José Maria Eca de Queiroz: Die Reliquie

  • So weit ich sehen kann, haben wir noch keinen Thread zu diesem Autor. Hier stelle ich einen seiner kleineren Romane vor.


    José Maria Eça de Queiroz: Die Reliquie


    Der portugiesische Autor und Diplomat Eça de Queiroz lebte von 1845 bis 1900 und veröffentlichte den hier vorgestellten Roman 1887.

    Wir haben es hier mit einer Art Schelmenroman in der Tradition zum Beispiel des „Barry Lyndon“ von William Thackeray zu tun.

    Der junge Teodorico Raposo verliert bereits bei seiner Geburt die Mutter, Tochter eines reichen Landadeligen. Sein Vater, ein Beamter in der Provinz, stirbt ebenfalls noch in seinen Kinderjahren, so dass Teodorico in Lissabon bei der Schwester seiner Mutter, der reichen und bigotten Dona Maria do Patrocĭnio Unterschlupf findet. Seine Tante (port. Titi) ist Menschen gegenüber gefühlskalt und lebt nur für die Äußerlichkeiten ihres katholischen Glaubens. Sie umgibt sich mit Geistlichen und ist außerhalb ihrer religiösen Übungen und Gesellschaften äußerst geizig. Das missfällt dem lebenslustigen und den Frauen zugeneigten Teodorico, der deshalb – in Erwartung eines reichen Erbes - ein Doppelleben führen muss. Für die Titi ist er ständig mit Religionsausübungen beschäftigt, in Wahrheit jedoch hält er sich eine Geliebte und genießt, wenn auch finanziell eingeschränkt und versteckt, das Leben als Lebemann. Schließlich schickt ihn die Titi zu einer Reise ins Heilige Land, damit er dort für sie allerlei Fürbitten erledige, ihr von den heiligen Stätten berichte und vor allem eine kostbare Reliquie mitbringe, die ihr Ansehen in geistlichen Kreisen noch mehr steigern und ihr gegen Krankheiten und andere Unbillen helfen solle.


    So reist Teodorico zunächst bis Alexandria, um schon dort die antiken und christlichen Hinterlassenschaften zu bewundern. Er beginnt eine Liebschaft mit der englischen Kurtisane Mary und erhält von ihr nach einigen frohen Wochen der Leidenschaft ein Spitzennachthemd mit einer persönlichen Widmung, damit er immer an sie denken soll. Melancholisch wegen des Verlustes seiner Geliebten reist er mit einem deutschen Professor und Herodesforscher, den er unterwegs kennen gelernt hatte, weiter ins Heilige Land. Dort schwankt er zwischen Abgestoßenheit über die Ärmlichkeit des zeitgenössischen Landes und der doch auch auf ihn übergreifenden Faszination durch die historischen und legendären Geschehnisse, dazu auch angeregt durch die Begeisterung des Professors. In der Nähe von Jericho findet er einen Dornenbaum, der ihm als ein hervorragendes Mittel erscheint, die Titi mit Christus‘ originaler Dornenkrone zu beglücken. Der durchtriebene Professor will ihm dafür eine Expertise ausstellen. Schließlich träumt er in einem Zeltlager einen hundert Seiten langen Traum, der ihn mit dem Professor am Tag von Jesu‘ Tod nach Jerusalem bringt. Dort erlebt er den Zank der verschiedenen Interessenträger um Jesu‘ Verurteilung und Tod, zwischen dem Hohen Rat der Juden einerseits und der Besatzungsmacht Rom, dargestellt durch Pontius Pilatus, andererseits. Er nimmt die letzten Stunden von Jesus nicht als Passion und religiöses Ereignis wahr, sondern als Ergebnis eines politischen Ränkespiels und auch die Ereignisse nach seinem Tod mit Grablegung und Auferstehung stellen sich ihm als Intrigen dar.

    Wieder aufgewacht reist er mit dem Professor ein weiteres Mal nach Jerusalem, versieht sich dort mit weiteren käuflichen kleineren Reliquien und bricht nach Hause auf. In der letzten Nacht kommt es zu einer Vertauschung des Bündels mit Marys Nachthemd und der „Dornenkrone“, die genauso eingepackt war. Das Bündel mit dem Nachthemd wird in einer kostbaren Kiste verpackt und eine ins Unglück geratene Frau mit der vermeintlichen Dornenkrone beschenkt.

    Zu Hause wird der Heimkehrer aus dem Heiligen Land von den geistlichen Freunden der Titi gefeiert, und auch sie zeigt sich begeistert über seine Erzählungen und Mitbringsel von dort. Die große Reliquie harrt ihrer Enthüllung in der Hauskapelle. In Anwesenheit aller Hausfreunde, auch eines neu hinzugekommenen schmeichlerischen Geistlichen, der die Titi hofiert, wird die Reliquie enthüllt – und Teodorico mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt. Eine Weile hält er sich als Reliquienhändler mit den restlichen Mitbringseln über Wasser und hat schließlich, als er sich einem Christusbild gegenüber über sein Schicksal beklagt, eine Art Erweckungserlebnis, dass es nicht auf die Jagd nach dem Mammon und irgendwelche religiösen Hoffnungen ankomme, sondern einzig und allein auf das menschliche Gewissen, das unabhängig von Religion in jedem Menschen eingepflanzt sei. Aufgrund dieser Erkenntnis macht er eine bescheidene Karriere und kann am Ende sogar noch einen Teil des Familienbesitzes zurückgewinnen. Allerdings zeigen die letzten Zeilen des Romans, dass er keineswegs zu einem besseren Menschen geläutert ist, sondern nur hellsichtiger die materielle und religiöse Korruptheit seiner Mitmenschen durchschaut.

    Meine Meinung:

    Mit Schelmenromanen habe ich so meine Probleme, weil die Protagonisten mir meist höchst unsympathisch sind. Auch hier war ich zunächst skeptisch. Allerdings ist dieser Roman doch ein ziemlich gutes Beispiel für Religionskritik, die ziemlich weit geht und sich auch vor dem Allerheiligsten nicht scheut. Die Zusammenhänge zwischen Besitzstandswahrung, religiöser Verschleierung und Überhöhung werden hier sehr deutlich und auch verallgemeinert. So werden nicht nur das Christentum, sondern auch das Judentum und die römische Vielgötterei (im langen Traum) kritisiert, weil immer wieder klar gemacht wird, dass es insbesondere bei der herrschenden Klasse um wirtschaftliche und politische Machtinteressen, nicht um Glauben und Menschlichkeit geht.

  • Danke für die Einführung in diesen Roman! Ich habe ihn zwar vor etlichen Jahren gelesen, kann mich aber kaum erinnern. Deutlich im Gedächtnis geblieben ist mir "Das Verbrechen des Paters Amaro" vom gleichen Autor. Auch hier hemmungslose Kirchenkritik. Der Pater Amaro verführt eine junge Frau und verleumdet ihren Verlobten. Eca de Queiroz nimmt nicht nur die Kirche aufs Korn, sondern auch die bigotte Gesellschaft, die am Ende das Mädchen verurteilt, während der Pfarrer einfach auf einen anderen Posten versetzt wird.

  • finsbury

    Hat den Titel des Themas von „José Maria Eca de Queiros: Die Reliquie“ zu „José Maria Eca de Queiroz: Die Reliquie“ geändert.