Beiträge von Lost

    Eine echte, ideologisch unabhängige Arbeiterliteratur hat sich nie entwickeln können, und solche Utopien, wie sie Peter Weiss in der "Ästhetik des Widerstands" vom sich bildenden Arbeiter entwickelt, der Welt und Kunst auf ganz neue Art wahrnimmt, ist daher auch immer Utopie geblieben. Auch leidet dieses Genre auch immer unter dem Verdacht, Tendenzliteratur zu sein. Eigentlich eine Unverschämtheit, aber eine lähmende ... .


    "Eigentlich" ist es ein Beweis für das Primat der Metaphysik. Um die materielle Welt zu beschreiben sind ja Zahlen und Symbole viel besser geeignet als Sprache, trotzdem ist der Vorrang philosophischen Geschwafels kaum bestritten.


    Hat nicht Arno Schmidt dazu ein Mal Stellung genommen? In der Weise, dass auch Arbeiter Schriftsteller werden können, aber beides zusammen unvereinbar ist.


    Wenn ich mich an Werke erinnere, die bei den Versuchen aus den 60igern entstanden Arbeiterliteratur als Genre zu etaplieren, so hatten diese Texte schon von den Themen und den Geschichten her Relevanz, wenn sie auch nicht so komplex geschrieben waren, wie es sich die Literaturwissenschaftler wünschen.


    Ich denke, wenn wir die Universitäten abschaffen würden, dann könnte sich mittelfristig eine Kultur herausbilden, in der auch der literarisch wenig erfahrene Mensch Gehör finden könnte. Man könnte mit einer Krimiserie anfangen, in der alle Opfer Geisteswissenschftler sind.


    Die Antwort war also keineswegs ausweichend: Wieso kommst Du, Lost, auf die Idee, ich läse aktuell Pepys?


    Du hattets Mal den Gedanken geäußert die Zweitausendeins-Ausgabe zu kaufen, wenn der Preis gesunken is,t und ich erinnere mich auch an einen Text über Pepys von dir.
    Jetzt sach ich aber keinen Pieps mehr.

    Normalerweise neige ich nicht unbedingt zur Polemik. Aber welche spezifischen Fragen meinst du denn, Lost? Kinderarbeit, 16-Stundentag, Umweltproblematik, Ersatz des Menschen durch Maschinen? Wobei weicht Dickens denn absichtlich aus?


    Was ist an deinem Beitrag polemisch?


    Woran leidet Blackburn? Persönlich sicher an dem Mangel an Menschlichkeit in den Klassenbeziehungen. Er wird von seinen Kollegen verstoßen, die sich zu einem Arbeitskampf rüsten. Was sind die Gründe des Konflikts, worauf hätte sich Stephen eingelassen? Interessiert sich Dickens dafür? Was ist mit der Gefährtin von Stephen? Ist sie wirklich nur eine Frau, die ihm in den Gassen entgegen kommt oder in seinem Zimmer für Ordnung und Beistand sorgt. Hat sie kein Leben dazwischen, sonst keine Lasten oder Freuden zu tragen die sie prägen und die mit ihrer Fabrikarbeit zusammenhängen? Wo ist das Mileu, in dem sich Stephen und seine Gefährtin bewegen? Über das von den anderen erfahren wir etwas, das Mileu der Werktätigen bleibt im Dunkeln.
    Niemand kann Dickens zwingen sowas zu beschreiben, dem Roman (oder dem gespannten Leser) hätte es aber gut getan, wären solche Aspektevon von Dickens behandelt worden, durchaus auch mit etwas Dickens'chem Humor. Ich möchte nicht vergessen, dass die Geschichte in einer Industriestadt spielt. So wie Dickens sie schreibt, hätte sie auch in einer ländlich geprägten Umgebung, oder in einer Handelsmetropole spielen können.

