Beiträge von Lost

    Falls "nur" = "ausschliesslich": Ja. Allerdings auch im umgekehrten Sinne: lauter Proletarier wären genauso langweilig. Was mich bei der Stange hält (und wohl viele zeitgenössische Leser genauso bei der Stange hielt), ist der - bis anhin wohldosierte - Wechsel. :winken:


    Die höheren Stände haben in Sues Paris jedoch ein ausgesprochen langweiliges Dasein; keine Salons, keine Theater- und Opernskandale, keine politischen Debatten. Ein harmloser Ball, Geldprobleme und Familienintrigen, der öffentliche Raum des Großbürgertums fehlt. Er fokussiert sich auf die Unterwelt und auf die, die in der Gefahr stehen dorthin abzugleiten (beileibe nicht auf das Proletariat). Wäre ich Herausgeber der "Journal des débats" gewesen, hätte ich Sue schon eingetrichtert, dass seine Figuren auch Zeitung zu lesen haben. Herr Pipelet wäre der Prototyp dafür.


    Erstaunlich, wie die Gemeinde doch noch immer in der Leserunde versammelt ist. Ich kann jeden verstehen, der es nicht mehr aushält.


    Was ich übrigens lustig fand, war das zustande kommen des Duells.

    Beachtlich, dass gerade die, die Schwierigkeiten mit dem anspruchsvollen Text haben, weiter machen.


    Es würde mich interessieren, wer überhaupt noch an der Sache dran ist. Einige schweigen seit langem, was ich aber nicht für verwerflich halte.


    "Die Rede über den Geist des Positivismus" von A. Compte macht mir zur Zeit auch recht viele Probleme. :rollen:

    So wie ich es erhoffte bin ich nicht weiter gekommen, aber schon jetzt, wo gerade die Vergnügungs- und Jagdgesellschaft über Bjarturs Hof gezogen ist kann ich sagen, dass mich Laxness Kunst, seine Figuren anzulegen, beeindruckt. Bjartur z. B. ist sicherlich ein schlichtes Gemüt, und die rohen Seiten sind nicht zu übersehen, aber seine Nachdenklichkeit und die Erkenntnisse, die ihm Laxness zugesteht, sind immer wieder erstaunlich ohne aufgesetzt zu wirken.

    Wenn ich, was selten genug vorkommt, zwei Bücher unterschiedlicher Qualität parallel lese, so bleibt das schwächere dann doch irgendwann hängen und ich verliere den Faden. Man könnte neben Sue netürlich einen Dan Brown oder einen vergleichbaren Autor zur Seite stellen, dann würde ich aber wahrscheinlich beim Fernseher enden.
    Also durch und sich auf den näherliegenden Termin für die nächste Lektüre freuen :klatschen:

    Laut Wikipedia hat sich Sue für Malerei interessiert, daher ist es gut möglich, dass eine Person aus Sues Umfeld für den Maler Cabrion Pate stand. Ich bin erst im 9. Teil des Buches und Cabrion ist bisher kaum in Erscheinung getreten, daher kann ich weiter nichts dazu sagen.


    Bei den Pipelets hingegen kann ich mir sehr gut vorstellen, dass Sue reale Vorbilder hatte. Schließlich wohnte er auch in Paris, wo es Conciergen gab, daher liegt es nahe, dass er Erfahrungen mit ihnen und ihren Eigenheiten gemacht hat und diese dann die perfekten Vorbilder abgaben.


    Ja Doris. Ohne Concierge wäre es ja auch kein Paris Roman :zwinker:


    Am Ende geht Sue mit den beiden Pipelets etwas lieblos um, aber ich will natürlich nichts verraten :winken:


    Vielleicht können die Kunstsachverständigen hier zum Maler etwas beitragen. Er könnte ja auch als Modell für eine Richtung in der Malerei stehen. Die Positivisten nimmt Sue satirisch auch in der Gestalt eines Arztes aufs Korn.

    Außerdem gibt es zumindest zwei Figuren von weltliterarischem Rang: Albert Pipelet und seine Anastasia! Die Verfolgungen durch Cabrion,
    Pipelets hysterisches und absolut hilfloses Leid, die Verschmitzheit seiner Anastasia sind das Originellste und Beste an dem ganzen Roman!


    Dieses skurrile Pärchen, zusammen mit dem Maler, ist mir ein rätselhaftes Element in diesem Roman. Die beiden Pipelets haben ja ihre Funktion, die Bedeutung des Malers habe ich allerdings nicht verstanden, oder vielleicht auch zu nachlässig übergangen. Kann es sein, dass Sue hier Personen aus seinem eigenen Umfeld karikiert?

