Beiträge von Gontscharow


    Weil viele der Gestalten aus den "Metamorphosen" mehr-weniger verfremdet in der "Letzten Welt" vorkommen. Und wenn man ihre Originalfunktion nicht kennt, man auch die Funktion bei Ransmayr nur schwer versteht.


    Okay, okay! Damit und mit dem folgenden hast du natürlich vollkommen recht! Das wollte ich auch gar nicht in Abrede stellen, vielmehr dem Gefühl Ausdruck geben, dass sich in der Formulierung, die Metamorphosen seien eine ideale Vorbereitung für eine Ransmayr-Lektüre, eine gewisse (falsche) Wertigkeit oder Rangfolge ausdrückt. Ransmayrs Letzte Welt ist eine schöne Ergänzung zu den Metamorphosen, wäre vielleicht treffender.
    Aber wie dem auch sei, für uns, die wir uns an dem (übersetzten) Original von immerhin rund 400 Seiten gerade den Wolf lesen, mit unseren Interpretationsversuchen oft im Dunkeln tappen, auch mal die Sinnfrage stellen etc., ist es natürlich tröstlich zu wissen, dass wir jetzt wenigstens für eine Ransmayr-Lektüre bestens gerüstet sind. :breitgrins:


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    Das von dir empfohlene Buch kenne ich nicht. Habe gerade bei Youtube eine sehr schöne Puppenspiel-Szene nach der Letzten Welt gesehen mit vorgelesenen Passagen aus dem Buch. Hat mich sehr angesprochen! Danke für den Tipp!


    Zum einen sollte eine Leseempfehlung nicht fehlen bei dieser Runde: Ransmayrs "Die letzte Welt", ein wirklich hervorragendes Buch, das die Zeit der Verbannung in Tomi behandelt und für dessen Lektüre die "Metamorphosen" eine ideale Vorbereitung darstellen.


    Da musste ich doch etwas schmunzeln. Ovids Metamorphosen als Vorbereitung für Ransmayrs Letzte Welt? Nicht umgekehrt? Das ist ja fast so als würde einem geraten, zur Vorbereitung für Die zehn Gebote von Metro Goldwyn Meyer die Bibel zu lesen.


    Ich habe eben mit "Grimms Wörter" begonnen und bin gespannt, wie sich mein Leseerlebnis in das bisher hier Gesagte einordnet.


    Ja, und wir sind auch gespannt. :breitgrins:


    Zitat von Dostoevski

    Ich lese zurzeit den Kinderfresser.


    Das bedeutet doch hoffentlich nicht, dass wir in puncto Grimms Wörter nun von dir nichts mehr hören!
    Also, wir warten :winken:

    Zitat von Autor: Sir Thomas« am: Heute um 15:45 »

    Es scheint vielmehr, als wolle er der staatlichen Propaganda, die ein goldenes Zeitalter herangebrochen glaubte, das Negativbild permanenter Zerstörung, kosmischer Katastrophen und schleichender Dekadenzprozesse entgegensetzen.


    Das klingt sehr plausibel!
    Wandel generell ist den Herrschenden ja nicht so geheuer, sie lieben die Stagnation und die Petrifizierung der Verhältnisse. Und nun Ovid mit seinem Hohen Lied der Verwandlung:
    In nova fert animus mutatas dicere formas corpora/ In neue Gestalten verwandelte Wesen will ich besingen!
    Wandel erinnert die Herren auch daran, dass sie so fest auf ihren Stühlen nicht sitzen. Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine… Ich kenne mich (noch) nicht aus im augusteischen Zeitalter, könnte mir aber vorstellen, dass sich Augustus gerne als dem Wandel und dem Fluss der Geschichte enthoben verstanden wissen wollte. Schließlich ließ er sich als Gott verehren.

