Beiträge von Lost

    Urahn, Großmutter, Mutter und K... Nein, die Kinder sind in die Küche verbannt, während die Erwachsenen in der dumpfen Stube um den Vorleser geschart sind. Im Schein der Tranfunsel, das Gesicht dicht an der gefalteten " Le Journal des Débats" berichtet er stockend von den Helden- und Messetaten die sich in Stadt zutragen. Nur zwei Straßen weiter beginnen die dunklen Viertel, in denen die Messerstecher und Würger durch die Gassen schleichen.


    Mein Problem ist im Moment, dass ich diesen tief ernst gemeinten Roman nur mit einer gewissen Komik betrachten kann. Die Dichte, mit der Sue die vielen Themen verwebt ist so unwirklich, dass die betrübliche Wirklichkeit (so will ich es ein Mal annehmen) über die Sue schreiben will, mir entgleitet. Sue nutzt zwar seine Geschichte um Diskurse über einige zeitrelevante Themen einzustreuen, ich nenne nur die Frage der Frauenrechte, stolpert aber auch ständig über die offenen Enden seiner Erzählstränge, die er dann begierig zusammenrafft.
    Zurück in der Metropole beginnt er, Nebenfiguren ins Licht neuer Geschichten zu stellen (am Ende wird das bestimmt alles zusammenfließen), unser Fürst ( der sogar frivole Seiten hat) eilt durch die Gassen um das Schlimmste zu verhüten und wenn er an einem Ende ein Loch stopft, tut sich am anderen ein Höllenschlund auf. Sue schwenkt, ich begrüße das, ein wenig von der rohen Gewalt hinüber zu den wirtschaftlichen Sorgen, sowohl der besitzenden, als auch der niederen Klassen. Intrigen ersetzen das Klappmesser und ein Vorfahre Professor Moriartys kreuzt immer wieder unsere Pfade in den verschiedensten Kostümen. Anmut und Elend, Mut und Verzweiflung wohnen Wand an Wand, und nun wird uns auch ein Pärchen vorgeführt, welches uns schmunzeln lässt. Die Frage nach dem Humor ist also auch von Sue, wenn auch etwas etwas leise, beantwortet.


    Ich bin im ersten Band sehr weit gekommen, mit ein wenig Fortune ist er nächste Woche zu Ende gelesen. Ich werde dann eine Pause und ein, für mich anspruchsvolles, Buch vor den 2. Band schieben. Man kann jedoch weiter erwarten, dass ich die Geheimnisse bis Weihnachten gelüftet habe. Die Unterbrechung dürfte keinen Schaden anrichten, da Sue immer wieder uns Leser an die Hand nimmt und in die Geschichte hinein führt.


    Da sich doch die meisten in der Leserunde zur Lektüre bekennen, wird es sicher auch hier spannend weiter gehen, und das freut mich sehr :winken:


    Noch ein Tipp. Die lesenden Damen sollten immer etwas Riechsalz, ich empfehle Ammoniak, griffbereit haben :breitgrins:


    Moin, Moin!


    Wurde schon erwähnt, daß es vom "neuen" Simplicissimus eine <a href="http://www.ndrkultur.de/feuilleton/hoerbuecher/nhsimplicissimus100.html">Hörbuchausgabe</a> gibt? <a href="http://www.news.de/medien/855028609/die-rettung-eines-klassikers/1/">Eingelesen</a> vom Schauspieler Felix von Manteuffel.


    Das könnte die Lesung aus dem Hessischen Rundfunk sein. Eine Folge daraus hat mich auf den neuen S. aufmerksam gemacht. Radio hören ist teuer :zwinker:

    die Teutsche Philosophie ist ausschließlich durch Nietzsche vertreten. Lässt sich das verstehen? Und warum überhaupt ein philosophisches Werk?


    Dumm, dass man die Bände nicht einzel kaufen kann. Einige meiner TB würde ich schon durch schöne und preiswerte gebundene Ausgaben ersetzen.


    Ja, Humor findet man überall, ob in der Sprache, der Schlagfertigkeit in der direkten Rede, etc. Fragt sich nur, wie ihn der/die ÜbersetzerIn herüber bringt.


