Augustinus: Der Gottesstaat

  • Hallo!


    Hat jemand Zeit & Lust dieses Buch mitzulesen?


    Erste Eindrücke (von meiner Homepage):


    Aurelius Augustinus: Vom Gottesstaat. Bücher 1 und 2
    (dtv-bibliothek)


    Augustinus zu lesen ist eine interessante Erfahrung: Intellektuelles Vergnügen über die Brillanz und Schärfe vieler Gedankengänge einerseits, Verwunderung über die geistige Verschwendung an wenig ergiebigen Fragestellungen andererseits.
    Beschäftigt man sich mit den besten religiösen Denkern, Thomas von Aquin wäre ein weiteres Beispiel, so wird man mit klugen Systemen konfrontiert, deren logische Kohärenz und argumentative Konsistenz Bewunderung abnötigen. Nun hat die Sache freilich einen großen Haken: Diesen mit viel Aufwand und Liebe zum Detail errichteten Gedankengebäuden fehlt jegliches Fundament. Man steht vor mit großer Begabung errichteten Luftschlössern.
    Nun könnte man diese theoretischen Gebäude als l’art pour l’art genießen, als hervorragende Gedankenliteratur. Diese Rezeptionshaltung setzte sich jedoch zwei Einwänden aus: Erstens waren Denker wie Augustinus ungemein einflussreich und konnten deshalb nicht nur im Geistesleben signifikanten Schaden anrichten. Zweitens wird hier ein expliziter Wahrheitsanspruch erhoben, der redlicherweise Ernst genommen werden sollte.
    „Der Gottesstaat“ ist eine fulminante Verteidigung des Christentums gegenüber zahlreichen Vorwürfen seitens nichtchristlicher Römer, welche die neue Religion für den Untergang des Imperiums maßgeblich verantwortlich machten, speziell für die Eroberung Roms durch die Westgoten im Jahr 410. Gleichzeitig ist das Buch ein Pamphlet gegen die Heiden im allgemeinen und die römische Religion im besondern und damit ein Dokument zeitloser religiöser Intoleranz. Augustinus schrieb sich in Hippo, einer kleinen nordafrikanischen Provinzstadt, in einen wahren Furor gegen die Sittenlosigkeit Roms hinein. Wie aktuell dieser religiöse Hass der Stadt als Symbol der Dekadenz immer noch ist, kann man in „Occidentalism“ von Ian Buruma und Avishai Margalit nachlesen.
    Augustinus war hochgebildet, hatte nicht nur die römischen Historiker und Philosophen sorgfältig gelesen, sondern auch viele griechische Klassiker. Darunter Plato, den er gar nicht genug dafür loben kann, die Dichter aus seinem Idealstaat verbannt zu haben:



    Sollte man nicht vielmehr dem Griechen Plato die Palme reichen, der, als er das Vernunftideal eines Staates entwarf, die Dichter als Feinde der Wahrheit aus der Stadt zu vertreiben empfahl? Er in der Tat wollte weder die Beleidigung der Götter dulden noch die Seelen der Bürger durch Hirngespinste umnebeln und verderben lassen.
    [S. 78]


    Erwähnt sei am Rande, dass der große Platon, trotz dieser für die Kirche nützlichen totalitären Anregungen, selbstverständlich jedem Christen - der Natur des katholischen Kastenwesens gemäß - unterlegen ist:


    Wir halten zwar Plato weder für einen Gott noch für einen Halbgott, stellen ihn auch nicht einem der heiligen Engel des höchsten Gottes oder einem prophetischen Wahrheitszeugen oder irgendeinem Apostel oder Märtyrer Christi oder auch nur einem beliebigen Christen an die Seite [...]
    [S. 79f.]


    Bei der Lektüre der ersten beiden Bücher des „Gottesstaats“ hatte ich mehrmals den Eindruck als würde Augustinus aufgrund seines großen geistigen Horizonts die Schwachstellen seiner Argumentation durchaus erkennen. Eine strukturelle Schwäche seines Gedankenganges besteht darin, mythologische und/oder literarische Geschichten als empirisches Fundament für seine Kritik zu verwenden. Als Plato- und Cicero-Kenner musste er aber wissen, auf wie wackeligen ontologischen Beinen diese Vorgehensweise steht. Gleich zu Beginn bezieht er sich ausführlich auf Vergils Hauptwerk als Quelle und schreibt am Ende schuldbewusst:


    Es müßte denn sein [...], dass aber Vergil nach Dichterweise alles frei erfunden hätte.
    [S. 10]


    Was ja bei Dichtern schon vorgekommen sein soll und weshalb sie Augustinus wie Platon aus seinem utopischen Gemeinwesen verbannt sehen will. Deshalb schiebt er noch eine Rechtfertigung nach:


    Doch nein, er hat beschrieben, was bei Zerstörung von Städten feindlicher Brauch ist.
    [S. 10]


    Ein weiteres Beispiel. Augustinus vergleicht die alttestamentarische Geschichte vom Propheten Jonas im Walfischbauch mit der des Arion von Methymnä, der von einem Delphin an Land gezogen wurde. Dabei ist er sich sehr wohl bewusst, dass die Bibelgeschichte empirisch wesentlich unplausibler ist, und schreibt deshalb entschuldigend:


    Gewiß klingt unsere Erzählung vom Propheten Jona noch unglaublicher. Ohne Frage unglaublicher, weil wunderbarer, und wunderbarer, weil von größerer Macht zeugend.
    [S. 27]


    Zwischen den Zeilen kann man also den Streit zwischen dem vergleichsweise aufgeklärten spätantiken Intellektuellen und dem dogmatischen Christen beobachten. Ein Nebenaspekt des Buches, aber ein reizvoller.

  • Hallo zusammen!
    Hallo xenophanes!


    Das Buch habe ich vor 3 oder 4 Jahren schon mal gelesen. Es wäre aber sicher interessant, es in einer Leserunde wieder zu lesen. Insofern wäre ich schon interessiert.


    Im Moment sieht meine Leserundenplanung ungefähr so aus:
    [list]Aktuelle Leserunde: Sterne
    Ende Monat: nächste Leserunde = Milton
    Ende August / Anfang September: Dante
    dann könnte im Anschluss Augustin sogar chronologisch Sinn machen :zwinker: [/list:u]
    Allerdings, wie Du der Liste unschwer entnehmen kannst - vor Frühjahr 2005 hat bei mir wohl nix mehr Platz :rollen: Wenn Du solange warten kannst und willst (auch dann ohne Garantie, dass ich wirklich mitmachen kann oder will) ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"

    2005 hat bei mir wohl nix mehr Platz :rollen: Wenn Du solange warten kannst und willst (auch dann ohne Garantie, dass ich wirklich mitmachen kann oder will) ...


    Das geht auf keinen Fall, nachdem ich das Buch schon seit 10 Jahren lesen will :smile:


    Dante will ich in absehbarer Zeit auch angehen, die Erstlektüre mit 17 oder 18 Jahren ist kaum mehr wahr.


    CK

  • Hallo xenophanes!


    Zitat von "xenophanes"

    Das geht auf keinen Fall, nachdem ich das Buch schon seit 10 Jahren lesen will :smile:


    Manchmal bin ich schwer von Begriff: War das nun Ironie?


    Zitat von "xenophanes"

    Dante will ich in absehbarer Zeit auch angehen, die Erstlektüre mit 17 oder 18 Jahren ist kaum mehr wahr.


    Schliess dich doch uns an:


    http://www.klassikerforum.de/forum/viewtopic.php?t=660


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo xenophanes!


    Tut mir leid, ich hatte nicht begriffen, dass Du schon angefangen hast. Ein Buch von diesem Umfang - da wird schwerlich jemand von 1 Sekunde auf die andere miteinsteigen können, fürchte ich.


    Schade, an und für sich hätte mich eine Re-Lektüre des Gottesstaates gereizt, aber eben - so von heute auf morgen geht's nicht.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "xenophanes"

    [Ja, wenn ich einen Klassiker anfange, den ich schon seit Jahren vor mir her schiebe, kann ich doch nicht gleich wieder aufhören :-)


    Hallo xenophanes,


    wenn Du das Buch schon angefangen hast und auch nicht auf eventuelle Mitleser, die später einsteigen würden, warten willst, dann ist es eigentlich zu spät für einen Lesevorschlag. Wenn Du den "Gottesstaat" schon seit Jahren vor Dir herschiebst, wäre es sinnvoll gewesen, gleich im Februar als Du zu uns gekommen bist einen Lesevorschlag einzutragen, dann hätte man Mitleser finden können.


    Also noch mal für Alle:
    Einen Lesevorschlag trägt man ein, wenn man irgendwann einmal ein bestimmtes Buch mit anderen zusammen lesen will.


    Hat man ein Buch schon angefangen, kann man das im Allgemeinen Diskussionsforum oder im Thread "Was lest ihr gerade?" kundtun. Finden sich dann Mitleser, kann man immer noch verschieben.


    Ansonsten stehen diese Vorschläge, ewig hier rum und der Vorschlaggeber hat das Buch längst gelesen.


    Ich werde also Deinen Vorschlag, xenophanes. in das Diskussionsforum verschieben. Vielleicht findet sich ja dort jemand, der spontan mit Dir über das Buch reden will (es vielleicht sogar schon gelesen hat)


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen!


    Na ja, mitreden, soweit ich mich noch erinnern kann oder soweit ich das eine oder andere auf die Schnelle nachlesen kann - das könnte das eine oder andere Mal klappen. Ich habe übrigens auch die dtv-Ausgabe.


