Beiträge von Lost

    Apropos Möbel: Stifter verwendet konsequent den Begriff "Geräte", was mich anfangs ein wenig irritiert hat. Ist dies ein gebräuchliches Wort in Österreich? Oder hat man früher überall "Geräte" statt "Möbel" aufgestellt?


    Ziemlich interessante Einzelheiten, die ihr hier zusammen tragt. Über die Wortwahl Stifters habe ich mich auch einige Male gewundert, schreibe vieles aber den natürlichen Wandel der Bedeutung von Begriffen zu und poetischer Orientierung, wie zum Beispiel bei den Angaben der Himmelsrichtungen (da war Stifter aber nicht konsequent). So ein Wort wie "merkwürdig" wird ja heute auch anders gebraucht, wie vor hundert und mehr Jahren, wobei mir der wörtliche Sinn aus der Vergangenheit sympathischer ist.


    Wenn ich Sandhofer richtig verstehe und etwas verallgemeinere, so können wir schließen, dass die akribischen Beschreibungen von Gegenständen bei Stifter auf eigene Anschauung beruhen und nicht auf Phantasie. Ich bin gespannt, wie es sich dann in einem historischen Roman wie Witiko darstellt.


    Bei mir bleibt, poetische Form hin, poetische Form her, der Eindruck, die Ausführung der Geschichte iim Nachsommer ist missglückt.

    In meiner Ausgabe vom Vitalis Verlag ist die Erzählung nicht in Bände gegliedert. Gibt es verschiedene Versionen des Nachsommers?


    Das letzte Kapitel ist übrigens äußerst originell. Wer hätte gedacht wie sich das alles zusammenfügt. ( :breitgrins:)


    Um es mit eigenen Worten zu sagen: Heinrich mir grauts vor dir.

    Oh Mathilde, du feuriges Licht, du entbranntest so kurz, verlöschtest so schnell, im eisigen Dunkel der österreichischen Nationalliteratur.


    Nun verstehe ich, warum es Madonnen gibt, die blutige Tränen weinen.


    Zwei Seiten Literatur in 500 Seiten Text :-)

    Ich habe gestern den zweiten Band beendet, und siehe da ...


    und siehe da... ???


    Die Harmonie in dieser Erzählung schreckt mich eher ab. Das wirst du dir aber auch denken können. Außerdem führt sie sich ad absurdum, denn die Erörterungen, die so, in völligem Einvernehmen, über Kunst und Wissenschaft, besprochen sind, beschreiben ja einen Prozess der Auseinandersetzung mit Widersprüchlichkeiten.

    Da meinen wir wohl zwei verschiedene Artikel. Der, den ich meine und verlinkt habe, kritisiert die Dummheit und Mediengeilheit einer in den Neunzigern erschienenen Monographie, die sich mit dem Thema "Bisexueller bzw. schwuler Goethe" befasste.


    Bei uns wird herum erzählt, dass in unserem Schloss sowohl Napoleon, als auch Goethe übernachtet haben. Ich habe mich schon länger gefragt, ob sie hier zusammen die Nacht verbracht haben. (für Hubert: :zwinker:)

    Moin Lost,


    abwegig nicht, aber die Namensendung (Mephistopheles) deutet mWn. eher auf ein männliches "Konstrukt" hin (sonst hieße der Geist, der stets verneint, wohl Mephistophela).


    Andererseits scheint es mir, dass Mephisto als asexuelle, meinetwegen auch hermaphroditische oder geschlechtsneutrale Figur angelegt ist - weniger ein Individuum als vielmehr ein Prinzip, eben das Böse, die Versuchung o.ä.


    Der Geheimrat hat sich bestimmt gründliche Gedanken über seine Figuren gemacht. Aber ich möchte dann doch der Minderheit beipflichten, die im Theater nicht nur das Bemühen würdigt, den Vorstellungen der Dichter möglichst nahe zu kommen, sondern die der Vielschichtigkeit der Figuren und ihrer Wandlung in der Zeit nachspürt.


    Hallo Lost,


    ich kenne Dich immer noch zu wenig, um beurteilen zu können, ob Dein Posting als Gag gemeint ist. In diesem Fall hättest Du wieder einmal ein :zwinker: oder sogar ein :breitgrins: vergessen.


    Vor ca. 10 Jahren habe ich in Frankfurt/Main beim "Osterspaziergang" einen Mephistomonolog gehört, von einer Schauspielerin dargestellt. Da ging mir ein Seifensieder auf (sagt man bei uns so). Sonst kenne ich den M. nur gespielt von Gründgens im Film. Wenn man sich genau anschaut, wie in diesem Film M. Faust umgarnt und umschmeichelt, dann ist hier eine Frauengestalt nicht abwegig.
    Vielleicht ist Goethe auch dramaturgisch in die katholische Falle getappt. Der Teufel muss zwar böse sein, so wie das Böse durch die Frau in die Welt gekommen ist, aber die Antisexualität führt dazu, dass ein Wesen, welches mit Gott um die Macht ringt, natürlich männlich sein muss (nur so ein Gedanke von mir).


    Ich bin vergesslich und Smilies vergesse ich gerne absichtlich.

    Wieso hat Mephisto homoerotische Neigungen?


    Mephisto ist eine Frauenrolle (Ich bin der Geist der stehts verneint), die halt (zu oft) von einem Mann gespielt wird. Etwa so wie das Tanzmariechen im Rheinischen Karneval bis zur Nazizeit auch von einem Mann verkörpert wurde.

    Ja, vielleicht Tom,


    Du hast wohl mehr Sinn für die Ironie in dieser Erzählung. Das Kapitel "Das Vertrauen" hat mir im Kern ganz gut gefallen. Immerhin eine Erörterung über Kunst. Wenn ich die Auffassungen auch nicht alle teile, wenigstens Stoff zum Nachdenken.


    Nach etwas mehr als der Hälfte des Romans stellt sich eine gewisse Ratlosigkeit ein. Wenn Stifter mit mindestens einem Auge in Richtung Goethes “Wilhelm Meister” schielte und den “Nachsommer” als sog. Entwicklungsroman angelegt hat (wenn er ihn auch nicht so bezeichnet hat), so fragt sich der geneigte Leser mittlerweile, ob sich der Erzähler wirklich “entwickelt”, oder ob das, was er angeblich an Erkenntnissen und Erweiterungen erfährt (z.B. Kunstverständnis), nicht ohnehin in ihm vorhanden war und lediglich durch zufällige Eindrücke (wie z.B. den der Marmorstatue) geweckt werden musste.


    Yes Sir, dem stimme ich in großen Teil zu. Nicht in dem Bereich, in dem unser junger Held Feldforschung beteibt, merkwürdig unbeschrieben übrigens und im überkommenen Sinn. Zu Theoriebildung neigt er nicht, was wir dem Jungen auch nachsehen wollen.
    Besonders wenn die Sprache auf Gustav kommt, entsteht bei mir der Eindruck, hier wird jemand eher vor Erkenntnis geschützt, als dass er zur Erkenntnis geleitetet wird. Eine Neigung zum Oportunismus sehe ich in allen Figuren.
    Was treibt Stifter dazu, als Gegenwentwurf zur zeitgenössischen Literatur, wohl auch zur zeitgenösischen Kultur eine quasi konfuziansiche Kultur zu beschwören? Warum diese Hymnen auf solche intellektuellen Speichellecker?


    Noch eine Bemerkung zu Sandhofer: Ich will mit meiner Einstellung nicht Stifter insgesamt ablehnen. Vielleicht ist es mehr die lange Form, das Widerkäuen, was mich am Nachsommer irritiert. Im "Hagestolz" (der anderen Erzählung, die ich von Stifter kenne) fand ich die gleiche Grundhaltung. Durch die kurze Form konnten sich für mich aber die die famosen Beschreibungen besser hervorheben. Ich bewundere diese detaillierten Beschreibungen, egal ob sie sich auf Physionomie, auf Architektur oder Natur und anderes beziehen. Mit Worten Bilder zu erzeugen halte ich für eine große Kunst, und Stifter beherrscht dieses Metier, das sei ihm unbenommen.

    Ich kann mich mit dieser Erzählung auch nach 13 Kapiteln nicht anfreunden. Es gibt Dialoge, wenn die auf die Bühne bringt, bricht im Publikum eine Lachpanik aus. Diese total vergeistigten Figuren, ohne jede Widersprüche, die sich nur gegenseitig Stichworte für Erörterungen geben und so ziemlich alles ausblenden, was in ihrer Zeit an bedeutenden Veränderungen geschehen sind, die, wenigstens bis jetzt, nichts davon in ihre Debatten davon einfließen lassen, obwohl ihre Themen, Kunst, Naturwissenschaften, Geographie in Aufruhr waren, sie bleiben mir in Allem fremd, Aliens.


    Nicht abschrecken lassen. Sebalds Prosa (beim Nachsommer fand ich Stellen, die mir rhythmisch ähnlich klangen), hat einen eigenen Charakter.
    Eine Biographie über Stifter habe ich nicht gelesen, die kurzen Lebensbeschreibungen aus dem Internet haben bei mir aber auch den Eindruck geweckt, Stifter hätte auf die Ledercouch gehört.

    Tja Anita, die hormonelle Seite unseres Erzählers wird angedeutet bei seinen ersten Erwähnungen weiblicher Wesen. Was mich nun fragen lässt, nach Sebalds Aufsatz, ist: was steckt hinter den Umschreibungen was sich auf den Dichter Stifter selbst bezieht. Die ganze Erzählung ist ja ein Tagtraum, völlig undifferenziert, was die Beschreibung des Lebens angeht, erstaunlich differenziert, was Wissen und Erkenntnis betrifft.

    Im Kapitel "Die Annäherung" liest man folgende Stelle, nachdem die Marmorstatute eines Mädchens begutachtet wurde:

    Zitat


    Wenn nun vollends schon eine schwache Abenddämmerung eingetreten ist, so zeigt die Oberfläche des Marmors den Widerschein der Blitze, und während wir so auf und nieder gingen, war einige Male der reine, kalte Marmor wie in eine Glut getaucht, und nur die hölzernen Türen standen dunkel in dem Feuer oder zeigten ihre düstere Fügung.



    Folgt man Sebald, so lassen sich diese Sätze in reine Pornographie übersetzen.

    Falls du diesen Aufsatz als erleuchtend empfinden solltest, melde dich kurz, dann bestelle ich mir das Buch auch :zwinker:


    Dar Aufsatz "Bis an den Rand der Natur, Versuch über Stifter", findet sich in: W.G. Sebald, Die Beschreibung des Unglücks.


    Sebald sieht im "Nachsommer" einen utopischen Gegenentwurf zur zeitgenössischen Literatur. Anders als ich armer Leser, hat er natürlich die wissenschaftliche Distanz eines Pathologen und untersucht diesen Aspekt ohne zu werten. Den größten Teil seiner Betrachtungen über Stifter widmet er aber einem Psychogramm des Dichters, das er aus den Erzählungen entwickelt. Stifters Naturschilderungen werden zur "Portraitierung weiblicher Wesen", päderastische Neigungen werden Stifter unterstellt und von Fetischismus ist die Rede.


    Wenn ich dieses mit meinen Eindrücken aus den ersten 6 Kapiteln verbinde, so muss Stifter ein Mensch gewesen sein, der sich in jedem Detail unverstanden gefühlt hat, der seine Umwelt innerlich ablehnte, ihr mit Angst begegnete und in literarische Tagträume einer idealen Welt flüchtete.


    Die geologischen Betrachtungen haben mir übrigens gefallen, die Fragestellungen unseres Autodidakten lassen sich nachempfinden. Aufgefallen ist mir, dass Stifter in einigen Kapiteln die Himmelsrichtungen durch Tageszeiten benennt, im Kapitel, das zum Teil auf dem Sternenhof spielt, aber die direkten Bezeichnungen verwendet.
    Das hat bestimmt tiefe tiefenpsychlogische Gründe, die tiefsinnig zu analysieren sind. Dazu sein meine Kenntnisse allerdings nicht vertieft genug ;-)