Beiträge von Lost

    Das freut mich für dich :smile: Ich fand den Proust auch wunderbar zu lesen, habe ihn nach 200 Seiten beiseite gelegt, weil wir umziehen werden, unsere Mauern verkaufen werden, und "irgendwo" ganz neu anfangen werden :klatschen: Deshalb hatte ich keine Ruhe zu dieser Seitenzahl.
    Welche Übersetzung liest du? Ich habe mir die neue Überarbeitung von Luzius Keller zugelegt.


    LG
    Anita


    Eva Rechel-Mertens ist die Übersetzerin meiner Ausgabe, allerdings revidiert durch L. Keller, was immer das heißt.


    Den Roman lesen ist für mich wie ein entspannter Dauerlauf. Hinterher brauche ich immer einige Minuten um mich meiner realen Welt stellen zu können und ansprechbar zu sein. In diesen Minuten würde ich wahrscheinlich ein Haus verschenken, und es ist gut, wenn du erst weiter liest, nachdem ihr euch neu eingerichtet habt.
    Viel Erfolg!

    Diese Woche habe ich mit "Unterwegs zu Swann" von Marcel Proust begonnen und bin damit in mein Projekt, jedes Jahr einen Band von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" zu lesen, eingestiegen.


    Nach etwa 200 Seiten kann ich sagen: Seit Monaten habe ich nicht einen annähernd so lebendig erzählten und fesselnden Roman gelesen :smile:

    Mir ist doch gestern ein Satz in den Schoß gefallen, der etwa 100 Jahre vor "Don Quijote" geschrieben wurde aber gut zu diesem Roman passt.


    Zitat

    Mögen die Menschen in aller Welt von mir sagen, was sie wollen - weiß ich doch, wie übel von der Torheit auch die ärgsten Toren reden -, es bleibt dabei; mir, ja mir allein und meiner Kraft haben es Götter und Menschen zu danken, wenn sie heiter und frohgemut sind


    So beginnt Erasmus von Rotterdam sein Werk "Lob der Torheit", zitiert nach der Übersetzung von Alfred Hartmann.

    Für Dich kann ich nicht sprechen; bei mir ist es ja eine Frage der Perspektive. Sprich: Ich kann so weit nicht in den unendlichen Tunnel hineinsehen. Somit bleibt die Zahl der Bücher, die ich noch lesen möchte, immer ungefähr gleich gross. Hingegen steigt die Zahl der Bücher, die ich wieder lesen möchte, stetig an. :winken:


    Biologie der Leseratten und Geografie der Bücherwelt sind einfach unglücklich. Natürlich ist es manchmal schön am gleichen Ort Urlaub zu machen. Aber auf der Erde sind die weißen Flecken immer weniger geworden, in der Bücherwelt werden sie immer mehr. So verstehe ich wenigstens Anita. Und meistens wird die Zeit um neue Entdeckungen zu machen für Leseratten erst dann mehr, wenn die Kräfte nachlassen.

    Naja, wenn ich noch alles lesen wollte, was auf meiner Liste steht, müsste ich 120 werden. Demnach wird der Pool mit dem Alter natürlich kleiner, aber die Auswahl an sich ist doch immens.


    Katrin


    So war es gemeint, was das Dumme betrifft.
    Das Schlimme ist, was du noch als Liste hast, habe ich schon im Regal und es ist bezahlt und tsieht nach einer unwirtschaftlichen Investiton aus. :zwinker: Und das ganz Schlimme ist, ich kann es nicht lassen mit dem Bücher kaufen.

    Wenn man liest, warum sollte man mit Sechzig, Vierzig nicht anders lesen als mit Zwanzig? Lesen sollte doch einen Einfluss auf das Denken ausüben, und denken hat doch einen Anteil bei der Auswahl von Lektüre.
    Natürlich gibt es auch Menschen, die sind mit Zwanzig am Ende und andere, die sind mit Sechzig noch nicht reif für Musil.
    Das Dumme ist doch eher, dass sich mit zunehmender Erfahrung und zunehmenden Alter die Welt der Literatur immer größer wird und die Anzahl der Bücher, die noch gelesen werden können, in Summe immer kleiner.

    Lost: Hast du den Film angeschaut? Ich weiß noch dass, ich dabei jedesmal eingeschlafen bin, wenngleich dort versucht wurde, den Wortwitz der Buchvorlage nachzuempfinden.


