Beiträge von Lost

    Jetzt habe ich das dritte Buch von W.G. Sebald in den Händen und stelle wieder fest, er hat eine große Scheu(?) Absätze zu machen. Kennt jemand die Hintergründe dafür? Ist das nur ein Spleen oder stecken bekannte literarische Gedanken dahinter?
    Beim Lesen merke ich jedenfalls, dass es Hemmungen gibt zu unterbrechen.

    Nach der Mühsal mit den ersten beiden Bänden von "Joseph und seine Brüder" habe ich gestern Abend spontan zu dem Unterhaltungsroman "Ghost" von Robert Harris gegriffen und über 200 Seiten lesen. Er ist lange nicht so gut wie "Enigma" ist jedoch wieder spannend erzählt. Leider ist sich Harris nicht zu schade für die vulgäre Form des "Creative Writing" und legt die Frau der einen Hauptfigur ins Bett der anderen, was bei dieser Geschichte völlig unangebracht ist. Zum Glück erst dann, wenn sich das Bedürfniss ,den Schluss der Geschichte kennen zu wollen, nicht mehr unterdrücken lässt.

    Am Wochenende habe ich den zweiten Band gelesen, die meisten Kapitel waren anstrengend, mir fehlte der Erzählfluss. Der Roman überfordert mich.
    Die Brunnenkapitel zeigen den Moment, in dem sich Josephs Einstellung verändert (mehr umgekehrt). Er erkennt seine Fehler und seine Verantwortung für das was geschieht. In der Schilderung finden sich Anklänge zur Geschichte Jesu.


    Gewöhnlich betrachte ich mich als Freund langer Romane. Hier habe ich den Eindruck TM hat etwas überzogen.


    finsbury:


    Der erste Band ist in der Blütezeit der Weimarer Republik erschienen, vielleicht war für Mann der Antisemitismus noch nicht so im Vordergrund und noch keine große Vorsicht angebracht.
    Mir erscheint es generell fragwürdig, wenn Schilderungen von Individuen auf eine Gemeinschaft übertragen werden. Wer dazu neigt, dem ist schwer zu helfen. Beschreibungen von Gruppen- oder Volkscharakteren, machen mich immer misstrauisch, und sie widersprechen meinen Erfahrungen. Es ist eher kontraproduktiv, wenn Schriftstellen immer wieder an mögliche Wirkungen denken, die sie nicht beabsichtigen. Diejenigen, die offensichtlich eine Diskriminierung beabsichtigen, sollte man eben missachten und bekämpfen.
    Mir ging es zum Beispiel bei dem billigen, blödsinnigen Racheroman von Martin Walser "Tod eines Kritikers" so, dass ich einige Personen erkannte aber nie auf die Idee kam, hier würde eine Gemeinschaft beschrieben oder Walser würde antisemitische Ideen propagieren.


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    Ich werde jetzt erst ein Mal den Roman nicht weiter lesen, obwohl ich vom nächsten Teil mehr Handlung erwarte. Die Kapitelüberschriften machen mich jedoch auch skeptisch.


    Also lasse ich euch allein. Strengt euch an, und macht mir wieder Lust auf das Buch :winken:

    Den Gottesleitertraum bereitet Mann wie ein Zwischending aus Führung durch das alte Babylon und Assur und eine Berliner Abendrevue der Zwanziger Jahre auf. Man erwartete geradezu noch, die Girls vor Gott die Treppenstufen heruntertanzen zu sehen.


    Gefällt mir, wie du das beschreibst.


    Ich lese die gleiche Ausgabe wie du und merke, es ist eine neue Lesebrille und Hanteltraining fällig.

    Aha, danke für deine vorzügliche Unterstützung riff-raff. :winken:


    Ich habe wohl etwas unaufmerksam gelesen, an dein Zitat kann ich erinnern :sauer: Es erklärt einiges, was TM bewog die Fährnisse der Sexualität in dieser Geschichte zu vermeiden.


    Wenn wir gerade bei der Libido sind-Langsam verliere ich etwas die Lust (am Roman). Der Beginn von "Der junge Joseph ist mehr Theologie als Gechichte. Wenn sich dass nicht ändert, wird es mir schwerfallen weiter zu lesen.

