Kriterien, nach denen Faust als klassisch anzusehen ist.

  • Faust I und II werden in der Literaturgeschichte als die klassischen Werk schlechthin angesehen.


    Ich suche dennoch konkrete Beweise, dass Faust I klassisch ist, denn die Handlung, bzw. Nebenschauplätze haben wenig antiken Charakter ganz im Gegenteil.


    1) Die Handlung fällt ins 16.Jahrhundert, Gott und Mephisto sind von der Weltanschauung auch dem christlichen Weltbild anzuhängen.


    2) Die humane Gesellschaft kommt kaum zum Ausdruck, auch nicht als Utopie, die angesetrebt wird.


    3) Die Form ist sehr unregelmäßig, Madrigalverse, Knittelverse und freie Rhytmen wechseln sich ab.



    Wo ist also der klassische Aspekt?


    J.-Paul

    Die Zeit ist Euer! Sie wird sein, was ihr aus ihr macht! (Generalmajor von Clausewitz)

  • Interessante und sehr berechtigte Frage. Unabhängig davon, ob ein „klassisches Werk“ in der Antike spielen muss, was ich eher verneinen würde, sehe ich bei „Faust“ auch keinen klassischen Aspekt.


    Zunächst würde ich bei der Beurteilung nicht in Faust I und Faust II unterscheiden, sondern in den „Urfaust“ und den „Faust 1. und 2. Teil“:


    Der „Urfaust“ ist m.M.n. sowohl von seiner Anlage als auch von der Zeit seiner Entstehung her dem „Sturm und Drang“ zuzurechnen.


    „Faust 1.und 2. Teil“ reicht von der zeitlichen Entstehung von der Literaturepoche „Sturm und Drang“ über die „Klassik“ bis in die „Romantik“ hinein. Eine klassische Form ist wenn man das Werk insgeamst betrachtet nicht zu erkennen. Jedes Schillerdrama (auch seine der Romantik zuzurechnende „Jungfrau ...“), jedes Kleistdrama, ja selbst viele Romane bis in die heutige Zeit, entsprechen eher einem klassischen Aufbau als Goethes Faust. Und auch, dass im 2. Teil die griechische Helena auftaucht, macht aus dem Faust kein klassisches Stück.


    Warum wird der „Faust“ trotzdem in der Literaturgeschichte als „Klassiker“ bezeichnet?


    Nach der Definition ist ein Klassiker i.e.S.:
    - Ein Vertreter der Klassik
    - dessen Werke selbst


    Das Goethe ein Vertreter der deutschen Literaturepoche Klassik ist, steht außer Zweifel, als Person ist er nicht teilbar und die Hauptzeit seines Schaffens bildet nun mal die Zeit der Weimarer Klassik.


    Der Definition nach (noch mal, das ist nicht meine Definition, sondern die aus dem Wörterbuch) werden auch die Werke der Klassiker, als Klassiker bezeichnet, unabhängig davon ob das Einzelwerk klassische Aspekte aufweist.


    Gruß von Hubert

  • Danke für die Antwort.


    Trotzdem ist es schwierig im Unterricht immer damit konfrontiert zu werden, ohne wirklich zu wissen, warum Faust klassisch ist. Ich stelle mir das gerade für eine Erörterung sehr schwer vor, wenn es an die argumentatio geht und ich könnte es nicht beweisen, dass das Werk, wenigstens Inhaltsmäßig, zur Klassik gehört.


    Vielleicht erkennt ja jemand noch wesentliche Merkmale der Klassik in dem Werk.


    J.-Paul

    Die Zeit ist Euer! Sie wird sein, was ihr aus ihr macht! (Generalmajor von Clausewitz)

  • Hallo zusammen!
    Hallo Papst!


    (Ich sehe gerade, ich habe Deinen Namen auch schon mal falsch geschrieben. Entschuldigung!)


    Die Diskussion fängt ja schon 'früher' an, dort nämlich, wo diskutiert wird, ob die deutsche 'Klassik' überhaupt eine Klassik sei. Nicht jeder Engländer oder Franzose könnte dem zustimmen, sondern er würde, was im deutschen Sprachraum in 'Sturm und Drang', 'Klassik' und '(Früh-)Romantik' unterteilt ist, schlicht und ergreifend 'Romantik' nennen. Zu diesem Thema - und vielleicht findest Du dort sogar eine Antwort auf Deine ursprüngliche Frage -: Walter H. Bruford Kultur und Gesellschaft im klassischen Weimar 1775-1806 (Meine Ausgabe: Göttingen, 1966).


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus