Thomas Mann und Hermann Hesse

  • Hallo!
    Die Freundschaft Hess-Mann ist mir bis heute
    merkwürdig geblieben. Ausgerechnet Th. Mann
    der doch keinen einigermaßen guten Autoren
    neben sich duldete. Die Anekdote fand ich
    übrigens sehr gut. Ist immer so ein bisschen
    das Salz in der Suppe.
    Gruss, patmos.

  • Wertet eine mögliche, eventuelle Homosexualität Hesse ab, oder auf, oder bleibt Hesse für uns der Gleiche, der er war? Sind wir an seiner Homosexualität vielleicht mehr interessiert, als an seinen Büchern? Wäre das dann nicht Sensationslust der wir plötzlich anheimfallen? Was ist, wenn Hesse nun wirklich homosexuell war? Oder bisexuell? Würden wir ihn dann anders lesen? Und wenn Hesse das Thema Geschlechtlichkeit sehr freizügig und experimentell verwendet hätte, ohne homosexuell zu sein? Welche Rolle spielen Nietzsches Schriften dabei (ich erinnere an die Abhandlungen über Freundschaft - keine Angst patmos, es wird kein neuer Nietzscheordner hier entstehen)? Wird in gewissen Studien über Hesse nicht auch versucht völlig Neues herauszufinden, um auf sich aufmerksam zu machen? Wer kennt die Wahrheit und meint sie nicht nur zu kennen? Welche Literatur über Hesse gibt darüber Auskunft? fragt sich Friedrich-Arthur

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Auch wenn ich dieses ganze Thema ziemlich überflüssig finde: Hesse war nicht homosexuell (wobei mir dies im Prinzip egal wäre), aber er hatte natürlich Freud gelesen und kannte dessen These von der natürlichen Bisexualität des Menschen. Vermutlich kam dies auch in Hesses eigener Psychoanalyse zu Sprache. Hesse wird im Rahmen dieser Analyse Gedanke-Experimente angestellt haben, die sich vielleicht in seinem Werk niedergeschlagen haben - unter "Homosexualität" versteht man aber etwas anderes. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, daß Hesse tatsächliche homosexuelle Neigungen gehabt hätte. Bei Nietzsche ist das allerdings wieder etwas anderes ... :knuddel:


    Wer aber eine solche Angst vor Homosexualität hat, wie sie stellenweise in diesem Thread zum Ausdruck kommt, der sollte sich lieber mal Gedanken über sich selbst machen. Wirkliche Angst hat man immer nur vor sich selbst.

  • Ich kann Roquairol hier nur zustimmen!

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • @ Roquairol: Genau so ist es, sehr prägnanter Beitrag. Und in Ergänzung dazu möchte ich nur noch darauf hinweisen, daß Hesse vor allem auch die Bücher des Freud-Schülers C.G.Jung gelesen hat, und daß seine eigene Analyse jungianisch ausgerichtet war, die in vielfältiger Weise sein gesamtes Werk der zweiten Schaffensperiode ab dem 'Demian' beeinflusst hat. Die Freudsche Konzeption von der grundsätzlich bisexuellen Natur des Menschen wurde dadurch ins religiöse überhöht bzw. lernte Hesse auf diese Weise psychologische Konzeptionen von Sexualität und Geschlecht kennen, die ihm aus der indischen und vor allem der chinesischen Mystik unter spirituellen Gesichtspunkten wohl schon länger vertraut waren, Stichworte Animus und Anima, Shiva und Shakti, yin und yang usw. Im übrigen kann ich nur empfehlen, sich um eine Definition der Phänomene zu bemühen, wenn man nicht aneinander vorbeireden will, denn auch nach Jahrzehnten der sexuellen Liberalisierung unterscheidet das Alltagsbewußtsein heute in der Regel immer noch nicht wirklich zwischen homosexuell und bisexuell, alle möglichen Fachdiskussionen, ob in der Literaturwissenschaft, der Psychologie oder der Medizin, natürlich schon. (Und eine Kategorie wie 'queer' ist tatsächlich nur innerhalb bestimmter universitärer Fachbereiche oder auf den Seiten des linksfeministischen Feuilletons kommunizierbar.) Danach ist eben jeder, der mit Menschen seines eigenen Geschlechts Sex hat, 'schwul' bzw. 'lesbisch', weil für den einfach strukturierten Verstand Schwarz-Weiß-Malerei bequemer ist, während ihn Differenzierungen überfordern. Für Autoren, die gleichgeschlechtlichen Sex schildern, gilt entsprechendes, von der Unterscheidung zwischen körperlichem Sex und emotionaler Sympathie ganz zu schweigen, und man nennt das auch vornehm 'Reduktion von Komplexität'.


    @ Dostoevskij: Wir hatten übrigens kürzlich im Allgemeinen Forum auf hhesse.de auch eine Diskussion über die Frage, ob Thomas Mann homosexuell gewesen sei.


    @ Friedrich-Arthur: Ich weiß nicht, ob das nur eine rhetorische Frage war, aber zum Phänomen Hermann Hesse als weltweit meistgelesenstem deutschsprachigen Autor von Rang gibt es eine ungeheure Fülle von Sekundärliteratur, in der alle möglichen Einzelfragen behandelt werden. Einen Einstieg dazu findet man in jeder Buchhandlung, die die rororo-Monographien führt, denn der kleine Hesse-Band versammelt im Anhang nicht nur einen guten Auszug aus dieser Fülle, die für den normalen Informationsbedarf schon mehr als ausreicht, sondern verweist auch auf die weiterführenden Spezialbibliographien, mittlerweile in den neuesten Auflagen samt Internetlink, glaube ich.

  • Lothar, ich danke dir für die ausführliche Antwort! Meine Fragen waren eher als Fragen gemeint, wenn sie auch ein rethorisches Element besitzen. Das rororo-Bändchen über Hesse ist auf der Lesewunschliste vorgemerkt. Von diesem Buch aus kann ich mir ja eine Übersicht verschaffen und gezielt weitersuchen, somit muss euch hier nicht mit Fragen allgemeiner Art überhäufen. Das ganze Thema Psychoanalyse bei Hesse habe ich mir noch nicht vorgenommen, doch es interessiert mich, besonders aus der Sicht über Hesses Künstlerschaft. Sein Malbeginn liegt ja im Zeitraum Steppenwolf/Psychoanalyse. Auch ist mir bei den letzten Diskussionen über Hesse in diesem Forum und in den Foren des Literaturcafés deutlich geworden, dass die die Psychoanalyse ein wichtiges Element in seinen mittleren und späteren Schriften ist. Hesse unterzog er sich der Psychoanalyse ja bei Jung (ich denke es war ein Verwandter oder enger Mitarbeiter C.G. Jungs (bin hier nicht ganz sicher)). Nochmals danke für deinen richtungsweisenden Tipp und deine genaue Antwort! Friedrich-Arthur

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • hallo Friedrich-Arthur, Roquairol, Lothar,


    Ich habe nun den text vollständig gelesen. Für mich die bislang stringenteste interpretation des Steppenwolf.


    Der text nimmt allerdings eine etwas andere position ein:


    Untersucht werden 2 fragen:
    -War Hesse homosexuell, und ist dieses werk quasi eine auseinandersetzung damit ?
    Die ab page 7 genannten biographischen details, zitate aus werk und biographien (u.a. ball) lassen sich kaum mit einer "normalen" heterosexualität vereinbaren.
    Für Hesse war der Steppenwolf ja eine katharsis, eine selbstheilung. Und der autor fragt, -von welcher krise?


    und
    - Ist dies eine geschichte über Homosexualität?


    Der autor geht davon aus, daß die Freud'sche und Jung'sche psychologie für die interpretation unzureichend ist:
    Warum erscheint Hermine als junge?
    Was bedeutet ihr "tod" am schluß?


    Er führt dann (page 4 ff.) 2 psychologische modelle vor, deren eines der sexualität eine geringere rolle zubilligt, während das zweite eine theorie der scham (hier: der HS) ist, der reaktionen von betroffenen und umwelt darauf.
    Die destruktive rolle der scham läßt das selbst in 2 teile zerfallen mit dem ziel, die eigenen wünsche mit der zustimmung der anderen zu vereinbaren. Ein mittel dazu ist die vorstellung eines archetypus, im Steppenwolf das androgyne, das das ungeteilte Selbst darstellt.
    "Das Androgyne kann dann als ein positives modell für die reintegration des Selbst dienen".


    Nach diesem theoretischen teil wird dieses modell in eine ausführliche interpretation umgesetzt.
    Nicht daß ich alles verstanden habe, aber immerhin scheint mir nun die geschichte mehr sinn zu ergeben als früher.


    Die dritte, ebenfalls erwähnte, aber unbeantwortet bleibende frage ist, ob nur ein homosexueller dichter homosexuelle literatur schreiben kann (das pentateuch ist natürlich ebensowenig homosexuelle literatur wie eine urteilsbegründung zum § 175).