    Ich habe mir die Ausstellung von Else Lasker-Schülers bildnerischem Werk im Jüdischen Museum in Frankfurt angesehen.
    Jeder der ihre Gedichte kennt, kennt auch ihre Zeichnungen, ihren Nicodemus oder Prinz Jussuf. In dieser Ausstellung nun kann man ihr graphisches Werk in seiner Gesamtheit fast lückenlos und im Original bewundern. Faszinierend, auf welchen Materialen ihre Werke zum Teil entstanden sind: auf Briefumschlägen, der Rückseite von Telegrammen, Antragsformularen und immer wieder als Illustrationen auf Postkarten und Briefen z. B. an Franz Marc, Karl Kraus, Richard Dehmel, Georg Trakl und andere. Das demonstriert schon beeindruckend, wie ihr alltägliches Leben von Kunst durchdrungen war. Die Ausstellung zeigt auch durch Gegenüberstellung ihre Affinität zu modernen Kunstströmungen wie der Blaue Reiter u.a. und auch, woher sie sich ihre Inspirationen holte. So hat z. B. das stereotyp wiederkehrende Profil ihres Prinzen Jussuf seine Entsprechung in einer altägyptischen Büste aus dem Neuen Museum in Berlin.
    Jussuf, eine Kompilation aus dem arabischen Yussuf aus dem Koran und dem jüdisch biblischen Joseph, ist Elses alter ego und sein Land Theben ein jüdisch orientalisches Traumland, in das die schon früh sich heimatlos Fühlende sich versetzte. Es ist gleichzeitig Projektionsfläche für das Wilde, Bunte, Ungezähmte ihrer Kunst und ihrer Existenz. Das ist es, was ich an Else so schätze und bewundere: diese unglaubliche Bestimmtheit und Freiheit, mit der sie (geboren 1869!) sich als Künstlerin und als Mensch erfunden und verwirklicht hat, und die farbige Phantastik, mit der sie ihr Leben als Bohemienne in Berlin umgab. Manche Bilder schienen mir fast Entwürfe für die phantastischen Gewänder zu enthalten, die sie im wirklichen Leben getragen hat.
    1933 verließ Else Lasker-Schüler Deutschland, nachdem sie tätlich angegriffen worden war, zog in die Schweiz und ließ sich, als die Behörden ihr nach einer Palästinareise die Wiedereinreise verweigerten, in Jerusalem nieder. In einem Raum werden unter dem Motto Das Grauen der Einsamkeit (ein Diktum von ihr) die wenigen Zeichnungen gezeigt, die in dieser Zeit entstanden sind, mit Themen wie Abschied von den Freunden und Straßenszenen aus Jerusalem. „ Das Land blieb ja daselbe, Urland, die Schöpfung, aber ich versinke in mir und werde hier vor Traurigkeit sterben“, schrieb sie 1940. Eine letzte Zeichnung auf einem Stückchen kariertem Blockpapier zeigt mit schwachen Bleistiftstrichen Jussuf an einem Baum erhängt.


    Die Bilder sind eine schöne Ergänzung ihrer Gedichte, ja man kann darin auch irgendwie die Fortsetzung ihrer Lyrik mit anderen Mitteln sehen, aber die Ausstellung macht doch auch ganz deutlich, dass natürlich ihre Lyrik von größerer Bedeutung ist.
    Sie sei diesem der Lyrik doch eher reserviert gegenüberstehenden Literaturforum an dieser Stelle nochmal ans Herz gelegt und empfohlen!

    Kaum ist man mal ein paar Tage nicht da, schon geht es hier heiß her.


    Zitat von Autor: Lost« am: 31. Oktober 2010

    Keine Pietät in diesem Forum :grmpf:


    Nein, de mortuis nihil nisi bene kann auch ich nicht einhalten.
    Ich müsste sonst schweigen, denn auch ich habe vor über fünfzehn Jahren die Entdeckung des Himmels gelesen und ja, es war auch für mich eins jener hochgelobten Bücher, das mich an Urteil und Geschmack von Kritikern und literarisch interessierten Bekannten zweifeln ließ. Das Attentat, das ich in guter Erinnerung hatte, hielt dann leider bei einer erneuten Lektüre auch nicht mehr stand und von einigen wirklich miserablen Erzählungen will ich gar nicht erst sprechen …
    Tut mir leid, damit muss er leben :breitgrins:. Und ich glaube, das kann er, denn Humor hatte er und es ist ihm bestimmt lieber, dass man wenn auch kritisch über ihn spricht, als dass man ihn totschweigt.

    Zitat von Autor: Lost« am: Heute um 08:22 »

    Wenn das nicht alles ein Anreiz ist, noch ein Buch von Mulisch zu lesen.


    Siehste!

    Zitat von Autor: thopas« am: Gestern um 13:20 »

    Die Ironie Ovids kommt für meine Begriffe nur sehr selten zum Vorschein.


