Hallo zusammen !
Eure Theorien sind doch keinesfalls blamabel ! Ich denke, Bloom sehnt sich einfach nach den alten Zeiten zurück - eine Art midlife-crisis ? Ich denke nicht, dass er wirklich physische Interessen hat, aber die Szene, wie er sich in den Gang des Mädchens beim Metzger hineinversetzt und ihn nachmacht, hat mich stutzig gemacht. Dazu noch eine Anmerkung aus Ellmanns Biografie:
Der Name Sheehy (ein Nachbar) = eine irische Variante des Namens Joyce. Joyce bezeichnet den Namen später als doppelgeschlechtlich (she - he) und entwickelt eine Theorie, die er über sich selbst als weiblichen Mann aufstellt. :rollen: Sollte sich Bloom auch so empfinden ?
Zur Rollenverteilung: Bloom scheint sehr stolz auf seine Frau zu sein, die Sängerin ist und eine wundervolle Stimme hat - deshalb verwöhnt er sie. Vielleicht auch, um sie wieder zurückzubekommen, er sieht in ihr die Nymphe und an sich nur seine "schlaffe flutende Blume".
Im Lotus-Esser-Kapitel (wieder ein Lesegenuß) wird ja wirklich die Parallele zur Odyssee sehr deutlich: Gerüche, Drogen, Blumen, Alkohol, Wetten, Parfum usw. Es wird mit der Kirche abgerechnet, die die Sinne der Menschen vernebelt.
Besonders gut gefiel mir die Stelle über den Wein, den nur die Prieser trinken, da sonst alle Saufköppe der Umgegend kommen würden. :breitgrins: Joyce geht aber noch weiter als Homer, Bloom hat erotische Vorstellungen und Träume, sie bestimmten dieses ganze Kapitel. Vergißt Bloom dadurch die Wirklichkeit, immerhin ist er auf dem Weg zur Beerdigung, seinen Schmerz über Marion ? Sehnt er sich in Wirklichkeit doch nach einem Glauben, der nicht von Macht und Sünde bestimmt wird ?
Aber warum geht der jüdische Bloom in einen katholischen Gottesdienst ?
Bisher scheint die Religionszugehörigkeit Blooms keine Rolle zu spielen, oder ?
Hier noch eine Zusammenfassung der Jugend von James Joyce, der übrigens katholisch war:
Vater John Joyce - im Ulysses als Simon Dedalus und z.T. als Bloom skizziert, begnadeter Tenor, hervorragender Sportler; erbt nach frühem Tod des Vaters etlichen Grundbesitz, der aber nach und nach verkauft werden muss; arbeitet als Steuereinnehmer, bis er mit 42 Jahren pensioniert wird ("...in seinen eigenen Augen war er nie ein Armer, sondern stets ein Reicher, der Rückschläge erlitten hatte."); er gilt als überaus schlagfertig, fröhlich und leichtsinnig, liebt Wortspiele und Anekdoten
Mutter Mary Jane (May) Murray - ebenfalls sehr musikinteressiert, bekommt zwischen 1882 und 1893 10 Kinder und einige Fehlgeburten !!!
James Augusta Joyce, geb. 2.2.1882 (Augusta war ein Schreibfehler bei der Namenseintragung) war der Älteste von 10 Kindern (4 Brüder, 6 Schwestern). Nach mehreren Umzügen bekommt er mit 1887 eine Erzieherin, die sehr religiös und nationalistisch ist. Er bekommt in der Familie den Spitznamen "Sunny Jim" wegen seines heiteren Gemüts.
Bereits mit 6 Jahren kommt er in das von Jesuiten geführte Clongowes Wood College, 40 Meilen von zuhause entfernt. Hier wird er Meßknabe und ist insgesamt wohl sehr beeindruckt von der Kirche. Als sein Vater arbeitslos wird, kann er das Schulgeld nicht mehr bezahlen und geht fast 2 Jahre in die Schule der Christlichen Brüder. Seine damaligen Nachbarn werden im Ulysses skizziert. 1894 bekommt er ein Stipendium für das Belvedere College, das ebenfalls von Jesuiten geführt wird (sein Vater beschwatzt den Direktor, der James bereits von Clongowes Wood kennt).
1896 hat er sein erstes sexuelles Erlebnis mit einer Prostituierten ("...und dieses Experiment trug dazu bei, seine Vorstellung vom sexuellen Akt als etwas Schändliches zu prägen,..."). Er hat Gewissensbisse, durch die religiöse Erziehung werden diese noch verstärkt und er stürzt sich ganz auf die Religion. Bald erkennt er, dass der Glaube ihm jedoch nicht weiterhilft und er wendet sich innerlich ganz davon ab ("Er fühlte, dass er zwischen ewiger Schuld und ketzerischer Befreiung der Sinne wählen müsse.") Er wendet sich der Kunst zu ("...von sündigen Menschen über sündige Menschen geschrieben ..."). Einer seiner Vorbilder war Ibsen, der sein Land verließ und sich "Verbannter" nannte (" Wahrheit als Urteil und Enthüllung - und Exil als künstlerische Bedingung").
Gruß von Steffi