    Gelesen habe ich das Buch seinerzeit in einem 'Projekt' zum Thema utopische Literatur und bin dabei auch auf die Utopien 'vor' der Utopie gestossen. Allerdings würde ich z.B. sowohl Platons Staat wie Augustins Gottesstatt den Charakter einer Utopie absprechen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo xenophanes


    Zitat von "xenophanes"

    Sehe schon, spontan geht hier gar nichts :smile:


    Ich habe vorgestern abend mit einer Re-Lektüre von Prousts A la recherche du temps perdu angefangen. Machst Du mit?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "xenophanes"

    Sehe schon, spontan geht hier gar nichts :smile:


    CK


    Wer einen Klassiker 10 Jahre vor sich herschiebt, sich dann endlich dazu entschließt, darf sich m.M.n. nicht über mangelnde Spontanität bei anderen beklagen, die nicht augenblicklich ihre aktuellen Bücher zur Seite werfen um sich ihm anzuschließen. Ich will jetzt nicht von Arroganz und Hochmut sprechen, sag Du mir wie man das nennt, mir fehlen die Worte. :zwinker:


    Meiner Meinung nach sind wir hier im Klassikerforum so spontan, dass es eigentlich nicht mehr spontaner geht. Ich will das mal an einem, von vielen möglichen, Beispiel erklären:


    Ich kenne zwei deutschsprachige Internetforen, die sich hauptsächlich mit der gemeinsamen Lektüre von anspruchsvoller Literatur beschäftigen:


    Das Biblioforum und das Klassikerforum. Beide habe ich im April 2003 kennengelernt.
    Am 21. April 2003 habe ich im Biblioforum einen Lesevorschlag zu Montaignes „Essais“ gemacht. Dieser Vorschlag steht dort z.Zt. ca. auf Platz 150 und bei einem Lesetempo von ca. zehn Büchern/pro Jahr im Biblioforum kann ich im Jahre 2019 damit rechnen, dass mein Vorschlag gelesen wird:
    http://www.biblioforum.de/lese…ntum=2&order=votes%20desc



    Im Klassikerforum habe ich einen Tag später am 22.4.2003 den gleichen Lesevorschlag gemacht:
    http://www.klassikerforum.de/forum/viewtopic.php?t=287


    Am 5.5.2003, also kene 2 Wochen später, wurde mein Vorschlag ins „gemeinsame Lesen“ verschoben und die Leserunde war gestartet:
    http://www.klassikerforum.de/forum/viewtopic.php?t=304


    Soviel zur Spontanität dieses Forums. Zwischenzeitlich gibt es noch bessere Beispiele. Allerdings wie auch die Leserunde „Krieg und Frieden“ zeigt, muss zu spontanes Starten einer Leserunde, nicht immer von Vorteil sein. Gerade Klassiker sollte man nicht spontan lesen, sondern innerhalb eines Leseplans, man muss ja nicht so weit gehen wie Martin Walser, der seinen Leseplan seinem Lebensplan unterordnet, obwohl auch das kann Sinn machen.


    Gruß von Hubert


    PS: Spontane Diskussionen sind bei uns allerdings sehr willkommen, deshalb freue ich mich schon, wenn hier bald spontan über Augustinus Ansichten diskutiert wird.

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  • Zitat von "Hubert"


    Wer einen Klassiker 10 Jahre vor sich herschiebt, sich dann endlich dazu entschließt, darf sich m.M.n. nicht über mangelnde Spontanität bei anderen beklagen, die nicht augenblicklich ihre aktuellen Bücher zur Seite


    Der Smiley sollte eigentlich andeuten, dass meine Bemerkung nicht so ernst gemeint war, weshalb Rechtfertigungsaufsätze gar nicht notwendig sind :smile:


    Da ich immer hunderte Klassiker vor mir her schiebe, finde ich die 10 Jahre gar nicht so erstaunlich :zwinker:


    Zitat von "Hubert"

    PS: Spontane Diskussionen sind bei uns allerdings sehr willkommen, deshalb freue ich mich schon, wenn hier bald spontan über Augustinus Ansichten diskutiert wird


    Einen ausführlichen Diskussionseinstieg habe ich ja geliefert.


    CK

  • Zitat von "xenophanes"

    Der Smiley sollte eigentlich andeuten, dass meine Bemerkung nicht so ernst gemeint war, weshalb Rechtfertigungsaufsätze gar nicht notwendig sind :smile:


    Der Smiley hinter meinem ersten Absatz, sollte andeuten, dass ich Deine Bemerkung nicht als ernst gemeint verstanden habe. Ein Grund warum ich Smilies nicht mag: Man muß dann immer erklären was man damit meint. Im übrigen, wenn mir jemand gegen das Schienbein tritt, dann nützt es ihm wenig, wenn er sagt, er hätte dabei gelächelt. Ich trete trotzdem zurück. Allerdings zwinkere ich dabei.


    Davon abgesehen, war mein Aufsatz nicht als Rechtfertigung gedacht, sondern vor allem auch als Hinweis für andere.


    PS: Spontane Diskussionen sind bei uns allerdings sehr willkommen, deshalb freue ich mich schon, wenn hier bald spontan über Augustinus Ansichten diskutiert wird
    Einen ausführlichen Diskussionseinstieg habe ich ja geliefert.


    Spontan, heißt allerdings: freiwillig und ohne Anschub


    Gruß


    H