    Wie eine websuche zeigt, wird Hesse's werk von homosexuellen als homosexuelle literatur gelesen. Aber auch zB exclusivebooks.com sieht den Demian als ein buch u.a. über HS.
    Für die rezeption und für die interpretation könnte also die frage der HS eine rolle spielen. Aber vielleicht nicht bei jedem in gleichem maße.


    P.S.: der artikel liegt auf der USA-Hesse-Seite. Nicht jeder also fühlt die verpflichtung, Hesse vor solchen "verdächtigungen" in schutz nehmen zu müssen.


    gruß hafis

  • P.P.S.:
    ich vergaß zu erwähnen, daß auch auf die beschäftigung Hesse's mit jung und auch auf seine therapie eingegangen wird.
    Letzteres mit einschlägigen, themabezogenen, schlüpfrigen details...

  • Danke hafis50! Der Steppenwolf erscheint mir bei der gerade begonnenen erneuten Lektüre und nach all den letzten Diskussionen im Klassikerforum und Literaturcafé in einem neuen Licht. Mein Eindruck: es ist das (ich habe noch nicht alle Bücher Hesses gelesen) autobiographischte Buch Hesses. Die Psychoanalyse und deren Verarbeitung wird dies gefördert oder gefordert haben. Wichtig auch der Beginn Hesses, sich intensiv mit der Malerei (Aquarell) zu beschäftigen. Ob Hesse aber homosexuell, bisexuell oder heterosexuell war, interssiert mich nur vom Standpunkte des Textverständnisses aus. Ansonsten ist es mir egal. Vielleicht ist gerade die Unklarheit darüber das Günstigste, der Autor soll ruhig seine Geheimnisse haben. Alles was Geheimnisse hat, lockt unsere Neugier. Und da es bei Hesse auch bezüglich Kunst, Religion und Werte viel zu entdecken gibt, kann eine solche Neugier nur von Vorteil sein. Ein genaueres Bild könnten auch seine Briefe abgeben, von denen ich leider bisher nur einen Auszug gelesen habe... Nochmals danke und Grüße, Friedrich-Arthur

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo Friedrich-Arthur,


    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Ob Hesse aber homosexuell, bisexuell oder heterosexuell war, interssiert mich nur vom Standpunkte des Textverständnisses aus. Ansonsten ist es mir egal. Vielleicht ist gerade die Unklarheit darüber das Günstigste, der Autor soll ruhig seine Geheimnisse haben. Alles was Geheimnisse hat, lockt unsere Neugier.


    Das sehe ich genauso.
    Da man heute sowieso nicht mehr die veranlagung Hesse's sicher klären kann, sind alle spekulationen darüber müßig.
    Die schwierigkeit fängt ja schon bei der frage an, ob bzw. wie man den sich in "männerliebschaften" ausdrückenden "mann-männlichen-Eros" von homosexualität unterscheiden kann.
    Solche aus unserer heutigen sicht über eine normale freundschaft hinausgehenden männerbeziehungen gab es ja nicht nur zu Hesse's zeiten: Jean Paul, Schlegel, Hölderlin, Tieck, Mörike, Novalis, Wackenroder, usw..
    So könnte man leicht einen großen teil des dt. klassiker-olymps homosexualisieren...


    Jeder wird dieses/ein werk anders lesen. Homosexuelle sehen hier eine sie bemutigende coming-out-geschichte. Andere werden einen homosexuellen aspekt nicht bemerken. Und wiederum andere, wie Alpha, werden ihn sehen, und das werk darum "nicht verstehen", und ablehnen.


    gruß hafis

  • Hallo alle zusammen
    Tut mir leid, dass ich erst jetzt auf den Sturm der Entrüstungen antworte.
    Erstens: Ja, es ist wahr, ich habe von Hesse nur „Narciss und Goldmund“ und „Steppenwolf“ gelesen, nachher hatte ich genug, vielleicht hatte ich Pech damit.
    Zweitens: Wenn ich spitzfindig sein wollte, so könnte ich behaupten, ich hätte nie geschrieben, Hesse sei schwul gewesen, denn ich habe von „der“ und nicht von „seiner“ Homosexualität geschrieben.
    Drittens: Ich bin sehr verwundert, eine solche Welle der heftigsten Reaktionen ausgelöst zu haben, war ja vielleicht tatsächlich nur ein interpretatorischer Missgriff auf Grund der zufälligen Lektüre. Wieso so heftig?
    Viertens: Der Vorwurf, dass ich Proust lesen werde weise ich zurück als unsinnig; zwar weiss ich noch nicht, was mich bei Proust erwaretet, aber wenn man bedenkt, dass ich Mann so zusagen von a-z gelesen habe (Notzibücher, Briefe und einige Essays fehlen), also auch das Tagebuch, so sollte jedem klar werden, dass ich nicht grundsätzlich jedes Buch sofort in den Kübel schmeisse, nur weil irgendwo es ein bischen homo-/bisexuel zu und hergeht. Ich habe auch geschrieben, es sei ein Detail, wie der geneigte Leser bemerkt haben sollte. Ich erwarte, dass für Proust das gleiche wie für Mann gilt: Die Sprache nimmt eine so wichtige Stellung ein, dass so ein Detail nicht die Lektüre vermiesen kann.
    Fünftes: Habe nichts von Homophobie geschrieben, nur von Unverständnis.
    Sechstens: Provoziere gern, war mir auch bewusst, dass es heftige Entgegnungen geben könnte, aber gerade so und (mit Ausnahme von Hafis) so geschlossen...
    Siebtens: Wollte keinen Hesse Fan beleidigen, entschuldige mich für meine, vielleicht übereilte und ungenaue, Äusserung.
    Sieben ist eine schöne Zahl, belassen wir es dabei.
    Lasst euch keine grauen Haare wachsen, nur weil ein kleiner Besserwisser irgendeine Bemerkung fallen lässt. Ereifert euch nicht über Nichtigkeiten, es ist schade um die Energie. Der Ton? – Bitte immer recht freundlich lächeln, lieber als Gehässigkeiten sind mir sarkastische Bemerkungen.


    Zum Thema: Findet ihr es schlimm, dass Mann Personen „porträtierte“? – Ich nicht, er arbeitete einfach mit lebendigem Material, statt mit totem, er brauchte diese „Porträts“ für die Wirkung. Die Wirkung ist hervorragend - was wären seine Bücher ohne die kleinen Anektoten, die aus dem Leben gegriffen sind? – Immer noch viel, aber weniger. Der Zweck heiligt die Mittel (auch nicht immer, aber hier finde ich schon). Wie ich selbst reagiert hätte, kann ich mir nicht vorstellen. Mann sieht sich als gewaltiger Humorist? – Ihr ihn auch? Hesse als Humorist? – Wohl kaum, wenn ich mir dieses Urteil erlauben darf (habe mir schon einmal den Mund mit einer Bemerkung über Hesse verbrannt, sollte es also in Zukunft besser sein lassen), beschwehrt euch andernfalls nur wieder, dann wird euch nicht langweilig...
    Lesen, lesen, lesen, nicht denken, denken gefährdet die Gesundheit. „A gramma is better than a damm.“ Daran halte ich mich immer recht fleissig, daher die anfechtbaren Urteile.


    Alpha


    p.s. Danke Hafis für die Recherche!!!

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • @ Friedrich-Arthur: Hesse hat sich in einem Aufsatz selbst einmal grundlegend zur Psychoanalyse geäußert, aber leider finde ich die genaue Quellenangabe gerade nicht. Das rororo-Bändchen hat also schon seine Grenzen, wobei ich sowieso nur ein antiquarisches Exemplar aus den 60ern besitze. Dann finden in Hesses Geburtsstadt Calw seit 1977 meist in zweijährigem Turnus hochrangig besetzte Colloquien statt, die sich mit dem Werk des Dichters beschäftigen. Eines dieser Colloquien hatte den Titel 'Hermann Hesse und die Psychoanalyse', und in dem zugehörigen Tagungsband gibt es nicht nur die interessanten Manuskripte der Experten zum Leitthema sondern in den Fußnoten und Literaturangaben weitere Verweise auf relevante Stellen bei Hesse. Dürfte allerdings ziemlich schwer sein, an diese Colloquiumsbände heranzukommen, wenn man sie nicht kaufen will. Hier in Berlin habe ich das Privileg einer sehr gut sortierten öffentlichen Bibliothek, ansonsten wird man das wohl höchstens über die germanistischen Institute der nächstgelegenen Universität - vielleicht - einsehen können. Hesse war bei einem Jung-Schüler - Dr. Lang, wenn ich mich recht entsinne - in Behandlung, und zwar während des ersten Weltkriegs, als sein ganzes privates Leben in Trümmern ging und er auch seine schriftstellerische Produktivität verlor. Der 'Demian' ist unmittelbare Frucht dieser Analyse und leitete eine neue Schaffensperiode ein, der wir letztlich fast alle seiner bedeutenderen Werke verdanken, wobei Hesse die Niederschrift als explosive Befreiung empfand. In den 20er Jahren hatte er dann wohl auch noch einige Sitzungen bei Jung selbst.


    @ hafis50: Danke, daß du dir die Mühe gemacht hast, diesen Text zumindest versuchsweise zusammenzufassen, denn ich kann diese PDF-Datei weder herunterladen noch markieren, um sie dann auf meine Festplatte zu kopieren. Über zwanzig Seiten kleingedruckten Text online zu lesen und das noch auf englisch ist jedenfalls nicht gerade eine meiner liebsten Übungen...


    Was soll ich denn unter 'homosocial' verstehen?? Da versagen leider meine Englischkenntnisse, mein Lexikon und meine Interpretationskünste. Sind das 'homosexuelle' Eigenschaften und Verhaltenstendenzen unter Ausschluß des sinnlich-sexuellen-körperlichen?? Falls ja, fängt damit natürlich eine Begriffsverwirrung an, weil man ganz normale Sympathie zwischen Menschen - um nicht gar das pathetische Wort Liebe zu verwenden - schon sprachlich in ein sexualisiertes Konzept zwängt.


    Auch Homosexuelle selbst sind letztlich nicht davor gefeit, Mißverständnisse über ihre eigene sexuelle Orientierung zu hegen bzw. eine unzureichende Differenzierung zu betreiben. Für mich ist ein Homosexueller einfach ein Mensch, der AUSSCHLIEßLICH mit Menschen seines eigenen biologischen Geschlechts KÖRPERLICHEN SEX hat. In diesem Sinne ist weder Hermann Hesse noch seine Hauptfigur Harry Haller 'homosexuell' gewesen, was man natürlich ganz eindeutig nachweisen kann, so daß sich die meisten weiterführenden Erörterungen erübrigen, insbesondere sämtliche Spekulationen und Interpretationen, die die affektiv gefärbten generellen Beziehungen zwischen Menschen umstandslos auf die sexuelle Ebene übertragen. Die klassische Psychoanalyse in ihren verschiedenen Ausprägungen hat hier selbst nicht immer klar zwischen körperlich-sexueller Lust und emotionaler Sympathie unterschieden, ist daher für bestimmte Konfusionen leider auch mitverantwortlich, die es einem solchen Autor in Anknüpfung an die tausend und ein Absetzbewegungen von der Tiefenpsychologie erlauben, hier mal eben das Rad der Psychologie neu erfinden zu wollen. Über 'Scham' außerhalb eines psychoanalytischen Kontextes spekulieren zu wollen, ausgerechnet, erscheint mir jedenfalls völlig sinnlos, wenn ich die Herangehensweise des Autors richtig verstanden habe.


    Hermann Hesse wie Harry Haller sind bestimmt keine normalen Heterosexuellen gewesen, das ist richtig, aber daraus folgt eben NICHT der Umkehrschluß, sie seien homosexuell bzw. der 'Steppenwolf' sei in einer homosexuellen Lesart in irgendeiner privilegierten Weise entschlüsselbar. (Der implizite Dualismus eines solchen naiven Umkehrschlusses ist auch deswegen amüsant, weil es gerade in diesem Werk wie in kaum einem anderen der gesamten Weltliteratur sowohl um die Thematisierung wie der Transzendierung von dualistischen Denkmustern überhaupt geht!) Wahrscheinlich gibt es auch eine spiegelverkehrte Tendenz von Schwulen/Lesben, bisexuelle Menschen - oder hochrangige Autoren - für ihre eigene sexuelle Orientierung aus Gründen der eigenen Aufwertung vereinnahmen zu wollen, wie der homophobe Heterosexuelle bisexuelle Verhaltensweisen umstandslos als 'homosexuell' etikettiert. Im Grunde mag ich auch die Kategorie 'Bisexualität' gar nicht so besonders, weil sie - dem naiven Gemüt - suggeriert, neben Homo- und Hetero- gäbe es jetzt eben auch noch eine dritte, eben die Bi-Abteilung, während der clou schon der Freudschen Einsicht - oder eben der uralten Mystik - ja gerade darin besteht, solche eineindeutigen Fixierungen zugunsten freiheitlicher und dem individuellen Einzelfall angepaßter Entscheidungen GENERELL zu überwinden! In dieser fundamentalen Freiheitsperspektive habe ich letztlich auch die modernen gender-Debatten bzw. den tieferen Sinn des queer-Begriffs immer verstanden, während das klassische Ringen vor allem der Schwulen-Bewegung um Liberalisierung und Akzeptanz letztlich einem früheren geistigen wie politischen Stadium angehört, das noch sehr von aggressiver Abgrenzung geprägt ist, die eine tiefere Unfreiheit zum Ausdruck bringt.


    Mein Hinweis auf C.G. Jung im letzten Posting hatte vor allem auch die Funktion, auf die tiefere mystisch-esoterische bzw. spirituelle Ebene des 'Steppenwolfs' bzw. generell bei Hermann Hesse hinzuweisen. So werden im 'Traktat vom Steppenwolf' z.B. buddhistische Essentials behandelt, wie man überhaupt das ganze Magische Theater in einer ausschließlich säkularen, psychoanalytischen oder 'homosexuellen' Lesart nie entschlüsseln wird, weil die existentielle Dimension des Textes nicht erreicht wird. C.G. Jung war zwar einerseits ein Psychoanalytiker, andererseits geht er in seinen Theorien gerade über die klassische oder 'orthodoxe' Tiefenpsychologie hinaus, die er letztlich religiösen Fragestellungen geöffnet hat, eine Wendung, die die meisten Analytiker und gerade sein Lehrmeister Freud natürlich nicht mitgemacht haben, Hesse mit der Freiheit des Schriftstellers aber schon. In dieser religiösen, spirituellen oder existentiellen Perspektive wären die von dir bzw. diesem Text aufgeworfenen Fragen oder 'Rätsel' zu beantworten, allerdings ahnst du vielleicht schon, daß in einer solchen ultimativen Zuspitzung Antwortversuche sehr schnell vermessen klingen könnten, denn schließlich müßte man mit Gewissheit 'die letzten Dinge' selbst geklärt haben! Und wer kann das schon.


    PS: Wenn Hermine gegen Ende als Junge erscheint, dann ist das nur das weitere spielerische Herumdrehen an der Animus-/Anima-Schraube, denn 'Hermine' ist schließlich nichts anderes als die weibliche Variante des Vornamens des Autors, wie auch Harry Haller nicht zufällig die gleichen Initialen besitzt wie Hermann Hesse. Und Hermine stirbt eben nicht, weshalb deine Anführungszeichen ja ganz richtig waren, wobei schon der Realtitätsstatus der ganzen Schlußpassagen offen bleibt: Traum, Drogenrausch, Vision, (werkimmanente) Realität...? Und schließlich wird auf den letzten Seiten sehr wohl eine Art Lösung für die Konflikte Harry Hallers angeboten, wobei man sich darüber streiten kann, wie effektiv sie ist bzw. ob der Leser etwas damit anfangen kann. Wird normalerweise gerade von den Hesse-Liebhabern übersehen, die sich auch nach mehrfacher Lektüre immer noch eineindeutig mit der Hauptfigur identifizieren, als ob die keiner Entwicklung unterworfen worden wäre, aber vielleicht sollte man von Literatur auch generell nicht zuviel verlangen... ...selbst wenn's der 'Steppenwolf' ist.


    @ alpha: Ja, Thomas Mann ist tatsächlich ein großer Ironiker und Satiriker - das Wort 'Humorist' hat wohl in den letzten Jahrzehnten einen unangenehmen Bedeutungswandel erlebt - und speziell der 'Felix Krull' ist gerade auch deswegen eines meiner absoluten Lieblingsbücher, aber letztlich finde ich es so genial, weil hier Humor und Tiefsinn, Leichtigkeit und geistiger Gehalt, eine runde Synthese eingegangen sind. Hesse war als Mensch zumindest wohl in den letzten dreißig Jahren seines Lebens durchaus ein sehr viel heitererer Mensch als viele seiner Romanfiguren, wenn man den biographischen Zeugnissen Glauben schenken darf, wobei für mich Heiterkeit und Humor aber schon lange keine unter allen Umständen positiven Eigenschaften mehr darstellen. Das hat zum einen mit persönlichen Erfahrungen zu tun, zum anderen gibt es seit über zwanzig Jahren den sogar schon zur kulturkritischen Formel geronnenen Buchtitel 'wir amüsieren uns zu Tode' - ein Klassiker der Medienwissenschaft vom kürzlich gestorbenen Medienkritiker Neil Postman. Und der 'Steppenwolf' ist beileibe kein humoristisches Buch, hat allenfalls ein paar sehr sarkastische Effekte, und um so seltsamer ist es doch, daß ausgerechnet dieses Buch sich zu einem Lob des Humors aufschwingt. 'Steppenwölfe' haben den tatsächlich nötig, aber die Generation Harald Schmidt etc.pp. hätte vielleicht ein wenig mehr Ernsthaftigkeit nötig.