    Ich hatte mir vorgenommen zu schreiben, dass Sue die Fahigkeit zum Suptilen abgeht. Wenn das aber stimmt was du schreibst (ich lese die Übersetzung), dann muss Sue einen ausgesprochen suptilen Humor besessen haben. :breitgrins:

    Im Laufe des ersten Bands verlagert Sue das Zentrum seiner Erzählung aufs Land. Ein, aus uns bekannten Figuren bestehendes Trio Infernale lässt uns besorgt sein, was die meisten rechtschaffenen Leute und unsere Marienblume betrifft. Der Wolf stellt Rotkäppchen nach, und uns gefriert das Blut in den Adern. „Die Sonne sank am Horizont. Die Ebene war still und öde.“ Böses geschieht, und die Nacht wird lang und voll Grauen sein. Wird die Sonne wieder aufgehen? Seit Popper wissen wir: es lässt sich nur vermuten.


    Dem zeitungslesenden Publikum wird genügend Stoff geboten das Einschlafen zu erschweren, und ich kann mir denken, dass die einzelnen Folgen damals wirkten, wie bei uns ein Straßenfeger im TV. Er schafft es sogar uns Szenen vorzuführen, die an die antiken Tragödie erinnern.


    Nebenbei entwickelt er Ansätze wie man den Willigen aus dem Lumpenproletariat helfen könnte, die mich etwas an die Vorstellungen von Saint-Simon erinnern. Aufgefallen ist mir ebenfalls, wie er bemüht ist Neger (in dem Beispiel Davids, des Arztes) als vollwertige Menschen vorzustellen. Das dürfte zu dieser Zeit eine recht ungewöhnliche Haltung gewesen sein. Außerdem zieht er, für mich nicht ganz verständlich, die religiöse Karte. Mit einer Ausnahme kommen die Pfaffen bei ihm gut weg, wenigstens so weit ich nun gelesen habe und zur Läuterung gehören immer katholische Unterweisungen. Unser Dandy scheint also den Klerikalen den Vorzug zu geben.


    Noch ein Zitat: „Die ersten Regungen ungebildeter Naturen sind immer ungestüm...im Guten wie im Bösen...“



    Auf wenn können wir in der Leserunde noch zählen?


    Da ich an der Sue-Leserunde teilnehme und die ca. 2000 Seiten bestimmt nicht vor Weihnachten bewältigt habe, werde ich nicht teilnehmen können. Eure Beiträge werden mir jedoch Leitfaden und Reibeisen sein können :zwinker:


    Weiterhin viel Spaß.

    Das habe ich auch nicht behauptet. Blut- und Bodenprosa ist es für mich trotzdem (Stichworte wie "Landnahme", "Ein Mann und sein Land ...", "das Land ist gut, die Stadt ist verdorben", "Durchhaltevermögen, notfalls bis zum Untergang" mögen genügen).


    Nichts für ungut, zur Blut- und Boden- Ideologie gehört aber die rassische Komponente, die man in Segen der Erde nicht findet.


    An "Durchhaltevermögen, notfalls bis zum Untergang" kann ich mich nicht erinnern, an den Zusammenhang, in dem Hamsun die Redewendung gebraucht hat (wenigstens ist nicht von Durchhaltewillen die Rede), dann natürlich auch nicht.

    Die anderen zitierten Floskeln gehören seit langem zu den Topoi der Literatur (Landnahme Israels) und Bodenbesitz (der Mann und sein Land) war auch lange direkt mit Herrschaft verbunden (nicht umsonst hat man häufig den Juden die Erlaubnis Grundbesitz zu erwerben vorenthalten).


    Es ist natürlich unbestreitbar, dass faschistische Bewegung solche Vorlagen wie "Segen der Erde" aufnimmt und die Haltung, die Hamsun später einnimmt, macht es schwer, den Roman in Schutz zu nehmen.


    Hinweise, dass Laxness seinen Roman durchaus auch als Gegenentwurf scheint es zu geben. Ich habe mir das Buch bestellt, die Leserunde macht es mir schmackhaft.


    Ich mache mich aus dem Staub und bitte um Vergebung, für mein Eindringen in die Leserunde.

    Hallo Maria,


    unter anderem habe ich es mit dem bereits erwähnten Roman "Segen der Erde" probiert. Mein Fazit: Absolut unerträgliche Blut- und Bodenprosa! Wie konnte so etwas den Nobelpreis bekommen? Den Nazis wird es gefallen haben ...


    Den Nazis hat es tatsächlich gefallen, die Charkterisierung als "Blut- und Bodenprosa" bleibt dennoch zu oberflächlich.
    In dem Roman wird eher der Kampf archaischer Trotzköpfe gegen die widerspenztige Natur und nicht eine rassistische Krieger- und Herrenrasse thematisiert. Hamsun ist hier näher an Storm, als an den Nazidichtern (fällt mir keiner ein).