    "Mein Kampf" ist jetzt schon als Ebook kostenlos aus dem Internet herunter zu laden (ich habe es auch dem Kindle). In englischer Sprache habe ich es in Indien bei einem Straßenbuchhändler in der Auslage gesehen. Antiquarisch war es, ist es vielleicht noch, über Ebay zu erhalten. Eine kommentierte Ausgabe, die normal erhältlich ist, sollte nun aber dringend erscheinen. Sie wird wahrscheinlich ein "Bestseller" aber kein viel gelesenes Buch. Das Buch ist ein historisches Dokument großer Tragweite und kann von jedem beurteilt werden, weil seine historische Rolle in der bitteren Realität gespielt wurde. Wer hat Angst davor? Wer "Mein Kampf" noch als Kampfschrift liest oder verwendet, der ist doch so verblendet, dass dieses Buch überhaupt nicht notwendig ist, um seine Verblendung zu stärken. Wer es aus historischem Interesse lesen möchte, der hat ein Anrecht darauf, denn noch heute sind seine Folgen ein Teil unserer Gegenwart.
    Das Schwierigste ist es, eine angemessene Kommentierung zu finden. Ich beneide die Wissenschaftler nicht, die sich dieser Aufgebe unterzogen haben. Sie werden nach dem Erscheinen viel auszuhalten haben.

    Ich weiß allerdings nicht, warum der Roman gleich unbedingt eine Wallraffsche Industriereportage sein muss: Dickens steht am Anfang der Industriellen Revolution, ist davon nur am Rande, nicht als Vertreter des Proletariats oder der Industriellen, sondern als mitfühlender Zeitgenosse betroffen: Was habt ihr euch denn da erwartet, Steffi und giesbert? Wir wollten hier ja nicht eine wissenschaftliche Leserunde zur Industrieliteratur aufziehen :zwinker:.


    Das ist jetzt aber ein wenig überzogen finsbury. Ich kann aus keinem Beitrag entnehmen, dass hier ein Roman erwartet wurde, der die Industriegesellschaft ausleuchtet. Erwartet hatte ich eine Beschäftigung mit spezifischen Fragen der Industrialisierung im Roman, der weicht aber diesem Thema geradezu aus. Dass er eher untypisch für das ist, was wir mit Dickens verbinden ist nicht unbedingt zu tadeln. Man merkt aber, dass kein Schwung in die Geschichten kommt, wenn Dickens sich auf seinen Zorn beschränkt. Bei "Die Geschichte zweier Städte" soll es übrigens ähnlich sein, deutet Gelfert an.

    Meinst du die Version von 1821 oder 1829? Sie unterscheiden sich beträchtlich im Umfang.


    Das erste Quartal 2014 ist bei mir durch Proust, Peyps und Dickens ausgebucht. Ganz sicher, ob ich mich den Wanderjahren stelle, bin ich nicht, aber manchmal bin ich auch in der Stimmung mich überfordern zu lassen. Also ab April möglicherweise.

    Lost
    Kannst du näher erklären warum du die Dickens Biographie von Gelfert nicht empfehlen kannst?


    Gerne.


    Mittlerweile habe ih etwas mehr als 2/3 des Buchs gelesen. Mir kommt es wie eine Ansammlung von Wikipedia-Artikel vor und sehr oberflächlich geschrieben. Da macht Dickens große Reisen, die in wenigen Zeilen abgehandelt werden, die Symbolik, die Dickens in einer Vielzahl seiner Werke benutzt, wird immer wieder von neuem erwähnt aber nur in dürren Worten analysiert, seine Erfolge werden beziffert, die Motivation seiner Leser bleibt im Dunkeln. Am Anfang verweist Gelfert auf den großen Geldbedarf von Dickens, und er beziffert im ganzen Buch Dicken Einnahmen, recht wenig sein Verbrauch an Geld. Nirgends finde ich bis her den Versuch uns heutigen Lesern Relationen zum Wert zu vermitteln, durch die wir den Geschäftsmann Dickens einschätzen könnten.
    Mir kommt die Biografie so vor, als hätte Herr Professor eine seiner Anfängervorlesungen über englische Literatur ausgebeutet. Es ist eher die Geschichte einer Schreibmaschine mit der Inhaltsangabe der Werke, die auf ihr geschrieben wurden, als die Biografie eines Menschen.