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "alpha"

    Hesse als Humorist? – Wohl kaum, wenn ich mir dieses Urteil erlauben darf


    Doch, Hesse hatte durchaus sehr viel Humor, auch wenn dies weniger in seinen Werken (aber auch da, z.B. in "Kurgast" und "Nürnberger Reise") als in seinen Briefen zum Ausdruck kommt - außerdem gibt es ein schönes Buch, "Hermann Hesse in Augenzeugenberichten", herausgegeben von Volker Michels, mit zahlreichen köstlichen Anekdoten. Immer wenn ich schlechte Laune habe, brauche ich nur zu diesem Buch zu greifen, um mich bald wieder vor Lachen auszuschütten. Z.B. die herrliche Geschichte, als Hesse beim Billardspielen mit seinem Queue an einem über ihn hängenden Fliegenleim-Band klebenblieb und ... Ach nein, ich muß aufhören, es überkommt mich schon wieder ... *prust*


    Lothar, danke für diesen kompetenten Beitrag, dem nichts mehr hinzuzufügen ist - nur eine kleine Anmerkung möchte ich noch ergänzen: Hesse hatte nicht erst in den 20er-Jahren persönlichen Kontakt mit C.G. Jung. Die erste Begegnung mit Jung (ein intensives, mehrstündiges Gespräch) fand am 7. September 1917 statt - sie hat Hesse wohl sehr inspiriert, denn vier Tage später träumte er von seiner Demian-Figur, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb in einem dreiwöchigen Kreativitätsrausch den Roman nieder.


    Bei dem Hesse-Text über Psychoanalyse, nach dem gefragt wurde, könnte es sich um "Künstler und Psychoanalyse" handeln - abgedruckt z.B. in dem Buch "Materialien zu Hermann Hesses 'Demian'" (Suhrkamp).


    Buenos Aires! :winken:
    (Auch dieser alberne Abschiedsgruß ist ein Hesse-Zitat ...)

  • Danke Lothar und Roquairol !


    Welche Bücher würdet ihr aber einem Einsteiger in die Psychoanalyse empfehlen? Welche Bücher wären sinnvoll im Bezug auf Hesse und auch sonst für ein literarisches bzw. künstlerisches Verständnis? Welches Buch von Sigmund Freud oder C.G. Jung wären dabei eure bevorzugte Auswahl?


    Ich bin durch die Diskussion in diesem Thema wirklich sehr neugierig geworden!


    Schon vielen Dank im Vorraus für eure Hinweise!


    Grüße,


    Friedrich-Arthur

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • hallo,


    Lothar,
    Homosexualität definiert das Begehren, selbst wenn es unerfüllt bleibt oder verdrängt oder sublimiert wird.
    Unter Homosozialität versteht man wohl, daß der Umgang mit dem eigenem Geschlecht wichtiger als alles andere ist.


    So verstehe ich diesen Text:


    Kaufmann/R. wenden einen Jung-ähnlichen Ansatz auf die besondere, mit homosexuellen Wünschewn verbundene Scham an. Dadurch könne der Ursprung und die Therapie von Harry's geteiltem Selbst besser dargestellt werden als durch Jung alleine.


    Hermine's Androgynität lasse sich durch Jung nicht erklären (p.3). Die androgyne Hermine führt den Protagonisten über heteroesexuelle Mittel zum Objekt seines homosexuellen Begehrens, und vereinigt sie so homosexuell. Bei Vollendung dieser Aufgabe kann und muß Hermine verschwinden, damit der Protagonist den vereinigten Wunsch, den er zuvor sich nur dadurch vorstellen konnte, indem er ihn teilte und 2 verschiedenen Geschlechtern attribiutierte, realisieren kann.


    p.4: K./R. sehen die Emotion und den Affekt als primären und motivierenden Faktor im menschlihen Verhalten. Anstelle instinktiver Sexualtriebe benennen sie 7 fundamentale emotionale Bedürfnisse (u.a. nach Beziehung, körperlichen Kontakt).
    Sexualität konstituiert ein Verhalten, daß verschiedene Kombinationen dieser Bedürfnisse, die je nach Individuum und Augenblick variieren, erfüllt.
    Analog zeigt die sexuelle Orientierung nicht einfach nur die person, die den Sexualtrieb erfüllt, sondern auch die, die die anderen emotionalen bedürfnisse befriedigt. In diesem Zusammenhang erfüllt homosoziales Begehren auch emotionale Bedürfnisse, aber die soziale Konstruktion von Männlichkeit schränkt die Wege ein, auf die dieses verwirklicht werden kann.
    Die Psyche wird geformt durch die emotionalen Reaktionen anderer auf meine emotionalen Bedürfnisse und durch meine Reaktionen auf diese Reaktionen. Im besonderen Fall der Scham reagieren andere negativ, was das Individuum dann emotional belastet.
    So wird in den USA auf von Frauen geäußerte Wut oder Erregung negativ reagiert, was dann Scham produziert. Die schamantwort bezieht sich abern nur auf diese Emotionen, nicht aber darauf, was Wut oder Erregung auslöste.
    Ein Scham-szenario repräsentiert eine Situation, in der auf Wunsch oder Emotion von anderen negativ reagiert wird, und das Individuum dann sich exponiert fühlt. Ähnliche Szenen formen dann ein Skript, das dann künftige Szenen intterpretiert und Reaktionen festlegt. Ursprüngliche Affekte und Bedürfnisse verbinden sich nun.
    Im obigen Beispiel: die ursprünglichen Affekte von Wut oder Erregung verbinden sich nun mit der Reaktion der Scham, sodaß gemäß dem Skript das Einsetzen einer dieser Affekte die SChamantwort auslöst, egal ob eine negative Reaktion anderer erfolgte oder nicht.


    Die Skripte speichern nicht nur die ursprüngliche Szene, sie geben auch Verteidigungsstrategien, die oft gegen sich selbst gerichtet sind und für die Psyche destruktiv sind. Um das Bedürfnis nach einer Beziehung zu befriedigen, spalten diese Strategien Teile des Selbst ab, die von anderen angegriffen werden. Die Erfüllung der Erwartungen anderer geschieht auf Kosten anderer Bedürfnisse.


    Die Scham über Homosexualität ist eingebunden in die SCham über anderer emotionale Bedürfnisse (für Männer nach physischem Kontakt, Identifikation etc.). Da diese Bedürfnisse nicht positiv ausgedrückt werden können, werden sie ngativ, durch kampf, ausgedrückt (Football, Krieg).
    Die Homosexualität muß ein Skript schaffen/neuschreiben, in dem die eigenen Bedürfnisse den Segen anderer haben, und somit von der Scham abgekoppelt sind. Dazu bedarf es der Vorstellung beelternder Figuren, die nicht-beschämendem, positive Bemerkungen machen. Bei Jung sind dies Archetypen. Das Androgyne konstituiert im Steppenwolf einen besonderen Archetypen, der nach Jung das ungeteilte Selbst darstellt. Das Androgyne kann dann ein positives Modell für die Reintegration des Selbst sein.


    Für Hesse bedeutete Freundschaft, auch im romantischen (!?) Sinne, mehr als die Familie (p.7). Sie wurde getragen durch den Wunsch nach dem männlichen Ideal.
    Während des Krieges konnte Hesse seine homosozialen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen (12), was dann in der Therapie mündete, deren Erfolg wohl mehr auf der Freundschaft zu Lang denn auf der Therapie selbst ruhte.


    "Androgyne Elternfigur-Schaffung und homosoziales Coming-Out"
    Der Steppenwolf-Text gibt 3 mit dem Scham-modell vereinbare Erklärugen für Haller's Zustand Mit Scham belegt sind homosoziale Wünsche, oder der Wunsch nach Bestätigung und Identität. Zu ihrer Befriedigung sehnt sich Harry nach einem Freund. Erinnerung und Phantasie werden aber durech eine Scham-szene gehemmt (17). Wunsch und Realität konfligieren. An Heterosexualität besteht kein Interesse. Was waren hier die originalen Scham-szenen?
    Diese lassen sich aus Harry's Verhalten beim Professorenbesuch ableiten. Das Skript einer SChamszene wird bei seiner Wertschätzung der nationalistischen Mittelklasse-ideale des Professors ausgelöst. Harry's Geständnis der Scheidung ist die erste Scham-szene; eine heterosexuelle Szene, die Harry's Entfremdung von Ehefrau und Gesellschaft zeigt. Die zweite SCham-szene ist die Vorlesung von harry's Artikel. Die höchste Scham-szene geschieht um das Bild Goethe's. Indem er dieses Bild, das Nationalismus und Häuslichkeit symbolisiert, beleidigt, kappt er die homosoziale Beziehunh zum Professor und die heterosexuelle zur Professorenfrau.
    Weil Harry diese Szenen in Form eines schon vorher existierenden Skriptes erfährt, wird das Mißlingen, zur gesamten Gesellschaft in Kontakt zu tretern, deutlich. Der Steppenwolf in Harry sieht dies und macht das Scheitern von Harry in der zivilisierten Welt lächerlich und fordert zum Selbstmord auf. Die Stimme des Steppenwolf ist die Reaktion der anderen auf Harry's Beweis der Ungeselligkeit.