    Da die Müdigkeit um sich greift, kann ich ja, etwas früher als geplant, mein kurzes Fazit ziehen.


    Hätte Sue mich in eine exotische Welt geführt, wie es May und Gerstäcker, Cooper, Defoe und Stevenson getan haben, so wäre sein Buch nach wenigen gelesenen Seiten neuwertig in den Schuber und ins Regal zurück gewandert. Auch wenn ich weiter so eigensinnig bin und den Begriff Trivialliteratur relativiere, sind seine Geschichten und die Erzählweise auf langen Strecken fürchterlicher Schund. Trotzdem habe ich mich durchgebissen, denn Sue hat mit den Geheimnissen für seine Zeit ein politisches Dokument verfasst, eine Diskussion in zeitgemäßer Form angefacht. Was heute TV ist, war zu Sues Zeiten die Zeitung und so wie wir uns abends die Verkündigungen einiger lauten Politiker ansehen, hat Sue laut das Medium seiner Zeit genutzt, um seine politischen Vorstellungen unter das Volk zu bringen. Aus unserer Zeit heraus, mit den gesellschaftlichen Umwälzungen in den Zeiten nach dem erscheinen des Romans, nach 2 Weltkriegen und in einer Wohlstandsgesellschaft lebend, kann ich seinen Pathos und seine Lösungsvorstellungen für die Zeitprobleme auch nur schwer nachvollziehen. Auf der anderen Seite, habe ich aber unterhaltsam einiges erfahren, was mir, für die innere Logik dieser Zeit in Mitteleuropas, recht realistisch erscheint. Zustände in Gefängnissen, in Krankenhäusern, was Arbeit am Rand des Elends bedeutet, wie ein Kaufhaus für Arme funktioniert und wie die Justiz auf das Verbrechen reagiert. Der Unterschied zwischen Elend und Reichtum, Recht und Unrecht, gut und böse, wie könnte er besser thematisiert werden, als in einem Roman. Sue hatte sich viel vorgenommen, zu viel nach meiner Ansicht, und seine Vorstellungen sind aus heutiger Sicht zum Teil widerwärtig. Ihm ist aber auch anzurechnen, dass er sie Umwälzungen in der aufkommenden Massengesellschaft aus einer humanistischen Perspektive angeht.
    Zola hat es besser gemacht, aber auch später. Ich lasse Sue den Verdienst der erste französische literarische Mahner in diesem Zusammenhang zu sein. Somit war die Lektüre anstrengend aber keine Zeitverschwendung.

    Wer keine Ausdauer hat, muss eben schnell laufen, bzw. lesen. Nachdem ich bei Sue doch einen Monat eingespart habe, begann ich gestern mit "Sein eigener Herr".
    Es fällt mir schwer das Buch aus der Hand zu legen. Am liebsten hätte ich die Nacht durchgelesen.
    Bis jetzt habe ich das Kapitel, "Die Hochzeit" hinter mir und, auch wenn es vielleicht voreingenommen ist, der Stil, die Geschichte und die dezenten Bosheiten von Laxness machen viel Spaß.


    Falls es gestattet ist, werde ich ab und zu über meine Eindrücke hier schreiben.


    Hallo,


    befinde mich im achten Teil - im Frauengefängnis von Saint Lazaire.
    Die Wölfin erregt wieder ein wenig meine Leseaufmerksamkeit, dagegen wirkt die penetrane Gutfrau Marienblume (diesen schwerfällig-deutschen Namen finde ich inzwischen recht angemessen) so einschläfernd wie ein Absatz aus dem Kathechismus.


    Mit der Wölfin gibt sich Sue noch eine Chance eine Figur differnziert zu schildern. Er macht es aber nur kurz und steckt sie schnell in die Schublade der edlen Armen :grmpf:


    Marienblume ist m.E. die zentrale Figur des Romans, die Madonna, die quasi die Leiden Christis nachlebt und nicht fällt, eine Inkarnation der Reinheit und leider auch literarischen Seichtheit.
    Überhaupt fällt mir auf, dass Sue und vielleicht auch die Epoche von den Teenagern viel abverlangt. Jugend schein es nicht zu geben.


    Gegen Schluss mit "Die Vorbereitung" schreibt Sue das beste Kapitel des Romans :smile:


    Den letzten Teil, den Epilog mit den Briefen habe ich nur diagonal gelesen. Er ist wie ein Filmabspann. Was noch offen ist wird zugedeckelt, das Pariser Publikum kann seufzend die Kerzen ausdrücken, in den Salons wird man noch die Implikationen auf die Politik diskutieren, die dabei initiierten zwei, drei Duelle gehen glimpflich aus, und unberührt davon köchelt mit Volkeswut die nächste und letzte Revolution auf dem Herd.