    Das Beste an der Biografie ist die Abbildung eines Dickens-Portraits auf Seite 240. im Hintergrund erkennt man einen Ereader und einen Volksempfänger.


    Ich bin noch in der Mitte des 2. Buches. Mich überzeugt bisher Blackpools Rolle bzw. Dickens Aussage damit nicht. Sowohl die Arbeiter/Gewerkschaft als auch die Arbeitgeber sind auf der "bösen" Seite, einzig Blackpool, der sich neutral verhält, steht auf der richtigen Seite, auch wenn es ihn persönlich bisher am meisten trifft. Ja, wenn beide Seiten aufeinander zugingen, um die Lebensbedingungen erträglich zu machen, dann gäbe es auch keine Gegner.


    Einsicht und Kompromissbereitschaft sind ja nicht unbedingt menschliche Tugenden, wie Dickens üblicherweise in seinen Personen, die er doch gerne in gut und böse einteilt, ganz richtig aufzeigt.


    Jetzt, wo ich etwa ein Drittel der Dickensbiografie von Gelfert gelesen habe 8die ich allerdings nicht weiterempfehle, wird mir bewusst, dass Dickens einfach nur das Heil in der individuellen verständnisvollen Beziehung zwischen Menschen sieht, das Böse in jedem Zusammenschluss zu Organisation, egal ob sie sich für Rechte oder für die Machterhaltung einsetzen . Er ist eben ein Moralist und vielleicht auch Anhänger eines naiven Rationalismus.


    Ich hab es noch nicht gelesen, aber macht es überhaupt Sinn mit "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" anzufangen ohne zuvor Sekundärliteratur gelesen zu haben? Könnt ihr da Empfehlungen geben? Ich würde mich da nämlich gerne mal ranwagen.


    Das Buch von Celeste Albaret hat mir schon Appetit auf den 5. Band gemacht. Allgemein gesehen ist eine kommentierte Ausgebe der verlorenen Zeit recht sinnvoll und Sekundärliteratur erscheint mir dann nicht notwendig, solange man nicht mit Forscherdrang an das Werk herangeht.


    Sind seine Bücher empfehlenswert?


    Kurzeck schreibt über die Provinz, über Stadtteile und das nicht aus der Perspektive der feinen Gesellschaft. Wenn du mit so was zu Recht kommst und Äbbelwoi magst... :zwinker:


    Ach ja, mehr erlebt als Proust hat er auch.

    Ein ruhiges Wocheende und ein ruhiger Abend hat gereicht um die Erinnerungen von Celeste Albaret an ihre Jahre mit Marcel Proust (Monsieur Proust) zu lesen. Nun habe ich entdeckt, dass ihr Buch, mit Eva Mattes in der Hauptrolle, verfilmt wurde.


    Ich bin gespannt.


    [kaufen='B003MDHNXY'][/kaufen]


    Wenn ich das Buch über Proust fertig gelesen habe, werde ich mich auch der Dickens-Biografie zuwenden. Was du hier schreibst, macht mich auch neugierig (aber auch skeptisch). Was die Kenntnisse betriff, die sinnvoll sind um einem Roman folgen zu können, so muss man berücksichtigen, dass es letztlich "zeitgenössische" Schriften sind, die wir lesen und für die der Schriftsteller schon Ansprüche an die zeitgenössischen Leser stellen kann. Kaum etwas ist langweiliger, als wenn man in einem Roman erklärt bekommt, was man weiß. Ein gut durchdachter Anmerkungsapparat für "alte Werke" ist da für uns schon hilfreich, wobei häufig leider nur auf literarische oder philologische Aspekte eingegangen wird.


    Ich bin übrigens sehr gespannt, wie die kommentierte Version von "Mein Kampf" aussehen wird.