    Diese Erniedrigung läßt nun andere Aspekte seiner Persönlichkeit hervortreten, die ihm Gelegenheit geben, sein Selbst in einer gesünderen weise neuzugestlten. Das beginnt mit dem scheinbar vorhergesagtem Auftauchen von Hermine.
    Hermine ist sowohl ein Call-girl mit solidem Wissen über Harry wie auch die Projektion von Harry's Psyche. Sowohl intraindividuell wie auch auf der ebene des Skriptes (symbolisch) kann sie die Verstärkung der Szene beim Professor unterbrechen. Durch positive Wiederaufführung der Szenen beim Professor kann sie sie sogar aufheben. Hermine ist aber kein heterosexueller Marker seiner Stellung im Leben, sondern sie ist er selbst. Im gegensatz zum Professor erinnert Hermine Harry an einen positiven Fall einer Männerbeziehung in der Vergangenheit. Hermine ist sowohl real als auch symbolisch, männlich und weiblich, und kann Harry somit sowohl homosozial und heterosexuell kontaktieren.


    Nachdem Hermine das Scham-skript deaktiviert hat, beginnt sie einen Prozeß des Be-elterns, um Harry zu helfen, alle Aspekte seines SElbst zu akzepzieren. Harry zeigt für sie homosoziale Begierde, aber keine heterosexuelle. Indem sie in ihrer weiblichen Rolle Harry's homosoziale Wünsche erfüllt, kann sie die bei Männern vorhandene Scham umgehen. Durch ihre Fähigkeit, Harry's homosoziale und heterosexuellen Wünsche, ohne Mann oder Frau zu sein, zu erfüllen, kann Hermine ihm helfen, seine Beziehung zu diesen Wünschen neuzugestalten. Das Paradox, daß hermine ihn zu sehr an seinen Jugendfreund Hermann erinnert, als daß er Sex mit ihr wünscht, und daß die erinnerung an Hermann tief leidenschaftlich ist, zeigt eine erotische Komponente in seinem Wunsch nach Hermann, die er zu akzeptieren fürchtet. Um seinen quasi-homophoben Widerstand zu umgehen und ihn den sexuellen Kontakt zu ermöglichen, verkuppelt Hermine ihn mit Maria, mit der sie selbst eine Beziehung hat. Jetzt kann Harry sich selbst beim Sexualakt als Hermine oder als Maria vorstellen, oder auch, daß er durch Maria und Hermine Sex mit Hermann hat.


    Er lernt, die Vorstellung eines einzigen, vereinten Selbst fallen zu lassen. Am Maskenball ist Harry endlich fähig, sich in Herman zu verlieben, als Hermine als hermann gekleidet, herinkommt. Homosozialer Wunsch und heterosexuelle Begierde koinzidieren. Seine Beziehung zu Maria entrückt die Scham über homosoziale Wünsche und heterosexuelle Begierde.
    Pablo steht für die Möglichkeit homosexueller Bindung. Gemäß der Regeln homosozialer Interaktion, mit denen Harry vertraut ist, kann die Schönheit des anderen keine Basis für eine Beziehung geben. Also fängt er eine theoretische Diskussion an, während Pablo eine typische homoerotische Annäherung versucht. Harry hat kein Skript für homoerotisches Verstehen, weil selbst für Hermann oder den gewünschten Freund er ein intellektuelles Intermedium braucht.
    So wie seine homosozialen Wünsche im mittleren Alter mit Scham gekoppelt waren, so waren dies seine homosexuellen Wünsche in noch frührem Alter. Pablo's Angebot aktiviert ein Scham-skript, das ihn es abweisen läßt. Maria's und Pablo's negative Reaktionen darauf sind ein weider-be-eltern, das das Scham-skript für homosexuelle Wünsche deaktiviert. Die Linien zwischen sozialer und sexueller Interaktion und zwischen intellektuellem und sinnlichen Austausch schwinden. Harry versteht, daß sowohl seine Freundschaft zu Männern wie auch seine Liebesaffairen mit Frauen dem gleichen Quell, dem erotischen Wunsch, entstammen. "Sinnenleben" und "Geistesleben", der zivilisierte Schüler und der wilde Streuner versöhnen sich.


    Im magischen Theater revidiert Harry seine Schamskripte.
    Im Zimmer "Alle Mädchen sind dein" lernt er, alle erotischen Gelegenheiten zu nutzen, dei ihm früher verboten waren. Auch Pablo's Angebot.


    Nach dem Theater muß die Szene des Selbstmordentschlusse umgeschrieben werden. Mozart, der diese Szene anstößt, steht für Perfektion und menschliche Leistung, die das Resultat einer Arbeit durch die Schaffung von Schuld ist. Um zu sein und zu handeln, muß man erst schuldig werden. Sobald man die Schuld akzeptiert hat und sie auf die leichte Schulter nimmt, kann man wachsen. Nach der Begegnung mit Mozart erinnert Harry sich an den Pakt, Hermes zu töten, sobald er sie liebt. Da mit der Liebe Hermine ein Teil seiner selbst wurde, wäre ihre Tötung eine Art Selbstmord. Da er mit der von Mozart offenbarten schuld nicht leben kann, tötet er sie. Damit macht er sich richtig schuldig.
    Der ihn dafür scheltende Mozart eröffnet eine neue Scham-szene, in der er Harry's Sinn für Scham selbst mit Scham koppelt.


    Wenn Mozart sich in Pablo verwandelt, ist Harry's Wunsch nach einem Freund Realität geworden.
    Herminen's Mord und ihre Verwandlung in ein Schachspiel zeigt, daß sie symbolische als ein Mittler zwischen Harry und Pablo funtionierte, und Harry so seine schambelegten Wünsche meistern ließ. Nach Beendigung ihrer symbolischen Funktion wird sie Teil von Pablo.


    Herminen's Rolle außerhalb des Theaters bleibt offen. Vermutlich repräsentiert sie das Objekt von Harry's homosozialen und heterosexuellen Wünschen. Dem Beispiel im Demian folgend könnte Herminen's Integration in Pablo auch zeigen, daß der Weg von Harry's homosozialen und heterosexuellen Wünschen ihn zu einem einzigen homosexuellen Objekt führte.


    Für mich lesen sich diese psychologischen Theorien wie Metaphysik und Mystik-
    gruß hafis

  • @ hafis50: Oh je, ich hoffe, ich bin nicht daran schuld, daß du dich veranlasst gefühlt hast, diesen Aufsatz inclusive Übersetzung ins Deutsche jetzt richtig und ganz ausgezeichnet zusammenzufassen, weil ich im letzten Posting die Vokabel 'versuchsweise' gebraucht hatte!? Ich hatte mir gestern schon die Mühe gemacht, mich durch den roten Faden hindurchzuarbeiten, und fand es - mehr oder weniger - abstrus, letztlich weil die Kernkategorie von der 'Homosozialität' nicht trägt. In der deutschen Fassung wird das 'metaphysisch-mystische' Element dieses Textes nur um so deutlicher, der gewaltsame Versuch einfache zwischenmenschliche Phänomene in das dualistische Konzept der geschlechtlichen Bipolarität zu zwängen, denn in Wirklichkeit ist nur das körperlich-sexuelle Begehren von seiner biologischen Wurzel her bipolar strukturiert, ansonsten verteilen wir Sympathie nicht streng nach Geschlechtergrenzen sondern nach sehr vielfältigen anderen Kategorien.


