französisch geniessen.)


    Zum Mann ohne Eigenschaften: Da gibt es (gab es? - auf der Verlags-Website sind, noch immer oder wieder?, alle Bände der Werkausgabe aufgeführt) die sechs Bände der als kritischer Ausgabe verunglückten Werkausgabe bei Jung und Jung, wo man ab Band 4 sozusagen live mitverfolgen kann, wie Musil mit Fortsetzung und Ende des Romans gerungen hat und doch zu keinem Resultat mehr gekommen ist. In dieser Hinsicht sehr faszinierend zu lesen. Ich würde den von Frisé hergestellten Schlussteil nicht dem Autor anlasten.

    Nur einige Metaphern in den Gedichten fand ich reichlich abgedroschen, wie den Rosenknospenmund und die Lilienfinger.

    Wenn ich im im DWB, dem Grimm'schen Wörterbuch, suche, finde ich als erste und einzige Quelle für das Wort "Lilienfinger" eben diesen Heine. Für "Rosenknospenmund" gar nichts. Es könnte also durchaus der Fall sein, dass beide Wörter von Heine geprägt und zum ersten Mal verwendet worden sind. Dass sie seither abgedroschen wurden, könnte man ihm dann nicht vorwerfen.;)

    Klingt so, als würde der Autor ein wenig in der Tradition von Thoreaus "Walden" stehen.

    Natürlich steht jedes 'nature writing' - und nun gar das US-amerikanische! - in der Tradition bzw. im Schatten von Walden. Aber, um einmal mich selber zu zitieren:


    Das Haus am Rand der Welt ist auch anders als Thoreau. Während dieser seiner Naturbeschreibung in Walden immer wieder moralische oder politische Reflexionen beimischt, enthält sich Beston dessen und beobachtet und schildert einfach. Er ist sozusagen das Auge oder die Kamera, die die Bilder aufnehmen und dem Leser / Zuschauer weitergeben. Der Kommentator aus dem Off, den Thoreau in Walden immer wieder gerne spielt, fehlt. Beston schildert einfach ein Jahr im Leben der Tiere und Pflanzen am äussersten Rand von Cape Code, einer Halbinsel, die den östlichsten Zipfel des US-Bundesstaats Massachusetts ausmacht. [...] Beston gibt auch – anders als Thoreau – ganz offen zu, dass er dort nicht völlig einsam und autark lebte: Er fuhr des öfteren in die nächstgelegene Stadt, um Lebensmittel einzukaufen, und stand auch in Kontakt mit den Bewohnern der umliegenden Dörfer und vor allem mit den Männern der Küstenwache, die regelmässig am Strand patrouillierten. Aber diese Kontakte mit Menschen treten in den Hintergrund vor der Schilderung der Natur.