    Vorsicht! Ich kenne nun die Dialoge bei Sue leider (noch) nicht, aber die Idee, dass man "im Millieu" besonders banal, simpel oder einfach spricht, ist definitiv falsch. Das ist mitunter extrem kompliziert und die Sprecher bemerken sofort einen falschen Tonfall. Da gibt es eine eigene Grammatik und eigene Semantik. Und die Sprachgemeinschaft kann das sehr genau unterscheiden. Simpel: ist das nicht, nur: anders. Also jedenfalls nicht unter grammatischen Gesichtspunkten 8-).


    Ist man auf eine Übersetzung angewiesen, resultieren daraus noch weitere Schwierigkeiten. :sauer:


    Hallo,


    ein sozialkritischer Roman mit vielen Kolportageelementen, das trifft den Charakter dieses Romans sicherlich ganz gut. Die Zeichnung der Figuren ist mir auch zum Teil zu plakativ, und "Herr Rudolf" geht mir mit seiner Selbstgerechtigkeit und Selbstjustiz gewaltig auf den Wecker!
    Wenn Sue die Lösung des sozialen Problems sich allein auf diese patriarchalische Weise vorstellte, hat er sicher bei der 48er Revolution mit den Ohren geschlackert. Soweit ich mich an die Literaturgeschichte zu diesem Thema erinnere, hat er sich da auch ganz schnell zurückgezogen.
    Ich bin jetzt mit I,18 fertig und denke mit Schrecken an Rudolfs weitere eigenmächtigen Entscheidungen. Er führt sich hier wie ein Gott auf, der aufgrund seines Geldes und seiner Verbindungen über das Leben anderer, sozial schwächer eingestellter Menschen entscheiden darf. Vergleiche dazu sein Handeln gegenüber Mariefleur und dem Schulmeister. Ich bin gespannt, ob Sue ihn als statische Person durchführt oder ob der Mann doch noch eine Entwicklung zu einem im tieferen Sinne sozialkompetenten Geschöpf durchmacht.


    Auf der Seite mit der Blendung des Schulmeisters habe ich das Wort "Scharia" notiert. Gewiss war man damals näher am "Wilden Westen" und der Selbstjustiz und Verstümmlung als Strafe war noch nicht lange außer Gebrauch, doch stimme ich dir zu, unser Fürst schwingt sich in die Rolle des Racheengels auf, in die ein aufgeklärter Mensch nicht passt, wobei wir ihm schon auch eine gewisse impulsive Wut zugestehen sollten. Er war ja selbst vom Tode bedroht. Ich befürchte nur, hier spricht Sue für sich selbst.


    Sue bringt es tatsächlich fertig, ohne Not, viel zu früh und eher beiläufig die Identität der Marienblume zu enthüllen. Er schreibt Passagen, bei denen ich mir vorstelle, so schreibt jemand, der seine Hausaufgaben für eine Schreibwerkstatt erledigt, in der Art: "Beschreiben sie eine viktorianischen Wintergarten". Vielleicht hat er sich auch als Redakteur für die Klatschspalte beworben. Manches klingt danach. Die Zufälle häufen sich so, dass man denken könnte mit Glücksspiel kann man sicher ein Vermögen machen. Doch er schafft es weiter die Fäden so spannen, dass ich ihnen folgen möchte. Es ist eben Kriminiveau.


    Ich habe in eher zwielichtigen Kneipen häufiger erlebt, dass sich die Kombattanten anschließend gegenseitig ein Bier ausgegeben haben.


    Aus eigener Erfahrung kann ich solch ein Beispiel nicht bezeugen, die soziologische Literatur dürfte aber voll von entsprechenden Beispielen der Kooperationen sein: zwischen feindlichen Soldaten im Krieg, organisiertes Verbrechen, Kartellbildung, Profisport....
    Man denke nur an den Spruch: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

    Da hast du wohl bedauerlicherweise Recht, auch wenn sich für mich die Trivialitäten in den Geheiminssen, historisch bedingt, in Grenzen halten (s.o.).


    Ich nehme das zurück. Sue hat keinen Trivialroman geschrieben. Sue ist hier kein Wiederkäuer, denn erst das wiederkäuen ist trivial; Literaturwissenschaft hin oder her.


    Betrachten wir ruhig den Anfang, die Einführung unserer drei Musketiere.