    Menschen, die ausschließlich die Nähe eines einzigen Geschlechts suchen - was es natürlich tatsächlich gibt - würde ich daher immer als in irgendeiner Weise pathologisch eingeschränkt empfinden, als 'neurotisch', aber Hermann Hesse bzw. seine Figur Harry Haller in dieser Weise wahrnehmen zu wollen ist weder biographisch-empirisch noch vom faktischen literarischen Text her nachweisbar. Es sei denn, man bedient sich eines geistigen Verfahrens, das schwarz in weiß, sauer in süß und laut in leise uminterpretiert, denn nach dieser Art von Interpretation spielt es natürlich keine Rolle mehr, daß Hesse dreimal verheiratet war und weitere Affairen mit Frauen hatte oder Harry Haller mit Maria ins Bett geht, sondern alles ist nur 'Maskerade', Verstellung, 'potentielle' homosexuelle Begierde, 'homosoziale' gar, in der 'Schamskripte' zum Ausdruck kommen usw. usf. Wenn jemand in der Lage wäre, auf die gleiche sinnverdrehend-projektive Weise zu reden wie SO zu schreiben, würde man nach einem Gespräch in die eigene Hose kucken, um nachzuprüfen, ob der Mensch, der den Paß ausgestellt hat, sich nicht vielleicht doch geirrt hat, als er das Merkmal unter der Kategorie 'Geschlecht' eintrug. Das kommt letztlich davon, weil die modernen gender-Theorien die Emanzipation von der Biologie zu weit getrieben haben, so als ob tatsächlich ALLES an Geschlechts- und Körperidentität sozial konstruierbar sei. Der Preis ist der völlige soziale Bedeutungsverlust solcher intellektueller Debatten, wie man jetzt schon seit einigen Jahren studieren kann, während im modernen Alltagsbewußtsein das Gegenextrem des reduktionistischen Biologismus Urstände feiert, siehe die tagesaktuellen Meldungen über den Durchbruch beim therapeutischen Klonen. etc.pp.


    @ Roquairol: Ja, diesen Hesse-Aufsatz meinte ich. Und danke für den Hinweis auf Jung und den 'Demian'. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, daß ich fogende obige Passage von dir im hhesse.de-Forum zitiere, denn da gab es gerade eine Diskussion über 'Träume', wo das ganz gut hineinpasst:


    '(...) nur eine kleine Anmerkung möchte ich noch ergänzen: Hesse hatte nicht erst in den 20er-Jahren persönlichen Kontakt mit C.G. Jung. Die erste Begegnung mit Jung (ein intensives, mehrstündiges Gespräch) fand am 7. September 1917 statt - sie hat Hesse wohl sehr inspiriert, denn vier Tage später träumte er von seiner Demian-Figur, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb in einem dreiwöchigen Kreativitätsrausch den Roman nieder. (...)'


    Außerdem wurde mir klar, daß ich wohl einem Stereotyp aufgesessen bin, weil ich Hesses persönlichen Humor auf die letzten Lebensjahrzehnte einschränkte, denn natürlich kann jemand Humor haben und trotzdem in Zustände der Verzweiflung geraten, während humorlose Menschen keineswegs ununterbrochen in Depressionen verfallen müssen. Das ist wohl schon etwas komplizierter. Seine Bücher und Geschichten zeigen seine heiteren Seiten aber tatsächlich nur in Ausnahmefällen, da würde ich alpha schon zustimmen, und berühmt geworden ist er wegen anderer Qualitäten.


    @ Friedrich-Arthur: Das ist schwierig, weil ich selbst einmal die Psychoanalyse mehr über bedeutende Schüler von Freud bzw. Freudianer kennengelernt habe und die Freud-Lektüre nachgeordnet war, insbesondere über Erich Fromm, Wilhelm Reich, Alfred Adler und eben C.G. Jung. Freud ist dabei immer insofern anwesend, als die abtrünnigen Schüler ja konkrete theoretische Anlässe hatten, sich vom verehrten Meister zu trennen, so daß sie sich mit seinen zentralen Theoriestücken auseinandersetzen mußten. Reich ist dabei wohl derjenige, der sogar Freud gegen Freud selbst zu verteidigen müssen glaubte, weil bei ihm die Libidotheorie in ihrer ursprünglichen Fassung als Sexualität/Genitalität Bedeutung behält, während bei allen anderen die Rolle der Sexualität, Sexualität, wie sie auch das Alltagsbewußtsein versteht, letztlich abgewertet/heruntergestuft wird. Versuchs mal mit Brenner: 'Grundzüge der Psychoanalyse' oder Georg Groddeck: 'Das Buch vom ES'. Ersteres ist eine eher konventionelle Einführung und Übersicht, letzteres stellt eine sehr unkonventionelle und gut lesbare Darstellung der Kerngedanken Freuds dar, die gerade auch den Charme, die Eigenart und die Radikalität der klassischen Psychoanalyse vermittelt. Und da ich sowieso gerade nochmal den 'Zauberberg' lese und eingedenk des Titels dieses Threads schau dir doch auch mal den Abschnitt 'Analyse' an, im vierten Kapitel. Das ist mehr als ein 'Kunstgenuß'.

  • Danke hafis50 und Lothar!


    Ich habe mir alles durchgelesen und freue mich über die ausführlichen Stellungnahmen eurerseits! Ich habe mir auch Lothars Buchempfehlungen notiert und auf der Lesewunschliste vermerkt...


    Da das Thema etwas zu Hesse tendiert ist, wäre vielleicht eine Rückverweisung auf Thomas Mann sinnvoll. Vielleicht am Besten mit den folgenden drei Aussagen Thomas Manns über drei wichtige Bücher Hermann Hesses:


    Über "Der Steppenwolf":
    "Der Steppenwolf hat mich seit langem zum erstenmal wieder gelehrt, was Lesen heißt."


    Über "Narziß und Goldmund":
    "Ein wunderschönes Buch in seiner Mischung aus deutsch-romantischen und modern-psychologischen, ja psychoanalytischen Elementen, eine in ihrer Reinheit und Interessantheit durchaus einzigartige Romandichtung."


    Und über "Das Glasperlenspiel":
    "Das Glasperlenspiel gehört zu dem wenigen Wagemutigen und eigensinnig-groß Konzipierten, was unsere verprügelte, verhagelte Zeit zu bieten hat. Es hebt das Trauliche auf eine neue, geistige, ja revolutionäre Stufe."


    Sind das nur Ehrungen eines Freundes durch Thomas Mann oder wirkliche Anerkennungen der Romane Hesses? Ich denke letzteres, was meint ihr?

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • hallo Lothar,


    Zitat von "Lothar"

    weil die Kernkategorie von der 'Homosozialität' nicht trägt..., der gewaltsame Versuch einfache zwischenmenschliche Phänomene in das dualistische Konzept der geschlechtlichen Bipolarität zu zwängen


    Es handelt sich nach meinem wissen um die anwendung Jung'scher mainstream-psychologie, die im gegensatz zu Freud der sexualität eine nachrangige bedeutung zumißt. Homosozialität und homosexualität können die gleichen oder verschiedene der übergeordneten emotionalen bedürfnisse befridigen. Bei Hesse war wohl die homosozialität wichtiger. Ihre hemmung löste dann krisen aus, weswegen der autor vom "homosozialen Coming-Out" spricht. Nach der ansicht des autors, der ich zustimme, sind Hesse's homosozialität und das thema der homosexualität in seinen werken nachweisbar, Hesse's homosexualität dagegen nicht.


    Zitat von "Lothar"

    Menschen, die ausschließlich die Nähe eines einzigen Geschlechts suchen - was es natürlich tatsächlich gibt - würde ich daher immer als in irgendeiner Weise pathologisch eingeschränkt empfinden, als 'neurotisch', aber Hermann Hesse bzw. seine Figur Harry Haller in dieser Weise wahrnehmen zu wollen ist weder biographisch-empirisch noch vom faktischen literarischen Text her nachweisbar.


    Ein biograph identifiziert seine dritte frau mit hermine (p.3).
    Ball: Die Freundschaft gehört zu den grundzügen von Hesse's Werk; zu seinem Kern, zu seinen Lebensbedingungen. Darin besonders ist er Romantiker...Die freundschaft spielt in allen seinen Romanen die größte Rolle.


    Brief Hesse's (7): Das gehört zu meiner Art und meinem Leben, daß ich ein sehr schlechter und ungeeigneter Verwandter, dagegen ein guter und treuer Freund bin. In meinem ganzen Leben hat die Familie keine gute und glückliche Rolle gespielt, während die freundschaft an erster Stelle stand.


    Mit dem link auf den romantizismus wollte Ball den "offensichtlichen Homoerotizismus" desexualisieren:
    Der Freund steht der hellen Welt, der Lichtseele und aller Seelensehnsucht nahe. Er ist der geliebte fast denn die Seele des Romanikers ist selbst eine Frau; sie ist besessen vom Bilde der Mutter, von allen Anfängen.
    Da aber später nach Ball der vater und nicht die mutter das licht verkörpert, "muß man schlußfolgern, daß seine intimen Freundschaften nicht vom Wunsch nach einem weiblichen Ideal, sondern von einem Wunsch nach einem männlichen Ideal getragen wurde".


