Zitat von Autor: Sir Thomas« am: 12. Mai 2011Was so einfach und schön klingt wie ein ovidscher Vers … das beruht immer auf harter Arbeit. Wie sehr Ovid mit sich gerungen hat, ist mir nicht bekannt. Entweder er war ein Genie oder ein versessenes Arbeitstier ….
Oder beides. Genie ist zu 1% Inspiration und zu 99% Transpiration, heißt es. :zwinker:
Wie auch immer, Ovids Poesie verbindet Genauigkeit der Aussage mit einer eleganten Leichtigkeit des Ausdrucks, die ihresgleichen sucht. Ich bin bis jetzt auf keine selbstreferentielle Aussage gestoßen, die Auskunft darüber gäbe, wie er das hinbekommt. Wohl aber berichtet in unserer Ausgabe der Übersetzer, wieviel Mühe es kostet, die scheinbare Mühelosigkeit des Originals nachzuvollziehen. Er schließt mit den Worten: Der vorliegende Versuch ist dazu bestimmt, laut vorgelesen zu werden; möge er die Hörer möglichst selten an die Mühen des Übersetzers erinnern.
Mombour hat vor kurzem im ch.-thread ein Buch vorgestellt, das von einem skurrilen, in Ovid vernarrten und sich an seinen Versen die Zähne ausbeißenden Altphilologen handelt, der irgendwann ausruft:
Zitat von Cees NoteboomNie wird es wieder eine Sprache wie Latein geben, nie mehr werden Präzision und Schönheit des Ausdrucks eine solche Einheit bilden.
Ein Stoßseufzer, der mir während der Lektüre von Ovids elegischen Distichen auch hätte entfahren können. :zwinker:
Ein Beispiel: In Amores I,10 gibt Ovid den Leda-Mythos in einem Halbsatz wieder:
…quam plumis abditus albis/ callidus in falsa lusit adulter ave …
…die der schlaue Ehebrecher in weißem Flaum versteckt als falscher Vogel narrte…
Diese Informationsdichte auf engstem Raum: das Haptische, die hingetupfte Farbe, Zeus’ Betrug, die Andeutung der Folgen, das alles ist zu anderthalb wohlklingenden Versen verwoben!
Die Übersetzung kommt dem sehr nahe , obwohl natürlich bestimmte Eigenheiten der lateinischen Sprache, dieses Auskommen ohne hölzerne Strukturwörter, Artikel und Partikel z. B. und die Möglichkeit der flexiblen Wortstellung – das Wort versteckt (abditus) ist ja wirklich im weißen Flaum versteckt (plumis abditus albis) - im Deutschen kaum nachvollziehbar sind…
So,das war’s erstmal für heute. Demnächst mehr. Wie du vielleicht gemerkt hast, habe ich die Amores bereits durch.
Wie weit bist du? - Sprache, Form und Ausdruck sind das eine. Wie steht es mit den Inhalten? Mit dem doch z.T. schonungslosen Realismus der Darstellung und Themen wie Impotenz, Abtreibung, Prostitution, Promiskuität etc? Wie kommst du mit dem Amoralismus des Liebenden (den Handgreiflichkeiten gegenüber der Geliebten, der Erpressung und Nötigung ihrer Friseuse u.ä..) zurecht?
Fragen über Fragen - ich bin gespannt! :winken: