Ernst Jünger

  • Hallo Maria,


    ich habe vor wenigen Wochen die Kriegstagebücher gelesen. Bei aller Abneigung, die ich gegen Jünger hege, sind diese unmittelbaren Aufzeichnungen geeignet, einem die schrecklichen Bedingungen, in denen die Soldaten damals waren, vor Augen zu führen. Jünger entpuppt sich hier als Fatalist, der das Erlebte nicht in einen größeren Zusammenhang einordnet reflektiert. Das muss man in Kauf nehmen, hat dafür aber mehr Unmittelbares.
    Das Buch enthält detaillierte aber unvollständige Anmerkungen.

  • Ich aktiviere diesen Faden einmal. Über Weihnachten wurde im DLF aus den 'Stahlgewittern' gelesen. Der Schauspieler, der den Text las, war Tom Schilling. Ich habe einige Male in die Lesung hereingehört und fand sie exzellent. Jetzt habe ich aus der Bibliothek die vollständige Lesefassung (10 CDs) mitgenommen.


    Jünger ist ein Autor, der mich fasziniert und interessiert. Ich schwanke bei ihm zwischen Bewunderung, Interesse und Abscheu. Bewunderung, weil er ein glänzender Stilist ist und wunderbar beobachten und beschreiben kann. Interesse, weil er eine Geisteshaltung und eine Geisteswelt repräsentiert, die heute als lange verloren angesehen werden muss. Das finde ich faszinierend, zum Teil auch erhellend. Abscheu regt sich aber immer dann, wenn ich ein wenig vom Text zurücktrete und mir Fragen stelle - vor allem Fragen, die Jünger sich offenbar selbst nicht stellt. Themen, die er nicht aufgreift, Aussagen, die er nicht macht. Beobachtungen, die er nicht bewertet.


    In seinem Essay 'Waldgang' etwa schreibt er des langen und breiten über den Widerstand, den der freie Geist gegen einen um sich greifenden Ungeist leistet, die Konsequenzen, die er daraus ziehen muss, wenn er in den inneren oder sogar äußeren Widerstand gehen muss, wie sich sein Leben in der Opposition gegenüber der Masse verändert etc. Davon kann man vieles unterschreiben und sich zueigen machen. Schaut man dann allerdings auf das Entstehungsjahr des Essays (1951), reibt man sich die Augen. Denn es wird deutlich, dass mit dem 'heraufziehenden Ungeist', den der Autor offenbar im Blick hatte, die pluralistischen demokratischen Gesellschaften des Westens gemeint sind. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Hinter all dem sprachlich polierten Geistesadel lauert die Ablehnung der Werte, die unser Gesellschaft heute prägen. Das liegt m. E. auch hinter der Erzählung 'Auf den Marmorklippen'.


    Nun also die Stahlgewitter. Da ist es ähnlich. Der Erzähler WILL den Kampf, er definiert sich als 'Krieger', der ganz im Ethos der 'Schlacht' aufgeht. Das Erlebnis der grausamen Realität erschüttert ihn zwar, aber es ändert nichts an dieser Grundhaltung. Und: er stellt keine Sinnfrage. Für den 'Krieger' ist der Kampf alles, es gibt kein Darüber und kein Dahinter. Es gibt zwar das Vaterland, das so schön ist, dass es sich dafür zu kämpfen lohnt. Aber das liegt irgendwo im Hintergrund. Der Kampf trägt seinen Sinn und seine Legitimiation in sich selbst.