    Ehrlich? :zwinker: Ich meine, in nahezu jeder Geschichte lassen sich ironische Wendungen und Zuspitzungen ausmachen. Sie sind für mich der Hauptleseanreiz, jenes Gran Salz, das das Aufgetischte erst genießbar macht.*

    Zitat von Autor: thopas« am: Gestern um 13:20 »

    Ovid erzählt diese Geschichten voller Hinterhältigkeit und Bösartigkeit zumeist sehr nüchtern.


    Ja, das stimmt, nüchtern, fast stoisch (war Ovid Stoiker?), kühl und distanziert - beste Voraussetzungen für Ironie!


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    *Ironie ist das Gran Salz, das …. ( Zitat von Goethe)

    Fast ein Drittel der Metamorphosen, also die erste Pentade, liegt jetzt hinter mir.Trotzdem möchte ich nochmal zu Aktäon im dritten Buch zurückrudern.


    Zitat von thopas

    Ich habe auch noch die Geschichte mit Aktäon gelesen, und erinnere mich, daß wir diese im Lateinunterricht übersetzt haben.


    Ich glaube, dein Lehrer hat nicht zufällig diese Geschichte ausgewählt.
    Eine lektürebegleitende Frage für mich ist: Wieviel Ovid steckt in den einzelnen Geschichten? Was ist spezifisch für Ovid? Und in der Aktäon- Geschichte scheint mir viel Ovid zu stecken!


    Sie erzählt wie manch andere äußerst kunstvoll von jemandem, der unschuldig schuldig wird, den subjektiv keine Schuld trifft und der hart bestraft wird.
    … erwägt man es wohl, dann findet man dabei nur Fortunas Schuld, keinen Frevel, denn welche Sünde wars, sich zu verirren? leitet der Erzähler seine Geschichte ein, in einer rhetorischen Frage ihr Fazit vorwegnehmend.

    Netze und Eisen triefen vom Blut der Tiere, ihr Freunde; Glück genug brachte der Tag...
    Diese Worte Aktäons, die einen erfolgreichen Jagdtag beenden sollen, erfahren im folgenden ihre tragisch ironische Umkehrung. Der Leser weiß, erst wird noch sein, Aktäons, Blut fließen, ehe der Tag alles andere als glücklich enden wird, hat man doch außerdem noch den letzten Satz der vorangegangenen Kadmos-Geschichte im Ohr:
    Aber freilich muss der Mensch stets seinen letzten Tag abwarten, und keinen darf man glücklich nennen vor dem Tod und der letzen Feier.


    Aktäon wird zufällig Zeuge, wie die unbekleidete Diana mit ihren Nymphen ein Bad nimmt. Diese wunderschön geschilderte Szene ist zu einem beliebten Motiv der Kunstgeschichte geworden. Es gibt dazu Bilder von Rembrandt, Tizian, Cranach, Breughel, um nur die allerwichtigsten zu nennen! 2008 gab es in Düsseldorf dazu eine Ausstellung Aktäon und der Blick auf die Nacktheit.


    Zur Strafe für diesen unbeabsichtigten Blick auf Verbotenes wird er von der Göttin in einen Hirsch verwandelt und dann von seinen eigenen Jagdhunden gejagt und zerfleischt.
    Bevor sich aber sein Schicksal erfüllt und er den Tod findet, lässt der Erzähler, wie um den Jammer voll zu machen, das Schicksal noch seine ironischen Pointen ins Spiel bringen. Da werden erstmal noch alle seine ihn verfolgenden Jagdhunde mit ihren nichts Gutes verheißenden Namen, manche sogar mit ihrem Stammbaum und ihren kürzlichen Jagderfolgen und einst nützlichen, jetzt tödlichen Fähigkeiten genannt und beschrieben! Aktäon muss sich noch sinnlos an die Idee klammern, seine ehemaligen Helfer davon überzeugen zu können, dass ihr Jagdobjekt doch eigentlich ihr Herr sei.
    Ach, er flieht vor den eigenen Helfern
    Und seine ahnungslosen ehemaligen Jagdgefährten müssen noch, Ironie des Schicksals, nach Aktäon rufen, weil sie die Freude über den todeswunden kapitalen Hirsch mit ihm teilen möchten!
    Da wünscht er zwar fern zu sein, aber er ist da! Er möchte nur sehen nicht spüren das wilde Treiben der eigenen Hunde! ... und zerreißen ihren Herrn in der trügerischen Erscheinung eines Hirsches

    Ich habe nicht das Gefühl, dass das zynisch, sadistisch oder hämisch ist, dieses ironische Spiel mit seinem Helden, dieses Auskosten bis zur bitteren Neige. Natürlich ist auch etwas von the laugh is always on the loser dabei. Aber ich meine vor allem so etwas wie Melancholie und Weltschmerz zu spüren. Das ging mir schon beim Lesen anderer Geschichten so. Wie ist das bei euch, wie versteht ihr Ovids Ironie?


    Kalt, hämisch, schadenfroh und voyeuristisch dagegen scheinen mir die Götter dargestellt, die sich über den durch den Fleischwolf des Schicksals gedrehten Aktäon auslassen:
    Man spricht darüber verschieden. Den einen scheint die Göttin ungebührlich grausam, andere preisen und nennen sie entschiedner Jungfräulichkeit würdig. Beide Seiten finden ihre Gründe. Jupiters Gemahlin allein verrät nicht, ob Tadel, ob Lob sie spendet, sie freut sich vielmehr des Unglücks ...


    In "Menschliches Allzumenschliches" heißt es: "Die Griechen sahen über sich die homerischen Götter nicht als Herren und sich unter ihnen nicht als Knechte ... Sie sahen gleichsam nur das Spiegelbild der gelungensten Exemplare ihrer eigenen Kaste, also ein Ideal...


    Was mich irritiert: Er hat diese antike Gottesidee positiv gewertet, um sie der "Sklavenmoral" des Christentums entgegen zu halten.


    Ich kann die positive Wertung schon nachvollziehen. Der Mensch ist den Göttern quasi ebenbürtig, es sind Götter auf Augenhöhe...


    Allerdings, zwischen den homerischen Göttern und den Ovid'schen liegen 7-8 Jahrhunderte! Von [i]Spiegelbild der gelungensten Exemplare ihrer Kaste und Ideal kann bei Ovid keine Rede (mehr) sein! Außerdem schönt ja Nietzsche die antike Götterwelt zu Ungunsten des Christentums noch!


    Auf jeden Fall aber ist die Götterwelt der Metamorphosen ein Spiegel der realen Welt um Christi Geburt und so mancher mag sich darin erkannt haben, was vielleicht zu Ovids Verbannung beigetragen hat.
    Ich weiß leider (noch) zu wenig über die Gründe.

    In was für einem rachsüchtigen und brutalen Kosmos haben die Römer gelebt!


    Genau das, Sir Thomas, denke ich auch die ganze Zeit!


    Es ist ein kaltes grausames Universum mit sich widerstreitenden Machtbefugnissen und Kompetenzen. Es herrscht kein väterlicher fürsorglicher Gott, der alles aufs beste bestellt hat. Es gibt keine Gerechtigkeit. Auch das Leben nach dem Tod verspricht keine Kompensation für das Jammertal oder ausgleichende Gerechtigkeit.
    Die Götterwelt ist getrieben von den menschlichsten und kleinlichsten Gelüsten und Gefühlen wie Geilheit, Eifersucht, Eitelkeit und Neid und die Menschen sind ihnen ausgeliefert. Juno z. B., Göttin der Haus- und Ehefrauen, lässt sich nur leiten von Eifersucht, Missgunst und Rachegefühlen. Was dabei herauskommt, ist schreiend ungerecht, entspricht aber seltsamerweise der kleinbürgerlichen Moral bis heute: Das Opfer hat die „Arschkarte“, das Verführungs- und Vergewaltigungsopfer ist schuld, entehrt und wird bestraft, Vergewaltigung ist ein Kavaliersdelikt etc.
    Die Götter täuschen, tricksen und betrügen beinahe so oder schlimmer als die Menschen. Schlimmer, weil sie mit göttlicher Macht ausgestattet sind und es umso schlimmer treiben können und auch noch Ehrfurcht, Verehrung und Respekt verlangen dürfen. Das einzige, was vielleicht für sie einnimmt: Dass sie nicht allmächtig sind, auf Beziehungen angewiesen sind, leiden können … Im Grunde sind sie aber auf den Olymp projizierte, in ihren Lastern, Schwächen und Fehlern vergrößerte Menschen.



    Frei nach Nietzsche stelle ich mir die Frage: Was waren das für Menschen, die sich solche Götter gaben?