    Hallo,


    ich lese mit Interesse eure Beiträge, mir wird einiges bewusster. Mittlerweile habe ich den ersten Band gelesen. Da in den nächsten Tagen einiges anliegt, glaube ich jedoch nicht, dass ich einen Vorsprung halten kann. Ich muss auch gestehen, dass es Thomas Mann phasenweise gelingt, mich nicht nur zu fesseln, sondern mich auch zu ermüden. Er neigt in diesem Buch oft zu langen Reflexionen, mit vielen mir unbekannten Fakten, dann wieder überspringt er längere Zeiträume, nahezu unkommentiert.
    Die Beziehung von Jakob zu Rahel macht Mann zu einer Herz-Schmerz-Geschchte, die stellenweise, wenn ich an das sofortige Entflammen bei der ersten Begegnung denke, ans Triviale grenzt. Zugegeben, das wirkliche Leben hat natürlich auch seine trivialen Seiten.
    Mann und die Sexualität, wie ihr auch schreibt, ist ein Kapitel für sich und recht geheimnisvoll.
    Es wäre auch falsch die kulturellen Einflüsse auf die Persönlichkeitsstrukturen zu leugnen. Da, wo er aber bei seinen Männer die charakterlichen Widersprüche in der Rolle beschreibt, bleibt er bei den Frauen leider im Überlieferten. Beispielsweise fiel mir auf: sein Jakob übersteht die siebenjährige Wartezeit auf Rahel keusch und ohne Versuchungen, es gibt keine verführerischen Heimlichkeiten, kein Ausbruch des Begehrens, keine Affären mit Mägden oder Sklavinnen. So richtig ist mir das nicht glaubwürdig und unwichtig.


    Ich lese übrigens die neuere Ausgabe des gesamten Romans in einem Band, mit über 1300 Seiten. Es würde mich interessieren, wie viel Seiten der Zyklus in der Taschenbuchausgabe hat.

    Zola:
    In "Mondwanderungen" beginnt das Kapitel über die Höllenfahrt mit:


    "Der Erzähler steigt hinab in die Unterwelt wie Jesus im Apostolischen Glaubensbekenntnis…"
    Danach kommen Hinweise auf Adonis, Dante und Vergil, Odysseus und Ischtar. Damit erschließt sich mir der Sinn des Titels aber auch nicht.


    riff-raff:


    Durchaus plausibel was du dazu schreibst. Ich frage mich aber auch, ob es nur die Anstrengung war diese Fülle von Fakten und Zusammenhänge zu recherchieren und zu ordnen, die TM dazu brachte das Kapitel so zu nennen. Eine Höllenarbeit halt.
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    Zitat

    Es war so, daß er es süß und hoffnungsvoll gefunden hatte, dem Monde, dem er sich horoskopisch und durch allerlei Ahnung und Spekulation verbunden fühlte, seine junge Nacktheit darzustellen in der Überzeugung, dieser werde Gefallen daran haben, und in der berechneten Absicht, ihn - oder das obere Wesen überhaupt - damit zu bestechen und für sich einzunehmen.


    Was macht Thomas Mann hier? Spricht der Erzähler mit seiner Figur? Spricht der Autor mit sich selbst? " Sei vorsichtig! Du lässt dich durch deine Schöpfung um den Finger wickeln."



    Die Frauen kommen in der Genesis nicht gut weg. Sie sind Ware, werden gegeben und genommen und wenn ihnen etwas eigen ist, dann ist es Unvernunft und eine Neigung zur Intrige. Bei Dina folgt TM dieser Einschätzung. Sie wird entführt und defloriert und findet sich nicht nur damit ab, sondern lässt auch noch innere Zustimmung erkennen. So detailliert und feinsinnig sich TM mit den Wesen seiner männlichen Figuren beschäftigt, so oberflächlich bleibt er bei den Weibern. Es wirkt recht unbeholfen und gehemmt. Wer Madame Chauchat kennt weiß, er kann es auch anders.