    Die ersten beiden Teile habe ich mir bis jetzt angeschaut. Die Serie nimmt der Geschichte die turbulenten Seiten zum großen Teil weg und erzählt in epischen Bildern. Aus der Sicht von heute, wirkt so eine Fernsehserie aus den 60iger Jahren stellenweise dilettantisch, weil damals keine Millionen für aufwendige Kulissen, Tricks und Staraufgebot verschwendet wurden, dafür bekommt man Zeit sich in die Landschaft und die Hauptpersonen einzufühlen. Der Ritter ist eine durchgehend sympathische und melancholische Erscheinung, Sancho nimmt, eindeutiger als im Roman, die Rolle des ironischen Kommentators ein, die Prügeleien sind deutlich entschärft. Die Serie war auch vorwiegend für uns jugendliches Publikum gemacht.

    Dank des "schönen" Regenwetters habe ich den Roman fertig lesen können und schaue mir nun nach und nach die Fernsehverfilmung aus den 60iger Jahren an, in der Josef Meinrad den Ritter spielt.
    Gelegentlich werde ich auch in die Studie Nabokovs schauen.

    Zitat

    Die Komik der Prügelregen und der derben Späße im Don Quijote lassen heute vor Lachen nicht mehr unbedingt die Hosenköpfe abspringen. Sie steht vielmehr für das grausame Vergnügen einer Gesellschaft, die genussvoll ihre Macht über andere ausspielt. Doch nachdem diese Oberflächenkomik verblasst ist, kann umso heller die tiefere Komik des Don Quijote hervortreten, die sich vor allem im Gespräch von Ritter und Knappe entfaltet, in ihren Missverständnissen, Wortspielen, Sprichwörtern oder gegenseitigen Nachahmungen.


    So steht es im Nachwort der WBG-Ausgabe und so entspricht es weitgehend meinem Verständnis.


    Verschiedentlich wird der Roman als der erste abendländische Roman bezeichnet. Wenn ich statt "Roman", "Unterhaltungsroman" setze, dann ist es auf den Punkt gebracht. Auch ich hatte mit dem ersten Band und den häufigen platten Gewaltszenen meine Probleme, der zweite Band ist dann aber deutlich differenzierter und milder.


    Cervantes mögen oder nicht ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, und wenn ein feinsinniger, melancholischer Schriftsteller wie Nabokov (so erscheint er mir wenigstens bis jetzt) eine Abneigung gegen diese Form der Darstellung hat, ist es mir verständlich, solange er dass auch für Homer, Shakespeare und zum Beispiel Schiller gelten lässt. Wer sich jedoch auch mit der Beziehung von Romanen und Realität beschäftigt, wer ins Kino geht, wer sich Gedanken über den Zusammenhang von Humor und dem Abu-Ghuraib-Folterskandal gemacht hat, der wird seine persönliche literarische Vorliebe etwas vorsichtiger zu einer allgemeinen Einschätzung machen.

    Empfand ich genauso. Ein bisschen wie bei Gargantua und Pantagruel, irgendwie fehlt mir (zumeist) der Sinn für diesen Sauf-, Kopulations- und Fäkalhumor.


    s.


    Das gibt sich im Laufe des Romans. Die banalen Raufgeschichten werden, besonders im zweiten Band, durch Nebengeschichten und Diskurse verdrängt. Cervantes spielt mit der Geschichte und lässt auch die beiden Helden über Wahres und Erzähltes nachsinnieren.
    Wenn Nabokovs Fazit durch den oben beschriebenen Standpunkt, bestimmt ist, dann war er in schlechter Laune oder hat den Roman nicht verstanden.

    Da fällt mir doch gleich mal "Tom & Jerry" ein :breitgrins:


    Aber so gesehen hast du natürlich Recht, na vielleicht werde ich das Buch einmal lesen, wenn ich Zeit habe.


    Katrin


    Der zweite Band (ich beziehe mich auf die WBG-Ausgabe) ist deutlich angenehmer und interessanter zu lesen, wenigstens kann ich das für die erste Hälfte schon sagen.

    Mit Ausdrücken wie "Folterkammer", "veritable Enzyklopädie der Grausamkeit" oder "furchtbares und barabrisches Buch" weckt er bei mir nicht die Lust zum Lesen.