    (9) Sein enger Freund Finckh: "Frauenliebe ist schön über alle Maßen, Männerfreundschaft ist schöner, beglückender.
    Belege, daß Hesse diese meinung teilte: Sie verbrachten die ganze zeit zusammen, obwohl Hesse verheiratet war. Ihre seltsame Kleidung, ihre spielerischen Eskapaden, und ihre irreguläre Lebensweise alarmierten zunächst, dann amüsierten sie Gaienhofen.
    Ball: Auch die Freundschaft mit Finckh kann man nicht eben bürgerlich nennen. Die Freundschaft verschlechterte sich, nachdem Finckh geheiratet hatte. sic!
    Ball: Hesse ist an die männliche, heroische, erzieherische Freundesliebe so sehr gebunden, daß er dazu neigt, die hohen Seelenbünde bis zum 'Stummen und zum 'Bruder Tod' zu fingieren, wenn sie das Leben ihm versagt.


    Hesse, Zarathrusta...: Dann werdet ihr aus der Einsamkeit wiederkehren in eine gemeinschaft von Männeren, in ein REich ohne Grenzen, in das Reich Gottes, wie es eure Väter nannten.


    Nur Hesse's dritte ehe funktionierte. Diese frau wird von den biographne u.a. wegen ihrer androgynen erscheinung hervorgehoben.


    Solche homosozialität halte ich nicht mehr für "normal", es sei denn wir lesen fehl.


    William Schwenck Gilbert
    Song
    ...
    Then a sentimental passion of a vegatable fashion must excite
    your languid spleen,
    An attachement a la Plato for a bashful young potatoe. or a
    not-too-French French bean!
    Though the Philistines may jostle, you will rank as an apostle
    in the high aesthetic band,
    If you walk down Piccadilly with a poppy or a lily in your
    mediaeval hand,
    And eyeryone will say,
    As you walk your flowery way,
    "If he's content with a vegetable love which would certainly
    not sue me,
    Why, what a most particular pure young man this pure
    young man must be.


    Mit anderen psychoanalytischen Theorien könnte man zum gleichen ergebnis kommen. Die sprache jedes psychoanalytischen protokolles ist ähnlich "mystisch", weil die spekulativität das wesen der psychoanalyse ausmacht.
    Wenn psychoanalyse weder beweisbar noch widerlegbar ist, -was der fall ist-, können ihre aussagen weder richtig noch falsch sein.
    Wenn aber ein autor sich mit ihr beschäftigt hat, und die geschichte nach einer theorie konstruiert hat, dann kann es eine richtige und eine falsche interpretation geben. In dieser hinsicht ist diese interpretation die für mich bislang schlüssigste.


    nochmal Gilbert für meine antwort auf die psychoanalyse:

    If you're anxious for to shine in the high aesthetic line as a man
    of culture rare,
    You must get up all the germs of the transcendantal terms,
    and plant them everywhere,
    You must lie upon the daisies and discourse in novel phrases
    of your complicated state of mind,
    The meaning doesn't matter if it's only idle chatter of a
    transcendental kind.
    And every one will say,
    as you walk your mystic way,
    "If this young man expresses himself in terms too deep for me,
    Why, what a very singularly deep young man this deep young
    man must be!


    Hesse selbst hat sich ja (nmW) wissen nur unklar geäußert: Er habe sich hierin völlig entäußert, es beschreibe die lebenskrise eines 50-jährigen, es handele ebensosehr von "Mozart und den Unsterblichen".


    Das im "Nachwort für meine Freunde" geschriebene widerspricht den obigen Thesen nicht:
    In meinem Leben haben stets Perioden einer hochgespannten Sublimierung, einer auf Vergeistigung zielenden Askese abgewechselt mit Zeiten der Hingabe an das naiv Sinnliche...auch ans Verrückte und Gefährliche...Ich verstand mich auf das Geistige im weitesten Sinne besser als auf das Sinnliche; im Denken oder Schreiben konnte ich mit einer Anzahl hochstehender Zeitgenossen den Wettlauf aufnehmen, im Shimming-Tanzen und den Künsten des Lebemanns dagegen war ich ein Barbar, obwohl ich wußte, daß auch diese Künste wertvoll sind...
    Mit zunehenden Jahren nun, da das Schreiben hübscher Dinge an sich mir keine Freude mehr macht und nur eine gewisse, spät erwachte, leidenschaftliche Liebe zur Selbsterkenntnis...mich zum Schreiben treibt, mußte auch diese bisher unterschlagene Lebenshälfte ins Licht des Bewußtseins...gerückt werden. Es fiel mir nicht leicht.


    Es fehlte also etwas und es wurde sublimiert.
    Ebenso uneindeutig : Aus Der Steppenwolf (Vers.)
    Ahnungen


    Manchmal tut mir leid, daß ich dies Leben
    Eines Steppenwolfes allzu spät begann.
    Hätt' ich jünger schon mich ihm ergeben,
    Wär es eine Quelle vieler Wonnen.
    ...
    Sehe lockend mich die Wand durchstoßen,
    Die mich noch vom Sternenraume trennt,
    Und hinübertreten zu den großen
    Sündern, deren Tat kein Wort mehr nennt.


    Welche sünden?


    Zitat von "Lothar"

    Das kommt letztlich davon, weil die modernen gender-Theorien die Emanzipation von der Biologie zu weit getrieben haben, so als ob tatsächlich ALLES an Geschlechts- und Körperidentität sozial konstruierbar sei.


    Für mich ist dies alles eine mischung aus ideologie und geschäftssinn (=beschaffung von professorenstellen etc.)


    ist ja schon fast ein schulaufsatz geworden...


    gruß hafis

  • @ Friedrich-Arthur: Ich weiß nicht, denn Thomas Mann war wirklich ein Weltmeister der Ironie, und inwiefern 'Revolutionierung des Traulichen' nicht doch auch einen geheimen Spott enthält, wage ich nicht zu entscheiden. Ich halte es generell mit der Einschätzung von Reich-Ranicki, daß Autoren erstmal nur an ihrem eigenen Werk interessiert seien, was für Mann in besonderem Maß galt, und dies in Rechnung gestellt war darüberhinaus sicher auch noch echte Anerkennung für den Schriftsteller Hermann Hesse vorhanden.


    Einen entscheidenden Hinweis zur Psychoanalyse hatte ich beim letzten Mal noch vergessen, denn die Eigenart des psychoanalytischen Denkens erschließt sich letztlich nur, wenn man es als ein theoretisches System von Gesetzmäßigkeiten des inneren Erlebens begreift, die sorgfältig und längerfristig an der eigenen Erfahrung überprüft sein wollen. Mit der bloßen Lektüre einiger einschlägiger Werke ist es daher nicht getan, und die vielen und teils hochrangigen Kritiker der Psychoanalyse scheitern meines Erachtens vor allem daran, daß sie naturwissenschaftliche Erkenntniskriterien des objektivierenden Beobachtens, Messens und Erkennens auf innerseelische Gebiete anwenden, die sich nur der systematischen Introspektion erschließen. (Sehr populär geworden ist beispielsweise das Buch des ZEIT-Journalisten Dieter E. Zimmer 'Tiefenschwindel'.) Freud selbst sah sich ursprünglich als naturwissenschaftlicher Mediziner, mußte aber bald einsehen, daß zumindest auf für ihn absehbare Zeit an keine anatomische, physiologische oder neurologische Fundierung seiner Beobachtungen und Einsichten zu denken war. Daher konzipierte er sein begriffliches System als - vorläufige - hermeneutische Geisteswissenschaft, in der Kriterien eben der strukturierten Introspektion, der Einfühlung und des Verstehens von subjektivem Sinn die zentrale Rolle spielen, womit er vor allem der grundlegenden Tatsache Rechnung trug, daß das Erkenntnisobjekt der Psychoanalyse die SUBJEKTIVITÄT des Menschen war, die sich wesensmäßig von den Erkenntnisobjekten der Naturwissenschaft unterscheidet. Wenn man wie du von der Literatur her kommt, dürfte dieser introspektive und geisteswissenschaftlich-hermeneutische Blickwinkel im übrigen ziemlich leicht nachvollziehen sein, aber manchmal scheint es mir schier unmöglich, die 1001 und eins Mißverständnisse über die Psychoanalyse aufzuklären, wenn man es mit streng naturwissenschaftlich denkenden Menschen zu tun hat bzw. Menschen, bei denen die naturwissenschaftlichen Methodologien die geheimen Denkfolien und Vorbilder für rationalistisches Denken überhaupt darstellen.