    Da ist die liebliche, im Elend gefangene Marienblume, die vergewaltigt werden soll. Da ist der blutrünstige Messerstecher, der Knab, der sich sein Röslein von der Heiden pflücken will und dann ist da noch unser deutscher Held, der ihm eine auf den Hut haut. Wie wir wissen: hast du ihn auf den Hut gehaut, dann wird er wieder gut. Und genau das passiert.
    Was ist daran trivial? Gerade Mal 33,33.. Prozent, nämlich Rudolf der edle Recke, der, wie sich später zeigt, alle Kampfsportarten, die das 19. Jahrhundert zu bieten hat, glänzend beherrscht, der fast jeder Situation gewachsen ist, und der sich das „Spiel“ amüsiert betrachten kann, also eine reine Kunstfigur a la James Bond ist. Die beiden anderen sind so real, wie es verrohte Soldaten oder missbrauchte Kinder sind.
    Sue hat nicht die Klischees bedient, er hat mit literarischen Mitteln den Zeitungslesern eine widerwärtige Seite der Industrialisierung vor Augen geführt. Er hat gezeigt, dass das verbreitete Klischee, der Charakter hängt von der Herkunft ab, nicht zutrifft. Über seine Sicht, seine romantische Moralität lässt sich streiten, er hat aber, wenigstens in den ersten beiden Abschnitten, nicht mehr Triviales über die Zustände geschrieben, als es Triviales in der Wirklichkeit gibt.


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    Er ist nicht nur Schablone - er ist einfach schlecht. Zwecks Spannung beginnt Sue mit einer Schlägerei, dann gehen drei einander praktisch Unbekannte, in und aus einem Milieu, das dem Einzelnen eigentlich äusserste Zurückhaltung beibringen sollte, nicht nur zusammen einen saufen - sie erzählen einander noch gegenseitig ihre Geschichte, ...


    Damit führt uns Sue aber mit dieser Technik in eine Kultur, die ihre eigene Wertvorstellung und Ehrbegriffe hat. Gewalt und Stärke ist da halt so wichtig, wie in unserer Kultur einen Rechtsanwalt zum Freund zu haben, und entsprechend werden diese Aspekte gewürdigt.


    "äusserste Zurückhaltung" dürfte in diesem Umfeld eher ein exotisches Verhalten sein.


    Vor der Fußball Weltmeisterschaft 2006 gab es in Arte einen Bericht über Hoollians in Sheffield. Dort wird ein vergleichbares Mileu sichtbar, in dem man sich trifft, um sich zu verprügeln und um hinterher gemeinsam seine Wunden zu lecken. Die Trivialität des Romans ist also nur bedingt gültig, weil wir nicht merken wollen, wie unsere Klischees in Subkulturen zu komplexen Strukturen entwickelt sind.



    Wir lesen auch so Trivialliteratur ... :breitgrins:


    Da hast du wohl bedauerlicherweise Recht, auch wenn sich für mich die Trivialitäten in den Geheiminssen, historisch bedingt, in Grenzen halten (s.o.).

    Findest Du? Ich habe gestern abend noch die vier ersten Kapitel gelesen - und ich bin alles andere als entzückt. Das (vermutlich: Pseudo-)Argot ärgert mich, da viel zu dick aufgetragen. Die Handlung kommt nicht in die Gänge, da sich Sue damit amüsiert, irgendwelche Gestalten, die noch viel zu frisch sind, um mich wirklich zu interessieren, gleich irgendwelche Jugendgeschichten erzählen zu lassen, wie sie Victor Hugo 20 Jahre später viel besser (und larmoyanter! :zwinker: )erzählen sollte.


    Am Anfang, bei der Vorstellung der zentralen Figuren, ist der Roman tatsächlich Schablone, doch je mehr Figuren auftauchen, um so vielfältiger geht Sue vor. Es gibt allerdings weiter Passagen, in der er seine Figuren erklären und nicht handeln lässt. Ich nehme an, das muss er für die Leser tun, die über den langen Zeitraum des Erscheinens den Faden verlieren (so vie bei Fernsehserien jeder Folge gerne Zusammenfassungen voran gestellt werden), und es erinnert mich an Romane und Filme, die sich mit naturwissenschaftlichen und technischen Problemen befassen. Da gibt es auch häuftig ausufernde Vorlesungen darüber, wie man einen Nippel durch die Lasche zieht.


    Schrieben wir die Geschichte in unsere Zeit um, würden wir Trivialliteratur lesen, was einen Philosophen bestimmt auch auf den nächsten 1900 Seiten nicht entzücken sollte.


    Vergleiche mit der Gutzkow- Lektüre würden mich interessieren.