    Liest man heutzutage einen Roman aus dem 17. Jahrhundert, so darf er ruhig aus heutiger Sicht beurteilt werden.
    Wir sollten aber beim Don Quijote nicht das Lebensumfeld des Verfassers vernachlässigen. Cervantes lebte in einer Zeit, als die Folter ein gewöhnliches Mittel der „Wahrheitsfindung“ war, Körperstrafen ebenso und Hinrichtungen grausame, öffentliche Volksbelustigungen darstellten, die schon bei leichten Strafen verhängt wurden. Cervantes war ein Kriegsmann, stolz auf seine Wunden, die leicht tödlich hätten sein können, er war Gewalt und Entbehrung , Tod und Qual gewöhnt. Erscheint es dann so unverständlich, wenn dann diese Erfahrungen so gewöhnlich empfunden werden, dass sie als ganz natürlich erscheinen und dem Spott ausgesetzt werden?


    Lies einfach Mal einen Asterix Comic unter dem Gesichtspunkt, den du hier vertrittst, oder Harry Potter, irgendeinen Fantasieroman, oder eine Kriegssatire, und du findest auch in der Gegenwartsliteratur Beispiele, wie sich Humor und Grausamkeit nicht ausschließen.

    Noch nie davon gehört.


    Da bin ich aber gespannt, ob man so was halbwegs geistreich erschaffen kann. Es wäre nett, wenn du hier kurz deine Eindrücke schilderst, wenn du dir einen dieser Romane anschaust. :winken:

    Der Ritter schläft und träumt. Gegen Ende des ersten Bands führen uns die Abenteuer anderer in die Ferne und aufs Meer, eine gute Unterbrechung der infantilen Begebenheiten des Dons. In den Herz-Schmerzgeschichten finden wir den Pathos der Klassik, die Konstruktion der Reiseabenteuer erinnert mich an Romane des 19. Jahrhunderts und auch, dass sich gegen Ende alles und jeder im Tumult an einem Ort zusammen findet. Dann darf es wieder um Schabernack und den verrückten Helden gehen, der nicht mehr weit von zu Hause entfernt ist.


    Mit dem ersten Band verabschiede ich mich auch von der turbulenten Leserunde, ohne mich vom Roman zu verabschieden.

    Selbst dann: "breites Publikum" gemäss Deiner Auffassung ist wohl auch das nicht. "Breites Publikum": Das ist Fussball-WM (wenn wir mal USA und Kanada aussen vor lassen). Das ist Tokyo Hotel.


    Ich bin nicht sicher, ob es nicht mehr Menschen in Deutschland gibt, die während einer Fußballübertragung ein Buch lesen. Aber es mag sein, dass du, bezogen auf die Gegenwart Recht hast, wer hat jedoch, im 19. Jahrhunderts und in der ersten des 20.igsten, vor der Klotze gesessen?
    Die Volksbildung , das billige Papier und die Erhöhung des Einkommens haben das breite Publikum für die Literatur geschaffen und die Literatur für das breite Publikum. Wenn im Zeitalter der Technik andere Medien, dieser demokratischsten aller Künste, Publikum wegnehmen, so ist es ein ähnlicher Vorgang wie früher das Lesen das mündlichen Erzählen verdrängte, was jetzt übrigens durch die Hörbücher wieder rückgängig gemacht wird und das Publikum für die Literatur noch breiter macht (was auch daran liegt, dass man beim und lesen und hören ähnlich gut essen kann wie beim fernsehen).

    Definiere: Literatur. Ich verstehe darunter nicht die Bild-Zeitung oder Uta Danella ... :zwinker:


    Wie wäre es mit: Literatur ist die Menge schriftlich fixierter Erzählungen mit ganz oder teilweise fiktiven Inhalten, die nicht alleine zur Erlangung von Information und Wissen gedacht sind.


    Dabei meine ich, es muss nicht eine eindeutige, vollständig abgegrenzte Definition geben. Die Bildzeitung sollte nicht dazu gehören (ich lese sei nicht), aber Uta Danella auf jeden Fall, so wie Mankell oder Sue.

    Kapitel 37 beweist, dass Don Quijote nicht verrückt ist!


    Cervantes lässt ihn sprechen:


    Zitat

    Dieser Friede ist das wahre Ziel des Krieges, den Krieg und Kriegshandwerk sind ein und dasselbe. Ausgehend von dieser Wahrheit, dass das Ziel des krieges der Friede ist und dass er darin über dem Ziel der Wissenschaften steht, [...]


    Wir sehen, wäre der Ritter verrückt, wäre es unsere Zeit auch, und das kann ja wohl nicht sein.