Beiträge von charlie1965

    Ihr seid zu schnell für mich, ich bin halt Parallelleser. Heute morgen in der Bahn habe ich endlich den ersten Teil beendet (also bis zur Abreise des Tschurimanns nach Algier).


    Besonders übel aufgestoßen ist mir bisher die Bestrafung des Schulmeisters. Hier stellt sich Rudolf außerhalb jeglicher Gesetzlichkeit, was vielleicht höchstens noch dadurch erklärlich (aber nicht verzeihlich) wird, dass er im absolutistischen Sinne als Fürst erzogen worden ist (was aber der Leser zu der Zeit eigentlich noch nicht weiß). Auch bin ich nicht wirklich davon überzeugt, dass die läuternde Absicht der ganzen fürchterlichen Strafaktion wirklich von Erfolg gekrönt ist, ich vermute eher, man wird im weiteren Verlauf noch vom Schulmeister und seiner Rache lesen. Ich empfand die Bestrafung des Schulmeisters auch im Vergleich zu ähnlichen Stellen bei Karl May als sehr drastisch und unangemessen. Karl May hat sich immerhin oft bemüht, solch fürchterliche Strafen als Unfälle im direkten Zusammenhang mit der Ausübung eines Verbrechens darzustellen (Stichwort "Gottesurteil").


    Dem entgegen steht Rudolf als Wohltäter, der hier beispielsweise für Karl Mays "Fürst des Elends" im "Verlorenen Sohn" Pate stand (der andere Pate war wohl der "Graf von Monte Cristo").


    Für mich als alten Karl-May-Leser ist es jedenfalls interessant, in Sues Roman eine maßgebliche Quelle für Mays Konstruktionen zu erkennen.

    Heute früh ist mir ein seltsamer Widerspruch aufgefallen: Da erzählt die Eule, sie habe aus den gestohlenen Papieren Toms Kenntnisse über die Herkunft Maries. Tatsächlich aber hatte sie bereits in der Kneipenszene vor dem Diebstahl der Papiere durchblicken lassen, dass sie von Maries Abstammung weiß. Ein Schnitzer Sues oder lügt die Eule bewusst? Hm.


    Er ist nicht nur Schablone - er ist einfach schlecht. Zwecks Spannung beginnt Sue mit einer Schlägerei, dann gehen drei einander praktisch Unbekannte, in und aus einem Milieu, das dem Einzelnen eigentlich äusserste Zurückhaltung beibringen sollte, nicht nur zusammen einen saufen - sie erzählen einander noch gegenseitig ihre Geschichte, weil Sue gemerkt hat, dass er seinen Figuren doch noch einen Hintergrund geben sollte und er sich - weiss der Henker, warum - scheut, dies in einer auktorialen Erzählung zu tun, die hier die einzig angemessene Form gewesen wäre.


    Könnte es sein, dass Sue - wie auch Karl May bei seinen Kolportageromanen - nach Zeilen bezahlt wurde? Dann ist der Erzählstil durchaus sinnvoll, wenn zwar nicht literarisch, so aber doch wirtschaftlich, denn durch das Erzählen gibt es immer wieder Gelegenheit zu mehr oder minder intelligenten Einwürfen und Nachfragen der Zuhörenden, die sich natürlich in zusätzlichen Zeilen niederschlagen.


    Ich seh schon, ich hinke heilllos hinterher.


    Mit eurem Lesetempo komme ich nicht mal annähernd mit, ich werde den Roman einfach langsam weiter genießen und eure Eindrücke zu den Kapiteln dann nachlesen und hin und wieder auch meinen Senf dazu geben.


    Katrin


    Tröste Dich, ich habe auf Grund meiner diversen anderen Lektüren auch gerade mal erst 80 Seiten geschafft, diese aber mit Genuss. Anfangs kamen mir Namen wie "Tschurimann", "Schallerin" oder "Marienblume" zwar auch etwas seltsam vor, aber inzwischen stört mich das nicht mehr, denn die Geschichte selbst ist gut genug erzählt um zu fesseln. Und wie sagte Goethe bereits in einem seiner besseren Stücke? "Namen sind Schall und Rauch" (oder so ähnlich, ich bin jetzt zu faul um nachzuschlagen oder nachzugooglen). Die Pariser Subkultur des 19. Jahrhunderts kannte ich bisher nur aus einer Kurzgeschichte Bram Stokers ("Das Festmahl der Ratten" heißt sie, glaube ich), und allein dieses Milieu ist doch recht faszinierend. Von den "Geheimnissen" habe ich auf den wenigen Seiten natürlich noch nicht viel erfahren, aber immerhin bin ich nun doch neugierig, woher die Schallerin stammt und warum ihre Mutter sie nicht haben wollte, wie die "Eule" behauptet ... demnächst mehr in diesem Theater!

    So, ich melde mich auch mal. Ich habe inzwischen ebenfalls die Insel-Ausgabe vorliegen, muss aber zu meiner Schande gestehen, noch nicht damit begonnen zu haben, nehme es mir aber für die nächsten Tage fest vor! Ob ich mit Eurem Tempo mithalten kann, weiß ich nicht, ich wechsele gerne mal zwischen verschiedenen Lektüren und parallel lese ich derzeit (immer noch) an Karl Mays Waldröschen, an Goethes "Italienischer Reise", an Eckermanns "Gesprächen mit Goethe" und ab und zu schiebe ich noch ein Drama von Schiller dazwischen. Schau'n mer mal!

    Wie schon weiter oben erwähnt, ist die Insel-Ausgabe wohl die einzige ungekürzte Ausgabe, die verfügbar ist.


    OK, ich war mir nicht sicher, ob "verfügbar" sich nur auf aktuell im Buchhandel erhältliche Bücher bezog, oder zudem auch auf antiquarisch erwerbbare Titel wie eben die dtv-Ausgabe. Letzteres war also gemeint. Nun, dann bin ich ja froh, meinen dtv-Band noch nicht gelesen zu haben, da ich ungekürztes Lesen bevorzuge, und werde noch rechtzeitig in die it-Edition investieren.

    Um diesen uralten Thread mal aufzugreifen: Ob May ein "Klassiker" ist, hängt von der Definition dieses Begriffs ab (im Goetheschen Sinne sicher nicht). Ich lese gerade Mays "Waldröschen" als Bahnlektüre in der Version der Erstausgabe (Reprint "Edition Leipzig"), bin gerade mit dem ersten Band durch (von sechsen insgesamt) und fühle mich damit prächtig unterhalten. Das Alterswerk Mays mag zwar ambitionierter sein, aber es liest sich teilweise doch arg bemüht, ohne dass man das Gefühl hat, dass May wirkliche literarische Höhen erreicht. Da ist mir der Kolportage-May dann doch lieber, und immerhin war sein "Waldröschen" der meist gelesene Kolportageroman des 19. Jahrhunderts, so dass man aus ihm möglicherweise mehr über die Seele des deutschen Volkes im 19. Jahrhunderts erfahren kann als aus vielen "echten" Klassikern.

    Hallo zusammen!


    Ich glaube, da bin ich - Neumitglied hier - auch dabei. Ich habe seit Jahren die dtv-Ausgabe ungelesen im Regal stehen. Da aber die dtv-Ausgabe nur aus einem (jedoch ziemlich dicken) Band besteht hier die Frage, ob diese Ausgabe vielleicht gekürzt ist. Denn dann würde ich mir evtl. doch noch vor Beginn der Leserunde die aktuelle zweibändige it-Ausgabe besorgen. Originaltext scheidet für mich leider aus, da ich nie französisch gelernt habe.


    Viele Grüße


    Charlie