    Die zentrale Episode im Leben Jakobs, der Vatersegnung, muss Mann natürlich den äußeren Vorgaben der Bibelerzählung folgen. Dass der blinde Isaak, der gewiefte Schafhirte, nicht ein Schafffell von den Körperhaaren Esaus unterscheiden kann ist natürlich Quatsch (es sei denn Isaak wäre dement, was jedoch offensichtlich nicht der Fall ist). TM unterläuft diesen Unsinn mit einer Interpretation, in der die Blindheit Isaaks mehr vorgetäuscht als real, die Segnung des „jüngeren“ Sohns gewollt ist. Jakob darf mit schlechtem Gewissen und viel Angst aber rhetorisch geschickt (keine Lüge geht ihm über die Lippen), der Intrige seiner Mutter folgen. Er weiß um die Vorteile. Es erscheint mir, Isaac ist stillschweigend einverstanden.

    Gott, der Lenker oder autokratische Machtpolitiker, der er in diesem Stadium der Geschichte schon war, gegen den Mond, der erleuchtet und die Phantasie blühen lässt. Dieses Ringen erscheint mir in den ersten Kapiteln den Fluss der Erzählung zu bestimmen. Die Mythen der Bibel werden zurückgeführt auf Mythen überall in der Welt. Vieles läuft in Atlantis zusammen, aber auch das ist ein Mythos, der aus verschollenen Berichten entsprungen ist. So führt TM die erzählte Geschichte eines ausgewählten Volks, erzählt von Ausgewählten, gereinigt und aufgeschrieben von Ausgewählten und gedeutet von Ausgewählten, in eine Geschichte hinein, die Phantasie mit historisch belegten Hintergründen verbindet und befreit vom Dogma ist.
    Dort, wo in der Genesis die Willkür des Herrn die Handlung bestimmt, sucht TM nach rationalen, bzw. psychologischen Hintergründen. Erstaunlich das Wissen was sich TM angeeignet hat, um Verbindungen in der Geschichte des Vorderen Orients zu deuten. Erstaunlich seine Phantasie, die sich in detailliert geschilderten Episoden zeigt, die Lebendigkeit der Figuren, wenn er erst ins erzählen kommt und nicht mehr analysiert und reflektiert.

    Ich stecke mitten in der Jakobsgeschichte, kümmere mich nicht mehr um die Vielfalt der Götter und geografischen Stätten, sondern vergnüge mich durch die spannende Handlung.


    Der Jakob der Einführungskapitel, ein verhärteter Ideologe, wirkt als junger Mann schon anders. Seine Feigheit entspringt der Vernunft, er hat noch einen wenig ausgeprägten Willen, dafür schon einen Sinn für List und Vorteil. Joseph, ein vorlauter Opportunist, Petzer und Musterknabe, hält sich nahe an seinen Vater, und es ist kein Wunder, wenn er bei seinen Brüdern nicht gut angesehen ist.


    Ich habe Zeit, bis Sancho Pansa Rosinante gesattelt hat. Wenn Thomas Mann weiter so erzählt, werde ich nicht nach der Geschichte Jakobs aufhören. Die gesamte Geschichte dürfte allerdings einen Umfang haben, der größer ist als der Roman Sues. Der Frühling kann beim lesen hemmen. Ich bin also nicht sicher, ob ich alles bis zum Mai lesen kann.


    Jedem, der auf den ersten 100 Seiten Probleme hat, empfehle ich durchzuhalten.

    du bist aber schnell! Heißt das, dass du die Einleitung schon hinter dir hast und Jaakobs Abenteuern folgst?


    So weit bin ich noch lange nicht! Ich habe die Unterkapitel der Einleitung bis einschließlich 7 durch und mich begleitend erstmal noch ein bisschen durch Sekundärliteratur gewühlt. Einiges habe ich zur Einleitung zu kommentieren, komme aber leider grade nicht dazu. Abendessen und so ... .
    Daher wohl bis morgen


    Lieber finsbury,


    die Einleitung hatte ich schon im Vorfeld gelesen. Für mich war sie voller Rätsel. Wer zählt die Länder, nennt die Namen, die alle vertreten sind, und von denen ich nichts weiß.
    Nur ind den "Mondwanderungen" blättere ich herum, sonst kümmere ich mich nur um den Roman.
    Abgesehen von den Buddenbrooks muss ich mich bei Mann immer erst einlesen. Seine gewundene Sprache will bei mir erst nach eine Weile zu klingen anfangen, und hier bedient er sich auch noch der Nähe von Bibelübersetzungen.
    Erstaunlich ist, wie er sich in so einen alten Stoff hineinversetzt und seine Geschichte ausschmückt.