    @ hafis50: Ich will mich nicht wiederholen, denn zum einen glaube ich nicht, daß der Autor die tieferen Aspekte der Jungschen Psychologie verstanden und berücksichtigt hat, und die - weit - über Jung und jeglichen rationalistisch-säkularen Horizont hinausreichen, zum anderen führt eine Konstruktion, die Erotik 'desexualisieren' will, immer zu mißverständlichen Positionen, mindestens insofern es um das naive Alltagsbewußtsein geht, das diese beiden Aspekte gewöhnlich umstandslos kurzschließt. (Es fängt schon damit an, daß schon für Freud selbst 'Sexualität' etwas durchaus anderes darstellte, als für den Alltagsverstand, und daß Jung die Freudsche Konzeption der Libido als seelisch-sexueller Energie in einer universellen Weise ausgeweitet hat, weshalb es irreführend ist, hier einfach von 'nachrangig' im Sinne einer Abwertung zu sprechen.) Es ging schließlich bei der ganzen Ausgangsfrage bloß um die Unterstellung von Alpha, daß Hermann Hesse homosexuell gewesen sei bzw. daß sich in zentralen Werken von ihm relevante homosexuelle Elemente niedergeschlagen hätten, und wenn nach all' den Erörterungen herauskommt, daß man allenfalls eine 'Homosozialität' bei ihm feststellen könne - ein Wort, das ich im übrigen wirklich noch nie vorher irgendwo gelesen hätte - dann betrachte ich diese Frage als beantwortet. Daß seine sexuellen Orientierungen wie die seiner literarischen Figuren im übrigen nicht der gegebenen Norm entsprochen haben, will ich im übrigen auch schwer hoffen, denn das wäre ja furchtbar (langweilig).


    Was ich im übrigen von dem beliebten Einwand halte, die Psychoanalyse sei weder beweisbar noch widerlegbar: siehe oben meine Antwort an Friedrich-Arthur. Eine bestimmte intellektuelle Esoterik läuft zwar tatsächlich manchmal auch auf ökonomische oder karrieristische Aspekte hinaus, meiner Erfahrung nach handelt es sich dabei so gut wie immer um indirekte und nicht-intentionalle Aspekte, weil jegliche Form von geistiger Verschrobenheit nur wirkt, wenn die Urheber vom Wert und von der Wahrheit ihrer Ansichten authentisch überzeugt sind. Die ökonomistische Unterstellung verdirbt außerdem in ihrer zugespitzt-reduktionistischen Form jeglichen geistigen Austausch, allein schon, weil sie gewöhnlich unerklärt läßt, wo die Nachfrage nach bestimmten Gedanken und Theorien herkommt, denn schließlich wird niemand dazu gezwungen, bestimmte Menschen zu Professoren zu ernennen oder gar bestimmte Bücher zu kaufen.

  • Zitat von "Lothar"

    daß sie naturwissenschaftliche Erkenntniskriterien des objektivierenden Beobachtens, Messens und Erkennens auf innerseelische Gebiete anwenden, die sich nur der systematischen Introspektion erschließen...hermeneutische Geisteswissenschaft, in der Kriterien eben der strukturierten Introspektion, der Einfühlung und des Verstehens von subjektivem Sinn die zentrale Rolle spielen, womit er vor allem der grundlegenden Tatsache Rechnung trug, daß das Erkenntnisobjekt der Psychoanalyse die SUBJEKTIVITÄT des Menschen war, die sich wesensmäßig von den Erkenntnisobjekten der Naturwissenschaft unterscheidet.


    Erkenntnisobjekt ist immer das gleiche, nämlich die wahrheit über die welt. Der weg dahin wird unterschiedlich gesehen.
    Dem test der effizienz und wahrhaftigkeit muß sich jede methode in gleicher weise stellen. Die verweigerung solcher tests definiert den scharlatan.


    Zitat von "Lothar"

    Wenn man wie du von der Literatur her kommt


    :redface: :sauer: Ich bin von geburt an Naturwissenschaftler, Rationalist, Empirist, Positivist, Popperianer, Russelaner...


    Zitat von "Lothar"

    Menschen, bei denen die naturwissenschaftlichen Methodologien die geheimen Denkfolien und Vorbilder für rationalistisches Denken überhaupt darstellen.


    Es gibt nicht naturwissenschaftliche oder andere rationalitäten. Es gibt nur eine einzige. Wer nicht rational, der irrational. Und ich ziehe immer die rationalität vor, weil nur sie erkenntnisgewinn bringt.
    Auf die psychoanalyse bezogen: die philosophie der neuzeit, und mit ihr der aufstieg der zivilisation und politischer emanzipation begann mit der einsicht, daß erkenntnisse nur durch induktion und deduktion, nicht aber, wie bislang geglaubt, durch "denken", introspektion etc. zustande kommen.
    In der psychoanalyse selbst herrscht ja noch nicht einmal einigkeit, welche methoden erkenntnisse produzieren. Siehe zu den schwierigkeiten der hermeneutische methoden in der PA:
    Grenzen der Hermeneutik:


    Der von Skotomen restlos befreite Psychoanalytiker würde...mit absoluter sicherheit wissen, welche Evidenzerlebnisse wahr sind (er tut es aber nicht)...Die Radikalisierung des hermeneutischen Gesichtspunktes und die damit einhergehende extreme Abweisung jeder Objektivierung können weder als praktischer und noch viel weniger als wissenschaftlicher Leitfaden dienen.
    Siehe den anspruch der "wissenschaftlichkeit", derer es nur eine gibt.

    Die ZEIT - Die Psychoanalyse wird 100
    Etwas zu sehr pro, aber gegen ende kommen einge probleme auf den tisch: bedeutungsverlust in therapie und forschung.


    zurück zur literatur, Psychoanalyse in der moderen Literatur:
    - die beschäftigung dt. autoren (Mann, Musil...) mit der psychoanalyse
    - die wirkung auf das werk
    - das verhältnis von PA und literatur
    - Freud und die literatur


    Es zeigt sich, wie nahe beide zusammenliegen. PA liest sich wie literatur und lit. werke lesen sich wie PA.
    Einge zitate:
    Schnitzler: Die psychoanalytische Methode biegt ins Unbewußte oft ohne Nötigung, lange ehe sie es dürfte, ein...Sie bildet sich ein, vom Unbewußten des Patienten oder Opfers mehr zu wissen als dieser selbst.


    Döblin: ...daß die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind


    Musil: Der Irrtum ist: Gestalten eines Dichters haben keine Seele. Keine kauslae...Personen eines Dichtwerkes wie lebende Menschen behandeln ist die Naivität eines Affen, der in den Spiegel greift


    Brecht:ein privilegiertes vergnügen, möglichst viel Geld für die eigene Person auszugeben


    Man sieht völlig konträre ansichten. Das widerspricht einer "erkenntnis".


    Zitat von "Lothar"

    zum einen glaube ich nicht, daß der Autor die tieferen Aspekte der Jungschen Psychologie verstanden und berücksichtigt hat


    Ist der "autor" oder tomkins oder K./R. gemeint?
    Ich habe bislang noch keinem Professor einen fehler nachweisen können, -wohl weil ich keiner bin. :zwinker:


    Zitat von "Lothar"

    und wenn nach all' den Erörterungen herauskommt, daß man allenfalls eine 'Homosozialität' bei ihm feststellen könne - ein Wort, das ich im übrigen wirklich noch nie vorher irgendwo gelesen hätte


    Der punkt liegt darin, daß homosozialität und homosexualität deckungsgleich oder abweichend sein können. "Allenfalls" trifft es also nicht genau. Deswegen "confusion and fusion of HS and HSO".


    Treffer für "homosozial/homosocial:
    isi-web-of-knowledge: 42 treffer
    HBZ: "Aesthetic homosociality in Wackenroder and Tieck"
    SSG Psychologie: 1 treffer:
    "Homosocial Ritual or Homosexual Desire in Don DElillo's End Zone?"
    "DArum ist football der logische platz in amerika, nach ungelöster (un gelöster) männlicher HS zu suchen, und DeLillo tut dies kenntnisreich" (genau das schreib auch der Hesse-artikel)
    PSYINDEXplus 77-03: 2 treffer
    "Verantwortlich für die gesellschaftliche Definition von Männlichkeit werden homosoziale Kooperationsformen von Männern gemacht."
    "homosoziale versus heterosoziale Orientierung von Jugendlichen"

    Zitat von "Lothar"

    so gut wie immer um indirekte und nicht-intentionalle Aspekte, weil jegliche Form von geistiger Verschrobenheit nur wirkt, wenn die Urheber vom Wert und von der Wahrheit ihrer Ansichten authentisch überzeugt sind.


    Man muß doch gar nicht Harold Blomm mit seinen professoren- und assistentenstellen für einfach dazu erfundene fächer wie "lesbische Eskimostudien" zitieren. Wenn hier in deutschland die gründung weiterer sozialwissenschaftlicher fakultäten nicht möglich ist, erfindet die UNiversität einfach ein neues fach, daß dann die ausweitung des sozialwissenschaftlichen personalstandes ermöglicht: zB"gesundheitswissenschaften, friedenswissenschaften, umweltwissenschaften". Fächer, in denen bestenfalls nichts anderes gemacht wird als im normalen Soziologie-fach. Der größte teil des hier daher gelaberten und dahergeschriebenen ist solch barer unsinn, daß kein intelligenter mensch daran glaubt. Und wenn man etwas vorweisen muß, werden daten manipuliert. Vielleicht werden die studiengebührten hier etwas richten...
    gruß hafis