    Sie müssen stark gewesen sein, um mit einer Religion leben zu können, die keinerlei Trost, Geborgenheit, Entschädigung, Ordnung und Gewissheit bietet.
    Was man sonst Religionen nachsagt, nämlich dass sie aus Wunschvorstellungen und Idealisierungen gestrickt seien, kann man von dieser nicht sagen! Diese hier, wie Ovid sie beschreibt, spiegelt realistisch bis pessimistisch jene Zustände auf der Welt, über die die Religion eigentlich hinwegtäuschen soll. :zwinker:


    Die Metamorphosen sind vermutlich im Jahre 1 post Christum natum geschrieben.


    Besonders gefallen hat mir der Drachentöter Cadmus (zu Beginn des dritten Buchs). Das Erschlagen irgendwelcher Ungeheuer durch irgendwelche Helden scheint ein grundlegendes Thema der mythologischen und später der phantastischen Literatur zu sein. Beowulf und Siegfried fallen mir spontan ein, aber auch in Grimms Märchensammlung taucht dieses Motiv auf (ich erinnere mich leider nicht, in welchem Märchen).


    Wie gut, dass es Wikipedia gibt! Angeregt durch deinen Beitrag habe ich ein bisschen recherchiert und diese imposante Auflistung von Drachentötern gefunden: http://de.wikipedia.org/wiki/Drachent%C3%B6ter.


    Drachentöterei ist ja sonst eigentlich immer etwas langweilig und kindisch und eine rein männliche Domäne. Hier fand sich zu meiner Überraschung auch mal ein Frauenname: Martha von Bethanien. Und was hat sie im Gegensatz zu den Herren der Weltgeschichte mit dem Untier gemacht? Sie hat es nicht getötet, sondern gezähmt. Zivilisation ist weiblich! Überhaupt ist die ganze Geschichte der Martha interessant.
    Danke Ovid, danke Sir Thomas, ohne euch wäre sie mir unbekannt geblieben.


    Ich habe mich auch gefragt, warum diese Geschichte so plötzlich abreißt. Es wirkt ja wie ein Cliffhanger, nur daß es im dritten Buch dann gar nicht mit dieser Geschichte weitergeht, sondern damit, daß Kadmos Europa suchen soll, diese aber nicht findet. Ob wir irgendwann nochmal etwas von Europa hören werden?


    Am Anfang des dritten Buches findet die Europa-Geschichte durch das "Outing" Jupiters dann doch noch zu einem gewissen Abschluss, wenn auch nur in einem Halbsatz:
    Schon hatte der Gott Kretas Fluren erreicht, die täuschende Stiergestalt abgelegt und sich zu erkennen gegeben,( da gebietet Europas ahnungsloser Vater dem Kadmos, die Entführte mit Eifer zu suchen …)
    Das Plusquamperfekt iamque … se confessus erat/ schon.. hatte sich …zu erkennen gegeben signalisiert, dass Ovid dieses Geschehen bei seinem gebildeten Leser als bekannt voraussetzt und dass es zeitlich vor dem liegt, was er jetzt eigentlich zu erzählen gewillt ist. Es ist, wie Sir Thomas treffend sagt, ein atemloses Erzählen. „Typisch Ovid“ ist für mich die Akzentverlagerung auf den ahnungslosen Vater des Kadmos, der mit seinem Befehl, Europa zu retten, Unmögliches verlangt, da ja alles schon seinen Lauf genommen hat und der sein Unglück noch verdoppelt, indem er bei Misslingen dieses, wie der Leser weiß, aussichtslosen Unterfangens seinem Sohn die Verbannung androht, also nicht nur die Tochter nicht zurückgewinnen, sondern beide Kinder verlieren wird! Pater ignarus! Eine Form von (tragischer) Ironie!
    Die Überleitung vom zweiten zum dritten Buch erscheint mir sehr raffiniert, irgendwie modern!


    Sorry, wenn ich mich kurz einmische, aber ich habe mal eine Frage:
    Wieso malt sie der Künstler dann ohne Gewand, wenn der Autor sie ja eindeutig mit beschreibt?


    Och, das kann die unterschiedlichsten Gründe haben:
    - Valloton hat Ovid nicht gelesen
    - Er wollte, dass wir uns diese Frage stellen
    - Variatio delectat. Die meisten Europa-und -der-Stier-Darstellungen weisen ein sich bauschendes Gewand auf
    - Das Bild illustriert einen späteren Zeitpunkt der Reise: Das Gewand ist nass und schwer geworden und wurde abgelegt
    - ... :zwinker:

    [img width=120 height=120]http://www.mlahanas.de/Greeks/…ages3/EuropaVallotton.jpg[/img]Ängstlich blickt die Entführte nach dem verlassenen Gestade zurück und hält sich mit der Rechten an einem Horn fest. Die Linke stützt sich auf den Rücken. Flatternd bauscht sich im Wind ihr Gewand.


    So endet das zweite Buch - mitten in Europas Entführungsgeschichte. Habt ihr eine Ahnung warum ? Soll das ein cliffhanger sein?


    [hr]
    Das Bild ist von Félix Vallotton (1865-1925)


    Gibt es irgendwo eine Fundstelle für "Jupiter und Kallisto"?


    Voilà:http://de.wikipedia.org/wiki/D…nd_Kallisto.jpg#filelinks



    Faszinierend fand ich die Beschreibung der Göttin des Neides. Leider konnte ich sonst nichts über sie in Erfahrung bringen. Handelt es sich dabei um Eris oder um jemand anderen?


    Ja, faszinierend, der reinste Horror :angst:, dann aber auch psychologisch sehr fein und mit Ironie beschrieben:
    ...so zerfrisst sie und wird zugleich zerfressen und ist ihre eigene Strafe....
    ...und kann sich kaum der Tränen erwehren, da sie nichts Beweinenswertes sieht...


    Invidia ist, glaube ich, keine klassische Gottheit, sondern eine Personifikation des Neides, ob es da Vorlagen gibt, weiß ich nicht.
    Die spätere allegorische Darstellung des Neides als eine der sieben Todsünden entspricht jedenfalls der Invidia von Ovid - eine alte ausgemergelte Frau mit Schlange.

    Salve socii!


    Das zweite Buch habe ich durch!

    Erstaunlich, welche Vielfalt an mythologisch vermitteltem Wissen über Entstehung und Geschichte der Welt auf diesen wenigen Seiten schon vor dem Leser ausgebreitet wird! Nicht nur wie die Welt und die Menschen entstanden sind, erfährt man, sondern auch, welchem Umstand der Lorbeerbaum seine Entstehung verdankt, wie der Kleine und der Große Bär an den Himmel gekommen sind, wie Bernstein entstanden ist, warum der Rabe schwarz ist und der Schwan Wasser als Lebenselement bevorzugt, wie die bunten Pfauenaugen auf das Gefieder von Junos Lieblingsvogel kommen (überhaupt erfährt man viel über Vögeln *), wie die Panflöte erfunden wurde, ob die Liebe für den Mann oder die Frau schöner ist, warum Tiresias blind ist und Seherqualitäten hat, und noch einiges mehr.


    Es geht mir wie dir, thopas, von dem Originaltext verstehe ich wenig. Trotzdem meine ich durch gelegentliches Hinüberlinsen eine Ahnung von der Schönheit des Ovid’schen Textes bekommen zu haben, besonders was die beindruckend knappe elegante Form bei gleichzeitiger Plastizität der Schilderung angeht! Die Übersetzung von Gerhard Fink gefällt mir übrigens gut. Es ist zwar eine Prosaübersetzung, die Hexameter hört man aber heraus.


    Rubens’ Sturz des Phaeton, Sir Thomas, ist schwindelerregend!
    Es gibt von Rubens mindestens noch zwei Bilder zu den Metamorphosen des ersten und zweiten Buches: Jupiter und Kallisto und http://de.wikipedia.org/w/inde…etimestamp=20060116090246 Juno und Argus. Letzteres finde ich in seiner Pracht gelinde gesagt bizarr!





    *Pardon, konnte ich mir jetzt nicht verkneifen.

    Hallo,


    Danke, sir thomas, fürs Nachschauen. In der Versübersetzung von Johann Heinrich Voß (im Projekt Gutenberg ) heißt die Stelle übrigens:
    ...
    fühlet er noch aufbeben in der jungen Rinde den Busen
    ...
    Deutlich "sinnlicher" und näher an Ovid als unsere Übersetzungen!



    Mich hat der lüsterne Apoll nicht überrascht; ich meine, mich an jede Menge Geschichten über lüsterne Götter und arme, bedrängte Nymphen o.ä. zu erinnern.


    :breitgrins:
    Ja, aber das sind häufig Satyrn oder Silenen aus dem Gefolge des Dionysos, die Jagd auf Flussnymphen machen, oder aber der unverbesserliche Zeus (Kallisto). Dass aber der "Schöngeist" Apoll so außer Rand und Band gerät und sich lächerlich macht, finde ich schon erstaunlich. Obwohl - einige Geschichten weiter gerät er wieder außer Fassung und lässt sich zu etwas hinreißen, was er später bereut.



    Was haltet Ihr übrigens von der dort angesprochenen These, dass die aus dem Ruder laufende Fahrt des Himmelswagens und die katastrophalen Folgen einen Meteoriteneinschlag darstellen könnten? Ich finde das sehr gewagt.


    Beim Lesen der Phaeton-Episode dachte ich schon, dass diesem Mythos ähnlich wie der Sintflut-Geschichte die Erinnerung an eine reale Naturkatastrophe zugrunde liegen muss. Meteoriteneinschlag - finde ich gar nicht so abwegig angesichts der geschilderten verheerenden landschaftlichen Veränderungen.

    Hallo sir homas und thopas!


    Ihr seid hoffentlich einverstanden, wenn ich mich eurer Runde noch anschließe.
    Schon lange stehen die Metamorphosen auf meiner Leseliste. Euer Lesetempo gefällt mir :zwinker:. Es ist, glaube ich, dem Gegenstand angemessen und ich schätze, da kann ich mithalten!


    Gleich zu Anfang eine Frage: Habt ihr eine Ahnung, auf wen bzw. auf welche schon vorhandenen Mythen Ovid sich bei den Welterschaffungs-Kapiteln stützt? Die große Nähe zur Genesis hat mich erstaunt!
    Ich lese übrigens wie thopas die Ausgabe aus dem Patmos-Verlag. Ab und zu vergleiche ich mit dem lateinischen Text. Er scheint mir sehr schwer, sehr "verdichtet" - die Prosaübersetzung hat im Schnitt über 30% mehr Text!



    Die Schilderung des lüsternen Apollo hat mich überrascht, denn ich habe ihn mir bislang immer als eine Art Schöngeist des Olymps vorgestellt.


    Ja :zwinker:, spätestens seit Nietzsches Begriffspaar apollinisch /dionysisch steht Apoll für Vernunft, Klarheit, Maß. Ganz anders hier. Ich verspüre so etwas wie Ironie, wenn die Liebe als Krankheit bezeichnet wird, gegen die kein Kraut gewachsen ist und Apoll, der Gott u.a. der Heilkunst, hier als "hilfloser Helfer", also mit "Helfersyndrom" beschrieben wird, der zwar anderen, aber sich selbst nicht helfen kann.


    Die Verwandlung Daphnes in letzter Sekunde in den Lorbeerbaum ist sehr genau, anschaulich und sinnlich, praktisch in slow motion beschrieben.
    Mich würde interessieren, sir thomas, wie in deinem Text folgende Stelle übersetzt ist:
    (Verszeile 553 )sentit adhunc trepidare novo sub cortice pectus
    Bei uns heißt es:
    (Als er die rechte Hand an den Stamm legt,) fühlt er noch unter der frischen Rinde das Herz schlagen.
    Ich meine , trepidare pectus müsste man statt mit das Herz schlagen eher mit die Brust zittern übersetzen.
    Das wäre dem Text näher.(?)


    Ich habe sogar keine Mühe gescheut und mir durch eine liebe Freundin eine Madeleine besorgen lassen. Braucht man aber nicht. Nimm einfach einen gebrauchten Spülschwamm, weiche ihn eine halbe Stunde in Zuckerwasser ein, und beiß dann hinein.



    Und: Echte Madeleines - nicht die aus einem deutschen Supermarkt - sind so übel nicht. Auch wenn ich sie persönlich nicht mag, weil man die ohne Tee kaum geniessen kann. Und Tee trinke ich sehr, sehr selten ... :zwinker:



    @ sandhofer: dann sollte ich Madeleines doch nochmal probieren. Ich trinke nämlich sehr gerne und sehr oft Tee :breitgrins:.


    Wo ist der von Anita begonnene thread "Klassisch essen" hin?
    Ich möchte euch nämlich das ultimative Madeleine-Rezept nicht vorenthalten! Weder in deutschen noch in französischen Supermärkten bekommt man die echten, sondern nur eingeschweißtes Pappzeug. Da hilft nur selber backen!
    In (echten) Lindenblütentee eingetunkt, erzeugen sie dann jenen Duft, aus dem Prousts Kindheit ist ...